Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Mittwoch, 28. Oktober 2009
Meine Lieblingshits
nnier | 28. Oktober 2009 | Topic Fernseh
Es gab mal eine Zeit, in der ich die Namen der Tagesschausprecherinnen und - sprecher auswendig wusste. Werner Veigel, Wilhelm Wieben, Wilhelm Stöck, Dagmar Berghoff, Karl-Heinz Köpcke, Jo Brauner. Für die Schreibweisen kann ich hier übrigens keine Gewähr übernehmen und auch keine Bildchen oder Filmchen verlinken, da ich wieder einmal von der Welt abgeschnitten in eine Textdatei blogge, deren Inhalt ich bei nächster Einstöpselungsmöglichkeit mit der Tastenkombination "Strg + C" / "Strg + V" ins Eingabeformular des Blogs übertragen werde, und, nein, "Strg" heißt nicht etwa "String", wie viele Leute glauben, sondern ganz einfach "Steuerung". Aber es soll ja auch Leute geben, die eine Taste suchen, auf der "ANY" steht, nur weil auf dem Bildschirm "HIT ANY KEY TO CONTINUE" steht. Entschuldigung, das sind so blöde Computerwitze aus dem Büro, eigentlich stehe ich nicht auf sowas. Ein paar Jahre früher hingen bei solchen Leuten kopierte Bildchen über dem Schreibtisch, darauf stand z.B. "Ich bin auf der Arbeit, nicht auf der Flucht" oder "Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder dauern etwas länger."

Was ich dagegen wirklich mochte, waren die Werbekalender mit den Bilderwitzen. Es waren diese typischen Handwerkerwitzchen, z.B. sagt ein Bauarbeiter zum anderen: "Du hast wirklich zwei linke Hände", und, na ja, der Mann hat eben auch zwei anatomisch linke Hände. Man muss eine Hand übrigens erst mal zeichnen können, das ist eine schwierige Übung, auch wenn es sich nur um eine Comiczeichnung handelt, und der einzige Ausweg ist die sog. "Bananenbündelhand", mit der man allerdings den o.g. Handwerkerwitz nicht hätte umsetzen können.

Der andere Grund waren natürlich die leichtbekleideten und mit beeindruckenden sekundären Geschlechtsmerkmalen ausgestatteten Damen, die es in diesen Bilderwitzen zu sehen gab und unter denen dann Brüller standen wie z.B. "Fräulein Susi hat nun mal zwei schlagende Argumente vorgebracht, Kollege!"

Schwieriger wurde es dann schon mit der Generation Jan Hofer, Eva Herman, Susan Stahnke, Jens Riewa. Obwohl es damals noch bei jedem Neuzugang Zeitungsartikel gab, wollten sich diese Namen nicht so leicht einprägen. Beim Zivildienst sprach mich eine alte Dame übrigens voller Empörung auf das Schicksal der Dagmar Berghoff an. "Dass die keinen Mann findet!", rief sie aus, wedelte mir herausfordernd mit dem Goldenen Blatt vor der Nase herum und fragte: "Was ist denn verkehrt an der Frau? Das ist doch so eine tolle Frau! Sagen Sie doch mal selbst! Ist das nicht eine tolle Frau!", und ich wurde den Eindruck nicht los, dass ich hier persönlich für die Lebenssituation der Tagesschau-Chefsprecherin verantwortlich gemacht werden sollte. Dabei hätte Frau Berghoff, offen gestanden, tatsächlich keine Chancen bei mir gehabt. Es war Eva Herman, der ich verfallen w am liebsten beim Vorlesen zusah.

Dass Jens Riewa sich regelmäßig zum Deppen gemacht hat, weiß man ja, nicht nur seiner komischen Hemden wegen, und Susan Stahnke, ja, he, he, und, ähm, Eva Herman, nicht wahr, so dass man da schon von einer verlorenen Generation sprechen kann, lediglich Jan Hofer hat sich nicht so offensichtlich unseriös verhalten und kann auf Knopfdruck den amtlichen Tagesschau-Gesichtsausdruck aufsetzen. Allerdings ist auch das nur Tarnung.

