Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Sonntag, 29. Dezember 2013
Inbetweener
nnier | 29. Dezember 2013 | Topic Ja nee
Ich habe noch Großeltern und könnte selber Opa sein: Wie soll ich da ein Verhältnis zu bedruckten T-Shirts finden?

Es rührt mich, wenn ein Teenager Lieder von der neuen CD summt, ständig und tagelang. Kommen wir nach Hause, sagt der andere, gerade-auch-noch-Teenager: Ich habe die rauf- und runtergehört! Ich dränge das denen nicht auf, ich bimse das denen nicht rein, aber es verbindet, so wie ein paar andere Sachen: Können wir mal wieder Seewolf gucken. Und Kimba.

Beim Raclette sehen die Pfännchen aus wie Smartphones. Drunterschieben die Scheißdinger, rein in den Toaster, rein in den Mixer, knirschen sollen sie in der Saftpresse, splittern im Schraubstock: Eine Pest. Ich will doch nur kurz. Ich wollte nur mal. Ich gucke nur schnell. Du bist total extrem!

Ich bin total extrem. Ich will den Scheiß nicht am Tisch, ich will den Scheiß nicht beim Kartenspielen. Ich will mich mit jemandem unterhalten und nicht andere virtuell Anwesende mitdenken. Wer ins Handy gucken will, geht bitte in sein Zimmer. Wer ins Handy gucken will, braucht sich mit mir nicht zu verabreden. Wer nur mal kurz mit WhatsApp, der nicht mal kurz mit mir. Nur weil es technisch möglich ist, muss ich noch lange nicht mit Urlaubern skypen. Wenn ich im Urlaub bin, will ich weg sein. Wenn andere im Urlaub sind, sollen sie weg sein.

Ich muss mich inzwischen rechtfertigen: Das ist doch so prakisch. Das kann man ja nicht verbieten. So ist der Lauf der Dinge. Das machen doch alle: Werdet asozial und fresst Scheiße!

Es gibt übrigens Leute, die schwierig im Umgang sind, da braucht man sich nichts vormachen, da kann man sich Mühe geben, wie man will. Dann die Frage, ob man gute Freunde nach Jahrzehnten doch noch verliert: Es ändert sich gar nichts, und plötzlich ist es anders.

Musik, die Freude meines Lebens, und ich kann noch so zerknittert sein, kann hohlwangig die entzündeten Augen zukneifen, schwitzend erst noch Sachen gepackt und nur mit Aspirin losgekommen: Kommt nahe Großburgwedel das richtige Lied im Radio, dann drehe ich laut, dann gibt es Lenkradbongo, dann freue ich mich am mehrstimmigen Gesang und lasse mir die Synapsen massieren.

Man möchte so gerne erholt sein. Morgen Arbeit: Gut möglich, dass ich das vergesse.

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Sonntag, 22. Dezember 2013
Ich war dabei
nnier | 22. Dezember 2013 | Topic In echt
Sonntagfrüh um 8:15 sind bisher kaum Pakete geliefert worden, sage ich, und der DHL-Bote macht dieses grunzende Geräusch: Sonntags langweilen wir uns doch sonst. Da hatte ich den großen Karton schon entgegengenommen und den komischen Plastikstift in der Hand, mit dem ich beiläufig und wie selbstverständlich meine Unterschrift auf das elektronische Dingens kritzelte. "Bringen Sie's hinter sich", sagte ich noch zu dem Mann, der bereits wieder die Treppe herunterrannte. Das alles hat etwa 30 Sekunden gedauert.

"Guten Tag Frau X", schreibe ich derzeit wieder Mails, "bitte bestellen Sie das Buch Y mit der ISBN Z", dann bekomme ich als Antwort: "Lieber Herr nnier, das machen wir gerne -- ab morgen ist es im Haus. Momentan kommt sehr viel Ware. Sollten Sie es einrichten können, wäre es gut, wenn sie nicht vor 10 Uhr kämen. Vermutlich ist es zwischen 14 und 16 Uhr am ruhigsten, wenn das bei Ihnen passt", und dann ist es fast wie früher. Bequemer wäre es natürlich, ich ließe es mir direkt ins Haus schicken.

