Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
(großes Gelächter) Nö. Echt nicht.
nnier | 10. August 2008 | Topic Klar jewesn
Es ist lohnend. Ich weiß, wie viel ich verdiene - das reicht mir. Es ist ein brutales Geschäft. Wer nicht genug Geld bringt, fliegt raus. Meine Tochter darf da nicht anrufen, sie ist noch nicht volljähig. Selbst schuld. Soll ich mich um jeden einzelnen kümmern? In Köln wird das auf andere Weise geregelt. Sagen wir mal so: Er hat für fünf Pfennig Bescheid gesagt bekommen. Ich schwimme in diesem Haifischbecken mit; nicht ganz oben, nicht ganz unten.

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tomm tiefer, Sonntag, 10. August 2008, 11:56
ich finde den erstaunlicherweise in dem interview gar nicht mal so unsympatisch...sehr straight

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nnier, Sonntag, 10. August 2008, 15:01
"Straight" im Sinne von "dankenswert offen", so weit würde ich gerade noch mitgehen, denn normalerweise schleifen die PR-Berater ihre Klienten noch viel glatter. "Ich verkaufe ein Spiel", "man sollte sich ein Limit setzen", das haben die vom Sender ihm sicherlich eingebimst, auch den Vergleich mit dem Lotto, dagegen kommt bei "Selbst schuld. Soll ich mich um jeden einzelnen kümmern?" und der Anspielung auf den beim Ex-Manager vorbeigeschickten Schlägertrupp ganz "straight" der echte Jürgen durch.
Es zeigt sich hier jemand, der die Umstände als gegeben nimmt, sie "clever" für sich nutzt und fleißig daran mitarbeitet (seine Tochter aber, wie so viele Medienmenschen, gleichzeitig davor schützt); und da man über Fragen der Moral nicht mehr sprechen kann, ohne als Neider oder Dummkopf hingestellt zu werden, scheint die sogenannte Cleverness (und: "wenigstens steht er dazu; du würdest das für 50000 im Monat auch machen") als einziges Kriterium übrigzubleiben.

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tomm tiefer, Sonntag, 10. August 2008, 16:18
ich glaube, dass moral sehr oft schranken setzt, die nicht hilfreich sind.

ich finde nicht, dass man ihm vorwerfen kann, bei diesem sender zu arbeiten - sein argument, die leute rufen freiwillig ab, ist in ordnung. wenn man sich ständig fragt, was denn "die anderen" denken mögen, wenn man ständig darauf achtet, es möglichst allen recht zu machen, wird man wohl eher langsam vorran kommen.
es gibt da so einen mönch, der alles leben als heilig verehrt. er läuft nackt durch die gegend, mit ein paar federn in der hand, geht gebückt vor sich hin und wischt mit jedem schritt den boden zu seinen füßen, um ja niemanden zu töten, oder zu verletzen.
ich für meinen teil finde es ok, auf der wiese mal auf eine bis 20 ameisen zu treten.
man kommt einfach schneller vorran.

Vielleicht ist das maß der dinge diesbezüglich einfach die eigene überzeugung. ich vermute, herr milski ist recht zufrieden, und so jemanden empfinde ich als gesünder, als jemanden, der rücksicht nimmt, selbst aber dabei zu kurz kommt.

es mag aber sein, dass dieser gedankengang nicht ganz zu ende gedacht ist...

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jean stubenzweig, Sonntag, 10. August 2008, 16:26
Wie aber wird die Landschaft dann aussehen, wenn jeder quer übers Beet latscht, nur weil's ihm dabei besser geht?

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tomm tiefer, Sonntag, 10. August 2008, 16:38
soweit ich das überblicken oder ahnen kann, hat herr m. bislang niemanden getötet, oder sonstwie direkt verletzt. bis auf diese 5 pfennig sache vielleicht...

wie es aussehen "wird", sehen wir ja längst.

trotzdem finde ich es falsch, in das gegenteil umzuschlagen.
den spagat zu halten zwischen dem wahren der eigenen interessen, sowie dem respekt vor seiner umgebung, das ist die herausforderung.

