Im Zeit Magazin vom 7. Januar 2010 wird per halbseitiger Farbanzeige für ein Abonnement der Wochenzeitung geworben. Abgebildet ist allerdings kein Zeitungsstapel, kein Signet (wie Sie natürlich wissen, ist das der Bremer Schlüssel! Ha!, Pfeffersäcke!) und nicht einmal Helmut Schmidt, sondern ein technisches Gerät, das laut Anzeigentext "jetzt zum Fest" bei nur 79.- EUR Zuzahlung als Prämie erhält, wer jemanden dazu verleitet, ein Zweijahresabonnement abzuschließen.
Das Gerät hat die Form, die inzwischen fast alle Geräte haben, es ist rechteckig mit abgerundeten Ecken und einem großen Touchscreen, und ob man damit nun musikhören oder telefonieren oder beides oder noch etwas anderes kann, ist fast schon egal.
Ich habe mir sagen lassen, dass es in erfolgreichen Blogs eigentlich immer um technische Geräte geht, dauernd erzählt man sich dort wohl etwas über Handys, und ich erzähle Ihnen heute mal etwas über Handys.
Einmal, es war noch zu Zeiten, als man überlegte, einen Pieper oder Pager anzuschaffen, unheimlich praktisch, denn wenn man mal das Kind mit einem Babysitter zu Hause lasse und ins Kino gehe, dann müsse man bloß noch darauf achten, ob der Pager sich melde, Qix oder so hießen die, dann brauche man praktisch nur aus dem Kino herauszulaufen und die nächste Telefonzelle zu suchen, dann könne man zu Hause anrufen, und wenn es etwas Wichtiges sei, könne man ja schnell nach Hause gehen, doch jemand sprach zu mir: Kauf dir doch ein Handy!
Das musste ich erst mal verdauen. Ich kaufte schließlich ein Trium Astral mit einer Prepaid-Karte. Es lag meist ungenutzt herum, das Telefonieren war auch viel zu teuer, aber einmal brauchte ich es doch. Zunächst allerdings hatte ich eine Demütigung erlitten, an der das Telefon schuld war. Ein Werbezettel kam ins Haus geflattert, der für fesche Mobiltelefone werben sollte. Diese waren auf der rechten Seite abgebildet. Auf der linken war ein stilisierter Mülleimer zu sehen, in den unwürdige Handys geworfen wurden. Eines davon, ich sah es deutlich, war das Trium Astral.
Da ich zu einem Konzert fuhr und erreichbar sein musste, lud ich den Akku auf, testete das Gerät und erfuhr von einer Computerstimme, dass meine SIM-Karte vor lauter Nichtnutzung deaktiviert worden war. Panisch rannte ich nun zu dem komischen Laden an der Ecke, in dem es "INTERNET PHONE HANDY WORLDWIDE" geben sollte, teilte dem nahöstlichen Inhaber mein Problem mit, ich müsse gleich los und wisse nicht, wie man eine neue Karte da einsetze und gar noch aktiviere, er aber lächelte und sagte mir, das könne er mit jedem Handy. Ich kaufte ihm eine neue Prepaid-Karte ab, holte mein Handy hervor und legte es auf den Tresen.
Nie werde ich seinen Gesichtsausdruck vergessen. Es war eine einmalige Mischung, sie changierte beständig zwischen Mitleid und Verachtung, das Minenspiel ein Drahtseilakt, als er mich ansah und sprach: "Sie haben aber alte Handy!"
Gelohnt hat es sich dennoch. Denn während ich auf den Konzertbeginn wartete, wurde auf der großen Videowand immer wieder eine bestimmte, kostenpflichtige Nummer eingeblendet, an die man SMS senden konnte, die dann ebenfalls auf dieser Wand erscheinen sollten. Seltsame Welt! So ein Unsinn! Teenagerabzocke!, dachte ich und begann, meine erste SMS zu tippen.
Ein wirklich schönes (und sogar hin und wieder genutztes) Mobiltelefon war dann das SGH D 500. Es war ein "Sliderhandy", es lag angenehm in der Hand, es machte ein lustiges Geräusch beim Auseinanderschieben, ich gewöhnte mich langsam daran, so ein Ding dabeizuhaben, es beulte meine Hosentasche aus, es konnte filmen und hatte ein schönes Farbdisplay - und ich finde es nicht wieder. Das zu akzeptieren fällt mir nicht leicht, inzwischen sind es deutlich über zwei Jahre und ich habe die Hoffnung zwar noch nicht ganz aufgegeben, es - hoppla - plötzlich doch noch in einer entlegenen Schublade zu entdecken, doch inzwischen musste das Leben irgendwie weitergehen.
Ich hatte kurz zuvor ein "Familienhandy" gekauft. Es heißt F3 und war vor allem für die Schublade gedacht. Sollte mal jemand zum Spielplatz gehen oder nachmittags auf dem Schulhof Eichhörnchen spielen wollen, so mein Gedanke, könnte dieses Gerät dann einfach in die Matschhose gesteckt werden, für alle Fälle. Und so wurde es auch genutzt, das billige Dritte-Welt-Handy, das einfach nur zum Telefonieren da ist, das Telefon, dessen Akku wochenlang hält, das man sorglos in die Hosentasche steckt, mit dem man sogar SMS schreiben kann, das immer funktioniert, das wenige Millimeter dünn ist, um das man sich keine Sorgen machen muss, das einen nicht im Stich lässt.
Ich nahm das Familienhandy an mich, vorläufig, bis ich wieder ein "richtiges" haben würde.
"Ist das etwa schon der Nachfolger vom ...?", "Das ist ja superflach, kann das auch ...?", die staunenden Augen, die bewundernden Blicke, jahrelang, und während ich nicht müde wurde zu erläutern, dass dieses Gerät vor allem für Analphabeten in armen und sandigen Gegenden konzipiert worden war, weshalb es z.B. keine beweglichen Tasten und dafür aber eine Sprachausgabe gebe, wuchs mir das flache Plastikding langsam aber sicher ans Herz.
Wussten Sie schon, dass es im Kapitalismus manchmal komisch zugeht? Z.B. kann man ein "aktuelles Top-Handy" umsonst bekommen, wenn man ein kleines Bisschen Wahnsinn mitmacht. Man schließt, kurz gesagt, irgendwelche Verträge ab, die man dann gleich wieder kündigt, ein wenig Aufwand ist es und man kommt sich auch ziemlich blöd dabei vor, aber wenn man alles richtig macht, bekommt man das Ding tatsächlich rechnerisch umsonst.
