Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Donnerstag, 3. Dezember 2009
Zwei Gedanken noch kurz und dann aber ab ins Bett
nnier | 03. Dezember 2009 | Topic Brainphuq
Der Betrunkene war auch einer von denen, die "mit den Jungs großgeworden" sind. Von der Sorte habe ich im Lauf der Jahre schon einige kennengelernt: 1993 in Mannheim z.B., als einer, der mir tatsächlich ein paar Lebensjährchen voraus hatte, mir und allen Umstehenden immer und immer wieder triumphierend entgegenhielt: "Da lagt ihr noch in den Windeln, damals bei den Beatles!"

Was mich betrifft, hatte er damit absolut recht, was ich ihm dann auch freundlich zu verstehen gab, verbunden mit der Frage, ob das denn ein Problem für ihn sei. "Jahaa! Ihr lagt da alle in den Windeln!", triumphierte er abermals und brachte damit eine gewisse Redundanz in die Konversation.

Und immer wieder ist es erstaunlich, wer alles die Beatles live gesehen hat, damals, in Hamburg, im Star Club, im Kaiserkeller, es müssen da Abend für Abend hunderte von Menschen gewesen sein, und immer andere, das würde sonst schon rein logistisch gar nicht hinhauen. Und wenn man dann nachts nach dem Konzert auf einen besoffenen Berliner trifft, der mit den Jungs großgeworden ist, obwohl er ja erst letztes Jahr nach Hamburg gezogen und ansonsten "waschechter Westberliner" ist, dann überrascht einen das nicht wirklich, denn es kann ja sein, dass er insjeheim doch schon vorher mal in Hamburg war und da mit den Jungs großgeworden ist. Man sollte so etwas nicht in Frage stellen, einerseits aus Respekt vor den Menschen und andererseits auch wenn es späte Nacht ist und man nach dem Konzert an einer Ampel, die einfach nicht grün werden will, endlose Minuten verbringen muss mit einem absoluten Beatlesfan, der halt an dem Tag nebenan beim HSV war. Manchmal passt es eben gerade nicht, und weil niemand das besser versteht als ich, beantworte ich in solchen Fällen auch gerne und geduldig Fragen. Fragen wie: "Ich bin ja mit den Jungs großgeworden, ich habe die ja damals gesehen, aber ich sage auch: Minuspunkt, eindeutiger Minuspunkt, Herr McCartney, das ist Ihnen wohl zu Kopf gestiegen. Ich meine, Hamburg hat die Jungs großgemacht, und da hat der Herr McCartney keine Zeit für den Bürgermeister. Keine Zeit, mal ins Goldene Buch zu schreiben. Bricht dem denn da ein Zacken aus der Krone. Da sage ich: So nicht. Ohne Hamburg wäre er NICHTS. Da könnte er in London oder Manchester oder ... oder ... oder Liverpool spielen und KEINER würde ihn kennen, ich meine, ist doch so. Und was hat er denn gespielt. Und hat er das gut gespielt. Und seine Frau, die war wirklich gut, ich meine nicht die mit dem appen Bein, sondern die mit beide Beine, vaschtehste. Genau: Linda, sag ich doch. Und was zahlt man denn für so ein Ticket. Wie bitte. Und ihr wart da zu viert. Zahlen Kinder die Hälfte - nicht!? - zweiter Minuspunkt, Herr McCartney. Meister, für das Geld machst du ja zwei Wochen Urlaub auf Mallorca mit Flug. Und was hat er denn für eine Band, das sind doch die Wings."

Auf diese Frage antwortete ich: "Hm, ja, hm", dann wurde es grün.

Einige Stunden vorher machte ich mir Gedanken über die Verwesung. Und zwar bin ich prinzipiell der Ansicht, dass der Mensch ein Recht auf Verwesung hat. Ich möchte niemanden daran hindern, zu verwesen, und wenn ich mal beschließe, zu verwesen, dann möchte ich schon jetzt eindringlich darum bitten, dass das respektiert wird.

Problematisch wird das Thema für mich dann, wenn ich in einem Rockkonzert von Menschen umgeben bin, die beschlossen haben, genau hier und jetzt zu verwesen. Innenraum, Bühnennähe, also dort, wo eigentlich Stehplätze sein müssten, das Konzert beginnt, man springt auf, drückt seine Begeisterung aus, und dann verwesen um einen herum plötzlich Menschen - das ist an sich schon eine merkwürdige Erfahrung, allerdings ließe sich das im Sinne eines pluralistischen Gesellschaftsideals (jeder nach seiner Fassong) durchaus tolerieren. Nun tritt das Verwesen aber inzwischen als Massenerscheinung auf, unmerklich ist aus der Minderheiten- eine Mehrheitsposition geworden, und die einstmals marginalisierte und viel zu lange nicht ernstgenommene Gruppe der Verwesenden stellt plötzlich massive Ansprüche: "Hinsetzen da vorne!", man schickt die Stasi in Gestalt einer strengen Hostess, die die Lebenden darauf hinweist, dass die Verwesenden einen Anspruch auf Verwesung haben, der auch durchgesetzt werden wird, hämisch lachen und applaudieren dann die Verwesenden, wenn die Lebenden ebenfalls niedergedrückt werden, eine Armee von Zombies, die gehässig in ihren Sitz gedrückt nach links und rechts schauen, wir haben bezahlt und wir haben ein Recht auf ein ungestörtes Verwesen, aber eine kleine Gruppe von Widerständlern hält dagegen, und wenn einer aufgeben will, reißen ihn die anderen wieder hoch, und sie halten sich gegenseitig am Leben, und die Strukturen der Verwesenden sind viel zu erstarrt, und plötzlich entsteht eine oppositionelle Bewegung, und dann waren sie hinterher plötzlich alle nie Verwesende und waren eigentlich schon immer auf der Seite der Stehenden, innerlich wenigstens.

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