Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Mittwoch, 8. Oktober 2008
"Karriere ist eine Gerade. ALDI SÜD."
nnier | 08. Oktober 2008 | Topic Klar jewesn
Zu den Druckerzeugnissen, die ungelesen ins Altpapier wandern, gehört von je her Zeit Campus, ein langweiliges Beilagenmagazin, das vermutlich aus irgendwelchen Beiträgen der regulären Zeit zusammengestoppelt wird und ein Umfeld bieten soll für die Vierfarbanzeigen verschiedener Banken und Krankenkassen, die ihre "Produkte" loswerden, aber auch bestimmter Arbeitgeber, die ihre Arbeitsstellen anpreisen wollen.

Da ich als umweltbewusster Mitbürger Papier und Plastikfolie stets trenne, kam ich heute doch mal in die Versuchung, nach dem Aufreißen der Umhüllung (Postvertriebsstück) in dem Ding zu blättern und stolperte über
11 Tipps für den perfekten Uni-Bluff

Mit dem Bluffen ist es wie mit dem Doping. Wenn es alle tun, ist der Ehrliche der Dumme. Deshalb haben wir einen Profesor gefragt, wie man blufft, ohne sich selbst zu täuschen:

Tipp 1: Ein kluges Gesicht machen. Tragen Sie, wenn Sie bluffen, Ihre Argumente zögerlich, in einem suchenden, leicht gelangweilten Ton vor, als ob Sie aus einem riesigen Fundus an Wissen auswählen müssten.
[...]
Tipp 3: Den eigenen Professor imitieren. [...]
Tipp 4: Das Image pflegen. Zeigen Sie sich, reden Sie im Seminar, halten Sie Referate, stellen Sie Fragen. Ich, der Professor, soll denken: "Alle Achtung! Das Gesicht muss ich mir merken!"
[...]
Tipp 8: Fremdwörter verwenden. [...] Streuen Sie in Ihre Arbeiten exotische Fremdwörter und berühmte Namen ein. So wirkt das, was Sie sagen wollen, noch bedeutsamer.
Tipp 9: Sich unangreifbar machen. Drücken Sie sich so komplex wie möglich aus, und verwenden Sie Füllwörter wie "meistens" oder "üblicherweise". Kritisiert Sie jemand, können Sie immer zurückgeben: "Das habe ich so nicht gesagt!"
[...]
Nun kriege ich schon das Würgen, wenn ich so was lese, so eine launig aufbereitete Service-Seite in der bildungsbürgerlichen Zeit, die hierzu nichts, aber auch gar nichts Kritisches äußert, das auch nicht irgendwie subversiv eintütet, sondern ganz geradeheraus dumpfbackige Tipps fürs angepasste Rumschleimen gibt. Aber was mich richtig gewundert hat, war, wer der Professor ist, der hier so tolle Ratschläge erteilt: Wolf Wagner heißt er, sein Buch hieß mal Uni-Angst und Uni-Bluff. Wie studieren und sich nicht verlieren. Ich erinnere mich an die gemeinsame Lektüre im selbstorganisierten Tutorium an der roten Kaderschmiede, von der außer den verschrammten, orangefarbenen oder giftiggrünen Möbeln schon zu meiner Studienzeit nicht mehr viel übrig war, aber das führt jetzt entschieden zu weit. Was das Buch betrifft, war das jedenfalls eines, das man als Studienanfänger gut gebrauchen konnte, wenn man nicht von sich aus mit einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein gesegnet war. Es ging um ganz praktische Tipps, z.B. die Bildung von "Studienkollektiven", um dem traurigen Einzelkämpfertum entgehen zu können, daneben aber vor allem darum, was einen beim Studieren unglücklich machen kann, was Angst erzeugt und krank macht.* (Wer's genauer wissen will, kann diese Rezension lesen, die sich ausdrücklich der alten Ausgabe dieses Buchs widmet). Und dazu, also zu dem kritisierten Bluff-Verhalten, gehörten genau die Dinge, die einem da oben empfohlen werden (und zwar nicht als Notwehrmaßnahme gegen bescheuerte Strukturen, sondern ganz ernsthaft).

Anscheinend hat Wolf Wagner sein Buch neu herausgegeben und dabei deutlich verändert. Es ist mir zu mühsam, das alles nachzulesen und betrifft mich ja auch nicht mehr. Aber mir wird schon seltsam zumute, wenn das Buch nach den "11 tollen Tipps" wie folgt angepriesen wird:
Wolf Wagner, 64, lehrt Sozialwesen an der FH Erfurt. Mehr über die Kunst des Bluffens und Tipps zum wissenschaftlichen Arbeiten in seinem Buch [...]
Bin ich froh, dass ich da nicht mehr hin muss.


---
* "Eigentlich sollte die Universität die Möglichkeit bieten, zusammen mit anderen interessante Fragen zu untersuchen und in neugierigem Lernen die Welt und die eigene Stellung in ihr besser zu verstehen. Das Problem besteht darin, dass solches Versprechen an der Universität kaum einzulösen ist, dass die universitäre Art, mit Problemen umzugehen, das Interesse vielmehr abtötet, die Neugier eintrocknet und das inhaltliche Gespräch verhindert. Sie produziert Angst, Einsamkeit und Langeweile. Sie entfremdet die Studierenden und Lehrenden vom Stoff, von sich selbst und voneinander. Im Studienverlauf verschärft sich das Problem, statt sich - wie tendenziell in anderen Institutionen - abzumildern. Studentinnen und Studenten reagieren auf diese Situation jeweils unterschiedlich: manche mit Depressionen, andere mit Studienabbruch, wieder andere mit Rückzug in die Unauffälligkeit und manche [...] mit auftrumpfendem Bluff. Die Schwierigkeit, die sich mit solchen unterschiedlichen Reaktionsweisen zu bewältigen suchen, ist aber immer die gleiche: Angst vor der Abwertung als Nichtwissende."

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