Der Westharz war fast schon Naherholungsgebiet und logisches Klassenfahrtziel, wenn man da herkam, wo ich herkomme. Und so wurden regelmäßig Schullandheime und Herbergen im höchsten Gebirge Norddeutschlands angesteuert, denn wir gingen tatsächlich einmal im Jahr für eine Woche auf Klassenfahrt. Dazu gab's noch Ski-, Orchester-, Theater-, Ruder- und sonstige mehrtägige Freizeiten für die aktiveren unter den Schülern, zu denen ich selbstredend nicht zählte. (Dass unsere Schule, selbst für die damaligen, also noch nicht komplett kaputten Verhältnisse, finanziell und personell wirklich üppig ausgestattet war, wird mir immer klarer; übrigens wurde bei den Klassenfahrten immer ein Solidarzuschlag für finanziell schlechter gestellte Mitschüler erhoben).
Während wir als Fünftklässler noch begeistert durch die Schneemassen im hochgelegenen St. Andreasberg getobt hatten, war das Echo auf die Fahrt nach Pöhlde schon deutlich bescheidener ("Pöhl-de ist ö-de!", sang mancher eine Woche lang), und auch Zorge, wiewohl direkt an der innerdeutschen Grenze gelegen, über die ganz furchtbar wagemutige Jungs den beturnschuhten Fuß für Sekundenbruchteile ein paar Zentimeter hinüberschoben, um von Mädchen bewundernde Blicke und von Lehrern scharfe Verwarnungen ("das finde ich jetzt aber nicht so gut!") zu ernten - denn wer hatte nicht schon von perfekt getarnten Grenzern gehört, die plötzlich wie aus dem Boden gewachsen bewaffnet dagestanden hatten, um großmäulige Westjugendliche einzufangen und abzuführen, sobald diese einen Zentimeter DDR unter der Sohle hatten - wiewohl auch über eine übergewichtige Herbergsmutter, die die weiße Feinripp-Kochwäsche ihres für sein Gewicht ebenfalls deutlich zu kleinen Sohnes in der Herbergsküche auf dem Herbergsherd im großen Herbergstopf tatsächlich kochte, und nicht zuletzt über einen dauerbesoffenen Nistkastenherstellungsbeaufsichtiger verfügend, der ebenso waldschratig wirkte wie der paramilitärische Herbergsvater, welcher in seine Antrittsrede uns unbekannte Vokabeln wie "Zucht", "Ordnung" und "naturverbundene Erziehung" wie selbstverständlich hatte einfließen lassen, womit er uns Achtklässler natürlich in ekstatische Begeisterung versetzt hatte, auch Zorge also vermochte das Image des Harzes nicht entscheidend zu verbessern, das nahe Mittelgebirge wurde im Gegenteil geistig immer mehr ausgeblendet, wenn man sich mal fragte, wohin man ausflügeln sollte. Weltabgewandt, dunkel und am Rande der Zivilisation liegend, dabei aber auf spießige Weise gediegen, so habe ich ihn, den Harz, als Teenager verschlagwortet und hernach jahrelang höchstens noch mit überladenen Ford Transits in tiefster Nacht durchquert.
Die interessanteren, wilderen, karstigeren Teile des Harzes lagen ohnehin jenseits der Grenze, dies habe ich in den letzten Jahren durch Besteigungen des Brockens und Besuche im Bodetal aufs Eindrucksvollste erfahren, und das eine oder andere Städtchen dort drüben* sieht ganz schön disneylandisch-proper aus.
Wenn man mal von kleinen Abstechern, so etwa einem doch recht irritierenden Besuch im Südharzstädtchen Herzberg vor zweidrei Jahren absieht, ein typisches, verschlafenes, aber prosperierendes Nest in meiner Erinnerung, in dem mich plötzlich leere Schaufenster massenweise angähnten und höchstens noch grelle Ein-Euro-Shops anschrien, ein Ort, der anscheinend gerade seine Infrastruktur verliert und dadurch dermaßen verstörend auf mich wirkte, dass ich lieber wieder weggefahren bin, dann habe ich wirklich lange nichts mehr vom Westharz gesehen und nur ein paar Schauergeschichten gehört.
