Einmal wunderten sich meine Eltern, warum ich zur Klassenfahrt unbedingt den edlen Hartschalenkoffer mitnehmen wollte, dieses schwere und unhandliche Ding, mit dem man zwar, so hatte ich es in der Fernsehwerbung gesehen, waghalsig alpine Hänge hinunterrodeln konnte, den sie aber trotzdem mit deutlich genervtem Gesichtsausdruck unterm Weihnachtsbaum in Empfang genommen, dann auch prompt in den Eisenbahnkeller gestellt und selbstverständlich nie benutzt hatten.
Damals waren diese Hartschalenkoffer noch etwas Neues, man war an Koffer aus Leder, Pappe oder auch Stoff gewöhnt, und wonach benennen denn Sie ihre Kellerräume? Sagen Sie etwa: Der hinten rechts? Das halte ich für unpraktikabel und auch, offen gesagt, etwas lieblos. Dann kommt doch nur wieder einer nach zehn Minuten hoch und schnauft und sagt, die habe ich aber nicht gefunden, die Schraubkappe, ich habe sogar hinter der Gefriertruhe gesucht, und du sagst dann so: Gefriertruhe, Gefriertruhe, ich höre immer: Gefriertruhe, Meister, ich sagte hinten rechts, und hinten rechts ist keine Gefriertruhe, und dann geht's wieder darum, von wo aus gesehen hinten und von wo aus gesehen rechts, wenn der bloß die Schraubkappe holen soll. Eisenbahnkeller, das ist ein reeller Name - historisch übrigens so entstanden, ich kürze das jetzt mal ab, dass da mal die elektrische Eisenbahn drin stand, und auch diejenigen, die das selbst nicht mehr miterlebt haben, lernen schnell, dass das der Eisenbahnkeller ist.
Da gibt es die unterschiedlichsten Systeme, wie auch bei der Großelternbenamsung, da differenzieren ja manche auch in "Oma Anne" und "Oma Lisa", andere sprechen von "Oma Günzburg" und "Oma Paderborn", da will ich auch nichts vorschreiben, das muss man schon dem freien Markt überlassen, lasst tausend Blumen blühen, sag ich immer, und ich kannte z.B. mal jemanden, der eine "Kleine Oma", eine "Mittlere Oma" und eine "Große Oma" hatte, das funktionierte ganz toll, "Ich war am Wochenende bei Mittlere Oma", da muss auch jeder ein Stück weit selbst entscheiden, wie er das handhaben will.
Der schwere, dunkle Kunststoffkoffer mit dem prestigeträchtigen Markennamen und den Initialen meines Vaters, die den meinen immerhin zum Teil glichen, sollte es also sein, in den ich meinen schlabbrigen, hellblauen Schlafanzug und die weißen Tennissocken, die buntgemusterten Unterhosen und die zwei Jeans sowie den Ringelpulli packen wollte, als es für eine Woche an die Ostsee ging, Hauszelte, und tiefenpsychologisch betrachtet hatte das darin seine Ursache, dass bei einer vorangegangenen Klassenfahrt der schwitzende, fluchende Busfahrer die Gepäckmengen nicht im Laderaum des Busses hatte unterbringen können, während Lehrer mit hochgezogenen Brauen kluge Tipps zur besseren Raumausnutzung gaben und auf die fortgeschrittene Zeit verwiesen, bis er als einen der letzten Koffer meinen, einen dunkelgrünen aus stabilem Stoff mit schickem Schottenkaro, ins Gepäckabteil zu zwängen versuchte, mich dann böse ansah und verächtlich fragte, ob meine Familie sich eigentlich keine "vernünftigen Koffer leisten" könne.
