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Oft habe ich mich gefragt, ob das musikalische Empfinden etwas Gelerntes oder von der Natur schon Eingebautes ist. Da ich Noten nicht beherrsche und von Musiktheorie keine Ahnung habe, muss ich laienhaft vor mich hinspekulieren: Bestimmte Akkorde, so heißt es, die für "uns" heute rein und sauber klingen, waren vor hundert Jahren noch Missklänge. Also gelernt? Aber Moll klingt traurig und Dur klingt fröhlich, da kannst du jedes Kleinkind fragen: Also eingebaut? Was passiert, wenn man rein pentatonisch aufwächst? Oder nur mit Zwölftonmusik? Ich muss mal ein paar Zwillingsversuche machen.
Was geschieht, wenn man mit einem verstimmten Klavier aufwächst - empfindet man das dann als richtig? Aber es gibt doch physikalische Beziehungen, Schwingungsvielfache, und wenn man mit kleinen Kindern Lieder singt, transponieren sie traumwandlerisch und nichts tönt miss.
Im Stimmbruch fällt die männliche Stimme um eine Oktave, lerne ich ("Frequenzverhältnis 2:1"), das ist doch erstaunlich: Welcher Mechanismus sorgt denn dafür, dass es gerade dieses Verhältnis ist? Verlängern sich die Stimmbänder genau um einen bestimmten Faktor?
Was wäre gewesen, hätte ich als Kind nicht das Rote Album zur Verfügung gehabt, meine musikalische Prägung statt dessen durch Mozart oder Modern Talking erfahren?
Bei einer Oktave scheint es nicht zu bleiben, sonst müssten älterwerdende Künstler ihre Lieder nicht heruntertransponieren: McCartney war lange stolz darauf, das nicht zu tun und bei seinen Konzerten in der ursprünglichen Tonlage zu singen. Man fragte sich immer stärker, wie das eigentlich ging, so tief und rauh wie seine Sprechstimme geworden war: Die klang nicht eine, die klang zwei Oktaven tiefer als Yesterday.
Es ging dann mit einzelnen Titeln los, We Can Work It Out war so ein Fall, als es 2003 langsam eng wurde und man bangte und litt, wenn die hohen Töne noch irgendwie erreicht wurden oder eben nicht mehr ganz. Und auch wenn er noch heute die meisten Stücke gut bewältigen kann, hilft auf den Konzerten nicht nur die Woge der Begeisterung, sondern auch der stimmliche Einsatz der Begleitband über schwächere Gesangsmomente hinweg. Und im Studio lässt sich sowieso vieles machen.
Es war deshalb eine Überraschung, zum ersten Mal seine "alte" Stimme klar und ungeschönt in einem neuen Lied zu hören. Gerade im Kontrast zu dem nahöstlich-ätherischen Hintergrundgesang merkt man dem seinen hier jedes Lebensjahr an. Wie einfach es gewesen wäre, das zu verdecken, zeigt dieser Herr mit seinem parallelen Harmoniegesang: Auch schön, aber ich bin froh um den raren Moment, denn so verletzlich und ungeschützt hat sich McCartney selten gezeigt. Den Uptempo-Teil am Schluss hätte es deshalb für mich auch nicht gebraucht.
Gelernt oder angeboren? You tell me. Wenn man Katzen in einer Umgebung aufwachsen lässt, die nur vertikal strukturiert ist, knallen sie in der echten Welt gegen jede Querstange. Durchaus grausam die Vorstellung, diese rote Platte wäre waagerecht einsortiert gewesen.
Platz 29: My Soul (2008)
[Anmerkung: Thematische Überschneidung hiermit]
Was geschieht, wenn man mit einem verstimmten Klavier aufwächst - empfindet man das dann als richtig? Aber es gibt doch physikalische Beziehungen, Schwingungsvielfache, und wenn man mit kleinen Kindern Lieder singt, transponieren sie traumwandlerisch und nichts tönt miss.
Im Stimmbruch fällt die männliche Stimme um eine Oktave, lerne ich ("Frequenzverhältnis 2:1"), das ist doch erstaunlich: Welcher Mechanismus sorgt denn dafür, dass es gerade dieses Verhältnis ist? Verlängern sich die Stimmbänder genau um einen bestimmten Faktor?