Erstens war der mal vor zehn, zwölf Jahren in einer Sendung zu Gast, in der er eine blöde Schlager-CD der ganz schlechten Art präsentierte, so etwas wie "Jan Hofer: Meine Lieblingshits", ein Blödsinn, und nachdem er vorher ganz kumpelig von seinen Motorradtouren und irgendwelchen Currywurstgeschichten erzählt hatte, durfte er die CD in die Kamera halten, setzte unvermittelt sein Tagesschaugesicht auf und log sich wie auf Knopfdruck einen zurecht: "Lieder, die mir wirklich etwas bedeuten, rabla rabla", und als der Moderator fragte, ob das irgendein Wohltätigkeitskram sei, antwortete Jan Hofer mit Haifischgrinsen: "Nein", und dann kumpelten sie rum, "Die Kohle selber einstecken, harhar". Ich finde: Ein Tagesschausprecher macht so etwas nicht.

Zweitens sind mir seither diverse weitere Seichtschlagersammlungen begegnet, auf denen sein Name und Konterfei prangten. Ein Tagesschausprecher macht so etwas nicht.

Drittens habe ich kürzlich eine Schlagersendung mit Jan Hofer und einer gewissen Carmen Nebel im TV angesehen (fragen Sie nicht!), und ich bezweifle, dass ich die Schäbigkeit dieses Machwerks auch nur annähernd in Worte fassen kann. Stellen Sie sich bitte vor, dass billigst produzierter Schlagerramsch visuell ebenso billig ins Bild gesetzt wird, dass schlimm heruntergeleierte Moderationen vollkommen beziehungslos dazwischengeschnitten werden, Jan Hofer an irgendeinem Strand gibt irgendeinen Sprachmüll von sich, Carmen Nebel steht zwischen irgendwelchen gefälschten Matrosen herum, Jan Hofer am Brandenburger Tor reihert irgendeinen Sprachmüll aus sich heraus, Carmen Nebel lässt sich von Käpt'n Iglo begrapschen und gibt peinigende Dinge von sich, Jan Hofer erbricht noch mehr Buchstabensuppe und tut das die ganze Zeit mit seinem Tagesschaugesicht. Am Ende hält das Verbrecherpaar eine CD in die Kamera und bewirbt das Machwerk ("Unsere CD zur Sendung!") ungeniert. So viel Verachtung gegenüber dem Zuschauer muss man erst mal aufbringen! Ich will, dass Karl-Heinz Köpcke die Knute auspackt und den ganzen sprachlichen Eiter aus Jan Hofer heraus so etwas von einem Tagesschausprecher nicht sehen. Köpcke hat übrigens Frau Berghoff damals schon getadelt, wenn sie das Wort "notwendig" auf der zweiten statt auf der ersten Silbe betonte. Vielleicht wäre sonst ein glückliches Paar aus ihnen geworden?

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Samstag, 24. Oktober 2009
Wir sind nur die Randfiguren
nnier | 24. Oktober 2009 | Topic In echt


Es gibt Uhrzeiten, die den Blick trüben. Nicht nur meinen.



Einmal hatte ich Damenbesuch. Es waren drei liebenswerte und intelligente junge Frauen, die mich beehrt hatten und zu fortgeschrittener Stunde die Frage aufwarfen, was aus dem Abend denn noch werden könne. Natürlich hatte ich mir meine Gedanken schon gemacht und antwortete, dass man in dieser Kombination und so jung bestimmt nicht wieder zusammen "komme", ich sei da für dieses und jenes offen, und so kam eines zum anderen, man scherzte und lachte, machte Andeutungen, bis eine der Grazien mich herausfordernd ansah und ganz direkt fragte: "Hast du ein Monopoly-Spiel?"