Ein Jahr lang hatte ich die Szene erfolgreich "verdrängt", wie wir Psychologen heute sagen, bis ich etwa eine Woche vor der neuerlichen Abfahrt die Anfrage stellte, ob ich denn den Hartschalenkoffer nehmen dürfe. Und da zeigte sich die Erwachsenenwelt dann wieder mal von ihrer vollkommen irrationalen Seite: Obwohl ich starke Argumente vorzutragen hatte ("Einfach so", "Weil ich da Lust zu habe", "Ich finde den irgendwie gut"), und obwohl der Koffer daraufhin, ungeliebt und -benutzt, noch für weitere 20 Jahre den Eisenbahnkeller vollstand, erzählte man mir etwas von "unpraktisch" und "zu schwer", nötigte mir statt dessen einen alten Lederkoffer auf und verhalf mir so zu einer durchwachten Nacht, in der ich mir stets aufs neue vorstellen musste, wie der Busfahrer schon beim Einfahren auf den Schulparkplatz zielsicher in meine Richtung schaut, auf mich zugeht, die Hände in die Hüften stemmt und vor allen Leuten bestimmt: "Wenn du dir keinen besseren Koffer leisten kannst, darfst du nicht mitkommen."
A propos "kommen", kommt Ihnen das Wort "Benamsung" nicht auch total bescheuert vor? [Diesen Satz mit Otto-Waalkes-Stimme vortragen]
Damals waren diese Hartschalenkoffer noch etwas Neues, man war an Koffer aus Leder, Pappe oder auch Stoff gewöhnt, und wonach benennen denn Sie ihre Kellerräume? Sagen Sie etwa: Der hinten rechts? Das halte ich für unpraktikabel und auch, offen gesagt, etwas lieblos. Dann kommt doch nur wieder einer nach zehn Minuten hoch und schnauft und sagt, die habe ich aber nicht gefunden, die Schraubkappe, ich habe sogar hinter der Gefriertruhe gesucht, und du sagst dann so: Gefriertruhe, Gefriertruhe, ich höre immer: Gefriertruhe, Meister, ich sagte hinten rechts, und hinten rechts ist keine Gefriertruhe, und dann geht's wieder darum, von wo aus gesehen hinten und von wo aus gesehen rechts, wenn der bloß die Schraubkappe holen soll. Eisenbahnkeller, das ist ein reeller Name - historisch übrigens so entstanden, ich kürze das jetzt mal ab, dass da mal die elektrische Eisenbahn drin stand, und auch diejenigen, die das selbst nicht mehr miterlebt haben, lernen schnell, dass das der Eisenbahnkeller ist.
Da gibt es die unterschiedlichsten Systeme, wie auch bei der Großelternbenamsung, da differenzieren ja manche auch in "Oma Anne" und "Oma Lisa", andere sprechen von "Oma Günzburg" und "Oma Paderborn", da will ich auch nichts vorschreiben, das muss man schon dem freien Markt überlassen, lasst tausend Blumen blühen, sag ich immer, und ich kannte z.B. mal jemanden, der eine "Kleine Oma", eine "Mittlere Oma" und eine "Große Oma" hatte, das funktionierte ganz toll, "Ich war am Wochenende bei Mittlere Oma", da muss auch jeder ein Stück weit selbst entscheiden, wie er das handhaben will.
Der schwere, dunkle Kunststoffkoffer mit dem prestigeträchtigen Markennamen und den Initialen meines Vaters, die den meinen immerhin zum Teil glichen, sollte es also sein, in den ich meinen schlabbrigen, hellblauen Schlafanzug und die weißen Tennissocken, die buntgemusterten Unterhosen und die zwei Jeans sowie den Ringelpulli packen wollte, als es für eine Woche an die Ostsee ging, Hauszelte, und tiefenpsychologisch betrachtet hatte das darin seine Ursache, dass bei einer vorangegangenen Klassenfahrt der schwitzende, fluchende Busfahrer die Gepäckmengen nicht im Laderaum des Busses hatte unterbringen können, während Lehrer mit hochgezogenen Brauen kluge Tipps zur besseren Raumausnutzung gaben und auf die fortgeschrittene Zeit verwiesen, bis er als einen der letzten Koffer meinen, einen dunkelgrünen aus stabilem Stoff mit schickem Schottenkaro, ins Gepäckabteil zu zwängen versuchte, mich dann böse ansah und verächtlich fragte, ob meine Familie sich eigentlich keine "vernünftigen Koffer leisten" könne.
