Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Samstag, 10. Oktober 2009
Gib mir deinen goldenen Saft, Safran.
nnier | 10. Oktober 2009 | Topic In echt
Einmal bekam ich Lust zum Kuchenbacken, und auch wenn ich mich schon damals imstande sah, aus dem Vorhandenen notfalls auch ohne Anleitung etwas Essbares zu fabrizieren, überlegte ich, diesmal ruhig ein Rezept herauszusuchen. Man kennt ja nicht nur aus dem Kinderreim die Grundrezeptur ("Eier und Salz, Butter und Schmalz, Milch und Mehl"), wobei ich an dieser schon meine Zweifel hatte, bevor ich das Wort Coh Cholesterin buchstabieren konnte, denn nicht nur das Übermaß an tierischem Fett irritierte mich, auch die im Kuchenbereich geradezu himmelschreiende Abwesenheit eines Süßungsmittels ließ mich nächtelang darüber nachdenken, ob man hier der Versuchung nachgegeben habe, zugunsten eines wohltemperierten Versmaßes mal eben jeden Realismus beiseite zu lassen. Im Geiste sortierte ich, angeregt durch diesen Gedanken, den Inhalt meines Kinderbuchregals bereits in die Abteilungen Lyrik und Sachbuch ein, wurde bei dieser Tätigkeit aber unterbrochen durch einen Jungen namens Safran, der rasch vorbeischaute und den Kuchen "gel" machte. Was genau er da tat, war mir nicht bekannt, ich vertraute ihm blind und war froh, dass er sich so zuverlässig darum kümmerte, alle Kuchen "gel" zu machen.

Heute war übrigens Leberwursttag mit Gürkchen "Polnischer Art" von der Firma H*ngst*nb*rg, die ich wärmstens empfehlen kann, und die andere Attacke, die mich gelegentlich überkommt und ebenfalls deutlich archaische, in die Kindheit zurück verweisende Züge trägt, hat mit dem Goldsaft zu tun. Ich weiß ja nicht, ob Sie auch mal in der Schule Rüben gekocht und durch Mullbinden gequetscht haben. Aber wir damals, wir mussten das tun, Unterrichtseinheit "Zucker", es roch unangenehm und mich ekelten Farbe und Konsistenz des Halbfertig- wie auch des Endprodukts, so dass ich nichts davon aß, wieder so eine Geschichte, denn schon auf dem Nachhauseweg bekam ich doch Appetit und habe mein Leben lang bereut, trotz der Mundwinkel meiner Lehrerin, deren butterbeschmierter Anblick mir zusätzlich den Appetit verdorben hatte, nicht wenigstens probiert zu haben.

Ein wenig lindern kann ich meine Pein wenigstens im nachhinein dadurch, dass ich ab und an einen Bottich des nicht zu unrecht so heißenden Grafschafter Goldsaftes erwerbe. Auf grobem, saftigem Schwarzbrot, großzügig gebuttert, entfaltet der Zuckerrübensirup - wie übrigens auch die Leberwurst mit den polnischen Gürkchen - seinen unkompliziert-bodenständigen Urgeschmack am besten, mjam, ich könnte glatt schon wieder, aber jetzt schreibe ich erst mal zu ende, und man möchte sich geradezu noch einen Becher Malzkaffee kochen, um den jugendherbergshaften Genuss zu vervollständigen, der nach keiner Verfeinerung verlangt, es gibt hier keine Geschmacksfeuerwerke, eine vordergründig-herbe Süße und einen hintergründig-metallischen Abgang, das war's, und einen kleinen Löffel pur kann man auch gut vertragen.

Die hätten das in dem Reim tatsächlich nicht so gut unterbringen können - ich überlegte gerade, ob man mit dem Zuckerrübensirup evtl. doch noch ein brauchbares Rezept zustandebrächte, nehmen wir mal den Schmalz raus, wer hält sich heute denn noch Schweine, hm, "Eier und Salz, Butter und Zuckerrübensirup", nein, das geht nicht. Ich habe dann noch kurz über die DDR nachgedacht, denn eine Freundin hatte mal einen Apfelkuchen mitgebracht, der wirklich ganz fein schmeckte, und wir waren ja noch jung, höchstens 20, ich dachte an dem Abend nur an das Eine und fragte sie nach dem Rezept, das kam von ihrer sog. "DDR-Oma" und ging so: Ein Drittel Mehl, ein Drittel Zucker, ein Drittel Fett, na, und dann eben die Äpfel. Der Trick war, dass die Äpfel z.T. von dem Teig überkrümelt waren, es war kein wirklich gedeckter Apfelkuchen, eher eine Art Apfel-Streusel-Kuchen, und die hatten in der DDR ja praktisch nichts, da nahmen die dann den Teig auch gleich für Boden und Streusel, so ähnlich wie bei den Trabbis eigentlich oder bei dem Zitronat aus unreifen Tomaten.

Apfelkuchen allerdings sollte es nicht werden, mir schwebte so ein ganz normaler Kuchen vor, so einer aus so einer Form, so ein eckiger oder runder, einfach ein Kuchen, und so schlug ich das Kochbuch auf und wunderte mich noch lange, warum unter "K" wie "Kuchen" kein einziges Rezept stand.

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