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There you go, Gesundheitssystem.
Beim Dienstantritt wurde mir sehr vehement vorgeschrieben, zu welchem Arzt ich zu gehen hätte, um die obligatorische Erstuntersuchung vornehmen zu lassen. Auch für eventuell folgende Krankheitsfälle sei dieser Arzt der vorgeschriebene erste Ansprechpartner, der einen nur bei Bedarf zu einem Spezialisten überweisen werde. Dies erschien mir nicht ganz rechtens, da ich schon damals ein Freund der freien Arztwahl war und auch seit Jahren zu einem anderen Hausarzt ging, doch wollte ich nicht schon zu Dienstbeginn den Querulanten geben und fügte mich, denn, so meinte ich, die Erstuntersuchung sei ja vermutlich eine reine Formalität. So fuhr ich also eines Tages relativ weit aus der Stadt heraus in jenes Dorf, welches die Praxis des Vertrauensarztes meines Dienstherrn beherbergte, und da sich die Fahrt dahinzog, machte ich mir ein paar Gedanken.
Den Vertrauensarzt stellte ich mir etwa von jenem Typus vor, der im Kreiswehrersatzamt einige Monate zuvor die Musterung vorgenommen hatte: "Stellen Sie sich nicht so an", "Was heißt hier: Ich hab's im Rücken", sein Misstrauen war recht unverhüllt zutagegetreten, bis er komplett unvermittelt, nachdem er mich hatte kräftig husten lassen*, fragte, ob ich gerne sänge, denn das Musikkorps suche immer Nachwuchs.
Nun ist ja das Misstrauen der Musterungsärzte nicht ganz unbegründet, und auch beim Zivildienst, so überlegte ich, könnte es natürlich sein, dass der Dienstherr da so seine Erfahrungen hat mit jungen Männern, die aussehen wie das blühende Leben und sich dauernd krank melden, weshalb also aus Dienststellensicht ein dahingehend zuverlässiger Arzt durchaus einen Unterschied machen könne, denn es war eine große Dienststelle mit gut 20 Zivis, die damals übrigens auch jeder 20 Monate ableisten mussten.
Ich hatte die Arztpraxis erreicht. Vorne im Haus eine große Apotheke, hinten der Eingang, der zu einer beeindruckende Praxis mit ebensolchen Angestellten führte. Als ich ins Behandlungszimmer gerufen wurde, gab mir der Doktor die Hand, sah in meinen Hals, fragte, ob "sonst alles OK" sei, wusch sich die Hände, geleitete mich zur Tür und verabschiedete mich mit den Worten: "Und wenn du mal Urlaub brauchst." Das ganze hatte etwa zwei Minuten gedauert.
Der Same war gepflanzt. Zwar war ich zwischen innerer Belustigung ("Wenn die wüssten, wen sie sich da ausgesucht haben!") und Empörung ("Und dafür bekommt der Geld!") hin- und hergerissen, aber eigentlich** fest entschlossen, diesem unmoralischen Angebot nicht nachzugehen. Wenn das jeder machen würde!
Allerdings gab es dann doch diesen Tag. Ich war mit dem neuen, übereifrigen Zivildienstkollegen unterwegs. Wir hatten ein unförmiges, altes Metallbett mit diversen Anbauten an einen bedürftigen Patienten auszuliefern, und schon am Mittag, als wir es aus dem Lager herausgetragen und auf den Anhänger des Autos gewuchtet hatten, hatte ich mir halb die Wirbelsäule verbogen. Nun fuhren wir in eine enge Innenstadtstraße, stiegen durch das ebenso enge Treppenhaus in den dritten Stock, sahen den armen Mann in seinem Bett liegen und ließen uns von seiner Tochter ankeifen, dass das ja nun höchste Zeit werde.