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nnier, Sonntag, 10. August 2008, 18:52
@Tomm Tiefer:
> ich glaube, dass moral sehr oft schranken setzt, die nicht hilfreich sind

Das kann man so abstrakt immer lang und breit besprechen - was ist überhaupt Moral, ist sie per se gut oder schlecht und so weiter. Man muss schon wissen, worum es geht, um über Schranken (und ob diese vielleicht auch sinnvoll sein können) zu diskutieren. Ganz konkret wird es dann aber schnell interessant:

> ich finde nicht, dass man ihm vorwerfen kann, bei diesem sender zu arbeiten - sein argument, die leute rufen freiwillig ab, ist in ordnung

Einerseits gibt es, ich drücke mich vorsichtig aus, Anzeichen dafür, dass bei den "Spielen" nicht immer alles mit rechten Dingen zugeht. Man kann da also ganz profan mal über das Thema Betrug nachdenken.

Ganz unabhängig davon aber, ob hier noch zusätzliche Schweinereien laufen, ist doch auch die Frage, ob die Anrufer wirklich alle "dumm" und deshalb "selbst schuld" sind; eine Meinung, die in den Kommentaren zu den verlinkten Videos übrigens auch oft vertreten wird.

Gehen wir mal davon aus, dass die Anrufer "dumm" sind. Und dann? Ist es vollkommen in Ordnung, sie auszunehmen? Ihnen ein paar hundert Euro zusätzlich auf die Telefonrechnung zu setzen? Sie rufen ja "freiwillig" an? Nicht etwa, weil sie zu gutgläubig, zu wenig abgewichst, zu verzweifelt, zu unbedarft sind? Weil sie noch nicht wissen, dass die Moderatoren lügen? Weil sie sich billigen Schund andrehen lassen? Selbst schuld? Ist der liebe Rentner selbst schuld, der die Bitte um ein Glas Wasser nicht abschlägt und hinterher bestohlen worden ist? Das weiß man doch, dass man niemanden in die Wohnung lassen darf?

Oder auch das:
> wenn man sich ständig fragt, was denn "die anderen" denken mögen, wenn man ständig darauf achtet, es möglichst allen recht zu machen, wird man wohl eher langsam vorran kommen.

Wieder konkret: Was heißt "vorankommen"? Omas bescheißen? Dreck verkaufen? Da ist die Spanne doch ziemlich weit von demjenigen, der akzeptiert, dass er ab und zu auf eine Ameise tritt, bis zu dem, der vielleicht auch von sich sagt, dass er "vorankommen" und "nicht immer nach den anderen sehen" will, dabei aber mehr als ein paar Ameisen platt macht.

Und:
> ich vermute, herr milski ist recht zufrieden, und so jemanden empfinde ich als gesünder, als jemanden, der rücksicht nimmt, selbst aber dabei zu kurz kommt.

Das ist auch ein Argument, dem ich so allgemein nicht zustimme. Zufrieden = gesund = im Recht, das habe ich so schon oft gehört und finde es dabei sehr bedenklich. Wie ist es denn, wenn, ganz einfach, z.B. zu wenig zu Essen da ist; wer Rücksicht nimmt, hat am Ende nichts, wer einfach grabscht, ist zufrieden und gesund? Oder wie? Ich komme da wirklich nicht ganz mit.

> den spagat zu halten zwischen dem wahren der eigenen interessen, sowie dem respekt vor seiner umgebung, das ist die herausforderung.

Ja, das sehe ich auch so.

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tomm tiefer, Sonntag, 10. August 2008, 19:34
^^
Ja, bin mir total im klaren darüber, dass diese statements von mir gewisse reaktionen geradezu herausfordern. ich sehe es auch ganz ähnlich, will sagen, ich kann deine meinung sehr, sehr gut nachvollziehen.
zu den einzelnen punkten:
ich sehe einen unterschied zwischen jemandem, der von sich aus, hypnotisiert vor dem TV, diese telefonnummer wählt, weiß, das kostet soundsoviel, und jemandem, der bei einer gutgläubigen omi mit einer lüge in die wohnung gelangt und ihr heimlich die geldbörse klaut. schon was anderes, wie ich finde, eindeutig.
diese leute, die vorm fernseher hängen, werden klar ausgenutzt, in ihrer dummheit, in ihrer langeweile, oder was immer. Nun, ich finde, das kann man mal realistisch betrachten: das war immer schon so, das scheint irgendein menschliches defizit zu sein. der stärkere gewinnt. ich heiße das nicht gut. aber ich glaube, dass die erfahrung beider seiten eine wichtige ist.
ich habe selbst mal in einem callcenter gearbeitet, als student damals, und das war eine ganz miese angelegenheit. als ich das herausgefunden habe, habe ich damit aufgehört, weil ich es nicht gutheißen konnte.
Wenn herr M. nun kein schlechtes gewissen hat, weil er es mit seinem - dementsprechend beschränkten - bewusstsein in ordnung findet, soll er halt weitermachen.
vielleicht merkt er irgendwann, was es mit ihm macht, und dann war die erfahrung eine gute, letztendlich.
Was wäre der gegenvorschlag? alles verbieten, was böse ist? dann lernt ja keiner mehr was. und wo setzt man die messlatte an? wer hat das zu entscheiden? (ich hätte spontan ein paar ideen, aber das wird wohl schwer umsetzbar sein...)
letztendes geht es einfach immer wieder um die eigenverantwortung, oder nicht.