Ein Jahr lang hatte ich die Szene erfolgreich "verdrängt", wie wir Psychologen heute sagen, bis ich etwa eine Woche vor der neuerlichen Abfahrt die Anfrage stellte, ob ich denn den Hartschalenkoffer nehmen dürfe. Und da zeigte sich die Erwachsenenwelt dann wieder mal von ihrer vollkommen irrationalen Seite: Obwohl ich starke Argumente vorzutragen hatte ("Einfach so", "Weil ich da Lust zu habe", "Ich finde den irgendwie gut"), und obwohl der Koffer daraufhin, ungeliebt und -benutzt, noch für weitere 20 Jahre den Eisenbahnkeller vollstand, erzählte man mir etwas von "unpraktisch" und "zu schwer", nötigte mir statt dessen einen alten Lederkoffer auf und verhalf mir so zu einer durchwachten Nacht, in der ich mir stets aufs neue vorstellen musste, wie der Busfahrer schon beim Einfahren auf den Schulparkplatz zielsicher in meine Richtung schaut, auf mich zugeht, die Hände in die Hüften stemmt und vor allen Leuten bestimmt: "Wenn du dir keinen besseren Koffer leisten kannst, darfst du nicht mitkommen."
Link zu diesem Beitrag (2 Kommentare) | Kommentieren [?]
vert,
Montag, 19. Oktober 2009, 04:43
(ich hatte oma/opa sowie großmutter/großvater. das war sehr übersichtlich. großmutter nur deshalb, weil "oma" wohl auf norwegisch so etwas ähnliches wie "hässlicher krabbelkäfer" bezeichnet. eine der wenigen entscheidungen meiner großmutter, die ich gut verstehen kann.)
und jetzt stellen wir uns die familie vor, die es nie zu einem hartschalenkoffer alttestamentarischerbenamsung stärke bringen würde.
bescheuert ja, aber lustig. was eigenes wie jodeldiplom.
und jetzt stellen wir uns die familie vor, die es nie zu einem hartschalenkoffer alttestamentarischer
Link zu diesem Kommentar | Kommentieren [?]
nnier,
Montag, 19. Oktober 2009, 10:34
Es dauerte lange, bis ich begriff, dass "Großmutter / Großvater" nicht nur in Büchern und in der Heidi-Zeichentrickserie, sondern auch in der echten Welt als Anrede verwendet wird. Bis dahin kam mir das genau so alt und weltfremd vor wie das "Herr Vater" in irgendwelchen alten Romanen.
Ich kenne ja noch einige Werbespots von damals auswendig, und der für S*mson*te hat mich schwer genervt: Im Gegenlicht aufgenommen, rast ein cooler Rocker mit Spiegelbrille den Schneehang hinunter, "harte" Musik dahinter, und am Ende sagte die "coole" Stimme so etwas wie: "S*mson*te. Man kann auch seine Kleider darin transportieren."
("Benamsung" hielt ich für die wirre Kreation eines delinquenten Dozenten, bis ich verstand, dass das Wort in der Programmiererwelt durchaus verbreitet ist. Man stelle sich das noch stark hamburgisch ausgesprochen vor: Benoamsunk. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren.)
Ich kenne ja noch einige Werbespots von damals auswendig, und der für S*mson*te hat mich schwer genervt: Im Gegenlicht aufgenommen, rast ein cooler Rocker mit Spiegelbrille den Schneehang hinunter, "harte" Musik dahinter, und am Ende sagte die "coole" Stimme so etwas wie: "S*mson*te. Man kann auch seine Kleider darin transportieren."
("Benamsung" hielt ich für die wirre Kreation eines delinquenten Dozenten, bis ich verstand, dass das Wort in der Programmiererwelt durchaus verbreitet ist. Man stelle sich das noch stark hamburgisch ausgesprochen vor: Benoamsunk. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren.)
Um hier kommentieren zu können, musst du bei blogger.de registriert sein. Das geht ganz schnell: Einfach auf Kommentieren klicken, dort "Noch nicht registriert?" anwählen und den gewünschten Benutzernamen und ein Passwort eingeben. Du kannst dann künftig in allen Blogs bei blogger.de kommentieren!