GT-S5230 nennt sich dann so ein "aktuelles Top-Handy", es ist rechteckig mit abgerundeten Ecken und einem großen Touchscreen. Meinetwegen. Was weiß so ein Ding schon vom Leben in der Wüste, was weiß es von den Problemen der Schreib- und Leseschwachen. Und das brave F3 liegt wieder in der Schublade.
Ich fühle mich innerlich hohl und leer.
Aber wer weiß, woran das liegt.
Das Gerät hat die Form, die inzwischen fast alle Geräte haben, es ist rechteckig mit abgerundeten Ecken und einem großen Touchscreen, und ob man damit nun musikhören oder telefonieren oder beides oder noch etwas anderes kann, ist fast schon egal.
Ich habe mir sagen lassen, dass es in erfolgreichen Blogs eigentlich immer um technische Geräte geht, dauernd erzählt man sich dort wohl etwas über Handys, und ich erzähle Ihnen heute mal etwas über Handys.
Einmal, es war noch zu Zeiten, als man überlegte, einen Pieper oder Pager anzuschaffen, unheimlich praktisch, denn wenn man mal das Kind mit einem Babysitter zu Hause lasse und ins Kino gehe, dann müsse man bloß noch darauf achten, ob der Pager sich melde, Qix oder so hießen die, dann brauche man praktisch nur aus dem Kino herauszulaufen und die nächste Telefonzelle zu suchen, dann könne man zu Hause anrufen, und wenn es etwas Wichtiges sei, könne man ja schnell nach Hause gehen, doch jemand sprach zu mir: Kauf dir doch ein Handy!
Das musste ich erst mal verdauen. Ich kaufte schließlich ein Trium Astral mit einer Prepaid-Karte. Es lag meist ungenutzt herum, das Telefonieren war auch viel zu teuer, aber einmal brauchte ich es doch. Zunächst allerdings hatte ich eine Demütigung erlitten, an der das Telefon schuld war. Ein Werbezettel kam ins Haus geflattert, der für fesche Mobiltelefone werben sollte. Diese waren auf der rechten Seite abgebildet. Auf der linken war ein stilisierter Mülleimer zu sehen, in den unwürdige Handys geworfen wurden. Eines davon, ich sah es deutlich, war das Trium Astral.
Da ich zu einem Konzert fuhr und erreichbar sein musste, lud ich den Akku auf, testete das Gerät und erfuhr von einer Computerstimme, dass meine SIM-Karte vor lauter Nichtnutzung deaktiviert worden war. Panisch rannte ich nun zu dem komischen Laden an der Ecke, in dem es "INTERNET PHONE HANDY WORLDWIDE" geben sollte, teilte dem nahöstlichen Inhaber mein Problem mit, ich müsse gleich los und wisse nicht, wie man eine neue Karte da einsetze und gar noch aktiviere, er aber lächelte und sagte mir, das könne er mit jedem Handy. Ich kaufte ihm eine neue Prepaid-Karte ab, holte mein Handy hervor und legte es auf den Tresen.
Nie werde ich seinen Gesichtsausdruck vergessen. Es war eine einmalige Mischung, sie changierte beständig zwischen Mitleid und Verachtung, das Minenspiel ein Drahtseilakt, als er mich ansah und sprach: "Sie haben aber alte Handy!"
Gelohnt hat es sich dennoch. Denn während ich auf den Konzertbeginn wartete, wurde auf der großen Videowand immer wieder eine bestimmte, kostenpflichtige Nummer eingeblendet, an die man SMS senden konnte, die dann ebenfalls auf dieser Wand erscheinen sollten. Seltsame Welt! So ein Unsinn! Teenagerabzocke!, dachte ich und begann, meine erste SMS zu tippen.
EIN BESTUHLTER INNENRAUM IST DER ENTFALTUNG AUSGELASSENER STIMMUNG NICHT FOERDERLICH. NNIERDie Botschaft lief über die Videowand. Die jungen Frauen vor mir lasen laut, lachten und stimmten zu. Nach ein paar Minuten erschien eine weitere Botschaft:
NNIER HAT RECHT! SCHMEISST DIE STÜHLE WECH!Ich sah schon das Sägemehl, wie bei THE WHO in den 60ern würde es werden, die Revolution aber blieb aus. Und wer 2003 in Hannover war, der kann's bezeugen.
Ein wirklich schönes (und sogar hin und wieder genutztes) Mobiltelefon war dann das SGH D 500. Es war ein "Sliderhandy", es lag angenehm in der Hand, es machte ein lustiges Geräusch beim Auseinanderschieben, ich gewöhnte mich langsam daran, so ein Ding dabeizuhaben, es beulte meine Hosentasche aus, es konnte filmen und hatte ein schönes Farbdisplay - und ich finde es nicht wieder. Das zu akzeptieren fällt mir nicht leicht, inzwischen sind es deutlich über zwei Jahre und ich habe die Hoffnung zwar noch nicht ganz aufgegeben, es - hoppla - plötzlich doch noch in einer entlegenen Schublade zu entdecken, doch inzwischen musste das Leben irgendwie weitergehen.
Ich hatte kurz zuvor ein "Familienhandy" gekauft. Es heißt F3 und war vor allem für die Schublade gedacht. Sollte mal jemand zum Spielplatz gehen oder nachmittags auf dem Schulhof Eichhörnchen spielen wollen, so mein Gedanke, könnte dieses Gerät dann einfach in die Matschhose gesteckt werden, für alle Fälle. Und so wurde es auch genutzt, das billige Dritte-Welt-Handy, das einfach nur zum Telefonieren da ist, das Telefon, dessen Akku wochenlang hält, das man sorglos in die Hosentasche steckt, mit dem man sogar SMS schreiben kann, das immer funktioniert, das wenige Millimeter dünn ist, um das man sich keine Sorgen machen muss, das einen nicht im Stich lässt.
Ich nahm das Familienhandy an mich, vorläufig, bis ich wieder ein "richtiges" haben würde.
"Ist das etwa schon der Nachfolger vom ...?", "Das ist ja superflach, kann das auch ...?", die staunenden Augen, die bewundernden Blicke, jahrelang, und während ich nicht müde wurde zu erläutern, dass dieses Gerät vor allem für Analphabeten in armen und sandigen Gegenden konzipiert worden war, weshalb es z.B. keine beweglichen Tasten und dafür aber eine Sprachausgabe gebe, wuchs mir das flache Plastikding langsam aber sicher ans Herz.