"Wieder konkret: Was heißt "vorankommen"? Omas bescheißen? Dreck verkaufen? Da ist die Spanne doch ziemlich weit von demjenigen, der akzeptiert, dass er ab und zu auf eine Ameise tritt, bis zu dem, der vielleicht auch von sich sagt, dass er "vorankommen" und "nicht immer nach den anderen sehen" will, dabei aber mehr als ein paar Ameisen platt macht."
stimmt absolut.
ich glaube, ich wollte einfach darauf hinarbeiten, dass sich so viele Menschen eben auf grund der tatsache, dass sich dieses egoistische verhalten in den meisten fällen eher destruktiv auswirkt, in das gegenteil umschlagen. bloß keinem weh tun. bloß nicht das falsche sagen. bloß nicht zuviel von sich selbst zeigen. usw.
dann macht man sich klein und nimmt sich so viele möglichkeiten. aber (!): egoismus ist generell nichts schlechtes. egoismus ist eine sehr wichtige sache, ein sich selbst als wichtig erachten. man kann sich selbst an erste stelle seines lebens setzen und alles daran setzen, sich selbst zu fördern und erfolgreich (wie immer man das interpretieren möchte) zu sein, und gleichzeitig seine umwelt achten und respektieren.

ich vermute, herr milski ist recht zufrieden, und so jemanden empfinde ich als gesünder, als jemanden, der rücksicht nimmt, selbst aber dabei zu kurz kommt.
das ist von mir, und das ist blödsinn. tja.

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nnier, Sonntag, 10. August 2008, 23:56
Hm. Einen ganz wichtigen Punkt finde ich das hier:
ich sehe einen unterschied zwischen jemandem, der von sich aus, hypnotisiert vor dem TV, diese telefonnummer wählt, weiß, das kostet soundsoviel, und jemandem, der bei einer gutgläubigen omi mit einer lüge in die wohnung gelangt und ihr heimlich die geldbörse klaut.
Mit dem "von sich aus" und "weiß, was das kostet" geht es ja schon los. Ich will hier gar nicht das Lied von den grundsätzlich armen, schuldlos verführten Menschen singen, es gibt natürlich immer wieder Menschen, die man schütteln möchte, wenn sie meinen, dass sie jetzt den dritten Handyvertrag unterschreiben müssten oder dass sie ein Menschenrecht auf Plasmabildschirme hätten.
Dennoch: Es ist glasklar, dass es bestimmte Menschen sind, die vollkommen zynisch mit Müll vollgepumpt werden und denen man wie nur irgend möglich das Geld aus der Tasche zieht, bis der Gerichtsvollzieher kommt. Es sind nicht die "cleveren" Medienmenschen, nicht die Telefonquassler, die lachen sich nämlich halb krank über ihre verblödeten Zuschauer und Anrufer, die sie verachten. Es sind die Leute, denen man weismachen kann, dass sie jetzt nur mal kurz anrufen müssen, um 1000.- Euro zu gewinnen, die es vielleicht intellektuell nicht auseinanderbekommen, dass das kommerzielle Sender der ganz niedrigen Stufe sind, die vielleicht noch nicht hinter die Kulissen eines Callcenters schauen konnten oder es selbst dann nicht unbedingt begreifen würden.