Ich sah mir das vorhandene Bett an, das dem im Anhänger verdächtig ähnelte. Ja, keifte die Frau, aber da könne man dieses und jenes nicht verstellen. Und während ich noch verstehen wollte, ob das denn bei dem angelieferten Bett tatsächlich anders sei, griff der übereifrige Kollege schon unter den Beinen des Patienten hindurch, nötigte mich dadurch, mit anzufassen, wir trugen den alten Herrn zum Sofa, und während Kollege die Patiententochter anstrahlte und versicherte, das sei alles kein Problem, begann er, das Bett zur Tür zu ziehen, so dass mir nichts anderes übrig blieb als zuzugreifen und das offensichtlich gusseiserne, jedenfalls unglaublich schwere, Ungetüm durchs Treppenhaus zu tragen, begleitet vom unfreundlichen "Vorsicht! Passt doch auf!" der skeptisch zusehenden Weibsperson. Selbstverständlich war ich der untere Träger, mithin lastete das Tonnengewicht des Gestells, das wir aufgrund der extremen Enge fast senkrecht tragen mussten, zum überwiegenden Teil auf mir.
Unten angekommen stellten wir das Bett neben den Anhänger, ich wagte es kaum hinzusehen, und tatsächlich: die Modelle waren identisch. "Guck dir das doch an!", herrschte ich den Kollegen an, der dümmlich grinste und meinte, bestimmt gebe es da trotzdem einen Unterschied, und wir sollten nun einfach das neue Bett hinaufbringen, das sei "doch nicht so schlimm."
Voller Wut schleppte ich das andere Bett mit ihm nach oben, natürlich ging ich dabei wieder unten, inzwischen wäre Dienstschluss gewesen, wir mussten umständlich rangieren und hatten das Stahldings eine halbe Stunde später endlich dort plaziert, wo zuvor das Zwillingsmodell gestanden hatte. Nun hieß es noch, die Matratze und den Patienten wieder unter töchterlichem Gezeter aufs Bett zu befördern. Als ich endlich durchatmen wollte und meine ruinierten Schultern zu massieren begann, wurde das Gezeter noch lauter: "Das geht ja noch schlechter als das alte Bett!"
Bis dahin hatte ich noch an mich gehalten. Als aber der Dumpfbackenkollege umgehend versprach, man werde nach dem Wochenende ein neues, besseres Bett besorgen und als Frau Tochter meinte, gut, bis dahin wolle sie aber das alte Bett wiederhaben, als Kollega mich daraufhin dümmlich lächelnd ansah und meinte, das sei "ja auch nicht so schlimm", wusste ich, dass das hier kein gutes Ende mehr nehmen würde. Dennoch verbiss ich mir die Wut noch, nicht zuletzt aus Rücksicht auf den armen alten Mann, der in dem frisch angelieferten Bett tatsächlich schlechter zu liegen schien als zuvor. Wir tauschten die Betten wieder aus, es war längst dunkel, ich hasste meinen Kollegen, sprach auf der Rückfahrt kein Wort, lud schweigend das Bett vom Anhänger ab und wollte in der Dienststelle noch schnell den Autoschlüssel abgeben, als der Vorgesetzte zu uns trat und sprach: Die Frau habe angerufen, sie sei nicht zufrieden mit uns gewesen, wir seien wohl "zu schwach" zum Tragen, und nach dem Wochenende werde ein ganz neues Bett angeliefert. Fassungslos rang ich nach Luft und Worten, der Kollege jedoch krähte drauflos, dass wir das am Montagvormittag ja gut erledigen könnten und das sei "ja nicht so schlimm."
Ich fuhr aufs Dorf. In der Praxis war noch Licht. "Was willst du denn haben", fragte der Arzt. Ich zuckte die Schultern. "Angina", schlug er vor. "Da muss ich dir aber was verschreiben. Hol dir das vorne in der Apotheke."
Dass die Apotheke seiner Frau gehörte, erfuhr ich erst später - war aber klar, oder?
--
*Frauen: Ihr habt ja keine Ahnung.