Wussten Sie schon, dass es im Kapitalismus manchmal komisch zugeht? Z.B. kann man ein "aktuelles Top-Handy" umsonst bekommen, wenn man ein kleines Bisschen Wahnsinn mitmacht. Man schließt, kurz gesagt, irgendwelche Verträge ab, die man dann gleich wieder kündigt, ein wenig Aufwand ist es und man kommt sich auch ziemlich blöd dabei vor, aber wenn man alles richtig macht, bekommt man das Ding tatsächlich rechnerisch umsonst.
GT-S5230 nennt sich dann so ein "aktuelles Top-Handy", es ist rechteckig mit abgerundeten Ecken und einem großen Touchscreen. Meinetwegen. Was weiß so ein Ding schon vom Leben in der Wüste, was weiß es von den Problemen der Schreib- und Leseschwachen. Und das brave F3 liegt wieder in der Schublade.
Ich fühle mich innerlich hohl und leer.
Aber wer weiß, woran das liegt.
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Ich weiß ja nicht, was Sie hier sehen - einen ehemaligen Fußballnationalspieler, einen Europameister von 1996 womöglich, der in der Provinz bei einem Hallenfutsalturnier zuschaut?
Ich kann das verstehen, mir wäre es vermutlich auch so gegangen, zu einer anderen Jahreszeit sogar sehr wahrscheinlich, und dann hätte ich mir Mut angetrunken mit etwas Filterkaffee, der wird bei solchen Turnieren immer verkauft, und hätte ihn, den man in seiner Phantasie z.B. "Eisen-Dieter" taufen könnte, auf eine Bockwurst eingeladen, die werden da ebenfalls immer verkauft und gar nicht teuer. Wer weiß, vielleicht hätte ich gar um eine Signatur gebeten, "für meine Tochter" oder so etwas.
In diesem Falle allerdings möchte ich Ihre geschätzte Aufmerksamkeit etwas weiter nach oben dirigieren.

Ich habe mal etwas gelesen, das vermutlich nicht jeder weiß. Und wenn jemand Sporthallen baut, kann man ja auch nicht erwarten, dass der Zeit hat zum Lesen, da kann es schon mal passieren, dass man über physikalische Feinheiten nicht bis ins Letzte informiert ist. Welcher Architekt hat schon die Zeit, Peter Moosleitners Interessantes Magazin zu lesen?
Um es kurz zu machen: Wärme steigt nach oben.

Wenn man also in einer Sporthalle, sicher ihre guten acht Meter hoch, eine hübsche Anzahl Heizkörper zu verteilen hat, dann kann man aus optischen oder spirituellen Erwägungen heraus schon mal auf die Idee kommen, diese in drei bis vier Meter Höhe an die Wand zu hängen. Eine Leiter hat der Hausmeister ja, falls mal jemand an die Thermostatventile muss.

Während also die Einheimischen mit wissendem Grinsen in Skigarderobe und mit dicken Kissen, Wolldecken und Glühwein anrücken, muss der ortsfremde Besucher sich anderweitig behelfen (mit den Zehen wackeln, heißen Filterkaffee in die Schuhe schütten) und mit der Gewissheit trösten, dass es nach drei, vier Stunden zumindest direkt unter dem Hallendach eigentlich schon mollig warm sein müsste.
Sind die Nasen erst einmal rot, dann kann man am nächsten Tag auch dorthin gehen, wo die Heizkörper noch weiter weg sind.

Bahn frei, Kartoffelbrei! Huch, das kitzelt so schön im Bauch.

Rakkarakkarakka.

Rakkarakkarakka. Mit Rainer Maria und Otto und Paula und Fritz dem Ruf des Berges folgen. Heissa!

Nun aber ab ins Bett, frostglühend - und wohl heißt das Futsal.
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(1)
Ob ich es auch mal versuchen wolle, fragte er, und etwas scheu nahm ich das Gerät in die Hand. Ich ließ mir die nötige Fingerhaltung zeigen, außerdem gab es verschiedenfarbige, ringförmige Farbmarkierungen, an einer bestimmten Stelle sollte ich die beiden geöffneten Stäbchen umfassen und einmal versuchen, ob es funktioniere.
Ich lief vorsichtig los, die Wünschelrute schnäpperte mal hoch und mal runter, doch irgendwann hatte ich herausgefunden, wie ich sie halten musste, so dass einerseits genügend Spannung darauf lag und die Spitze dennoch stabil nach vorne von mir weg wies. Als ich über die markierte Linie lief, bewegte sich die Spitze nach oben.
Ich kam aus der anderen Richtung zurück, näherte mich der Linie, die Rute schlug aus. Ich war perplex, der Mann schien das aber erwartet zu haben und meinte nur: Siehst du, bei dir funktioniert's auch. Ob das denn nicht daran liege, das ich die Markierung schon gesehen hätte, fragte ich, denn dass man selbst in der Lage war, die Wünschelrute willkürlich zu bewegen, war mir bereits klar, und ob ich da nicht eher das produziert hätte, was ich produzieren wollte?
Das ließ sich überprüfen. Wir gingen in unseren eigenen Garten. Diesmal war ich es, der begann. Ich lief herum, entdeckte nach kurzer Zeit tatsächlich eine Wasserader, die sich von hier nach da erstreckte, ich probierte es mehrmals aus und kam stets zum selben Ergebnis. Dann nahm der Nachbar die Wünschelrute zur Hand und verifizierte mein Ergebnis. Es war erstaunlich.
Gut, gut, höre ich Sie nun natürlich sagen, dann war es diesmal eben andersherum - der Mann hat dort die Wasserader "gefunden", wo sie zuvor der Junge "entdeckt" hatte. Und selbstverständlich hatte ich selbst noch starke Zweifel an diesen merkwürdigen Geschehnissen, die meinem Weltbild doch arg widersprachen. Auch Eltern und Freunde waren mehr als skeptisch, als ich von meinen Erlebnissen berichtete und meine neuentdeckte Fähigkeit schließlich auch einmal vorführte. Zu abwegig schien das, und so sicher ich mir auch war, die Rute nicht absichtlich irgendwo zum Ausschlagen zu bringen, so sehr bedachte ich die Möglichkeit, dass ich unbewusst eben doch etwas dazu beitrug.
Dies teilte ich dem Nachbarn auch mit, woraufhin er neue Tests vorschlug.
Wie war das dann noch mal.
Ob ich es auch mal versuchen wolle, fragte er, und etwas scheu nahm ich das Gerät in die Hand. Ich ließ mir die nötige Fingerhaltung zeigen, außerdem gab es verschiedenfarbige, ringförmige Farbmarkierungen, an einer bestimmten Stelle sollte ich die beiden geöffneten Stäbchen umfassen und einmal versuchen, ob es funktioniere.
