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Oder so ähnlich hieß es auf einem Transparent an einer der großen Hallen im Überseehafen. Vielleicht "Blog doch mal offline" oder "Blog' doch mal offline", jedenfalls: You get the idea.
Kurz davor hatte ich ein tolles Fotomotiv, na ja, ich hätte beinahe gesagt: verpasst, es war aber eher so, dass ich mich nicht traute. Schwarze Limousine. Zwei Men in Black. Fahrer? Security? Groß und breit, träge und half-asleep, Entschuldigung, diese Anglizismen, wenn das meine Oma lesen müsste, aber das "Blog doch mal offline", das hat mich, wie heißt das auf Deutsch, confused, anyway, wie auch immer am Ende des Tages, die saßen da träge, aber alert (<-- This word is not english), in a crocodile kind of way, so dass ich sie zwar gerne abgelichtet hätte, mich aber dann an ein Erlebnis in Liverpool ("It is not allowed to take photographs of police officers. Delete it. Now.") erinnerte und weiterradelte, mich fragend, zu wessen Schutz und Transport die beiden Herren sich wohl verdingten, bog um die Ecke und sah da jemanden auf dem Podium sitzen, den ich aus dem Fernsehen kenne, der guckte dann auch gleich so zu mir rüber, da bin ich lieber weitergefahren und dann stand das da: "Blogg doch mal offline". Darüber denke ich gerne mal nach.

Die Sache ist die. Ich habe mal wo gearbeitet, wo ich jetzt nicht mehr arbeite, und eines Tages fiel ein schwerwiegender Verdacht auf mich. Und zwar war der Vorgänger von dem Mann, den man da sieht, der da so direkt zu mir geguckt hat, dort einmal zu Besuch. Das hatte mit einem sportlichen Großereignis namens "Schwarz Rot Geil" zu tun, vielleicht haben Sie's damals mitbekommen, und da hieß es dann den einen Tag, also, Tische aufräumen, der Minister kommt, der will dann bestimmt was wissen, bereitet mal etwas vor, zeigt dem mal, wie das funktioniert mit den ganzen Computersachen, und mehrere Abteilungen arbeiteten hektisch irgendwas aus, das man sehen konnte, man flachste und lachte und scherzte herum ("Alle schnell noch Turbane kaufen!"), Übersprungshandlungen, denn natürlich war das Sicherheitsstufe eins, Nervosität ward verbreitet, man sah die Security das Feld sichten und unten auf der Straße war plötzlich ganz viel Müllabfuhr usw., clever gemacht das alles, und man saß hinter seinem Bildschirm und erinnerte sich an die Bilder aus dem Fernsehen, viele Jahre früher, damals, als die bärtigen und strickenden Männer und Frauen, bzw. gestrickt haben letztere eigentlich nicht, erstmals mit ihren Sonnenblumen im Bundestag auftauchten, er dazwischen eigentlich immer schon ein Fremdkörper mit Anzug, man hatte dann später mal etwas über seinen ministeriumsinternen Spitznamen Schiliescu gehört, er kam dann stundenlang trotz mehrfacher Ankündigung nicht, die Nerven lagen langsam blank, plötzlich kam er doch noch, man tat schwer beschäftigt, -zig Kollegen überall, aber, klar, wen sucht er sich aus, kommt, streckt die Hand aus, fragt desinteressiert irgendwas und man erzählt irgendwas und weiter geht er, das war's schon, draußen dann noch Müllabfuhr und Funkgeräte und weg war er mit der schwarzen Limousine, ich weiß jetzt nicht, ob es die gleiche war, die ich da kürzlich im Hafen stehen sah, gut, und ich habe mich hinterher gefragt, ob ich evtl. hätte aufstehen sollen bei der Begrüßung, na ja, andererseits hatte ich viel zu tun und wir sollten ja ganz natürlich sein.
