Das Live-Aid-Konzert 1985 war eine logistische Herausforderung. Es schien ein Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung ins Haus zu stehen, ich leistete mir einen Zehnerpack der Leercassettensorte meines Vertrauens und verbrachte Stunden damit, die Antenne des Tuners, wie wir Insider das Radio-Empfangsteil nannten, perfekt auszurichten. Den Fernseher, wir hatten sowieso nur einen kleinen tragbaren, durfte ich mir ins Zimmer holen und lag dann schon mittags mit diesem flauen Gefühl auf meinem Bett, das sich noch so oft einstellen sollte, wenn ich etwas endlich erreichte oder bekam, auf das ich lange hingefiebert hatte: Das sollte es nun sein!?
Bald sang hier Howard Jones und dort Alison Moyet, grölte da Billy Idol und gniedelte dort Status Quo, und, aufmerksame Leser ahnen es, ich wartete auf Phil Collins, der zusammen mit Sting auftreten sollte und dann peinlicherweise mit der Concorde von London nach Philadelphia flog, um ein paar Stunden später noch einmal die gleichen Stücke darzubieten.
Das soll es nun sein, mich quälte plötzlich dieses ganze Aufnehmen, Cassettenumdrehen, Schneiden, Zurückspulen, Beschriften, der Fernseher lief, draußen schien die Sonne, und immer musste man warten, weil später noch der superberühmte Künstler X und die legendäre Band Y auftreten würden.
Irgendwann schaltete ich aus. Den Auftritt von Paul McCartney habe ich deshalb nicht gesehen. Später las ich, dass er am Klavier Let It Be gespielt habe und zuckte die Achseln. Wiederum später fand ich im Zusammenhang mit einem ernüchternden Resümee seiner Solokarriere bis zum damaligen Zeitpunkt, d.h. bis in die zweite Hälfte der 80er, eine Erwähnung dieses Auftritts: Er habe, diese Formulierung beeindruckte mich, die Schönheit des Liedes durch seine pompous air und flippant delivery überschattet.*
Wenn ich das Buch von Tim Riley (mit dem Titel Tell Me Why) jetzt finden würde, könnte ich zitieren, so muss es aus der Erinnerung gehen: Es wurde dann noch ein Auftritt beim Prince's Trust 1986 erwähnt, auch so eine angestrengte Superstar-Parade, bei der McCartney zusammen mit damals unvermeidlichen Figuren wie Tina Turner, Elton John, Eric Clapton, Midge Ure, Mark Knopfler, Bryan Adams, Paul Young und so weiter das Lied Get Back darbot. Die Beschreibung endete mit dem melancholischen Eindruck, er wirke isoliert und wie jemand, der für das geliebt wird, was er einmal war, nicht für das, was er ist.**
Im nachhinein waren das nur ein paar Jahre. Damals aber ließ sich wirklich nicht absehen, dass er aus dieser Sackgasse jemals wieder herausfände. Es schien einzig auf gelegentliche Teilnahmen an Charity-Aktionen hinauszulaufen, immer im Schutze aktueller Stars und Produzenten, immer in der Sicherheit, noch als erster genannt zu werden, aber er gehörte nicht mehr dazu, und das wird einem so richtig deutlich, wenn man sich das Video zur Benefiz-Single (wieder mal) Let It Be von Ferry Aid (1987) anschaut. Ein Soundverbrechen von Stock-Aitken-Waterman, aber auch die schaffen es nicht, die Schönheit des totgespielten Liedes zu zerstören, zumindest solange McCartney singt. Dann folgt die übliche Parade von übermäßig phrasierten, angestrengt "souligen" Einzelauftritten, jeder will da sein Trademark in seine paar Sekunden Rampenlicht quetschen, ich hasse schon Boy George dafür, wie er "She is staaandin' right in front - of - me" zerdehnt, danach wird es nur noch schlimmer, und zwischendrin liefern Mark Knopfler und Gary Moore mit ihren Gitarren genau das ab, was ihnen im ersten Moment eingefallen ist.
Natürlich mündet das alles in ein minutenlanges Gegospel. Dieter Bohlen macht so etwas auch, wenn seine Musik "wertig" klingen soll. Da stehen sie alle und schunkeln und singen ganz selbstvergessen.
Nur einer ist nicht dabei.
--
* Nicht ganz weit hergeholt, wenn man sich das ansieht.
** All-Star-Bombast vom Schlimmsten.
Bald sang hier Howard Jones und dort Alison Moyet, grölte da Billy Idol und gniedelte dort Status Quo, und, aufmerksame Leser ahnen es, ich wartete auf Phil Collins, der zusammen mit Sting auftreten sollte und dann peinlicherweise mit der Concorde von London nach Philadelphia flog, um ein paar Stunden später noch einmal die gleichen Stücke darzubieten.