Ich lief vorsichtig los, die Wünschelrute schnäpperte mal hoch und mal runter, doch irgendwann hatte ich herausgefunden, wie ich sie halten musste, so dass einerseits genügend Spannung darauf lag und die Spitze dennoch stabil nach vorne von mir weg wies. Als ich über die markierte Linie lief, bewegte sich die Spitze nach oben.
Ich kam aus der anderen Richtung zurück, näherte mich der Linie, die Rute schlug aus. Ich war perplex, der Mann schien das aber erwartet zu haben und meinte nur: Siehst du, bei dir funktioniert's auch. Ob das denn nicht daran liege, das ich die Markierung schon gesehen hätte, fragte ich, denn dass man selbst in der Lage war, die Wünschelrute willkürlich zu bewegen, war mir bereits klar, und ob ich da nicht eher das produziert hätte, was ich produzieren wollte?
Das ließ sich überprüfen. Wir gingen in unseren eigenen Garten. Diesmal war ich es, der begann. Ich lief herum, entdeckte nach kurzer Zeit tatsächlich eine Wasserader, die sich von hier nach da erstreckte, ich probierte es mehrmals aus und kam stets zum selben Ergebnis. Dann nahm der Nachbar die Wünschelrute zur Hand und verifizierte mein Ergebnis. Es war erstaunlich.
Gut, gut, höre ich Sie nun natürlich sagen, dann war es diesmal eben andersherum - der Mann hat dort die Wasserader "gefunden", wo sie zuvor der Junge "entdeckt" hatte. Und selbstverständlich hatte ich selbst noch starke Zweifel an diesen merkwürdigen Geschehnissen, die meinem Weltbild doch arg widersprachen. Auch Eltern und Freunde waren mehr als skeptisch, als ich von meinen Erlebnissen berichtete und meine neuentdeckte Fähigkeit schließlich auch einmal vorführte. Zu abwegig schien das, und so sicher ich mir auch war, die Rute nicht absichtlich irgendwo zum Ausschlagen zu bringen, so sehr bedachte ich die Möglichkeit, dass ich unbewusst eben doch etwas dazu beitrug.
Dies teilte ich dem Nachbarn auch mit, woraufhin er neue Tests vorschlug.
Wie war das dann noch mal.
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In einem der Nachbarhäuser wohnte kurzzeitig ein Mann, an dessen Namen ich mich nicht erinnere. Auch sonst weiß ich nichts mehr über ihn, bis auf die Tatsache, dass er eine Zeitlang an Krücken gehen musste. Eine Knie- oder Beinoperation hatte ihn monatelang ans Haus gefesselt, und als er sich wieder ohne Gehhilfe bewegen konnte, sah ich ihn eines Sommertages sehr konzentriert mit einem merkwürdigen Gegenstand in den Händen durch seinen Garten laufen.
Es war ein etwas flexibles, langes und dünnes Stück weißen Kunststoffs, das er in der Hand hielt, und bei genauerem Hinsehen erkannte ich, dass es offenbar aus zwei in der Mitte aneinander befestigten Stäbchen von jeweils etwa 40-50 cm Länge bestand. Den Aufbau kann man sich etwa so vorstellen, dass die zwei Stäbchen parallel direkt nebeneinander gelegt und an einem Ende mit stabilem Klebeband fest umwickelt wurden, so dass diese Seite eine stabile "Spitze" bildete, während man den Doppelstab an der gegenüberliegenden Seite auseinanderbewegen konnte. Im auseinandergebogenen Zustand ergab sich demnach so etwas wie ein "V" mit allerdings gebogenen Schenkeln. Ob die Verbindung tatsächlich mit Klebeband oder anders hergestellt wurde, weiß ich nicht mehr, evtl. war das ganze Gebilde sogar aus einem Stück gefertigt - zumindest hoffe ich, dass Sie sich die Gestalt dieses seltsamen Werkzeugs nun in etwa vorstellen können.
Der Mann hielt mit jeder Hand eines der Stäbchen am "geöffneten" Ende auf sonderbare Weise fest und bog sie dabei etwas auseinander; die Spitze, das verbundene Ende, wies von ihm weg. Da das Material wie gesagt nicht starr, sondern etwas flexibel war, ergab sich, wie ich erkannte, beim Auseinanderziehen eine leichte Spannung; das Gebilde wollte mit der Spitze nach oben oder unten flutschen.
Ich sah noch eine Weile von meinem Fenster aus dabei zu, wie sich der Mann konzentriert und äußerst langsam Schritt für Schritt durch seinen Garten bewegte. Manchmal schnellte die Spitze seines zweigeteilten Plastikstabs nach oben, dann nahm er einen Zettel und legte ihn genau dorthin, wo er gerade stand. So bildete sich langsam eine Zettelspur schräg durch den Garten.
Ich ging hinunter, um beser sehen zu können, und fragte ihn, was er da tue. Er suche Wasseradern, erklärte er, und in der Hand habe er eine Wünschelrute.
Wünschelruten hatte ich mir bis dahin ganz anders vorgestellt, wie ein Y-förmiges Ästchen nämlich, das man an den verzweigten Enden mit beiden Händen anfasst, während das lange Ende von einem wegweist - vor allem aber, so hatte ich es in -zig Comics und Zeichentrickfilmen gesehen, zerrt die Rute grundsätzlich nach unten, wie von einem starken Magneten angezogen, wenn man auf Gold oder wenigstens Wasser stößt. Und dieses kümmerliche Plastikding solte nun Wasseradern anzeigen, indem es nach oben wies? Ich war äußerst skeptisch.
Andererseits schienen die Ergebnisse von einer gewissen Stringenz, denn die markierten Punkte waren nicht kreuz und quer im Garten verteilt, sondern folgten einer nachvollziehbaren Linie. So konnte man sich eine Wasserader durchaus vorstellen.
(Geht evtl. weiter)
Es war ein etwas flexibles, langes und dünnes Stück weißen Kunststoffs, das er in der Hand hielt, und bei genauerem Hinsehen erkannte ich, dass es offenbar aus zwei in der Mitte aneinander befestigten Stäbchen von jeweils etwa 40-50 cm Länge bestand. Den Aufbau kann man sich etwa so vorstellen, dass die zwei Stäbchen parallel direkt nebeneinander gelegt und an einem Ende mit stabilem Klebeband fest umwickelt wurden, so dass diese Seite eine stabile "Spitze" bildete, während man den Doppelstab an der gegenüberliegenden Seite auseinanderbewegen konnte. Im auseinandergebogenen Zustand ergab sich demnach so etwas wie ein "V" mit allerdings gebogenen Schenkeln. Ob die Verbindung tatsächlich mit Klebeband oder anders hergestellt wurde, weiß ich nicht mehr, evtl. war das ganze Gebilde sogar aus einem Stück gefertigt - zumindest hoffe ich, dass Sie sich die Gestalt dieses seltsamen Werkzeugs nun in etwa vorstellen können.