Monopoly! Wie gerne hatte ich dieses Spiel als Kind gespielt. Zwar befand sich ein ansehnliches Repertoire an Brett- und sonstigen Spielen im Besitz der Familie - das Lernziel des Kapitalistenspiels allerdings widersprach, wenn auch nicht so radikal wie diese coolen Plastiksoldaten ("Für nur 1.- DM - viele, viele Soldaten!") oder das Spiel Stratego ("Vernichten Sie die blaue Armee!"), gewissen Erziehungsidealen und war somit nicht in der heimischen Sammlung vorzufinden; es anderswo zu spielen oder zu leihen allerdings war durchaus erlaubt, und so hatte ich viele, viele Nachmittage damit verbracht, meinen Freund A., der das Spiel besaß und mitbrachte, genussvoll in die Pleite zu treiben und das Spiel auch dann nicht zu beenden, wenn er sich bereits in aussichtsloser Position befand. Nein, ich bestand darauf, ein solches Spiel tatsächlich am nächsten Tag zu Ende zu führen, da ich mich nächtens an dem Bild der lilafarbenen 10000-Mark-Scheine sowie der riesigen, hell- und dunkelgelben Stapel 1000er und 2000er erfreuen wollte, die sich in meinem Besitz befanden, der langen Straßenreihen voller Häuser, der Schlossallee mit Hotel. Ich schrieb die sechsstelligen Summen auf, die ich erwirtschaftet hatte, listete daneben die Hypotheken meines armen Freundes und wollte das Gefühl, wieder einmal so verdammt clever gewesen zu sein, möglichst lange und vollständig auskosten. Die finale Pleite des Mitspielers gehörte unabdingbar dazu.

All das lag Jahre zurück, als die nächtliche Frage aufgeworfen ward. Hektisch überlegte ich, wie ich diese einmalige Gelegenheit nutzen konnte, als mir bewusst wurde, dass sich immer noch kein solches Spiel in meinem Besitz und Freund A. gerade nicht im Lande befand. Als ich mich offenbarte, war die Enttäuschung der erwartungsfrohen Damenschaft nicht zu übersehen, doch das Glück war mir hold: Sie habe da, sprach die eine, einen alten Schulkameraden, der wohne zwar in Dorf X und damit recht weit weg, außerdem sei es schon nach Mitternacht, doch traue sie sich durchaus zu, einen Anruf zu wagen, und dann könne man ja weitersehen.

Eine Dreiviertelstunde später stand ich mit laufendem Motor in einer dörflichen Hofeinfahrt, während genannte Begleiterin zur Tür schritt und klingelte. Freudig erregt erkannte ich den silbern leuchtenden Spielekarton, es war ein altes Monopoly, eines mit Holzhäusern und Holzhotels, eines mit dem alten Polizisten auf dem Spielplan, das erkannte ich sofort, und den Blick des irritierten Spieleverleihers ignorierte ich geflissentlich, der ans Auto getreten war, prüfend hineingespäht und dann misstrauisch "viel Spaß" gewünscht hatte.

Wenn ich ihm in den darauffolgenden Jahren einmal über den Weg lief, grüßte ich stets freundlich, erinnerte daran, dass ich sein Monopoly-Spiel noch hätte, und jedes Mal lautete die Antwort: "Bleib mir mit dem Spiel weg! Das kannst du behalten!", bis ich schließlich in die Ferne zog, einige Jahre lang uno spielte und noch ein paar andere Dinge tat, bevor ich jüngst endlich wieder einmal um eine Partie Monopoly angefragt wurde. Ich holte die zerschlissene Schachtel hervor, atmete den stockigen Duft der alten Ereigniskarten, ließ die Geldscheine durch meine Finger gleiten und spürte das alte Fieber.



Sie konnte mein Leid nicht mit ansehen, schenkte mir Geld, lieh mir noch mehr, verzog mitleidig das Gesicht, wenn ich auf ihre Hotels traf und erbarmte sich meiner so, wie ich es meinem Freund A. gegenüber nie getan hätte.



Dennoch verlor ich mit Pauken und Trompeten gegen eine Spielerin, die einige Jahrzehnte weniger auf dem Buckel und dafür ein liebes und warmherziges Wesen hat.

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Mittwoch, 21. Oktober 2009
Tiefim Wehö-stöhehen
nnier | 21. Oktober 2009 | Topic In echt
Good morning, ladies and gentlemen, and velcome on board intercity five fifteen from Hamburg to München wia Osnabrück, Münster, Clone. Ve haff included very many Umlaut cities in our route for your pleasure. Tipp of ze day: Clone is "Köln" in German, so zere is Umlaut in zat city name as vell, just in case you vere vondering. Ladies and gentlemen, our next stop is hrrrweer, you haff access to a Regionalbahn to frrrurrr on platfrrm frrriir.

Tüdelüdelüdelüdelü.

CARSTENSEN. JA! MOIN! UND SELBST! ICH BIN AKTUELL GERADE IM ZUG, TELEFONIERE AKTUELL GERADE AUS DEM ZUG RAUS HERAUS. JA, GENAU. JA, PRIMA. GEHT KLAR! JA! TSCHÖ!