Was wäre gewesen, hätte ich als Kind nicht das Rote Album zur Verfügung gehabt, meine musikalische Prägung statt dessen durch Mozart oder Modern Talking erfahren?
Bei einer Oktave scheint es nicht zu bleiben, sonst müssten älterwerdende Künstler ihre Lieder nicht heruntertransponieren: McCartney war lange stolz darauf, das nicht zu tun und bei seinen Konzerten in der ursprünglichen Tonlage zu singen. Man fragte sich immer stärker, wie das eigentlich ging, so tief und rauh wie seine Sprechstimme geworden war: Die klang nicht eine, die klang zwei Oktaven tiefer als Yesterday.
Es ging dann mit einzelnen Titeln los, We Can Work It Out war so ein Fall, als es 2003 langsam eng wurde und man bangte und litt, wenn die hohen Töne noch irgendwie erreicht wurden oder eben nicht mehr ganz. Und auch wenn er noch heute die meisten Stücke gut bewältigen kann, hilft auf den Konzerten nicht nur die Woge der Begeisterung, sondern auch der stimmliche Einsatz der Begleitband über schwächere Gesangsmomente hinweg. Und im Studio lässt sich sowieso vieles machen.
Es war deshalb eine Überraschung, zum ersten Mal seine "alte" Stimme klar und ungeschönt in einem neuen Lied zu hören. Gerade im Kontrast zu dem nahöstlich-ätherischen Hintergrundgesang merkt man dem seinen hier jedes Lebensjahr an. Wie einfach es gewesen wäre, das zu verdecken, zeigt dieser Herr mit seinem parallelen Harmoniegesang: Auch schön, aber ich bin froh um den raren Moment, denn so verletzlich und ungeschützt hat sich McCartney selten gezeigt. Den Uptempo-Teil am Schluss hätte es deshalb für mich auch nicht gebraucht.
Gelernt oder angeboren? You tell me. Wenn man Katzen in einer Umgebung aufwachsen lässt, die nur vertikal strukturiert ist, knallen sie in der echten Welt gegen jede Querstange. Durchaus grausam die Vorstellung, diese rote Platte wäre waagerecht einsortiert gewesen.
Platz 29: My Soul (2008)
[Anmerkung: Thematische Überschneidung hiermit]
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The sound you make is muzak to my ears
You must have learned something in all those years
[Lennon, How Do You Sleep?, 1971]
The only thing you done was yesterday / And since you've gone you're just another day, das ist ja oft so, wenn Beziehungen auseinandergehen: Dann wird einem plötzlich klar, dass der andere schon immer scheiße und nichts, aber auch gar nichts Gutes an ihm war. In the "Imagine" film, [...] Lennon sings, "How do you sleep ya cunt?" [...] [Q], das wirkt von heute aus geradezu rührend, wo man längst sein Marketing auf thebeatles.com gebündelt hat und nur noch Nettes übereinander sagt.
Auf lange Sicht ist es dem Mythos ohnehin förderlicher, wenn auf die große Liebesaffäre ein ebensogroßer Knall folgt. Was wäre das langweilig gewesen, hätten die sich einvernehmlich getrennt und zum Wohle der Kinder die besten Freunde bleiben wollen! Mit großem Respekt füreinander müssen wir leider feststellen, dass unsere Ehe - mein Arsch. Wir haben ein Recht darauf, dass die Eltern sich richtig fetzen, wenn sie schon auseinandergehen! Wie sollen wir begreifen, was passiert ist, wenn sie sich in großer Zuneigung verbunden bleiben - ja, dann hätten sie auch zusammenbleiben können statt uns aus dem Paradies zu jagen! Und alle paar Jahre eine Reunion beim Wohltätigkeitsball, wo es dann anerkennend heißt, die kriegen das ja gut hin, und psst, jetzt gehen sie zusammen auf die Bühne, fast wie früher!
