Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Donnerstag, 4. Februar 2010
Wild (trois fromages hauts à l'étranger)
nnier | 04. Februar 2010 | Topic In echt
"Die Bullen!", schrie er, "los! Abhauen!", schnappte sich sein Fahrrad und verschwand in der Dunkelheit. Die grellen Scheinwerfer des Konvois hielten auf mich zu, und ich stand wie gelähmt einfach da.

*

Einige Wochen zuvor waren wir aufgebrochen, jung, unerfahren, minderjährig, um zu zweit eine Fahrradtour entlang der französischen Atlantikküste zu unternehmen. Die erste Etappe hatte irgendwo am Strand geendet, wo man mit anderen deutschen Jugendlichen den Abend verbracht und sich später irgendwie zum Schlafen zusammengerollt hatte. Zwar war in der Nähe deutliches Gejammer zu hören ("Meine Mutter hat mir gar keinen Schlafsack eingepackt! Die hat mir meine Federdecke eingepackt! Die ist so gemein!"), doch man lieh sich gegenseitig Zeltplanen und Isomatten, und trotz des Nieselregens schlief man irgendwann ein - um im Morgengrauen durch den Ruf: "Die Bullen!" geweckt zu werden. Zwei Polizisten waren mit ihrem Auto herangefahren, hatten ihre Waffen präsentiert und riefen fröhlich: "Aufstehn! Aufstehn! Vite, vite! Ah, ah , ah!!", wedelten mit ihrem Tränengas und fragten grinsend: "Vous voulez un peu?". Dann sammelten sie alle Ausweise ein und setzten sich gemütlich ins Auto, während wir stundenlang im Regen standen. Das ging doch schon mal gut los.

*

Die Wege durch die Pinienwälder, schmale Betonpisten, von der Wehrmacht gezogen, früher brausten die Motorräder hier entlang. Die Betonbunker, schräg im Atlantiksand steckend.

*

"Wild campen", immer wieder, "los, komm", und ich ließ mich ein. Regelmäßig gab es Ärger. Einmal hatten wir, ohne es zu merken, das Zelt auf einer öffentlichen Grünfläche aufgebaut, die weit weniger abgelegen war, als es im Dunkeln den Anschein hatte. Mit bösen Worten wurden wir morgens vertrieben. Ein anderes Mal hatten wir uns nachts auf einen Campingplatz geschlichen. Früh morgens weckte mich der Reisegefährte: "Los, lass uns abhauen", wir schoben leise die Räder weg, stiegen auf, traten in die Pedale. Nach einer halben Stunde fuhr ein Auto an mir vorbei. Jemand hatte die Scheibe heruntergekurbelt und schrie mich minutenlang, auf der Gegenfahrbahn neben mir herfahrend, in unverständlichen Worten böse an. "Mir reicht's langsam", meinte ich, Kollege aber lachte nur.

*

Überhaupt entfremdeten wir uns bei dieser Tour, und die Margarine schmolz und floss über die Klamotten in den Satteltaschen, der eine lacht, der andere kotzt, aber noch waren wir aufeinander angewiesen.

*

Langer Weg durch dunklen Tann, viel länger als geplant, die Piste unvollständig, Sand in der Fahrradkette, tiefe Nacht. "Lass uns wild campen! Hier irgendwo!", doch gerade lichtete sich der Wald und die Betonpiste mündete in eine breitere Straße. Ich fror und sprach: "Warte kurz", öffnete meine Satteltaschen, suchte ein margarinedurchtränktes Sweatshirt und ebensolche Jeans heraus, der Rest der Wäsche fiel auf die Straße, ich bückte mich und suchte das Zeug zusammen. Irgendwoher kam Licht, Motoren brummten. "Die Bullen!", schrie er, "los! Abhauen!", schnappte sich sein Fahrrad und verschwand in der Dunkelheit. Die grellen Scheinwerfer des Konvois hielten auf mich zu, und ich stand wie gelähmt einfach da. "Erwischt", dachte ich, "selber schuld. Nun holen sie dich."

*

Gegen das Scheinwerferlicht, gegen das pulsierende Blaulicht sah seine Silhouette äußerst beeindruckend aus. Schwerer Ledermantel. Stahlhelm. Er trat direkt auf mich zu. "Woher kommen Sie?" - "Aus, äh, Deutschland." - "Woher kommen Sie genau?"
Ich nannte meine Heimatstadt. Er schien sie nicht zu kennen. Mein Französisch hatte ich verlernt und brachte kein anständiges Wort heraus. Wer waren diese Männer?