Der Mann hielt mit jeder Hand eines der Stäbchen am "geöffneten" Ende auf sonderbare Weise fest und bog sie dabei etwas auseinander; die Spitze, das verbundene Ende, wies von ihm weg. Da das Material wie gesagt nicht starr, sondern etwas flexibel war, ergab sich, wie ich erkannte, beim Auseinanderziehen eine leichte Spannung; das Gebilde wollte mit der Spitze nach oben oder unten flutschen.
Ich sah noch eine Weile von meinem Fenster aus dabei zu, wie sich der Mann konzentriert und äußerst langsam Schritt für Schritt durch seinen Garten bewegte. Manchmal schnellte die Spitze seines zweigeteilten Plastikstabs nach oben, dann nahm er einen Zettel und legte ihn genau dorthin, wo er gerade stand. So bildete sich langsam eine Zettelspur schräg durch den Garten.
Ich ging hinunter, um beser sehen zu können, und fragte ihn, was er da tue. Er suche Wasseradern, erklärte er, und in der Hand habe er eine Wünschelrute.
Wünschelruten hatte ich mir bis dahin ganz anders vorgestellt, wie ein Y-förmiges Ästchen nämlich, das man an den verzweigten Enden mit beiden Händen anfasst, während das lange Ende von einem wegweist - vor allem aber, so hatte ich es in -zig Comics und Zeichentrickfilmen gesehen, zerrt die Rute grundsätzlich nach unten, wie von einem starken Magneten angezogen, wenn man auf Gold oder wenigstens Wasser stößt. Und dieses kümmerliche Plastikding solte nun Wasseradern anzeigen, indem es nach oben wies? Ich war äußerst skeptisch.
Andererseits schienen die Ergebnisse von einer gewissen Stringenz, denn die markierten Punkte waren nicht kreuz und quer im Garten verteilt, sondern folgten einer nachvollziehbaren Linie. So konnte man sich eine Wasserader durchaus vorstellen.
(Geht evtl. weiter)
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Gemeinsam mit vielen anderen Menschen auf engem Raum zwangsweise zusammengepfercht - das sind die Situationen, in denen man auf gewisse Errungenschaften der Zivilisation gerne zurückgreift. Kann ich Ihnen behilflich sein? Würden Sie mir bitte meinen Koffer herunterreichen? Entschuldigen Sie bitte, aber ich fürchte, diesen Platz habe ich reserviert. Setzen Sie sich gerne hierhin, mir macht es nichts aus, am Gang zu sitzen. Solche Dinge.
Man will ja gerade unter etwas erschwerten Bedingungen, wenn also Witterungsbedingungen ihren Tribut fordern und der eine oder die andere schon beim Warten auf verspätete Züge Nerven lassen musste, wenn Toiletten nicht funktionieren und andere Ärgernisse nicht ausbleiben, doch wenigstens nicht unnötigerweise für noch mehr Verdruss sorgen.
Denkt man, während alle ihre nassen Mäntel ausziehen, es dunstet, man stößt sich versehentlich gegenseitig an, Menschen müssen wieder aufstehen, andere irren verzweifelt durch den Zug und suchen einen freien Platz - als es auch schon losgeht, zwei dickliche Klischeejungmänner unterhalten sich und den ganzen Wagen dröhnend darüber, ob man mit einer Adaptercassette den MP3-Player sinnvoll ans Autoradio anschließen kann, die Unterhaltung streift diverse Autoausstattungsmerkmale, man berichtet von einer Sendung namens "Pimp My Drive" und all den extremen "Tuning"-Teilen, die darin offenbar vorgestellt werden, man kann "Spinner" auf seine Felgen setzen, die sich beim Abbremsen noch weiterdrehen, die Felgen mit LEDs und das Auto insgesamt von unten beleuchten, das sei in Deutschland leider nicht erlaubt, aber er kenne da jemanden, etc., weiter geht es mit dem Studi-VZ, der hübschesten Tunesierin, dem eigenen Zweitprofil, dem gelöschten Gästebuch, und wenn Sie jetzt schon langsam genervt sind, dann können Sie nicht annähernd erahnen, wie entsetzlich es ist, einer solchen Situation hilflos ausgeliefert zu sein.
Es mag sein, dass man ohne Ohrenstöpsel einfach nicht mehr mit der Bahn fahren sollte, es mag auch eine Schwäche von mir sein, dass ich es nicht fertigbringe, mich dennoch auf mein Buch zu konzentrieren - trotzdem erwarte ich von den Menschen, dass sie eine grobe Vorstellung von Lautstärke und angemessenem Benehmen haben.
Kaum sind die beiden Autofans ausgestiegen, nimmt den Platz mir schräg gegenüber ein nervöser, junger Mann ein, der die folgenden drei Stunden lang ununterbrochen mit den Beinen zappelt. Sein rechter Fuß steht auf der Spitze, die Ferse klopft mit hoher Frequenz auf den Boden, der linke übernimmt, das Knie fährt auf und ab, der eine Fuß tippt auf den anderen, es gibt keine einzige Pause, und abgelenkt wird man nur davon, dass er plötzlich mit sich selber zu sprechen beginnt, in einem seltsamen Gemisch aus deutscher und indisch klingender Sprache. Man will verzweifelt nach links unten schauen, man hält sich das Buch dicht vors Gesicht, er aber wippt und spricht in sein Headset von Bochum bis Bremen. Die Verzweiflung steigt. Was will man sagen? Andere telefonieren viel lauter, er aber tut es relativ leise und doch so beständig, dass man sich dem nicht entziehen kann. "Entschuldigung, aber würden Sie evtl. das Wippen mit Ihrem Bein einstellen, es macht mich nämlich wahnsinnig? Und würden Sie bitte auch aufhören, zu telefonieren, ich kann mein Buch nicht lesen?"