Nein, man schreit sich gefälligst an, redet schlecht übereinander, zieht gemeinsame Freunde auf die eigene Seite, um es dem anderen aber mal so richtig zu zeigen (The song features a slide guitar part played by George Harrison. [...] Ringo Starr visited the studio during the recording of the song and was reportedly upset, saying: "That's enough, John." [Q]), und irgendwann, auch wenn man es sich absolut nicht vorstellen kann, dreht sich die Welt weiter mit immer noch Schwerkraft, immer noch Gezeiten.
Aber da kommt der wieder mit so einem belanglosen Alltagsliedchen, dô! Während andere (Imagine no possessions! Imagine there's no countries!) gerade um den Weltfrieden ringen!
At the office where the papers grow she takes a break,
Drinks another coffee
And she finds it hard to stay awake
Kleinbürgerliche Scheiße, Gefühlskitsch statt Weltrevolution, das war schon immer so, und überhaupt konnte der eigentlich noch nie was außer hübsch aussehen und Yesterday schmachten. Hätte ich dich bloß nie kennengelernt! Du Fotze!
Platz 30: Another Day (1971)
You must have learned something in all those years
[Lennon, How Do You Sleep?, 1971]
The only thing you done was yesterday / And since you've gone you're just another day, das ist ja oft so, wenn Beziehungen auseinandergehen: Dann wird einem plötzlich klar, dass der andere schon immer scheiße und nichts, aber auch gar nichts Gutes an ihm war. In the "Imagine" film, [...] Lennon sings, "How do you sleep ya cunt?" [...] [Q], das wirkt von heute aus geradezu rührend, wo man längst sein Marketing auf thebeatles.com gebündelt hat und nur noch Nettes übereinander sagt.
Auf lange Sicht ist es dem Mythos ohnehin förderlicher, wenn auf die große Liebesaffäre ein ebensogroßer Knall folgt. Was wäre das langweilig gewesen, hätten die sich einvernehmlich getrennt und zum Wohle der Kinder die besten Freunde bleiben wollen! Mit großem Respekt füreinander müssen wir leider feststellen, dass unsere Ehe - mein Arsch. Wir haben ein Recht darauf, dass die Eltern sich richtig fetzen, wenn sie schon auseinandergehen! Wie sollen wir begreifen, was passiert ist, wenn sie sich in großer Zuneigung verbunden bleiben - ja, dann hätten sie auch zusammenbleiben können statt uns aus dem Paradies zu jagen! Und alle paar Jahre eine Reunion beim Wohltätigkeitsball, wo es dann anerkennend heißt, die kriegen das ja gut hin, und psst, jetzt gehen sie zusammen auf die Bühne, fast wie früher!
Nein, man schreit sich gefälligst an, redet schlecht übereinander, zieht gemeinsame Freunde auf die eigene Seite, um es dem anderen aber mal so richtig zu zeigen (The song features a slide guitar part played by George Harrison. [...] Ringo Starr visited the studio during the recording of the song and was reportedly upset, saying: "That's enough, John." [Q]), und irgendwann, auch wenn man es sich absolut nicht vorstellen kann, dreht sich die Welt weiter mit immer noch Schwerkraft, immer noch Gezeiten.
Aber da kommt der wieder mit so einem belanglosen Alltagsliedchen, dô! Während andere (Imagine no possessions! Imagine there's no countries!) gerade um den Weltfrieden ringen!
At the office where the papers grow she takes a break,
Drinks another coffee
And she finds it hard to stay awake
Kleinbürgerliche Scheiße, Gefühlskitsch statt Weltrevolution, das war schon immer so, und überhaupt konnte der eigentlich noch nie was außer hübsch aussehen und Yesterday schmachten. Hätte ich dich bloß nie kennengelernt! Du Fotze!
Platz 30: Another Day (1971)
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Aufregende Zeiten damals vor 25 Jahren, man konnte ja gerade noch mal alles im Fernsehen sehen, und immer wieder stand Karl Moik da und sagte, hätten Sie das für möglich gehalten vor ein paar Monaten, meine Damen und Herren, das hätten wir doch alle miteinander nicht geglaubt.