Mich hat das über den Niedergang der DDR nachdenken lassen. Denn wenn Honecker und andere Politbürogreise die Belegschaften ihrer volkseigenen Betriebe besuchten, hat es doch auch bestimmt vorher so gewisse, na, ich nenn's mal: Verhaltensempfehlungen gegeben, da hat doch bestimmt niemand, wenn Erich frug: "Nü, Genösse, sinnse züfriedn hior?", geantwortet: "Machst du Witze? Mich kotzt hier jeder Tag an! Spaß macht's überhaupt nicht, und diese Arbeit ist eine dermaßen sinnlose Scheiße!", sondern eher so was wie "Doch, doch, ja, ja", und wenn nun aber alle denen das so gesagt haben, dann ist doch auch klar, dass die denken mussten, ihr Arbeiter- und Bauernstaat sei schon ganz in Ordnung so, insgesamt, und nun fragte ich mich, was es für die weitere Geschichte unseres Landes bedeuten mochte, dass ich so etwas wie "Doch, doch, ja, ja" zu dem Minister gesagt hatte, obgleich die ehrlichere Antwort mit einer rhetorischen Frage ("Machen Sie Witze?") begonnen hätte.
Statt also die gegenwärtige Finanz-, Wirtschafts-, System- und Sinnkrise in ihrem Entstehen zu verhindern ("Gerhard, die werktätigen Massen sind zunehmend unzufrieden. Gerade eben sprach ich mit einem aufrichtigen jungen Mann, dessen einfache Worte mir plötzlich aufs Eindringlichste ..."), lullte* ich den Minister aufs Komfortabelste in seiner Scheinwelt, aber eigentlich wollte ich ja noch von dem Verdacht berichten, dem schweren, der da auf mich fiel, bevor der Platz hier nicht mehr reicht.
Folgendes. Ich komme den Tag nach Hause, es riecht gut nach einem Hackfleischgericht, hmm, das mag ich gerne gut scharf, die Zwiebeln sind gar nicht sooo wichtig, aber ordentlich Tomaten müssen drin sein und diese Bohnen, gerne auch etwas Dosenmais, und Besuch ist da und ich werde begrüßt mit den Worten: "Wir haben hier Chili gekocht, und wie war's bei der Arbeit?", und ich sage: "Ah, Chili, schön, und bei der Arbeit, da war heute Otto Schily", und die haben mir das nicht geglaubt, die dachten, ich (ich!) würde nur einen blöden Witz machen.
Den Rest erzähle ich irgendwann mal - oder, nee, den blogge ich offline.
--
* "Lullen", woher kommt das, und kann man es so verwenden?
Kurz davor hatte ich ein tolles Fotomotiv, na ja, ich hätte beinahe gesagt: verpasst, es war aber eher so, dass ich mich nicht traute. Schwarze Limousine. Zwei Men in Black. Fahrer? Security? Groß und breit, träge und half-asleep, Entschuldigung, diese Anglizismen, wenn das meine Oma lesen müsste, aber das "Blog doch mal offline", das hat mich, wie heißt das auf Deutsch, confused, anyway, wie auch immer am Ende des Tages, die saßen da träge, aber alert (<-- This word is not english), in a crocodile kind of way, so dass ich sie zwar gerne abgelichtet hätte, mich aber dann an ein Erlebnis in Liverpool ("It is not allowed to take photographs of police officers. Delete it. Now.") erinnerte und weiterradelte, mich fragend, zu wessen Schutz und Transport die beiden Herren sich wohl verdingten, bog um die Ecke und sah da jemanden auf dem Podium sitzen, den ich aus dem Fernsehen kenne, der guckte dann auch gleich so zu mir rüber, da bin ich lieber weitergefahren und dann stand das da: "Blogg doch mal offline". Darüber denke ich gerne mal nach.