Kaffee, jemand hier vielleicht? Besteht der Wunsch nach Kaffee oder einem Croissant vielleicht hier?

Ringeldiring.

Ja. Bin im Zug. Hören Sie, suchen Sie bitte gleich mal den Rahmenplan raus. T8 und P11. Sehen Sie, was ich sehe? Ja, da müssen wir drüber sprechen. Ich kläre das.

Gnapf. Ich bin auf dem Weg nach Bonn. Ich möchte da ein gemeinsames Verständnis sicherstellen. Ich habe da eine Region, die sagt mir gestern noch, einskommadrei Millionen reichen nicht, wir wollen einskommafünf, und heute schreiben sie siebenhunderttausend Euro. Das macht die Region selber, ja? Ja, das wollte ich sicherstellen. Ja, danke.

Ich bin heute in Bonn unterwegs. Da geht es um die Rahmenpläne. Und bei T8 und P11 schreiben dieselben Herren, die uns gestern einskommadrei gesagt haben, jetzt siebenhundert hin. Ja! Die machen das selber! Nicht, dass die uns nachher erzählen, das hat der Zentralist gemacht. T8 und P11. Da stimmt die große Summe, aber die Einzelposten haben sich total verschoben, da müssen wir mal, da sind auch Inplausibilitäten. Ja.

Starten Sie den Tag doch mit einem Frühstück! Im Bordrestaurant. If you are travelling first class, you can hrrr crrrrfeee on zrrrrr, we be glrrr to assrrr yrrrr.

Schnödelödelö.

Schreib doch einfach mal den Wunschzettel für Geburtstag und Weihnachten. Schreib einfach alles auf. Wunschzettel heißt ja per se noch nicht, dass das automatisch alles erfüllt wird. Ich bin hier in NRW, wir fahren über Hagen, Wuppertal. Das technische Problem von gestern ist gelöst, mit dem Mainboard, da kannst du spielen, das war plug and play. Morgen triffst du dich ja mit Christian, mal sehen, na ja.

Kaffee, vielleicht, jemand, hier? Kaffee? Nicht?

Meine Damunherrn, innä Kürzä erreichenä wirä Wuppertalä Haubahnof, dort habenä Sie Anschlussä annä irgendwelche Züge. Our nextop Wuppertal, sentravellindeutschebahn, good bye.

YO MAN! HEY! YO! MAN! HEY! HEY! YO! MAN! HEY! HEY! MAN! YO! MAN! OOOOOOH! YEAH! MAN! YO! YO!

Waslos, Mann. Ja, fahre ich. Du willst doch nicht das schwarze Zeug. Doch, kann ich mitbringen. Ja, bringe ich mit. Das schwarze Zeug, ja. Ja, bringe ich mit. Ja, mache ich. Ja, bis dann.

Mmmmmmeine Damunherrn, innä Kürzäreischen wirä Solingenä Haupof, Sie habenanschlussan Regionalbahn und so, wiedersehn, nextop Solingen, sentrravindeutschebahngoodbye.

*

Draußen: Wunderschöner Sonnenaufgang.

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Sonntag, 18. Oktober 2009
Mein Leben in Bildern
nnier | 18. Oktober 2009 | Topic Klar jewesn


"Who the fuck is SPD?", 2009, Privatbesitz





"Außer Libuda", 2009, Privatbesitz

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Freitag, 16. Oktober 2009
Harte Schale
nnier | 16. Oktober 2009 | Topic In echt
Einmal wunderten sich meine Eltern, warum ich zur Klassenfahrt unbedingt den edlen Hartschalenkoffer mitnehmen wollte, dieses schwere und unhandliche Ding, mit dem man zwar, so hatte ich es in der Fernsehwerbung gesehen, waghalsig alpine Hänge hinunterrodeln konnte, den sie aber trotzdem mit deutlich genervtem Gesichtsausdruck unterm Weihnachtsbaum in Empfang genommen, dann auch prompt in den Eisenbahnkeller gestellt und selbstverständlich nie benutzt hatten.