Unterdessen kann das Bewusstsein nicht anders als eines beständigen, zahnarztbohrerartigen Geräuschs gewahr werden, das sich ebenfalls seit etwa Bochum immer mehr in den Vordergrund drängt. Es ist ein grässliches Babygeschrei. Oh, denkt man, die arme Mutter, der ist das bestimmt furchtbar unangenehm, und man war ja auch mal in der Situation, und da ist es schon schwer genug, und man kann ein Kind nicht beruhigen, wenn einen andere Menschen böse anstarren. Aber nach etwa zwei Stunden starrt man böse hinter sich und sieht eine Frau, neben der ein Kleinkind in einer Sitzschale festgeschnallt auf dem Boden sitzt und brüllt. Die Frau tut nichts. Sie kommt nicht auf den Gedanken, das Kind einmal herauszunehmen, auf den Arm, mit ihm ein wenig herumzulaufen, sie bemerkt nur irgendwann doch die finsteren Blicke und beginnt nun, in wahnsinnigem Tempo die Schale hin- und herzuruckeln, das Kind brüllt immer schlimmer, und langsam schmilzt die Zivilisationsschicht ab.
Ich erinnere mich an eine weite Flugreise. Die Sitze dermaßen eng, dass man sich nicht bewegen konnte, schon die Anreise eine Strapaze, ich konnte kaum noch, und neben mir sahen sich betrunkene Menschen lustige Filmchen an, in denen Kinder von der Schaukel fielen oder Menschen beim Skifahren zerlegt wurden. Stundenlang wieherten diese Leute bei jedem Unglück lauter, ich war überreizt und entnervt, und die Vorstellung, diese Säue von ihren Sitzen zu prügeln, wurde immer unwiderstehlicher.
Ich erinnere mich an eine Fahrt mit Rainbow Tours nach London, es war ein alter Bus, unbequem und überfüllt mit lärmendem Publikum, ich war spätestens auf der Fähre mit den Nerven fertig, sie fraßen, soffen, rülpsten, meine Beine wurden dick, ich war eingezwängt, eine Toilette gab es nicht, die Luft war schlecht, die Musik unerträglich, und die Vorstellung, denen ihre verdammten Fressen mit diesem kleinen Alukoffer einzuschlagen, wurde immer unwiderstehlicher.
Die Hölle, das sind die anderen.
Als ich endlich den Zug verlassen konnte, lief ich zu Fuß durch eine wunderschöne Winterlandschaft. Meine Nerven vibrierten, ich sprach leise vor mich hin. Der Schnee fiel in zarten Flocken. Ein Mann trat auf mich zu: "Ich bin Baske, 'allo, können Sie mir 'elfen?"
"NEIN!", antwortete ich und zog mit dem Rollkoffer noch eine lange, lange Spur in die geschlossene, weiße Schneedecke.
Man will ja gerade unter etwas erschwerten Bedingungen, wenn also Witterungsbedingungen ihren Tribut fordern und der eine oder die andere schon beim Warten auf verspätete Züge Nerven lassen musste, wenn Toiletten nicht funktionieren und andere Ärgernisse nicht ausbleiben, doch wenigstens nicht unnötigerweise für noch mehr Verdruss sorgen.
Denkt man, während alle ihre nassen Mäntel ausziehen, es dunstet, man stößt sich versehentlich gegenseitig an, Menschen müssen wieder aufstehen, andere irren verzweifelt durch den Zug und suchen einen freien Platz - als es auch schon losgeht, zwei dickliche Klischeejungmänner unterhalten sich und den ganzen Wagen dröhnend darüber, ob man mit einer Adaptercassette den MP3-Player sinnvoll ans Autoradio anschließen kann, die Unterhaltung streift diverse Autoausstattungsmerkmale, man berichtet von einer Sendung namens "Pimp My Drive" und all den extremen "Tuning"-Teilen, die darin offenbar vorgestellt werden, man kann "Spinner" auf seine Felgen setzen, die sich beim Abbremsen noch weiterdrehen, die Felgen mit LEDs und das Auto insgesamt von unten beleuchten, das sei in Deutschland leider nicht erlaubt, aber er kenne da jemanden, etc., weiter geht es mit dem Studi-VZ, der hübschesten Tunesierin, dem eigenen Zweitprofil, dem gelöschten Gästebuch, und wenn Sie jetzt schon langsam genervt sind, dann können Sie nicht annähernd erahnen, wie entsetzlich es ist, einer solchen Situation hilflos ausgeliefert zu sein.
Es mag sein, dass man ohne Ohrenstöpsel einfach nicht mehr mit der Bahn fahren sollte, es mag auch eine Schwäche von mir sein, dass ich es nicht fertigbringe, mich dennoch auf mein Buch zu konzentrieren - trotzdem erwarte ich von den Menschen, dass sie eine grobe Vorstellung von Lautstärke und angemessenem Benehmen haben.
Kaum sind die beiden Autofans ausgestiegen, nimmt den Platz mir schräg gegenüber ein nervöser, junger Mann ein, der die folgenden drei Stunden lang ununterbrochen mit den Beinen zappelt. Sein rechter Fuß steht auf der Spitze, die Ferse klopft mit hoher Frequenz auf den Boden, der linke übernimmt, das Knie fährt auf und ab, der eine Fuß tippt auf den anderen, es gibt keine einzige Pause, und abgelenkt wird man nur davon, dass er plötzlich mit sich selber zu sprechen beginnt, in einem seltsamen Gemisch aus deutscher und indisch klingender Sprache. Man will verzweifelt nach links unten schauen, man hält sich das Buch dicht vors Gesicht, er aber wippt und spricht in sein Headset von Bochum bis Bremen. Die Verzweiflung steigt. Was will man sagen? Andere telefonieren viel lauter, er aber tut es relativ leise und doch so beständig, dass man sich dem nicht entziehen kann. "Entschuldigung, aber würden Sie evtl. das Wippen mit Ihrem Bein einstellen, es macht mich nämlich wahnsinnig? Und würden Sie bitte auch aufhören, zu telefonieren, ich kann mein Buch nicht lesen?"
Unterdessen kann das Bewusstsein nicht anders als eines beständigen, zahnarztbohrerartigen Geräuschs gewahr werden, das sich ebenfalls seit etwa Bochum immer mehr in den Vordergrund drängt. Es ist ein grässliches Babygeschrei. Oh, denkt man, die arme Mutter, der ist das bestimmt furchtbar unangenehm, und man war ja auch mal in der Situation, und da ist es schon schwer genug, und man kann ein Kind nicht beruhigen, wenn einen andere Menschen böse anstarren. Aber nach etwa zwei Stunden starrt man böse hinter sich und sieht eine Frau, neben der ein Kleinkind in einer Sitzschale festgeschnallt auf dem Boden sitzt und brüllt. Die Frau tut nichts. Sie kommt nicht auf den Gedanken, das Kind einmal herauszunehmen, auf den Arm, mit ihm ein wenig herumzulaufen, sie bemerkt nur irgendwann doch die finsteren Blicke und beginnt nun, in wahnsinnigem Tempo die Schale hin- und herzuruckeln, das Kind brüllt immer schlimmer, und langsam schmilzt die Zivilisationsschicht ab.