Mir ging es auch so, in meinem persönlichen Musikantenstadl, da stand ich auch immer wieder und sagte, hättest du das für möglich gehalten vor ein paar Monaten, das hättest du doch niemals geglaubt.
Oktober 1989, ich hatte nur Tage vorher überhaupt davon erfahren und erwartete nicht viel. Mittags vor der Alsterdorfer Sporthalle war noch kaum etwas los, und ich musste trotzdem stundenlang warten, bis der entnervte Schwarzhändler das Ticket für 80 Mark herausrückte.
Ein paar Stunden später hatte sich die Welt verändert, und die westlichen Geheimdienste hatten es nicht kommen sehen, hätten Sie das für möglich gehalten, meine Damen und Herren, das hätten wir doch alle miteinander nicht geglaubt. Ich übernachtete auf dem Gelände der Prager Botschaft, oder war's auf der umgeklappten Rückbank im Corolla, frierend und hungrig, denn zurückfahren konnte ich nicht, wo es doch am nächsten Tag noch ein Konzert geben sollte. Steifbeinig lief ich auf den Schwarzhändler zu, der schon die Augen verdrehte.
Würde man, so behaupten die Forscher, nur das kleinste Bisschen an den Paramtern unserer Welt herumschrauben (eine andere Umlaufgeschwindigkeit, weniger Wasser, kein Mond), hätte nie Leben auf der Erde entstehen können: Es ist fast, als hätte das Universum gewollt, dass es uns gibt! (Sie wissen schon, was ich meine: Ich hatte frisch den Führerschein, es war nicht zu weit weg - und der Schwarzhändler ist der Mond.)
Öffentliches Pathos dieser Art ist ja immer etwas peinlich, außerdem habe ich das alles schon x-mal erzählt. Ich muss es trotzdem noch einmal tun, denn bei diesem Lied bekomme ich nicht auseinander, welchen Anteil die musikalische Qualität hat und welchen die Nachwirkungen der friedlichen Revolution. Das Konzert begann, jemand gab mir LSD, Außerirdische hackten meine Synapsen, und nach meiner Kenntnis trat das sofort, unverzüglich.
Platz 31: Figure Of Eight (1989)
[Anmerkung: Thematische Überschneidung hiermit]
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Im Alugeländer an der Außentreppe ist seitlich ein kleines Bohrloch, und wenn ich zum Rauchen vor die Tür gegangen bin, habe ich die ausgedrückte Kippe oft hineingesteckt. Der hohle Handlauf hat einen ordentlichen Querschnitt und führt von da aus ein paar Meter abwärts, so dass man es innen leise hinabrutschen hörte. Oft musste ich mir mit leisem Schauder den Moment vorstellen, wenn ich das unverwüstliche Geländer eines Tages demontiere, denn es ist rostfrei und praktisch, aber überhaupt nicht schön: Die Endkappe abnehmen, den Handlauf umstülpen und mit fasziniertem Grauen eine Mülltonnenladung gelber Stummel herausklopfen.
Muss ich dran denken, weil das mit dem Rauchen jetzt schon eine Weile her ist. An Spätsommertagen zum Kaffee würde es gut passen, und wenn man abends mal irgendwo landet, wo es Bier und Musik gibt, kommt von ferne leises Verlangen: Wie gut, dass dieses Schwitzen da ist, der latente Kopfschmerz, das subliminale Kratzen im Hals, da lächelt man und sagt, nee, raucht ihr mann!, ihr habts gut!, genießt es!, ich komm schon klar.

Befindlichkeiten - Shmindlichkeiten. Es gibt ein Lied, das mich zu Tode deprimiert, das hat die Coverband zum Bier gespielt: Man will heile durch den Alltag kommen, das gelingt mal besser und mal schlechter, und seit mehreren Jahren haut mir dieses Lied dazwischen. Ich wusste nie, wer mich da so quält, habe nun die Suchmaschine befragt und gelernt, es ist dieser harmlose Song, der mir jede Lebensenergie raubt. Da rühren schon die ersten Gitarrentöne an den falschen Rezeptoren, die absteigenden Melodielinien zerren mit aller Kraft, die freudlose Stimme kickt einem in die Kniekehle: Das könnte man noch irgendwie wegstecken, folgte nicht der schreckliche, hohle, zwiestimmig gesungene Refrain. Schweißtreibende, frühkindliche Alpträume, das ganze Klanggebilde eine Zwinge, die sich enger und enger um das verzweifelnde Herz schraubt - innerlich gebrochen krieche ich an solchen Tagen direkt in den Keller.
