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... deshalb setzte ich zuerst fünf Liter Sauce an. Während die Pampe aufkochte, rührte ich in einer großen Schüssel das Pulver für die Cremesauce, Milch und Zucker ineinander, wobei ich darauf achtete, die Bestandteile nicht zu gut zu vermengen, weil sonst die Klumpenbildung beeinträchtigt wird, wenn man die heiße Milch hinzugibt.Als ich noch ein wenig jünger war, säbelten sie mir mal den Appendix weg. Das war noch in der Zeit, als man dazu aufgeschnitten wurde (Endoskopie? Ha!), so dass ich eine gut erkennbare, reißverschlussförmige Narbe davongetragen habe.
Luigi kam herein und legte Mantel, Socken und Schuhe ab. "Muss mir unbedingt wasche die Fuße in Spulbecke", sagte er, wobei er auf die Abtropffläche kletterte. "Habe ich, wie sagt man, Fußepilz."
(Sue Townsend: Die Cappuccino-Jahre)*
Ich erinnere mich noch gut an die Vollnarkose: "Dir zeige ich's!", dachte ich, als das Gas strömte, und nahm mir vor, einfach wach zu bleiben. Aber mehr als drei, vier Zahlen bekam ich nicht mit, dann war ich weg und dann war er weg, der Wurmfortsatz, ich erwachte irgendwann, schlief wieder ein, wurde erneut wach, so ging das tagelang, bis ich meine Mutter erblickte, die neben mir saß, und ich fragte sie: "Wieviele Tage bin ich denn schon hier?", worauf sie antwortete: "Du wurdest vor drei Stunden operiert!"
Ich musste mich also darauf einstellen, noch ein wenig zu bleiben. Und so wurde ich in jenen Raum gerollt, in dem ich die nächsten Tage verbringen würde. Einer der Zimmernachbarn, J. hieß er, ein paar Jährchen älter als ich und definitiv ein Freak, das war trotz des komischen, hinten zu öffnenden Kittels, wie auch ich einen trug, klar zu erkennen (lange Haare und so!), war aus demselben Grund dort wie ich. Allerdings hatte seine Operation etwa zwölf Stunden vor meiner stattgefunden, eine Tatsache, die noch bedeutsam werden sollte.
Man darf ja ewig nichts essen. Und man verbringt viel Zeit damit, ans Essen zu denken. Und man beginnt darüber zu sprechen. Selten habe ich so ausführlich über Kartoffelbrei, Schwarzbrot mit ganz dick Butter drauf, über Wirsinggemüse und andere Köstlichkeiten gesprochen, und selten hörte ich so gerne jemanden von der tollen Bratensoße erzählen, die es bei seiner Oma immer gibt.
Kurzum: Wir waren ausgehungert, verzweifelt, schalteten in neurotischer Zwangshandlung fünfhundertmal das Licht an und aus, lasen Spiegelartikel über verrückte Vornamen (jemand wollte seinen Sohn Grammophon nennen - meine Narbe wäre deshalb fast wieder aufgebrochen) und fantasierten uns Fünfgängemenüs zusammen.
Eines abends bekam J. zur langsamen Wiedereingewöhnung eine Schale mit sogenanntem Wasserhafer. Die graue Pampe sah, nun ja, irgendwie aus, und doch war ich krank vor Neid auf meinen glücklichen Zimmernachbarn, der endlich wieder etwas zu Essen bekam, während ich noch bis zum nächsten Morgen hungern musste - die erwähnten zwölf Stunden. J. nahm gierig den ersten Löffel, verzog angewidert das Gesicht, schob das Schälchen weg und rief: "Bäh! Das ist ja ekelhaft!", während ich schwor, ich würde alles essen, wenn man mich nur ließe.
An diesem Abend bekam J. Besuch von einer Gruppe Punks, die ihn aus dem Bett hoben, seinen Kittel hinten zubanden und mit ihm im Krankenhaus spazierengingen. Er lief barfuß. Ich versuchte, mein Bett zu bewegen, um an den Hafer zu kommen; es klappte nicht.
Nach schlaflos durchgehungerter Nacht war es morgens endlich so weit: Ich bekam mein Schälchen Wasserhafer! Bebend nahm ich den Löffel, schob mir eine Portion in den Mund, verzog angewidert das Gesicht, schob das Schälchen weg und rief: "Bäh! Das ist ja ekelhaft!"
J. hingegen bekam ein Schälchen mit halb und halb, Hafer mit Wasser und Milch. Den konnte man nach seiner Aussage halbwegs ertragen, und so ging es, ich immer einen halben Tag verzögert, weiter über Milchhafer hin zu Toastbrot mit Frischkäse und dann irgendwann nach Hause. Wo ich langsam wieder an normale Kost herangeführt wurde.
Meine frische Narbe zeigte ich einem Freund, der sein T-Shirt mit den beruhigenden Worten seitlich hochzog: "Bei mir sieht man die kaum noch!", und tatsächlich, es war buchstäblich nichts zu sehen. Was ich ihm auch sagte. "Na ja, man sieht schon noch was." - "Nein, ehrlich, da ist nichts!"
Er begann plötzlich zu lachen. Minutenlang rang er nach Luft, bis er wieder sprechen konnte: "Es ist ja die andere Seite!"
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*Auf der Titelseite heißt es blöd: "Die Cappuccino Jahre", deshalb hätte ich das Buch fast liegenlassen. Und das wäre schade gewesen, denn es liest sich ganz vergnüglich.
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