Ich erinnere mich an eine weite Flugreise. Die Sitze dermaßen eng, dass man sich nicht bewegen konnte, schon die Anreise eine Strapaze, ich konnte kaum noch, und neben mir sahen sich betrunkene Menschen lustige Filmchen an, in denen Kinder von der Schaukel fielen oder Menschen beim Skifahren zerlegt wurden. Stundenlang wieherten diese Leute bei jedem Unglück lauter, ich war überreizt und entnervt, und die Vorstellung, diese Säue von ihren Sitzen zu prügeln, wurde immer unwiderstehlicher.
Ich erinnere mich an eine Fahrt mit Rainbow Tours nach London, es war ein alter Bus, unbequem und überfüllt mit lärmendem Publikum, ich war spätestens auf der Fähre mit den Nerven fertig, sie fraßen, soffen, rülpsten, meine Beine wurden dick, ich war eingezwängt, eine Toilette gab es nicht, die Luft war schlecht, die Musik unerträglich, und die Vorstellung, denen ihre verdammten Fressen mit diesem kleinen Alukoffer einzuschlagen, wurde immer unwiderstehlicher.
Die Hölle, das sind die anderen.
Als ich endlich den Zug verlassen konnte, lief ich zu Fuß durch eine wunderschöne Winterlandschaft. Meine Nerven vibrierten, ich sprach leise vor mich hin. Der Schnee fiel in zarten Flocken. Ein Mann trat auf mich zu: "Ich bin Baske, 'allo, können Sie mir 'elfen?"
"NEIN!", antwortete ich und zog mit dem Rollkoffer noch eine lange, lange Spur in die geschlossene, weiße Schneedecke.
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Ein anthroposophischer Kinderarzt sprach neulich zu mir, dass ein Kind bereits mit, wenn ich mich nicht irre, sieben Jahren seinen Körper einmal "komplett erneuert" habe.
Es stand dahinter vermutlich vor allem das gute alte "Man ist, was man isst", und auch ich bin der Ansicht, dass man, sobald das Kerlchen nicht mehr an der Brust hängt, sicherlich auch mal einen Gedanken daran verschwenden sollte, ob man ein Kind aus Farb- und Geschmacksstoffen haben möchte oder eines aus heimischer Erde (Gemüse der Saison bzw. Gutes aus der Region), ungeachtet dessen, ob man nun der wortwörtlichen Anthroposophenlehre vom "mitgegebrachten" Körper anhängt, der dann irgendwie umgeformt wird, oder ob man sich nur schon mal über den künftigen Ritalinverbrauch informieren will:
Welche Folgerungen daraus nun für das Strafrecht (wer sitzt da eigentlich im Knast), das Urheberrecht (wer hat eigentlich "Yesterday" geschrieben), oder nehmen wir einfach unser Menschenbild insgesamt, zu ziehen sind, das überlasse ich gerne Ihnen. Es ist alles wacklig, alles fließt, und glauben Sie nicht, dass Sie mir jetzt mit den Alpen kommen müssen, und die Kontinente bewegen sich, das gibt noch üble Grenzstreitigkeiten: Was können wir denn dafür, dass die Grenze in eure Richtung rutscht - ich hör's schon. Oder: Was wollt ihr dauernd mit dem blöden Salzstock, erstens haben wir keine Unterlagen darüber, wo wir den ganzen Mist damals eingelagert haben, das ist ja nun auch schon 40 Jahre her, und zweitens habe ich meinen gesamten Körper seither mehrfach ausgetauscht und gedenke das auch weiterhin zu tun. Es war demnach nicht diese Hand, die damals den Stift geführt hat, junger Mann, ich glaube, wir verstehen uns. Ich meine, bruhaha, von mir aus unterschreibe ich auch, dass das 100 000 Jahre hält, haha, dann macht mich doch haftbar! Ihr Zellhaufen! Huch, ihr habt euch ja schon wieder um 2 Promille gewandelt, und das Jahr ist noch nicht alt. Mit wem rede ich da eigentlich. Eure Halbwertzeit ist ja geradezu lächerlich - so, ich muss dann, tschö mit "Ö". Wie naiv kann man eigentlich sein!
Während Sie jetzt natürlich überlegen: Ist es überhaupt dieser Finger, an den damals der Ring ...? Oder auch: Warum ist dann das blöde Tattoo immer noch auf meinem ...?, mache ich ("ich"! Hö hö!) mir noch mal ein paar gebrauchte Gedanken zum Thema "ich", Moment, hab's gleich, das mit dem Identitätsgefühl - es ist schon seltsam, wenn man auf etwas stößt, das man selber (?) mal hervorgebracht hat, und man weiß noch, dass "man" (?) das fabriziert hat, und doch ist "man" inzwischen ein anderer, oder vielleicht nicht?
- Jetzt lass mal langsam gut sein. Es haben auch schon andere Leute ein altes Bild wiedergefunden.
Es stand dahinter vermutlich vor allem das gute alte "Man ist, was man isst", und auch ich bin der Ansicht, dass man, sobald das Kerlchen nicht mehr an der Brust hängt, sicherlich auch mal einen Gedanken daran verschwenden sollte, ob man ein Kind aus Farb- und Geschmacksstoffen haben möchte oder eines aus heimischer Erde (Gemüse der Saison bzw. Gutes aus der Region), ungeachtet dessen, ob man nun der wortwörtlichen Anthroposophenlehre vom "mitgegebrachten" Körper anhängt, der dann irgendwie umgeformt wird, oder ob man sich nur schon mal über den künftigen Ritalinverbrauch informieren will:
Die Erwachsenen wollten, dass sich die anstrengenden Kinder nicht durch anhaltendes Rumzappeln entspannen, sondern lieber leise, mit Pille, wenn schon sonst nichts half, um die Ruhigsitzernorm zu erfüllen. Seinerzeit haben auch Fachleute vor Missbrauch gewarnt, diese Psychomedizin sei in ihren Nebenwirkungen nicht gut erforscht, und ob es nicht klüger wäre, den Kindern mehr Auslauf im Freien zu lassen, einen geregelten Tag einzurichten und sie mit weniger Lärm-, Zucker- und Medienmüll zu bewerfen.Wenn also "ich" meine, "mich" an etwas zu erinnern, das "ich" mal getan oder gedacht habe, dann muss "mir" klar sein, dass von dem, der das mal getan oder gedacht hat, womöglich kaum noch etwas oder evtl. auch rein gar nichts mehr übrig ist. Das gilt natürlich auch für den Bodensee, auch der ist nur so ein Fließgleichgewicht, sein Wasser ist auch zum großen Teil ausgetauscht, wenn man nach Jahren mal wieder vorbeischaut, und als Fünfzigjähriger ist man durchschnittlich erst zehn Jahre alt - ja, auch deine Knochen, Baby.