Apropos Herz, früher habe ich noch diese "Bücher" gelesen, jetzt habe ich ein Smartfon und spiele Hearts. Es ist ein Kartenspiel, das schon bei Windows eingebaut ist. Jahrelang sah ich im Nachbargebäude eine Angestellte tagein, tagaus in ihrem Büro spielen und dachte: Sicherlich besser, als seinem Chef den Bürolocher in den Schlund zu rammen, aber warum nicht Solitaire oder Minesweeper?

Neugierig probierte ich es eines Tages doch aus: Ein stichbasiertes Spiel zu viert, bei dem man vor jeder Runde ein paar Karten mit dem Nachbarn tauscht, dabei schlechte loswerden möchte und seinerseits spekulieren muss, welche man wohl zugeschoben bekommt.
Das war vor ein paar Jahren, ich spielte gegen die vom Computer simulierten Gegner und durchschaute deren Spielweise irgendwann genug, um die meisten Spiele zu gewinnen. Also ließ ich es wieder bleiben.
Bis ich herausfand, dass man mit dem Telefon gegen echte Menschen spielen kann. Seither ist mein Leben ein anderes. Eingereiht in die Armee hohlwangiger Zombies wische ich auf dem Ding herum, muss "erst noch schnell" ein Spiel zu Ende bringen, steige im Ranking langsam auf und schnell wieder ab, warte ungeduldig auf langsame Mitspieler, beteilige mich am fröhlichen Spielgeplauder, werde alt, verschroben, nehme zu.

Trotzdem hat mich diese Statistik erschreckt - und irgendwie an das Zigarettengeländer erinnert: Ich habe zehntausend mal Karten bekommen, angesehen, weitergegeben und die Runde gespielt? Rechne das mal um in Blumenpflücken, Bergsteigen, lieb zur Gattin sein: Da geschieht es dir glatt recht, dass du rotäugig auf dem Bett liegst mit deinen schwitzigen Fingern, im Hals ein Kratzen und im Ohr den schrecklichen Song, where you gonna go, where you gonna sleep tonight?
Muss ich dran denken, weil das mit dem Rauchen jetzt schon eine Weile her ist. An Spätsommertagen zum Kaffee würde es gut passen, und wenn man abends mal irgendwo landet, wo es Bier und Musik gibt, kommt von ferne leises Verlangen: Wie gut, dass dieses Schwitzen da ist, der latente Kopfschmerz, das subliminale Kratzen im Hals, da lächelt man und sagt, nee, raucht ihr mann!, ihr habts gut!, genießt es!, ich komm schon klar.

Befindlichkeiten - Shmindlichkeiten. Es gibt ein Lied, das mich zu Tode deprimiert, das hat die Coverband zum Bier gespielt: Man will heile durch den Alltag kommen, das gelingt mal besser und mal schlechter, und seit mehreren Jahren haut mir dieses Lied dazwischen. Ich wusste nie, wer mich da so quält, habe nun die Suchmaschine befragt und gelernt, es ist dieser harmlose Song, der mir jede Lebensenergie raubt. Da rühren schon die ersten Gitarrentöne an den falschen Rezeptoren, die absteigenden Melodielinien zerren mit aller Kraft, die freudlose Stimme kickt einem in die Kniekehle: Das könnte man noch irgendwie wegstecken, folgte nicht der schreckliche, hohle, zwiestimmig gesungene Refrain. Schweißtreibende, frühkindliche Alpträume, das ganze Klanggebilde eine Zwinge, die sich enger und enger um das verzweifelnde Herz schraubt - innerlich gebrochen krieche ich an solchen Tagen direkt in den Keller.