Tja, sagen dann manche, das ist eben wie damals bei der Industrialisierung, da sind ja auch Berufe obsolet geworden, und wer das nicht kapiert, wird von der Geschichte weggefegt. Zum Glück bin ich Internetvordenker!

"Die Leute wollen Online", sagen die schrecklichen Samwers, und ich fürchte, sie haben recht. Ich bin lange nicht mehr einfach so in den Buchladen gegangen und habe gestöbert oder mich beraten lassen. Ich wusste immer schon, welches Buch ich wollte, und da der Preis sich nichts nimmt, habe ich versucht, den lokalen Händler zu unterstützen. Was aber wäre gewesen, wenn der Onliner auch noch die besseren Preise geboten hätte?

Dieses Jahr erlebe ich als Umbruch. Lange waren es vor allem standardisierte Artikel wie Bücher und CDs, doch wenn ich in mein E-Mail-Postfach schaue, sehe ich aus den letzten Monaten auch Kaufbestätigungen für Leuchtmittel, einen Außenspiegel Beifahrerseite, einen Raclettegrill, Brettspiele, Gewürzmühlen und allerlei mehr. Vor allem aber erstmalig nennenswert: Klamotten, und in dem Zusammenhang fällt mir schon auf, dass ich der Innenstadt und dem stationären Handel in diesem Winter noch fast kein Geld ins Haus gebracht habe.

Es hat sicherlich damit zu tun, dass ich weitgehend geschafft habe, was ich mir all die anderen Jahre doch nur vorgenommen hatte: Kein Weihnachtsstress, keine Verlegenheitsgeschenke. Diesmal also keine 24 kleinen Dingse für den selbstgebastelten Adventskalender, sondern einen gekauften (online bestellten). Diesmal also kein Last-Minute-Trip für die Flasche Doppelherz im Präsentkorb, sondern was Kreatives (online Entworfenes).

Aus herzlicher Abneigung dulde ich kein Zalando im Haus, und doch ist längst Realität, was man vor kurzem noch für absurd gehalten hätte: Schuhe nach Hause zu bestellen. Oder Küchen.

Wie die Dinge hergestellt werden, sehen wir schon lange nicht mehr. Jetzt verschwindet auch der Handel aus unserem Blickfeld: Irgendjemand packt irgendwo etwas ein. Dann ist es plötzlich da. Die Entfremdungsspirale dreht sich munter weiter.

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Freitag, 20. Dezember 2013
Ich mach mal die Kanzlerin klar
nnier | 20. Dezember 2013 | Topic Ja nee


Mussa ssreib Artik, mussa ssreib ssnell. Als Gesundheitsministerium stünde ich übrigens jederzeit zur Verfügung.

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Montag, 16. Dezember 2013
Kinderstunde
nnier | 16. Dezember 2013 | Topic In echt
Als Kind habe ich mal in eine Weihnachtskugel gebissen. Meine Eltern waren die Treppe schon weiter hochgegangen, ich aber war vor dem großen, dunklen Baum stehengeblieben und konnte mich nicht beherrschen: Die sahen so verlockend aus, dunkelrot und matt.

Da unten im Erdgeschoss wohnten die Vermieter. Sie hatten zwei Söhne, einen in meinem Alter, einen etwas älteren. Manchmal spielten wir zusammen im Hof. Einmal war ich zum Mittagessen dort. Man saß in einem großen Speisezimmer. Die Gabeln waren ungewohnt schmal, die Zinken geradezu furchterregend lang. Sie führten die Gabeln umgekehrt zum Mund, das wirkte auf mich fremd und vornehm. Zu Hause wurde ich später gefragt, warum ich so komisch äße.

Im Kellergeschoss lebte der Hausmeister mit Frau und zwei Kindern. Sie kamen aus Jugoslawien, die Kinder waren nett und ein wenig älter als wir und spielten nur ganz selten mit. An das gebrochene Deutsch der Eltern erinnere ich mich, wie die Kinder sprachen, weiß ich nicht mehr. Aber Jahre später, als ich längst nicht mehr dort wohnte, kam ich auf dem Weg von der Grundschule nach Hause an einem Gymnasium vorbei. Dort sah ich den großen Jungen noch mal: "Herr Schneider, haben Sie die Geschichtsklausur schon korrigiert?"