Die Sache ist die. Ich habe mal wo gearbeitet, wo ich jetzt nicht mehr arbeite, und eines Tages fiel ein schwerwiegender Verdacht auf mich. Und zwar war der Vorgänger von dem Mann, den man da sieht, der da so direkt zu mir geguckt hat, dort einmal zu Besuch. Das hatte mit einem sportlichen Großereignis namens "Schwarz Rot Geil" zu tun, vielleicht haben Sie's damals mitbekommen, und da hieß es dann den einen Tag, also, Tische aufräumen, der Minister kommt, der will dann bestimmt was wissen, bereitet mal etwas vor, zeigt dem mal, wie das funktioniert mit den ganzen Computersachen, und mehrere Abteilungen arbeiteten hektisch irgendwas aus, das man sehen konnte, man flachste und lachte und scherzte herum ("Alle schnell noch Turbane kaufen!"), Übersprungshandlungen, denn natürlich war das Sicherheitsstufe eins, Nervosität ward verbreitet, man sah die Security das Feld sichten und unten auf der Straße war plötzlich ganz viel Müllabfuhr usw., clever gemacht das alles, und man saß hinter seinem Bildschirm und erinnerte sich an die Bilder aus dem Fernsehen, viele Jahre früher, damals, als die bärtigen und strickenden Männer und Frauen, bzw. gestrickt haben letztere eigentlich nicht, erstmals mit ihren Sonnenblumen im Bundestag auftauchten, er dazwischen eigentlich immer schon ein Fremdkörper mit Anzug, man hatte dann später mal etwas über seinen ministeriumsinternen Spitznamen Schiliescu gehört, er kam dann stundenlang trotz mehrfacher Ankündigung nicht, die Nerven lagen langsam blank, plötzlich kam er doch noch, man tat schwer beschäftigt, -zig Kollegen überall, aber, klar, wen sucht er sich aus, kommt, streckt die Hand aus, fragt desinteressiert irgendwas und man erzählt irgendwas und weiter geht er, das war's schon, draußen dann noch Müllabfuhr und Funkgeräte und weg war er mit der schwarzen Limousine, ich weiß jetzt nicht, ob es die gleiche war, die ich da kürzlich im Hafen stehen sah, gut, und ich habe mich hinterher gefragt, ob ich evtl. hätte aufstehen sollen bei der Begrüßung, na ja, andererseits hatte ich viel zu tun und wir sollten ja ganz natürlich sein.
Mich hat das über den Niedergang der DDR nachdenken lassen. Denn wenn Honecker und andere Politbürogreise die Belegschaften ihrer volkseigenen Betriebe besuchten, hat es doch auch bestimmt vorher so gewisse, na, ich nenn's mal: Verhaltensempfehlungen gegeben, da hat doch bestimmt niemand, wenn Erich frug: "Nü, Genösse, sinnse züfriedn hior?", geantwortet: "Machst du Witze? Mich kotzt hier jeder Tag an! Spaß macht's überhaupt nicht, und diese Arbeit ist eine dermaßen sinnlose Scheiße!", sondern eher so was wie "Doch, doch, ja, ja", und wenn nun aber alle denen das so gesagt haben, dann ist doch auch klar, dass die denken mussten, ihr Arbeiter- und Bauernstaat sei schon ganz in Ordnung so, insgesamt, und nun fragte ich mich, was es für die weitere Geschichte unseres Landes bedeuten mochte, dass ich so etwas wie "Doch, doch, ja, ja" zu dem Minister gesagt hatte, obgleich die ehrlichere Antwort mit einer rhetorischen Frage ("Machen Sie Witze?") begonnen hätte.
Statt also die gegenwärtige Finanz-, Wirtschafts-, System- und Sinnkrise in ihrem Entstehen zu verhindern ("Gerhard, die werktätigen Massen sind zunehmend unzufrieden. Gerade eben sprach ich mit einem aufrichtigen jungen Mann, dessen einfache Worte mir plötzlich aufs Eindringlichste ..."), lullte* ich den Minister aufs Komfortabelste in seiner Scheinwelt, aber eigentlich wollte ich ja noch von dem Verdacht berichten, dem schweren, der da auf mich fiel, bevor der Platz hier nicht mehr reicht.