[Wird evtl. fortgesetzt]
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*Ich weiß.
Während wir als Fünftklässler noch begeistert durch die Schneemassen im hochgelegenen St. Andreasberg getobt hatten, war das Echo auf die Fahrt nach Pöhlde schon deutlich bescheidener ("Pöhl-de ist ö-de!", sang mancher eine Woche lang), und auch Zorge, wiewohl direkt an der innerdeutschen Grenze gelegen, über die ganz furchtbar wagemutige Jungs den beturnschuhten Fuß für Sekundenbruchteile ein paar Zentimeter hinüberschoben, um von Mädchen bewundernde Blicke und von Lehrern scharfe Verwarnungen ("das finde ich jetzt aber nicht so gut!") zu ernten - denn wer hatte nicht schon von perfekt getarnten Grenzern gehört, die plötzlich wie aus dem Boden gewachsen bewaffnet dagestanden hatten, um großmäulige Westjugendliche einzufangen und abzuführen, sobald diese einen Zentimeter DDR unter der Sohle hatten - wiewohl auch über eine übergewichtige Herbergsmutter, die die weiße Feinripp-Kochwäsche ihres für sein Gewicht ebenfalls deutlich zu kleinen Sohnes in der Herbergsküche auf dem Herbergsherd im großen Herbergstopf tatsächlich kochte, und nicht zuletzt über einen dauerbesoffenen Nistkastenherstellungsbeaufsichtiger verfügend, der ebenso waldschratig wirkte wie der paramilitärische Herbergsvater, welcher in seine Antrittsrede uns unbekannte Vokabeln wie "Zucht", "Ordnung" und "naturverbundene Erziehung" wie selbstverständlich hatte einfließen lassen, womit er uns Achtklässler natürlich in ekstatische Begeisterung versetzt hatte, auch Zorge also vermochte das Image des Harzes nicht entscheidend zu verbessern, das nahe Mittelgebirge wurde im Gegenteil geistig immer mehr ausgeblendet, wenn man sich mal fragte, wohin man ausflügeln sollte. Weltabgewandt, dunkel und am Rande der Zivilisation liegend, dabei aber auf spießige Weise gediegen, so habe ich ihn, den Harz, als Teenager verschlagwortet und hernach jahrelang höchstens noch mit überladenen Ford Transits in tiefster Nacht durchquert.
Die interessanteren, wilderen, karstigeren Teile des Harzes lagen ohnehin jenseits der Grenze, dies habe ich in den letzten Jahren durch Besteigungen des Brockens und Besuche im Bodetal aufs Eindrucksvollste erfahren, und das eine oder andere Städtchen dort drüben* sieht ganz schön disneylandisch-proper aus.
Wenn man mal von kleinen Abstechern, so etwa einem doch recht irritierenden Besuch im Südharzstädtchen Herzberg vor zweidrei Jahren absieht, ein typisches, verschlafenes, aber prosperierendes Nest in meiner Erinnerung, in dem mich plötzlich leere Schaufenster massenweise angähnten und höchstens noch grelle Ein-Euro-Shops anschrien, ein Ort, der anscheinend gerade seine Infrastruktur verliert und dadurch dermaßen verstörend auf mich wirkte, dass ich lieber wieder weggefahren bin, dann habe ich wirklich lange nichts mehr vom Westharz gesehen und nur ein paar Schauergeschichten gehört.
[Wird evtl. fortgesetzt]
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*Ich weiß.
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jeeves,
Dienstag, 6. April 2010, 12:20
Zorge?
Ich kenn' im Harz nur "Sorge" und "Elend" (beide nah bei Schierke).
Ich kenn' im Harz nur "Sorge" und "Elend" (beide nah bei Schierke).
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nnier,
Dienstag, 6. April 2010, 12:40
Ja, die gibt's auch - damals allerdings waren sie noch sehr, sehr weit weg.
p.m.,
Dienstag, 6. April 2010, 13:11
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