Apropos Herz, früher habe ich noch diese "Bücher" gelesen, jetzt habe ich ein Smartfon und spiele Hearts. Es ist ein Kartenspiel, das schon bei Windows eingebaut ist. Jahrelang sah ich im Nachbargebäude eine Angestellte tagein, tagaus in ihrem Büro spielen und dachte: Sicherlich besser, als seinem Chef den Bürolocher in den Schlund zu rammen, aber warum nicht Solitaire oder Minesweeper?

Neugierig probierte ich es eines Tages doch aus: Ein stichbasiertes Spiel zu viert, bei dem man vor jeder Runde ein paar Karten mit dem Nachbarn tauscht, dabei schlechte loswerden möchte und seinerseits spekulieren muss, welche man wohl zugeschoben bekommt.
Das war vor ein paar Jahren, ich spielte gegen die vom Computer simulierten Gegner und durchschaute deren Spielweise irgendwann genug, um die meisten Spiele zu gewinnen. Also ließ ich es wieder bleiben.
Bis ich herausfand, dass man mit dem Telefon gegen echte Menschen spielen kann. Seither ist mein Leben ein anderes. Eingereiht in die Armee hohlwangiger Zombies wische ich auf dem Ding herum, muss "erst noch schnell" ein Spiel zu Ende bringen, steige im Ranking langsam auf und schnell wieder ab, warte ungeduldig auf langsame Mitspieler, beteilige mich am fröhlichen Spielgeplauder, werde alt, verschroben, nehme zu.

Trotzdem hat mich diese Statistik erschreckt - und irgendwie an das Zigarettengeländer erinnert: Ich habe zehntausend mal Karten bekommen, angesehen, weitergegeben und die Runde gespielt? Rechne das mal um in Blumenpflücken, Bergsteigen, lieb zur Gattin sein: Da geschieht es dir glatt recht, dass du rotäugig auf dem Bett liegst mit deinen schwitzigen Fingern, im Hals ein Kratzen und im Ohr den schrecklichen Song, where you gonna go, where you gonna sleep tonight?
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(Ikea, ca. 7.- EUR)
Das Jahr holpert vor sich hin, und kaum drehe ich mich um und schaue auf die Uhr, da is scho Herbst: Nicht mal mehr zum Sonntagsblogger reicht es! Trotzdem von einem Ausflug an den liebsten Ort geträumt: Klappt nicht mehr, und mit etwas Pech wird aus dem schlappen Sonntagsgefühl die erste fette Erkältung.
Nur dass Sie bescheid wissen, man wirft mir nämlich immer vor, an meiner Stimmung zu merken, dass ich krank würde: Ich sei dann überempfindlich und würde "immer gleich rummeckern". Haha! Die Wahrheit ist, ausgerechnet wenn ich krank werde, fangen die an, mich den ganzen Tag zu nerven: Die Ketchupflasche muss natürlich in den Kühlschrank gelegt werden, damit sie besser ausläuft. Oder dieser komplett unintelligent hingestellte Blumentopf am Fuße der Außentreppe: Zum fünften Mal trete ich mit meinen Gartencrocs auf den Unterteller, so dass ein kalter Schmutzwasserschwall meinen Socken (und immer den rechten!) durchnässt. Wenn ich dann freundlich auf die Problematik hinweise ("Schmeiß ich weg, das Scheißding"), werden die noch süffisant: "Schieb doch ein Stück zur Seite" - die reine Provokation.
Ist ja nicht so, dass man nicht engelsgeduldig mit durch die Stadt "gebummelt" wäre, in diese furchtbaren Läden voller Sachen, Ramsch und Zeug, und sich wohlmeinend ein Teil Nippes ("Oh Gott!") nach dem anderen ("Bloß nicht!") hätte zeigen lassen. Und als ich vorhin mein Frühstück ans Bett bekommen habe, bin ich noch auf die zudringlichsten Fragen ("Denkst du, du schaffst einen kleinen Spaziergang?") sensibel eingegangen ("Also ich mache heute garantiert nichts").
Draußen viel zu hell, überall Geräusche, und nicht einer von fünf Kaffees hat geschmeckt - das kann einen doch krank machen, oder nicht?
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