Das soll es nun sein, mich quälte plötzlich dieses ganze Aufnehmen, Cassettenumdrehen, Schneiden, Zurückspulen, Beschriften, der Fernseher lief, draußen schien die Sonne, und immer musste man warten, weil später noch der superberühmte Künstler X und die legendäre Band Y auftreten würden.
Irgendwann schaltete ich aus. Den Auftritt von Paul McCartney habe ich deshalb nicht gesehen. Später las ich, dass er am Klavier Let It Be gespielt habe und zuckte die Achseln. Wiederum später fand ich im Zusammenhang mit einem ernüchternden Resümee seiner Solokarriere bis zum damaligen Zeitpunkt, d.h. bis in die zweite Hälfte der 80er, eine Erwähnung dieses Auftritts: Er habe, diese Formulierung beeindruckte mich, die Schönheit des Liedes durch seine pompous air und flippant delivery überschattet.*
Wenn ich das Buch von Tim Riley (mit dem Titel Tell Me Why) jetzt finden würde, könnte ich zitieren, so muss es aus der Erinnerung gehen: Es wurde dann noch ein Auftritt beim Prince's Trust 1986 erwähnt, auch so eine angestrengte Superstar-Parade, bei der McCartney zusammen mit damals unvermeidlichen Figuren wie Tina Turner, Elton John, Eric Clapton, Midge Ure, Mark Knopfler, Bryan Adams, Paul Young und so weiter das Lied Get Back darbot. Die Beschreibung endete mit dem melancholischen Eindruck, er wirke isoliert und wie jemand, der für das geliebt wird, was er einmal war, nicht für das, was er ist.**
Im nachhinein waren das nur ein paar Jahre. Damals aber ließ sich wirklich nicht absehen, dass er aus dieser Sackgasse jemals wieder herausfände. Es schien einzig auf gelegentliche Teilnahmen an Charity-Aktionen hinauszulaufen, immer im Schutze aktueller Stars und Produzenten, immer in der Sicherheit, noch als erster genannt zu werden, aber er gehörte nicht mehr dazu, und das wird einem so richtig deutlich, wenn man sich das Video zur Benefiz-Single (wieder mal) Let It Be von Ferry Aid (1987) anschaut. Ein Soundverbrechen von Stock-Aitken-Waterman, aber auch die schaffen es nicht, die Schönheit des totgespielten Liedes zu zerstören, zumindest solange McCartney singt. Dann folgt die übliche Parade von übermäßig phrasierten, angestrengt "souligen" Einzelauftritten, jeder will da sein Trademark in seine paar Sekunden Rampenlicht quetschen, ich hasse schon Boy George dafür, wie er "She is staaandin' right in front - of - me" zerdehnt, danach wird es nur noch schlimmer, und zwischendrin liefern Mark Knopfler und Gary Moore mit ihren Gitarren genau das ab, was ihnen im ersten Moment eingefallen ist.
Natürlich mündet das alles in ein minutenlanges Gegospel. Dieter Bohlen macht so etwas auch, wenn seine Musik "wertig" klingen soll. Da stehen sie alle und schunkeln und singen ganz selbstvergessen.
Nur einer ist nicht dabei.
--
* Nicht ganz weit hergeholt, wenn man sich das ansieht.
** All-Star-Bombast vom Schlimmsten.
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monnemer,
Donnerstag, 10. Mai 2012, 13:03
Diese furchtbaren Spendenaufrufe. Hinten raus kommt immer Gegospel.
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nnier,
Donnerstag, 10. Mai 2012, 20:23
Without Soul, das könnte ein neues Theresa Orlowsi Geprü Gütesiegel für die Plattenindustrie werden. Leider gibt es keine Tonträger mehr, auf die man so etwas kleben könnte.
mark793,
Donnerstag, 10. Mai 2012, 16:38
Dann folgt die übliche Parade von übermäßig phrasierten, angestrengt "souligen" Einzelauftritten...
Argh, angesichts solcher Sätze wäre es vielleicht doch nicht das Schlechteste, bei solchen Beiträgen Triggerwarnung drüberzuschreiben. Ich möchte beim Anblick/Anhören solcher Wimmerveranstaltungen ja immer schießen, bis alle sechs Läufe meiner Gatling Gun rot glühen.
Argh, angesichts solcher Sätze wäre es vielleicht doch nicht das Schlechteste, bei solchen Beiträgen Triggerwarnung drüberzuschreiben. Ich möchte beim Anblick/Anhören solcher Wimmerveranstaltungen ja immer schießen, bis alle sechs Läufe meiner Gatling Gun rot glühen.