**Wenn schon einer "eigentlich" schreibt!
Beim Dienstantritt wurde mir sehr vehement vorgeschrieben, zu welchem Arzt ich zu gehen hätte, um die obligatorische Erstuntersuchung vornehmen zu lassen. Auch für eventuell folgende Krankheitsfälle sei dieser Arzt der vorgeschriebene erste Ansprechpartner, der einen nur bei Bedarf zu einem Spezialisten überweisen werde. Dies erschien mir nicht ganz rechtens, da ich schon damals ein Freund der freien Arztwahl war und auch seit Jahren zu einem anderen Hausarzt ging, doch wollte ich nicht schon zu Dienstbeginn den Querulanten geben und fügte mich, denn, so meinte ich, die Erstuntersuchung sei ja vermutlich eine reine Formalität. So fuhr ich also eines Tages relativ weit aus der Stadt heraus in jenes Dorf, welches die Praxis des Vertrauensarztes meines Dienstherrn beherbergte, und da sich die Fahrt dahinzog, machte ich mir ein paar Gedanken.
Den Vertrauensarzt stellte ich mir etwa von jenem Typus vor, der im Kreiswehrersatzamt einige Monate zuvor die Musterung vorgenommen hatte: "Stellen Sie sich nicht so an", "Was heißt hier: Ich hab's im Rücken", sein Misstrauen war recht unverhüllt zutagegetreten, bis er komplett unvermittelt, nachdem er mich hatte kräftig husten lassen*, fragte, ob ich gerne sänge, denn das Musikkorps suche immer Nachwuchs.
Nun ist ja das Misstrauen der Musterungsärzte nicht ganz unbegründet, und auch beim Zivildienst, so überlegte ich, könnte es natürlich sein, dass der Dienstherr da so seine Erfahrungen hat mit jungen Männern, die aussehen wie das blühende Leben und sich dauernd krank melden, weshalb also aus Dienststellensicht ein dahingehend zuverlässiger Arzt durchaus einen Unterschied machen könne, denn es war eine große Dienststelle mit gut 20 Zivis, die damals übrigens auch jeder 20 Monate ableisten mussten.
Ich hatte die Arztpraxis erreicht. Vorne im Haus eine große Apotheke, hinten der Eingang, der zu einer beeindruckende Praxis mit ebensolchen Angestellten führte. Als ich ins Behandlungszimmer gerufen wurde, gab mir der Doktor die Hand, sah in meinen Hals, fragte, ob "sonst alles OK" sei, wusch sich die Hände, geleitete mich zur Tür und verabschiedete mich mit den Worten: "Und wenn du mal Urlaub brauchst." Das ganze hatte etwa zwei Minuten gedauert.
Der Same war gepflanzt. Zwar war ich zwischen innerer Belustigung ("Wenn die wüssten, wen sie sich da ausgesucht haben!") und Empörung ("Und dafür bekommt der Geld!") hin- und hergerissen, aber eigentlich** fest entschlossen, diesem unmoralischen Angebot nicht nachzugehen. Wenn das jeder machen würde!
Allerdings gab es dann doch diesen Tag. Ich war mit dem neuen, übereifrigen Zivildienstkollegen unterwegs. Wir hatten ein unförmiges, altes Metallbett mit diversen Anbauten an einen bedürftigen Patienten auszuliefern, und schon am Mittag, als wir es aus dem Lager herausgetragen und auf den Anhänger des Autos gewuchtet hatten, hatte ich mir halb die Wirbelsäule verbogen. Nun fuhren wir in eine enge Innenstadtstraße, stiegen durch das ebenso enge Treppenhaus in den dritten Stock, sahen den armen Mann in seinem Bett liegen und ließen uns von seiner Tochter ankeifen, dass das ja nun höchste Zeit werde.