Welche Folgerungen daraus nun für das Strafrecht (wer sitzt da eigentlich im Knast), das Urheberrecht (wer hat eigentlich "Yesterday" geschrieben), oder nehmen wir einfach unser Menschenbild insgesamt, zu ziehen sind, das überlasse ich gerne Ihnen. Es ist alles wacklig, alles fließt, und glauben Sie nicht, dass Sie mir jetzt mit den Alpen kommen müssen, und die Kontinente bewegen sich, das gibt noch üble Grenzstreitigkeiten: Was können wir denn dafür, dass die Grenze in eure Richtung rutscht - ich hör's schon. Oder: Was wollt ihr dauernd mit dem blöden Salzstock, erstens haben wir keine Unterlagen darüber, wo wir den ganzen Mist damals eingelagert haben, das ist ja nun auch schon 40 Jahre her, und zweitens habe ich meinen gesamten Körper seither mehrfach ausgetauscht und gedenke das auch weiterhin zu tun. Es war demnach nicht diese Hand, die damals den Stift geführt hat, junger Mann, ich glaube, wir verstehen uns. Ich meine, bruhaha, von mir aus unterschreibe ich auch, dass das 100 000 Jahre hält, haha, dann macht mich doch haftbar! Ihr Zellhaufen! Huch, ihr habt euch ja schon wieder um 2 Promille gewandelt, und das Jahr ist noch nicht alt. Mit wem rede ich da eigentlich. Eure Halbwertzeit ist ja geradezu lächerlich - so, ich muss dann, tschö mit "Ö". Wie naiv kann man eigentlich sein!
Während Sie jetzt natürlich überlegen: Ist es überhaupt dieser Finger, an den damals der Ring ...? Oder auch: Warum ist dann das blöde Tattoo immer noch auf meinem ...?, mache ich ("ich"! Hö hö!) mir noch mal ein paar gebrauchte Gedanken zum Thema "ich", Moment, hab's gleich, das mit dem Identitätsgefühl - es ist schon seltsam, wenn man auf etwas stößt, das man selber (?) mal hervorgebracht hat, und man weiß noch, dass "man" (?) das fabriziert hat, und doch ist "man" inzwischen ein anderer, oder vielleicht nicht?

- Jetzt lass mal langsam gut sein. Es haben auch schon andere Leute ein altes Bild wiedergefunden.
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Bete Beete Rote Bete! Du Glücksgewächs!
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Man muss sich mal vorstellen, dass das die Kneipe war, in der die ganz Coolen verkehrten. Man musste schon zur Szene gehören. Da konntest du nicht einfach so reingehen. Der Name von dem Laden, der war auch so cool, und, scheiße, der Inhaber, fuck, ich habe mal jemanden sagen hören, dass der einen Namen hat, der wie ein Künstlername klingt, wie hieß der noch gleich.
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Ganz so viel hat sich eigentlich nicht verändert. Er hier z.B. ist immer noch da, am Fuße der Kirche, die gerade eingerüstet ist und von deren Dach sie im vergangenen Jahr irgendwas Goldenes gestohlen haben. Dann hat's jemand gemerkt, nach ein paar Wochen, und hoppla, wir dachten, dass ihr die abgeschraubt habt!? Nein, warum sollten wir? Das ist doch eure ...? Na, und dann stand es in der Zeitung, und dann haben Scherzbolde zugegeben, dass sie es waren, in einer trunkenen Nacht.

Ein paar Jahre zuvor, an einer anderen Kirche in der Stadt, haben Jugendliche gezündelt. Der Turm war gerade renoviert worden, das Gerüst stand noch da, sie haben das wohl nicht ganz richtig eingeschätzt mit ihren Feuerzeugen, und ich musste mir immer vorstellen, wie es so ist, wenn man ankommen muss: Papa, mir ist da was ganz Blödes ...

Mir wäre ja auch mal fast was ganz Blödes. Die ganze Sache fing damit an, dass ich auf den Gedanken verfiel, mit den Knallkörpern nicht immer nur akustische, sondern auch mal ballistische Experimente zu veranstalten. Ich überlegte also, womit bzw. worin man den nötigen Druck erzeugen könnte, und welches Projektil sinnvoll zu verwenden wäre.

Eine alte Fußballpumpe erwies sich dann als brauchbar. Man stopfte den Böller hinein, und dort, wo sonst der Metallstab heraustrat, fummelte man die Zündschnur hindurch. Ein dicker Korken, mit Kreppband umwickelt, verschloss das Rohr von der anderen Seite. Das metallene Pumpengehäuse hatten wir noch schnell auf eine Holzplatte geschraubt, bevor die Zündung erfolgte und all unsere Erwartungen übertraf.

Wohin das alles im weiteren führte, können Sie sich ja denken. Trotzdem muss ich sagen, dass ich recht froh über den geistigen Impuls war, der mich eines Sylvesterabends durchzuckte. Denn eine Sache ist es, eine leere Sektflasche mit gezündetem Böller zu bestücken, schnell den Plastikkorken draufzuprügeln und sich über die erreichte Flughöhe des Objekts zu freuen, das eine Minute später wieder den Boden erreicht. Eine weitere Sache ist es, das alles immer souveräner und quasi mit links abzuhandeln, Böller anzünden, reinfallen lassen, Korken abschießen. Aber eine ganz andere Sache ist es, die Flasche in die Hand zu nehmen, um damit eine ballistisch besonders beeindruckende Flugbahn hinzulegen. Die Zündschnur brannte, ich freute mich auf den Abschuss, doch irgendwas, irgendwas flüsterte in mir: Stell sie doch lieber noch mal hin. Und so kommt es, dass ich zwei Hände habe und sehen kann.
Also, passen Sie auf sich auf, kommen Sie gut ins neue Jahr, und wir alle müssen vielleicht nur ein wenig Geduld aufbringen, dann klappt das schon und es kommt jemand, der unsere Shakin-Stevens-Buttons kauft.
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