*

"Woher kommen Sie? Heute!", ich hatte doch gewusst, dass das mit dem ewigen Wildcampen eine blöde Idee gewesen war, ich hatte es die ganze Zeit gewusst, und nun schlug das Schicksal erbarmungslos zu. Ich deutete auf den dunklen Wald: "Daher." - "Haben Sie etwas gesehen da im Wald?" - "N-nein!", ich hatte mich längst aufgegeben. "Haben Sie Feuer gesehen da drin? Nein?", er ging zum Fahrzeug zurück, kletterte ins Führerhaus und der Konvoi machte kehrt. Ich stand noch eine Weile da, hörte das leiserwerdende Brummen der Motoren, dann das Tickern eines sich nähernden, geschobenen Fahrrads und schließlich die Worte: "Los, lass uns hier irgendwo campen."

Link zu diesem Beitrag (6 Kommentare)  | Kommentieren [?]   





Mittwoch, 3. Februar 2010
Wer bringt mir die Liebe bei?
nnier | 03. Februar 2010 | Topic Gelesn
Schülerin, 18, vollbusig, sucht den Mann, der sie in die Geheimnisse der Liebeskunst einführt.
Ich habe damit nichts zu tun. Ich habe höchstens mal. Aber ich würde nie.



Andererseits gab es da nun mal diesen Abend, an dem ich mit einigen Mitschülerinnen in trauter Runde trefflich scherzte - das Vorrecht der Jugend, denn was ahnt man schon von dem, was später alles auf einen zukommt.



Wir scherzten über Chiffre-Anzeigen. Was wussten wir schon davon, was später alles auf einen zukommt.



"Ha ha ha, seht einmal: 'Topf, m, 45, nicht unansehnlich, sucht Deckel bis 42', wäre das nichts für dich? Ha ha ha!", man schlug sich auf die Schenkel, man fabulierte, man fantasierte. Eine, das erfuhr ich später, beließ es nicht dabei.



"Hast du schon die neuen Kontaktanzeigen im Dummen Werbeblatt gelesen? Nein? Hi hi. Lies dir die zu Hause mal durch. Und dann sagst du mir, welche meine ist. Hi hi."



Von all den Töpfen und Deckeln, Kind-kein-Hindernissen, jungen Unternehmern, junggebliebenen Alten und bildhübschen Arzthelferinnen, die nach einer großen Enttäuschung jetzt den Mann fürs Leben suchten, hob sich "Wer bringt mir die Liebe bei?" doch hinreichend ab. Und natürlich fragte ich in den Wochen darauf gelegentlich nach der Resonanz.



Sie war vor ihrer eigenen Courage erschrocken. Sie traute sich nicht, zur Geschäftsstelle des Dummen Werbeblatts zu gehen und dort ihre Chiffrenummer zu nennen. Und obwohl ich sie darauf hinwies, dass womöglich so mancher Einsender inzwischen liebeskrank und mit gebrochenem Herzen herumlaufe, ließ sie sich nicht dazu bewegen, die Ernte einzufahren, nachdem sie so mutig die Saat ausgebracht hatte.



Monate vergingen, und alles, was man in dieser Zeit in der kleinen Stadt hörte, waren eilige Schritte allüberall, gefolgt von hektischem Klappern am Briefkasten, enttäuschtem Aufstöhnen und schweren, langsamen Schritten. Daran musste ich jüngst wieder denken, denn ich las eine Seite im Zeit Magazin, die ich sonst stets achtlos überblättere.



Natürlich war mir auch früher nicht entgangen, dass hier in aufwendig gestalteten Anzeigen Elite Partner jene, die sich dafür halten, zu vermitteln trachtet: Gutsituierte, wohlgebildete Menschen, international erfahren, sicher auf diplomatischem Parkett, finanziell ungebunden, mit Doktor- und Professoren- und Adelstiteln suchen ebensolche und formulieren etwa so, wie sie es von ihren Stellenausschreibungen her ohnehin gewohnt sind.



