Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Hibernate & Spring
nnier | 05. Mai 2010 | Topic In echt


Es ist Frühling draußen, daran muss man immer mal denken, die Leute haben Besseres zu tun als Blogs zu lesen: Mücken einatmen z.B., das geht derzeit hervorragend! Sogar zu Fuß. Mit dem Fahrrad ist das natürlich auch möglich; auf dem Velo ziehe ich es allerdings i.d.R. vor, einzelne Exemplare mit den ohnehin allergiegeröteten Augen gezielt einzufangen. Das funktioniert so, dass man ein konkretes Fluginsekt als Zielobjekt bestimmt und dieses dann mitten im Straßenverkehr oder auch bei einer extremen Bergabfahrt mit Kopfbewegungen, die ein oberflächlicher Beobachter für Abwehr- oder Ausweichmanöver halten mag, dergestalt zu erhaschen versucht, dass es auf möglichst komplizierte Weise unter das obere Augenlid befördert wird oder, für Fortgeschrittene, in den Bereich der Tränendrüsen bzw. ganz nach unten. Man muss dann mit den sandigen Fingern wild reiben und augenrollen und all das, bis die Leute sagen: Lass es raustränen, dann steht man erst mal da und tut ihnen den Gefallen, bis sie ungeduldig werden und sagen: Lass mich mal sehen - dann kommt garantiert: Da ist doch gar nichts, und man muss das Krabbeln also einfach noch eine Weile ertragen, bis man das überraschend widerstandsfähige, weil irgendwie chitingepanzerte Insekt lebend zu fassen bekommt, um triumphierend zu rufen: Ha! Siehst du! Wohl hab' ich es erwischt!

~

"1984" lautete der Betreff einer E-Mail, die mich kürzlich erreichte und Lesevergnügen der folgenden Art bot:

Oben genanntes Jahr war eigentlich gar kein so schlechtes. Vielleicht ein wenig wechselhaft. Zwischen Pubertät und Konfirmationsunterricht, zwischen Gazebo und Duran Duran, zwischen siebter und achter Klasse lag die EM84 in Frankreich. Und ich hatte zum letzten Mal ein Fußballbildersammelalbum.
Zur Euro. Ich hab's zwar nicht ganz voll bekommen und der Spaß kostete auch ein Heidengeld, brachte aber monatelang Freude.

Letzten Samstag klingelte ein Freund bei mir, um sich seine samstägliche Ration an Bier und Fußball abzuholen, breit grinsend, mit so einem Panini-Ding in der Hand.
Seelenruhig sah ich ihm dabei zu, wie er, mit wachsender Begeisterung, Klebebilder von manchmal bekannten, meist aber vollkommen unbekannten jungen Männern in Sportbekleidung in sein Album klebte, selten auch ein silbern glänzendes Wappen oder ein halbes Stadion.
Ende vom Lied: Ich bin zur Tankstelle und habe mir auch so eine Starter-Tüte (Album und 50 Bilder) gekauft. Nach 26 Jahren hat die Sucht mich wieder gepackt. Zukünftige Mittagspausen werde ich wohl vermehrt auf nahe gelegenen Schulhöfen verbringen müssen (schon 21 Doppelte). Hö hö.
Sie sind sicher mit mir der Ansicht, dass derartige Premiumformulierungen ein größeres Publikum verdienen und der Verfasser endlich zum Bloggertum konvertieren muss; meine Antwort leitete ich deshalb mit einer entsprechenden Ermunterung ein. War das richtig? Immerhin herrscht Krisenstimmung. Jedenfalls kam ich selbst ins Plaudern:
Nach Panini 80/81 kamen noch zwei Jahre Bundesliga, die WM España 82 mit silbernen Nationalspielern (Klaus und Thomas Allofs!) sowie das Duplo/Hanuta-Album zum nämlichen Ereignis, dann war's das - bzw. wäre es gewesen, hätte ich nicht eines Tages die Magie zerstört. Und zwar begann ich zum Ende meiner Zivildienstzeit mit meiner Liefertätigkeit für den Subunternehmer eines Göttinger Pressegrossisten. Ich belieferte also Läden mit Zeitungen und Zeitschriften und raste mit einem überladenen Kleintransporter durch die Nacht. Und holte zugleich die Remittenden ab. Diese wurden nur stichprobenartig überprüft, so dass das eine oder andere Asterix-Heft sowie ein paar Hochglanzmagazine mit interessanten Interviews (und, ich glaube, auch so nackten Frauen, aber die habe ich immer hastig überblättert) in der eigenen Tasche landeten.

Ich übertrieb es nicht wie manch anderer, der davon lebte, kistenweise wertvolles Zeug mitzunehmen, das man gut auf dem Flohmarkt veräußern konnte (ungelesene und aktuelle Walt Disney's Lustige Taschenbücher bspw. brachten durchaus etwas ein), aber dann kamen die Panini-Alben 1991 zurück und mit denen zusammen auch die Kisten mit den nicht verkauften Klebern. Nun musst du wissen, dass ich mal Zeuge einer Orgie geworden war, als Mitschüler XY seiner Mutter Geld gestohlen und einen ganzen Karton mit 100 Tüten gekauft hatte. Von sowas hatte ich nächtelang geträumt, konnte aber nur ein paar Tüten pro Woche kaufen. Und nun kam der da an mit seiner Kiste. Natürlich haben die asozialeren meiner Mitschüler ihm die Bildchen auch wieder geklaut, aber das ist eine andere Geschichte. Es blieb dennoch der fassungslose Eindruck angesichts der Aufklebermassen auf seinem Tisch.

1991 also nahm ich mir anderthalb Kisten mit. Ich riss fließbandmäßig die Tütchen auf, ordnete die Kleber in Zehnergruppen nach Nummern, hatte die Sammlung komplett und klebte von Nr. 1 bis Nr. 350 (oder so) alles der Reihe nach ein. Nach einer Stunde war ich fertig. Und es blieb nichts als ein schales Gefühl.
So wird das natürlich nichts. Es kommt kein Tablettcomputer und nicht mal ein aktuelles Mobiltelefon drin vor.

~

Frühling-Shmühling. Der Januar zieht sich hin dieses Jahr.

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jean stubenzweig, Donnerstag, 6. Mai 2010, 12:52
Zum Thema Krisenstimmung: Bei mir ist soviel los, daß mir die Erprobung einer neuen Toilettenpapiersorte als spannendes Ereignis erscheinen will. Deshalb werde ich heute wohl, vermutlich auch, weil ich zur Zeit mittendrinstecke im Alltag, über eine Ausstellung ein paar Notizen abgeben, die ich nicht gesehen habe und vermutlich auch nicht sehen werde, obwohl es sich mit Sicherheit lohnen würde. Aber ich komme einfach nicht in die Gänge, und es ist ja, wie Sie anmerken, «Frühling draußen»., weshalb ich ihn ihn dort belasse und alles verrammle, um bloß drinnen keine Mücken einatmen zu müssen.

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