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nnier,
Donnerstag, 10. Mai 2012, 20:45
Gerade rückblickend neige ich ja zur Milde und bin sogar ein wenig gerührt, wie sie da so jung und schultergepolstert herumstehen. Die Formelhaftigkeit der Umsetzung aber kann mich schwer depressiv stimmen, da gab's vor ein paar Jahren z.B. mal einen Song namens We Have a Dream von Dieter Bohlen, es muss der Beginn von DSDS oder so etwas gewesen sein: Auch da war das alles vertreten, der inbrünstige Gesang, der gemeinschaftliche Chor, und wenn ich mit meiner Tochter eine beliebige Castingshow ansehe, finde ich alles immer wieder.
Mich ekelt das fundamental, es ist aus Versatzstücken industriell hergestellt, ausgeplünderte Tabaksklaven werden hier ein letztes Mal verhöhnt und gedemütigt, alles unterlegt natürlich von dieser spirituell verbrämten Leistungsideologie. Ein Graus.
Mich ekelt das fundamental, es ist aus Versatzstücken industriell hergestellt, ausgeplünderte Tabaksklaven werden hier ein letztes Mal verhöhnt und gedemütigt, alles unterlegt natürlich von dieser spirituell verbrämten Leistungsideologie. Ein Graus.
monnemer,
Freitag, 11. Mai 2012, 11:46
Wenn ich so über meine Gefühle beim Anhören von Derartigem nachdenke, stelle ich fest, dass Nackt im Wind, der brüllt und wütet gar kein so schlechtes Bild ist.
@gatling-gun, super Geschenkidee, Herr mark!
@gatling-gun, super Geschenkidee, Herr mark!
kid37,
Donnerstag, 10. Mai 2012, 21:56
Sister Act! Banananananananamamananamaramanama waren dabei. Und Stevie Wonder kann die Schulterpolster ja nicht sehen.
Wenn ich das Video sehe, fällt mir aber ein, was den großen Bloggertreffen so fehlt. Daß am Ende die A-Blogger auf der Bühne stehen und Gospel singen.
Wenn ich das Video sehe, fällt mir aber ein, was den großen Bloggertreffen so fehlt. Daß am Ende die A-Blogger auf der Bühne stehen und Gospel singen.
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nnier,
Donnerstag, 10. Mai 2012, 22:49
Und eine Kim Wilde aus der Zeit, als Frauen noch Augenbrauen hatten. Wer aber ist der junge Mann neben ihr? Wer waren noch mal Pepsie & Shirley, wie unterscheidet man Hazell Dean von Hazel O'Connor!? Sind das wirklich die coolen Jungs von Frankie, die da mitten im Gottesdienst rauchen und trinken?
Ich bräuchte inzwischen Untertitel, meinetwegen in Blindenschrift.
Ich bräuchte inzwischen Untertitel, meinetwegen in Blindenschrift.
nnier,
Donnerstag, 10. Mai 2012, 23:18
nnier,
Freitag, 11. Mai 2012, 11:40
Oh je:
Lug und Trug. Interessant auch, wie so etwas hinter den Kulissen läuft - immerhin ist die Sun (die diese Wohltätigkeitssingle unbedingt herausbringen wollte) so etwas wie die britische BILD und aufgrund ihrer Berichterstattung wenig beliebt bei den Künstlern:
Original writer, Paul McCartney also contributed to the song, although his performance (and section in the accompanying video) were recorded independently in his own studios. In fact, it was later revealed that McCartney used his voice of the original recording of the 1970 Beatles track and added it to the Ferry Aid recording. [Q]Und ich habe mich schon damals gewundert, wie jung seine Stimme 1987 klang. (Das tat sie auch, aber nicht so jung.)
Lug und Trug. Interessant auch, wie so etwas hinter den Kulissen läuft - immerhin ist die Sun (die diese Wohltätigkeitssingle unbedingt herausbringen wollte) so etwas wie die britische BILD und aufgrund ihrer Berichterstattung wenig beliebt bei den Künstlern:
Producers Stock, Aitken and Waterman [...] agreed to produce it and donate their recording studio free of charge. All they needed now were some pop stars...Die sind von Produzenten und Musikfernsehen mit dem Lasso eingefangen und vergattert worden.
The only problem here was that 'The Sun' aren't exactly on the best of terms with many pop stars. "By Thursday night", whispered one of those involved, "they hadn't got anything together. They were hopeless. [...]"
[...]
The producers got people like Bananarama and Mel & Kim, while Music Box, the European Cable TV station joined forced and roped in most of the other big stars who eventually turned up. [Q]
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