Darüber hinaus gibt es allerdings auch einige kleine Fließtextanzeigen, so wie man sie aus dem Dummen Werbeblatt kennt. Das war mir neu. Und auch wenn die Menschen und ihre Sehnsüchte verschieden sind - als Anhänger des Pluralismus nehme ich dies immer wieder erfreut zur Kenntnis - scheint sich dort doch vornehmlich ein ganz bestimmter Typus zu tummeln.



Eine kurze Gegenprobe im Feld bestätigt den Eindruck. Die hier eingestreuten Beispiele stammen aus der Kontaktbörse des lokalen Internetportals, sind wenig kryptisch, kommen sozusagen direkt auf den Punkt, egal, ob ein "Weiser Mann", eine "Griechische" oder auch nur "unsterbliche" Frau gesucht wird, ob man "einfach nur wieder Glücklich seien" will oder "Jungs um die 50 zur Verkürzung des Winters" sucht - man trägt sein Anliegen insgesamt doch sehr direkt vor.



Im Zeit Magazin (unter der Überschrift "ER SUCHT IHN", ist aber auch schon egal) klingt es hingegen so:
Unikat mit 'er' sucht eines (<45Lj) mit 'ze' für genialen Schmusekurs statt Tor-Tour als Lebens Spur. Entschlossen zum Katzensprung?

Oder auch so:

Scharfsinnig sens. m-Wesen begehrt w-Freigeist (<45 Lj) zum interakt. Herumgeistern sowie interag. Unwesentreiben u.v.m.

Woran liegt das? Am übermäßigen Konsum von Um die Ecke gedacht? Oder wird so um die Liebe von Franz Schuh und Iris Radisch gebuhlt?

Ich jedenfalls fühle mich weder durch diese noch durch andere Annoncen angesprochen. Bis auf eine:

Zwischen 10 und 100: aufrichtiger Briefpartner gesucht. Bin 70, Witwe, gebildet, humorvoll, tolerant und vielseitig interessiert, bes. an Kulturgeschichte.
Man muss sich nur trauen, oder?

(Einmal traf ich sie noch. Was denn aus der Chiffre-Anzeige geworden sei, damals, fragte ich. "Ach, die!", sprach sie. Drei riesige Plastiktüten mit Briefen habe sie schließlich nach Hause geschleppt.)

Link zu diesem Beitrag (0 Kommentare)  | Kommentieren [?]   





Alles nur
nnier | 03. Februar 2010 | Topic Brainphuq
Galgenhumor, das.

Link zu diesem Beitrag (2 Kommentare)  | Kommentieren [?]   





Sonntag, 31. Januar 2010
Aus dem Gedächtnis zitiert (5)
nnier | 31. Januar 2010 | Topic Illiterarisches
- Gleich noch eins? Ich weiß ja nicht ...

- Was denn - die Dinger kommen sa-gen-haft gut an, das müssen wir abmelken, bald ist das Thema durch und dann will ich nie mehr arbeiten müssen.

- Es geht hier auch um so etwas wie Glaubwürdigkeit, und meine Leser sind mir nicht egal. Ich glaube nicht, dass es das ist, was sie von Mumien, Analphabeten, Diebe erwarten!

- Mann, doh! Er nu wieder! Pass auf, das Ding ist heute noch heiß, maximal diese Woche, dann kommen die Chinesen mit den billigen Imitaten. Ich sehe unseren Auftritt gruppiert um: "Volkstümlich", "Ursprünglich", "Wertig", dieser Vektor, Claim: Man kann was draus lernen, Spaß für die ganze Familie, also auch von der Konsumentenansprache her klar unterkomplex und die Website ohne Shiny Blinky, dafür gleich zu Beginn auch mit T-Shirts, Lätzchen, Grillschürzen, homey, down-to-earth. Als Testimonial jemand wie ... Elstner, Jan Hofer, die Ecke. Was überhaupt nicht dagegen spricht, das Ding auch als App zu bringen.

- Die Inhalte sind oberflächlich und Ich-fern, ich kann das nicht mit mir vereinbaren.

- Geh mal ganz Ich-nah deinen Kontoauszug holen, doh!

- Wenn du meinst. Aber es ist nicht ... richtig.

Heuer hat es noch gar kein festes Eis gefroren
Am Weiher steht das Büblein und spricht so leis zu sich
Wagen will ich es einmal
Tragen muss es doch, das Eis,
Wer weiß?