Es gab im Garten eine sogenannte Köhlerhütte, um die herum wir mit unseren Fahrrädern immer schneller im Kreis fuhren. Kommt zur Kinderstunde!, hatten wir auf einem Werbezettel im Hausflur gelesen und traten in die Pedale: "Kommt zur Kinderstunde! Kommt zur Kinderstunde!", riefen wir immer lauter und rasten noch schneller im Kreis, "Kommt zur Kinderstunde!", legten wir uns in die Kurve, "Kommt zur Scheißerstunde!", rief ich noch und schrammte mit dem Pedal über den Boden, dann musste ich heulen und nach oben rennen.

Da oben wohnten wir in einer Wohnung mit langem Flur, nebenan eine Familie mit fast gleichaltrigen Kindern. Obwohl Berufe, Autos und politische Einstellungen sich deutlich unterschieden, lebten wir Kinder viele Jahre fröhlich nebeneinander und stritten höchstens mal über CDU und SPD. Mit großer Selbstverständlichkeit aßen wir mal hier, mal da zu Mittag, übernachteten beieinander und mussten nicht mal gegenseitig klingeln: Statt dessen fuhren wir mit den Fingernägeln über die in den Wohnungstüren eingelassenen Scheiben. Bei uns war das Glas streng senkrecht gerippt, das ergab ein scharfes, hohes Schrappen wie bei manchem Metallreißverschluss. Nebenan war es ein unregelmäßiges Linsensuppenrelief, da rubbelte man einen tiefen Blubberton.

Einmal stand ich auf der Fensterbank, das Fenster offen, schmiss ich irgendwelche Dinge in den Hof, die mir die anderen Kinder aus dem Zimmer anreichten. Einmal wusste ich nicht mehr, wie man bremst und fuhr mit dem Fahrrad quer über die große Straße. Ich verstand gar nicht, warum der Busfahrer ausstieg und wissen wollte, wo ich wohne.

Es ging noch weiter nach oben, da wohnte eine Frau mit einem behinderten erwachsenen Sohn, vor dem ich unbestimmte Angst hatte. Es gab dazu sicher keinen Grund; aber beim Martinsingen klingelten wir da nicht.

Oben wohnte auch eine weißhaarige Frau, die uns Kinder gerne zu sich einlud. Wir bekamen dann Tee und Plätzchen und hörten Peter und der Wolf von Schallplatte. Einmal spielten wir im Garten Fangen und sie kam dazu. Sie lief hinter meiner Schwester her, die unter einer Turn- oder Kletterstange hindurchrannte. Plötzlich lag die alte Dame auf dem Boden, begann mit hoher Stimme zu wimmern, hielt sich die Stirn und rief: "Holt mal ein Messer! Holt mal schnell ein Messer!"

Ich wagte nicht zu widersprechen, malte mir aber die schrecklichsten Dinge aus und rannte die endlose Treppe hoch. Zur Kühlung wollte sie das, drückte die kalte Klinge auf ihre Stirn und es war ja auch nur so ein stumpfes Buttermesser.

Die verlockende Kugel krachte und splitterte, und im Krankenhaus sagten sie mir, dass ich Glück gehabt hätte, sie müssten mir keinen Schlauch in den Hals schieben, aber ich sollte viel Sauerkraut essen die nächsten Tage.

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Samstag, 14. Dezember 2013
Joke
nnier | 14. Dezember 2013 | Topic Ja nee
Kommt n Mann von der Arbeit, ist er müde, legt er sich hin. Steht er auf, isst er was, geht er ins Bett.

Nimmt er sich frei. Räumt er auf. Kocht er was. Legt er sich hin. Spielt er Hearts. Geht er ins Bett.

Wacht er auf, liest er was, spielt er Hearts, will er schlafen, kriegt er Hunger, hat er Durst. Liest er Mails, spielt er Hearts, trinkt er was.

Geht er runter, isst er was, legt er sich wieder hin, trinkt er was. Spielt er Hearts, liest er was.

Kocht er sich n Tee. Liest er Zeitung. Nimmt er Aspirin. Schläft er. Steht er auf, legt er sich aufs Sofa. Liest er was.

Geht er am Spiegel vorbei. Sieht er plötzlich alt aus.

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