Folgendes. Ich komme den Tag nach Hause, es riecht gut nach einem Hackfleischgericht, hmm, das mag ich gerne gut scharf, die Zwiebeln sind gar nicht sooo wichtig, aber ordentlich Tomaten müssen drin sein und diese Bohnen, gerne auch etwas Dosenmais, und Besuch ist da und ich werde begrüßt mit den Worten: "Wir haben hier Chili gekocht, und wie war's bei der Arbeit?", und ich sage: "Ah, Chili, schön, und bei der Arbeit, da war heute Otto Schily", und die haben mir das nicht geglaubt, die dachten, ich (ich!) würde nur einen blöden Witz machen.
Den Rest erzähle ich irgendwann mal - oder, nee, den blogge ich offline.
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* "Lullen", woher kommt das, und kann man es so verwenden?
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Wo ist eigentlich Wolfsburg? Niedersachsen, gut, das weiß man nicht nur wegen des Themenkreises VW-Gesetz / Peter Hartz / Christian Wulff, sondern auch, weil sie in der Oberliga Nord spielten, die sie in der Saison 1990/91 nach Belieben beherrschten, zu Hause hatten sie keinen einzigen Punkt abgegeben. Göttingen 05 war irgendwie Zweiter geworden und nahm deshalb ebenfalls an der Aufstiegsrunde zur Zweiten Bundesliga teil. Diese ließ sich in den ersten Spieltagen für den gebeutelten norddeutschen Traditionsverein sogar einigermaßen an, man lernte nebenbei Orte wie Remscheid oder Verl kennen, und den Trip nach Wolfsburg, wo immer das ist, ließ man sich auch nicht nehmen, natürlich würde das ein Debakel werden, aber wann gibt es schon mal eine Aufstiegsrunde und die Hoffnung auf Zweitligafußball, da müssen dann auch die sicheren Niederlagen in Kauf genommen werden, die Wolfsburger Heimstärke war ja phänomenal, und hoffentlich gibt es keine gar zu arge Klatsche.
Von dem Spiel ist mir wenig in direkter Erinnerung, der respektable Halbzeitstand von 0:0, die aufkeimende Hoffnung, hier ein Unentschieden zu ertrotzen, die feiste Siegesgewissheit der Wolfsburger Zuschauer im großen Stadion, tief in der zweiten Halbzeit stand es immer noch 0:0, es wurde unruhig, das erfolgsverwöhnte Publikum murrte, alles lief auf ein torloses Unentschieden hinaus, womit wir mehr als zufrieden waren, und kurz vor Spielende beschlossen wir, uns schon einmal in Richtung Ausgang zu orientieren, schlängelten uns durch die frustrierten Wolfsburger, als ein Göttinger Spieler den Ball bekam und aufs Tor zulief und ihn reinmachte. Wir brüllten wie von Sinnen los, jubelten und herzten uns ausgiebig, bis uns die relative Stille um uns herum bewusst wurde. Die Blicke der Umstehenden waren auf uns gerichtet und wirkten insgesamt eher freudlos.
Nullfünf gewann das Spiel, stieg natürlich trotzdem nicht auf, nicht mal gegen Verl hat's gereicht, und heutzutage gibt's den Verein nicht mehr, aber das habe ich ja schon mal angerissen und er hier erzählt die ganze Geschichte. Die anderen sind, so hört man, heute Deutscher Meister geworden.
Aber, Wolfsburger, ich habe in eurer Stadt einen ekstatischen Moment erlebt, den kann mir niemand nehmen, und wo Wolfsburg überhaupt ist, das weiß ich nicht, und ich gucke auch nicht nach.