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tomm tiefer, Montag, 11. August 2008, 00:27
aber was soll man sich so ausgiebig mit dem vermeindlichen leid anderer menschen beschäftigen...eigentlich...sag mal

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nnier, Montag, 11. August 2008, 00:45
Oh ... mein Hobby ist es auch nicht. Ich laufe nicht herum und suche nach dem Leid anderer Menschen. Ich kann aber bestimmten Fragen nicht ausweichen, die drängen sich auf, wenn ich z.B. das Interview mit dem Jürgen da lese. (Wobei ich das ja zuerst nur kommentarlos hier verlinkt habe und sich die Diskussion jetzt ergibt; für mich war das einfach ein ganz interessanter Einblick in Denken und Selbstverständnis eines C-Promis, der ja eine ganze Gattung von Unterhaltungsarbeitern repräsentiert).

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salamikakao, Montag, 11. August 2008, 20:26
Als diese Anrufsender aufkamen habe ich gedacht: sowas sollte mal jemand in der Fussgängerzone machen. Der würde sofort verhaftet. Wie die Hütchenspieler.

Mich erstaunt vor allem, dass man solche Sachen im juristischen und moralischen Graubereich einfach nur groß genug aufziehen muss, es vor aller Augen in den Medien betreiben, ein paar Arbeitsplätze schaffen - schon ist das ganze komplex genug, um weitgehend problemlos die Kohle zu scheffeln.

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nnier, Dienstag, 12. August 2008, 00:03
Aber es ist doch im Fernsehen, das wird doch bestimmt überprüft, das dürften die doch sonst gar nicht machen!

(Mich würde mal interessieren, ob das hier noch Nachwirkungen der rein öffentlich-rechtlichen Zeit sind, dass man dem Fernsehen prinzipiell erst mal glaubt. Ob das in, sagen wir: Italien, auch so funktioniert? Hier sind wir ja immer noch total entgeistert, wenn wir erfahren, dass der nette Onkel von der Sportschau nicht nach rein journalistischen Kriterien seine Randsportereignisse ausgewählt hat.)

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salamikakao, Dienstag, 12. August 2008, 02:31
Ich würde da keinen Verfallsprozess in Kombination mit historischer Kontinuität vermuten. Dem Fernsehen wird heute ja auch noch geglaubt. Meine These wäre, dass das schlicht in der Funktionsweise des Mediums liegt. Fernsehen erzeugt seine Realität in jeder Gegenwart einfach daraus, dass alle es gleichzeitig sehen.

Und der Großteil der x-live Anrufer scheint überhaupt nicht bis dahin zu kommen, über Glaubwürdigkeit nachzudenken. Die werden einfach kommunikativ mit Schlüsselreizen vollgestopft. Und das, zugegeben, ziemlich raffi- und perfektioniert.

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nnier, Dienstag, 12. August 2008, 18:46
Das ist ein interessanter Gedanke, der mit der Gleichzeitigkeit. In irgendeinem Buch, das ich als Kind mal gelesen habe (evtl. "Deutschland umsonst" von einem Mann, der ohne Geld durch Deutschland gewandert ist), wurde das auch ganz nebenbei angesprochen: Die selbstverständliche Einigkeit über die Realität, weil man am Abend vorher dasselbe im Fernsehen gesehen hat, gegenüber eigenen, "echten" Erfahrungen (wie einer Wanderung o.ä.), die Stirnrunzeln hervorriefen.
Dennoch: Hatte nicht bis weit in die 80er das Fernsehen hier in Deutschland darüber hinaus auch einen sehr weitgehend "amtlichen" Status? So wie früher auch die Karstadtverkäuferin oder der Sparkassenberater?

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tomm tiefer, Donnerstag, 14. August 2008, 10:38
das ist ein sehr interessanter gedanke mit der gleichzeitigkeit.

danke dafür

zu dem vergleich echte und unechte realität:
gibt keinen unterschied. eine unechte erfahrung gibt es nicht. das gehirn unterscheidet nicht zwischen einer erinnerung und einer vorstellung. habe das das erste mal durch "feldenkrais" kennengelernt. man liegt zb. da, bewegt/arbeitet mit dem linken bein, eine halbe stunde lang, bis dass es sich anders anfühlt. dann macht man ca. 10 minuten dieselben übungen mit dem rechten bein, aber ohhne es zu bewegen, rein in der vorstellung - mit dem selben ergebnis.
das ist neurowissenschaftlich belegt, soweit ich weiß

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salamikakao, Freitag, 15. August 2008, 14:52
Das mit der Gleichzeitigkeit habe ich mir natürlich angelesen. Vom Herrn Luhmann. Und weiß Gott, woher der es hatte. Die Realität liegt dann darin, dass die Meldungen des Fernsehens als allgemein bekannt vorausgesetzt werden können. Da fragt niemand nach. Und wenn doch, liegt die Erklärungslast schnell beim Fragenden ("Wie das weißt Du nicht? Kam doch im Fernsehen.").