Damals waren diese Hartschalenkoffer noch etwas Neues, man war an Koffer aus Leder, Pappe oder auch Stoff gewöhnt, und wonach benennen denn Sie ihre Kellerräume? Sagen Sie etwa: Der hinten rechts? Das halte ich für unpraktikabel und auch, offen gesagt, etwas lieblos. Dann kommt doch nur wieder einer nach zehn Minuten hoch und schnauft und sagt, die habe ich aber nicht gefunden, die Schraubkappe, ich habe sogar hinter der Gefriertruhe gesucht, und du sagst dann so: Gefriertruhe, Gefriertruhe, ich höre immer: Gefriertruhe, Meister, ich sagte hinten rechts, und hinten rechts ist keine Gefriertruhe, und dann geht's wieder darum, von wo aus gesehen hinten und von wo aus gesehen rechts, wenn der bloß die Schraubkappe holen soll. Eisenbahnkeller, das ist ein reeller Name - historisch übrigens so entstanden, ich kürze das jetzt mal ab, dass da mal die elektrische Eisenbahn drin stand, und auch diejenigen, die das selbst nicht mehr miterlebt haben, lernen schnell, dass das der Eisenbahnkeller ist.

Da gibt es die unterschiedlichsten Systeme, wie auch bei der Großelternbenamsung, da differenzieren ja manche auch in "Oma Anne" und "Oma Lisa", andere sprechen von "Oma Günzburg" und "Oma Paderborn", da will ich auch nichts vorschreiben, das muss man schon dem freien Markt überlassen, lasst tausend Blumen blühen, sag ich immer, und ich kannte z.B. mal jemanden, der eine "Kleine Oma", eine "Mittlere Oma" und eine "Große Oma" hatte, das funktionierte ganz toll, "Ich war am Wochenende bei Mittlere Oma", da muss auch jeder ein Stück weit selbst entscheiden, wie er das handhaben will.

Der schwere, dunkle Kunststoffkoffer mit dem prestigeträchtigen Markennamen und den Initialen meines Vaters, die den meinen immerhin zum Teil glichen, sollte es also sein, in den ich meinen schlabbrigen, hellblauen Schlafanzug und die weißen Tennissocken, die buntgemusterten Unterhosen und die zwei Jeans sowie den Ringelpulli packen wollte, als es für eine Woche an die Ostsee ging, Hauszelte, und tiefenpsychologisch betrachtet hatte das darin seine Ursache, dass bei einer vorangegangenen Klassenfahrt der schwitzende, fluchende Busfahrer die Gepäckmengen nicht im Laderaum des Busses hatte unterbringen können, während Lehrer mit hochgezogenen Brauen kluge Tipps zur besseren Raumausnutzung gaben und auf die fortgeschrittene Zeit verwiesen, bis er als einen der letzten Koffer meinen, einen dunkelgrünen aus stabilem Stoff mit schickem Schottenkaro, ins Gepäckabteil zu zwängen versuchte, mich dann böse ansah und verächtlich fragte, ob meine Familie sich eigentlich keine "vernünftigen Koffer leisten" könne.

Ein Jahr lang hatte ich die Szene erfolgreich "verdrängt", wie wir Psychologen heute sagen, bis ich etwa eine Woche vor der neuerlichen Abfahrt die Anfrage stellte, ob ich denn den Hartschalenkoffer nehmen dürfe. Und da zeigte sich die Erwachsenenwelt dann wieder mal von ihrer vollkommen irrationalen Seite: Obwohl ich starke Argumente vorzutragen hatte ("Einfach so", "Weil ich da Lust zu habe", "Ich finde den irgendwie gut"), und obwohl der Koffer daraufhin, ungeliebt und -benutzt, noch für weitere 20 Jahre den Eisenbahnkeller vollstand, erzählte man mir etwas von "unpraktisch" und "zu schwer", nötigte mir statt dessen einen alten Lederkoffer auf und verhalf mir so zu einer durchwachten Nacht, in der ich mir stets aufs neue vorstellen musste, wie der Busfahrer schon beim Einfahren auf den Schulparkplatz zielsicher in meine Richtung schaut, auf mich zugeht, die Hände in die Hüften stemmt und vor allen Leuten bestimmt: "Wenn du dir keinen besseren Koffer leisten kannst, darfst du nicht mitkommen."

A propos "kommen", kommt Ihnen das Wort "Benamsung" nicht auch total bescheuert vor? [Diesen Satz mit Otto-Waalkes-Stimme vortragen]

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