Von dem Spiel ist mir wenig in direkter Erinnerung, der respektable Halbzeitstand von 0:0, die aufkeimende Hoffnung, hier ein Unentschieden zu ertrotzen, die feiste Siegesgewissheit der Wolfsburger Zuschauer im großen Stadion, tief in der zweiten Halbzeit stand es immer noch 0:0, es wurde unruhig, das erfolgsverwöhnte Publikum murrte, alles lief auf ein torloses Unentschieden hinaus, womit wir mehr als zufrieden waren, und kurz vor Spielende beschlossen wir, uns schon einmal in Richtung Ausgang zu orientieren, schlängelten uns durch die frustrierten Wolfsburger, als ein Göttinger Spieler den Ball bekam und aufs Tor zulief und ihn reinmachte. Wir brüllten wie von Sinnen los, jubelten und herzten uns ausgiebig, bis uns die relative Stille um uns herum bewusst wurde. Die Blicke der Umstehenden waren auf uns gerichtet und wirkten insgesamt eher freudlos.
Nullfünf gewann das Spiel, stieg natürlich trotzdem nicht auf, nicht mal gegen Verl hat's gereicht, und heutzutage gibt's den Verein nicht mehr, aber das habe ich ja schon mal angerissen und er hier erzählt die ganze Geschichte. Die anderen sind, so hört man, heute Deutscher Meister geworden.
Aber, Wolfsburger, ich habe in eurer Stadt einen ekstatischen Moment erlebt, den kann mir niemand nehmen, und wo Wolfsburg überhaupt ist, das weiß ich nicht, und ich gucke auch nicht nach.
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Du sitzt in deinem Wohnklo wie auf einer InselNoch reichlich jung war ich, und, man kann es sich heute nicht mehr vorstellen, noch nicht zu Tode gespielt der Hit, der Hit der Gruppe mit dem seltsamen Namen Geier Sturzflug, denn schon wenige Wochen darauf konnte man es nicht mehr hören, dieses von leichtem Echo und aufdringlichem Händeklatschen unterlegte "Wenn - früh - am - Morgen - die - Werkssirene dröhnt", es war einer dieser unvermeidlichen Ohrwürmer, Gegenwehr zwecklos, man ertappte sich selbst dauernd beim tumben Klatschen, und dann wurde es auch noch sofort und unwidersprochen als (affirmativer) Soundtrack zur Wende umgedeutet und vereinnahmt, Dieter "Thomas" Heck bediente sich seiner genau wie sein wirklich unsympathischer Wiedergänger in der Gestalt einer Zehn- oder Zwölfjährigen Kurzzeitberühmtheit, die an irgendeinem Kindertag im ZDF eine große Abendshow moderieren durfte und dabei so routiniert ZDF-ig herüberkam, wie andere es nach dreißig öffentlich-rechtlichen Jahren nicht schaffen, man konnte sich das eigentlich nur mit einer dieser Körpertauschgeschichten erklären, bei denen jemand in die Steckdose fasst und dann tauschen Vater und Sohn den Geist, der erwachsene Schauspieler muss dann etwa 75 min lang "cool" und "wow!" sagen und das junge Schauspieltalent muss ganz ernst gucken und keine Ahnung von "angesagten" "Stars" haben und sich in der Schule "voll" "blamieren", und am Ende verstehen die beiden sich dann voll gut und haben des anderen Probleme alle-alle gelöst und so weiter, Dieter "Thomas" Heck stand also im Körper dieses bedauernswerten Jungen im Saal und rief: "Wenn ich an die deutsche Wirtschaft denke, dann fällt mir neuerdings immer nur eine Handbewegung ein", legte das Mikrophon zur Seite, rotzte sich (trocken) in die Hände, rieb diese aneinander, sah sich beifallheischend um und erntete dann auch einen Rie-sen-Applaus, der nur noch von jener Extase übertroffen ward, die das Erscheinen der Ruhrpottband und ihrer heilbringenden Botschaft auslöste: "Wenn - früh - am - Morgen - die - Werkssirene dröhnt", aber das alles sollte ja erst noch kommen, noch reichlich jung war ich jedenfalls, als ich in Begleitung meines Schulkameraden D. und seiner Mutter einem Konzert dieser Band beiwohnte, das in der Göttinger Uni-Mensa stattfand.