Ich sah mir das vorhandene Bett an, das dem im Anhänger verdächtig ähnelte. Ja, keifte die Frau, aber da könne man dieses und jenes nicht verstellen. Und während ich noch verstehen wollte, ob das denn bei dem angelieferten Bett tatsächlich anders sei, griff der übereifrige Kollege schon unter den Beinen des Patienten hindurch, nötigte mich dadurch, mit anzufassen, wir trugen den alten Herrn zum Sofa, und während Kollege die Patiententochter anstrahlte und versicherte, das sei alles kein Problem, begann er, das Bett zur Tür zu ziehen, so dass mir nichts anderes übrig blieb als zuzugreifen und das offensichtlich gusseiserne, jedenfalls unglaublich schwere, Ungetüm durchs Treppenhaus zu tragen, begleitet vom unfreundlichen "Vorsicht! Passt doch auf!" der skeptisch zusehenden Weibsperson. Selbstverständlich war ich der untere Träger, mithin lastete das Tonnengewicht des Gestells, das wir aufgrund der extremen Enge fast senkrecht tragen mussten, zum überwiegenden Teil auf mir.
Unten angekommen stellten wir das Bett neben den Anhänger, ich wagte es kaum hinzusehen, und tatsächlich: die Modelle waren identisch. "Guck dir das doch an!", herrschte ich den Kollegen an, der dümmlich grinste und meinte, bestimmt gebe es da trotzdem einen Unterschied, und wir sollten nun einfach das neue Bett hinaufbringen, das sei "doch nicht so schlimm."
Voller Wut schleppte ich das andere Bett mit ihm nach oben, natürlich ging ich dabei wieder unten, inzwischen wäre Dienstschluss gewesen, wir mussten umständlich rangieren und hatten das Stahldings eine halbe Stunde später endlich dort plaziert, wo zuvor das Zwillingsmodell gestanden hatte. Nun hieß es noch, die Matratze und den Patienten wieder unter töchterlichem Gezeter aufs Bett zu befördern. Als ich endlich durchatmen wollte und meine ruinierten Schultern zu massieren begann, wurde das Gezeter noch lauter: "Das geht ja noch schlechter als das alte Bett!"
Bis dahin hatte ich noch an mich gehalten. Als aber der Dumpfbackenkollege umgehend versprach, man werde nach dem Wochenende ein neues, besseres Bett besorgen und als Frau Tochter meinte, gut, bis dahin wolle sie aber das alte Bett wiederhaben, als Kollega mich daraufhin dümmlich lächelnd ansah und meinte, das sei "ja auch nicht so schlimm", wusste ich, dass das hier kein gutes Ende mehr nehmen würde. Dennoch verbiss ich mir die Wut noch, nicht zuletzt aus Rücksicht auf den armen alten Mann, der in dem frisch angelieferten Bett tatsächlich schlechter zu liegen schien als zuvor. Wir tauschten die Betten wieder aus, es war längst dunkel, ich hasste meinen Kollegen, sprach auf der Rückfahrt kein Wort, lud schweigend das Bett vom Anhänger ab und wollte in der Dienststelle noch schnell den Autoschlüssel abgeben, als der Vorgesetzte zu uns trat und sprach: Die Frau habe angerufen, sie sei nicht zufrieden mit uns gewesen, wir seien wohl "zu schwach" zum Tragen, und nach dem Wochenende werde ein ganz neues Bett angeliefert. Fassungslos rang ich nach Luft und Worten, der Kollege jedoch krähte drauflos, dass wir das am Montagvormittag ja gut erledigen könnten und das sei "ja nicht so schlimm."
Ich fuhr aufs Dorf. In der Praxis war noch Licht. "Was willst du denn haben", fragte der Arzt. Ich zuckte die Schultern. "Angina", schlug er vor. "Da muss ich dir aber was verschreiben. Hol dir das vorne in der Apotheke."
Dass die Apotheke seiner Frau gehörte, erfuhr ich erst später - war aber klar, oder?
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*Frauen: Ihr habt ja keine Ahnung.
**Wenn schon einer "eigentlich" schreibt!
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