Mit seinem Stiefelein stampft und hacket das Büblein
Auf einmal knacket das Eis, und schon bricht's hinein, krach!
Als wie ein Krebs platscht und krabbelt
Und zappelt das Büblein
Mit Schrein.

"In lauter Eis und Schnee muss ich versinken, o helft!
Ich muss im tiefen, tiefen See ertrinken, o helft!"
Wär ein Mann nicht gekommen
Der ein Herz sich genommen
O weh!

Bei dem Schopfe packt der es und zieht es dann heraus
Wie eine Wassermaus vom Kopfe bis zum Fuße
Getropfet hat das Büblein
Geklopfet hat's der Vater
Zu Haus.

- Geht doch! Von wem isn das eigentlich?

Link zu diesem Beitrag (6 Kommentare)  | Kommentieren [?]   





Aus dem Gedächtnis zitiert (4)
nnier | 31. Januar 2010 | Topic Illiterarisches
Dies und das erzählte in der Schule der Lehrer
Die Füße sind zum Laufen, Die Nas ist zum Riechen
Das kleine Fritzchen sprach da: Das ist Mist, Herr Lehrer
Die Nase läuft bei meinem Vater und die Füß tun riechen.

Link zu diesem Beitrag (0 Kommentare)  | Kommentieren [?]   





Freitag, 29. Januar 2010
Aus dem Gedächtnis zitiert (3)
nnier | 29. Januar 2010 | Topic Illiterarisches
Geht ein Mann in Puff. Sieht er ein Deutschen ein Amerikaner und ein Franzosen oder Engländer. Steht der eine auf und sagt: Was seid ihr für Schweine, meine kann noch nicht mal kochen. Sagt die Lehrerin: Wenn es nicht so dunkel wäre, könntet ihr auch Mainz sehen. Antwortet der Ostfriese: Wieso Füllung - er war doch gar nicht leer! Fallen sie beide in Brunnen. Kommt von oben eine Stimme. Sagt die Nonne. Steht sie auf und es macht "plopp". Guckt der Arzt sie an und sagt. Antwortet Fritzchen. Fragt die Frau den Mann. Sagt der Verkäufer.

Link zu diesem Beitrag (21 Kommentare)  | Kommentieren [?]   





Donnerstag, 28. Januar 2010
Aber kaum brauchst du sie mal
nnier | 28. Januar 2010 | Topic Brainphuq
Wer hat nicht schon über sie gescherzt, wer hat noch nicht geschimpft über die Omabescheißer, die Gewinnspielfredis, die dubiosen Busreisenanbieter, für 19,99 in den Harz mit reichhaltigem Mittagessen, Ausflug, Unterhaltungsprogramm, Musik und Tanz (exklusiv: Der Original Okertaler Stimmungsmanfred), mit Fresspaket (1 kg Wurstwaren! 500 g Weizenbrot! 1 l Apfelsaft! 1 kg frisches Obst!) und sensationeller Zugabe (Spielesammlung mit 100 Spielmöglichkeiten und alternativ Digitalkamera und alternativ Hochwertige Porzellanpuppe und alternativ Universalfernbedienung und alternativ Ausgewählte Sommerweine und alternativ Originelle Vagina-Kuckucksuhr und alternativ Messerset und alternativ Damenrasierer und alternativ 100 Wäscheklammern), es weiß doch jeder, was "und alternativ" heißt, früher nannte man es "oder je nach Verfügbarkeit", die "Teilnahme an einer Werbeveranstaltung" ist ja "freiwillig", da läuft man eben fünf, sechs Stunden durch die Gegend, während im Landgasthof Zum Rübezahl die mitreisenden Rentner abgekocht werden, man wird sie psychologisch unter Druck setzen, man wird ihnen wunderbare Arzneimittel anpreisen und ihnen Fernsehsessel verkaufen, man wird betteln und schmeicheln und drohen ("Wir fahren hier nicht weg, bis noch zehn Leute gekauft haben!"), und ich würde das alles mitmachen, denn ich bin nun endlich bereit, eine Heizdecke zu kaufen.

Link zu diesem Beitrag (26 Kommentare)  | Kommentieren [?]   





... hier geht's zu den --> älteren Einträgen *
* Ausgereift und gut abgehangen, blättern Sie zurück!

Letzte Kommentare
Kalender
Juni 2025
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
 
 
 
 
 
 
 
 
Über
Who dis?
Erstgespräch