Der umsonst Wandernde hätte sich hingegen wohl gewundert, wenn Alle seine Erfahrungen fraglos akzeptiert hätten. Dann wäre es ja gar kein individuelles Erlebnis gewesen.

Das amtliche Fernsehen - die Zeit ist mir nicht so parat. Wenn überhaupt habe ich das nur als Kind mitbekommen.

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nnier, Freitag, 15. August 2008, 18:48
Ja, mit dem Werk des Herrn Luhmann hatte ich vor Urzeiten auch mal zu tun; um Kommunikation und Gesellschaftstheorien ging's da, das ist aber alles ziemlich verschüttet bei mir. "Das kam doch im Fernsehen" - ich bin mal gespannt, wann das Geschichte wird. Thomas Gottschalk selbst bezeichnet ja "Wetten Dass" als eine Art Lagerfeuer, um das sich die Gemeinschaft schart. Und es gab eine ziemlich lage Zeit, ich würde mal sagen: bis das Internet relevant wurde und die Zahl der empfangbaren Fernsehsender extrem anstieg, in der das Fernsehprogramm wirklich einen sehr großen Anteil an unserer "gemeinsamen Wirklichkeit" hatte. Mir fällt extrem auf, auch bei mir selber, wie schön es ist und wieviel Gesprächsstoff sich entwickelt, wenn man mit jemandem Fernseherlebnisse teilt. Das, was meine Großeltern und Eltern sich noch erzählen von der Tante A und der Oma B, wird ja immer mehr abgelöst, auch emotional, durch Fernsehgeschichten.

Zum "amtlichen" Fernsehen: Nicht nur die Tagesschau, sondern auch Unterhaltungssendungen wie die Sportschau oder die nationale Vorentscheidung zum Grand Prix Eurovision de la Chanson hatten etwas sehr Staatstragendes und, trotz solcher Halodris wie Kuli und Carrell, insgesamt Seriöses. Der große Bruch kam mit Super-RTL, Pronto Salvatore, heißem Stuhl, Tutti Frutti, Glücksrad usw.; man kann sich aus heutiger Sicht wohl kaum vorstellen, was für ein Kulturschock das teilweise war.

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salamikakao, Sonntag, 17. August 2008, 02:56
Hihi, Tutti Frutti. Da war ich gerade in einem Alter, in dem das sehr interessant war.

Dass das Fernsehen am Anfang recht staatstragend agierte, liegt, vermute ich, in der Etablierung eines neuen Mediums. Romane haben sich historisch ja auch zunächst den legitimierenden Anschein gefundener Aufzeichnungen gegeben oder wurden als Augenzeugenberichte vorgestellt.

Ähnlich Fernsehen, das sich erstmal an etablierte Strukturen, an offiziöse oder repräsentative Formen gehalten hat, um nicht allzu sehr zu verstören (vor allem die Politiker). Mit der Zeit konnte es sich dann soweit lösen, dass es heute - nahezu - alles senden kann, was Zuschauer bringt.

Dass das Internet da viel verändert hat und verändern wird, da kann ich nur zustimmen. Finde ich aber nicht bedenklich. Gemeinsamkeiten verlagern sich etwa auf die generellere Ebene des Geschmacks (z.B. Kultfilme oder -regisseure), können situativ hergestellt werden ("Was das kennst Du nicht? Warte, ich schick Dir den Youtube-Link!") oder virtuell, z.B. durch Liveblogging zu Wetten dass.

Luhmann nimmt eine Entwicklung in unsteuerbaren Evolutionsprozessen an. Beide Medien, Fernsehen und Internet, sind ja auch noch unglaublich jung.

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mark793, Donnerstag, 28. August 2008, 20:56
Das mit dem Kulturschock stimmt einerseits und andererseits auch wieder nicht. Das ARD-Machwerk "Klimbim" fanden meine Eltern in den 70ern schon sehr frivol. Und im Spätprogramm der Dritten gab es ab und an französische Filme avec un peu olala. Vieles, was die Privaten machten, war ansatzweise schon vorgegeben von ARD und ZDF, dort hätte man dergleichen nur nicht in der Massierung und Konsequenz eingesetzt. Vielleicht hätte es ohne die Privaten halt paar Jahre länger gedauert, aber irgendwann wären die Softsex-Streifen à la "Unterm Dirndl wird gejodelt" und "Schulmädchen-Report" womöglich in einem öffentlich-rechtlichen Kabelkanal nach 0.00 Uhr gezeigt worden. Nur halt mit anschließender Diskussion...

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nnier, Freitag, 29. August 2008, 00:34
Die Jodelfilme waren's für mich auch weniger, sondern Sendungen wie Der heiße Stuhl, die absichtlich den Krawall inszeniert haben, Glücksrad und Der Preis ist heiß, in denen die primitive Gier geschürt wurde.

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vert, Montag, 1. September 2008, 00:05
sehe ich das richtig, das wir bei luhmann über "die realität der massenmedien" sprechen?

ansonsten hat sich das freizeitkonsumverhalten doch schon sehr verändert und ist über die schlichte angebotsmasse (internet wurde schon angesprochen) einfach noch deutlich disparater geworden.
schon mit dem aufkommen von videorekordern (ungleichzeitigkeit) veränderten sich für mich die schulhofgespräche - wir hatten nämlich keinen...
das phänomen sozial und gesellschaftlich konstruierter realität zur komplexitätsreduktion des täglichen lebens ist wohl ganz normal, muss aber natürlich in die überlegungen mit einfließen.

die lagerfeueranalogie funktioniert immer weniger, die interessen werden immer ausdifferenzierter - in alle richtungen.
das mag für einen relativ basalen sozialen zusammenhang verheerend sein, birgt aber m.e. auch neue chancen zu interaktion - allerdings unter der maßgabe (sozialer) selektion beim zugang zu den jeweiligen medien.

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nnier, Montag, 1. September 2008, 10:45
Dieser "soziale Zusammenhang" wurde, glaub' ich, durchs Fernsehen schon sehr verstärkt oder auch erst hergestellt, wenn man darunter so etwas wie eine gemeinsame Realität versteht. Dazu gehören ja auch erst mal gemeinsame Begriffe. Und manchmal denke ich darüber nach, wie erstaunlich es eigentlich ist, dass Menschen von der Nordseeküste mit solchen aus dem Schwarzwald überhaupt sprechen können (und damit meine ich nicht so sehr die Dialekte, die ja auch u.a. durchs Fernsehen inzwischen ganz erheblich abgeschliffen wurden). Wenn man sich mal überlegt, wie fundamental Lebensbedingungen, Religion, politische Verhältnisse u.v.m. sich über Jahrrhunderte dort unterschieden haben, dann staune ich regelmäßig darüber, dass sich die Menschen nicht noch viel öfter die Köpfe einschlagen.
Beim Fernsehen ist es wie im restlichen Leben: es entwickelt sich auseinander. Es gibt Menschen, die nur arte & Co. einschalten, und es gibt Menschen, die schon lange nichts Öffentlich-Rechtliches mehr gesehen haben. Da sehe ich schon Parallelen zu den Entwicklungen in den Stadtvierteln, die sich sozial entmischen. Einfache Ursache-Wirkung-Zusammenhänge lassen sich natürlich nicht aufstellen, auch wenn sich das hier nach einer lustigen Idee anhört; den Film will ich mir mal ansehen. Aber ich würde schon sagen, dass es mal eine Zeit gegeben hat, in der es wesentlich wahrscheinlicher war, dass Zahnarzt und Metallarbeiter im selben Wohnblock lebten und ihre Kinder sich beim Spielen begegneten. Und bei drei öffentlich-rechtlichen Fernsehprogrammen war es eben auch wahrscheinlicher, dass der eine mal die Samstagabendshow und der andere mal die Kultursendung erwischt hat.

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jean stubenzweig, Sonntag, 10. August 2008, 14:32
Reicht es mittlerweile aus, wenn einer mit brutalstmöglicher Offenheit spricht, die wir dann Aufgeschlossenheit nennen?

Ich komme mit diesen Perspektivenverschiebungen nicht so recht klar, denen wir da unterworfen sind.

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nnier, Sonntag, 10. August 2008, 18:08
(Entschuldigung, ich habe die Struktur ein wenig zerstört, indem ich vorhin oben direkt geantwortet habe. Dieser Kommentar gehört ja in die Reihe).

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