Einsam abgeschnitten von der Welt
Keine Illusionen und keine guten Karten
Kein Ofen brennt so heiß dat er die Kälte von dir hält
(Geier Sturzflug)
Einer meiner unverwirklichten Träume: Ein Plattenladen. Wird eh nichts, dachte ich immer, und wäre es wohl auch nicht geworden, denn ich sah sie kommen und gehen. So auch Fantastico, den "gemütlichen Plattenladen Ecke Angerstr. / Gartenstr.", für den D. und ich eine Zeitlang Werbezettel verteilten. Anständige sieben Mark für die Stunde gab's, und wir verteilten die Zettel gewissenhaft in Briefkästen, klemmten sie hinter die Scheibenwischer parkender Autos und hielten sie in der Fußgängerzone Passanten entgegen, die sie nicht nahmen. Im tiefen Winter standen wir bibbernd am Markt und wärmten uns gelegentlich in der Hamburger Farm auf, wenn die Finger nicht mehr reagieren wollten. Beobachtetet wurden wir dabei von einer alten Frau, die irgendwann zu uns trat und verschwörerisch leise sprach: "Besorgt euch Petroleum. Ihr müsst Fingerhandschuhe nehmen und Petroleum hineingießen. Lasst das dann eine Stunde einwirken. Davon geht die Frostschicht ab. Wir haben früher auch so gefroren. Wenn wir im Winter draußen arbeiten mussten und geweint haben, weil die Finger so wehtaten, gab uns unsere Mutter Petroleum. Wenn man das oft genug macht, geht die Frostschicht für immer ab. Das müsst ihr machen!"
Das erarbeitete Geld zahlte der Inhaber des "gemütlichen Plattenladens" bar aus, bot uns aber auch an, in Schallplatten zu bezahlen, deren Verkaufspreis dann auch ruhig etwas höher liegen durfte - klar, dachte ich, sein Einkaufspreis liegt ja deutlich darunter, das kommt ihn insgesamt also günstiger, und für uns ist es auch gut. Doch gar so schnell konnte ich mich nicht entscheiden, nahm das Geld, "Ihr könnt's euch ja noch überlegen", sagte er, und wir freuten uns aufs nächste Mal. Allerdings gab es nur selten noch Zettel zu verteilen, egal, wie oft wir anriefen und nachfragten, bei unseren Besuchen war der Laden stets leer, einmal ging ich hin und wollte meiner Mutter die Platte "Heiße Zeiten" von Geier Sturzflug zum Geburtstag kaufen, "Ich hab's mir überlegt, ich nehme jetzt doch diese Platte", sagte ich, und er tippte den regulären Verkaufspreis in seine Kasse, ich traute mich nicht, ihn an sein Angebot zu erinnern, zahlte und fragte nach einem neuen Termin zum Verteilen, "Nur einmal noch, nächste Woche", das fand ich schade, war er vielleicht nicht zufrieden mit uns, und warum sah der eigentlich so traurig aus, und die Zettel, die wir dann verteilten, die letzten, waren mit "Räumungsverkauf" überschrieben.
Die Oma kam dann wieder vorbei, sie betrachtete unsere dunkelroten Finger und sprach mit ihrem rätselhaften Lächeln: "Ihr müsst Petroleum nehmen! Das macht die Frostschicht ab!"
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Zehn Jahre danach, und es waren zehn verlorene Jahre, nahm er sein zweites Heimstudioalbum auf.
Es sollte mit den Wings auf Tour nach Japan gehen, aber dann kam etwas im Gewicht von 225g dazwischen.
Nach neun Tagen im Knast musste er die blöde Tour mit den Wings nicht mehr machen und konnte sich darum kümmern, sein neues, im Alleingang aufgenommenes Soloalbum zu veröffentlichen.
Darauf dudelt er mit Synthesizern herum, die dünn klingen, das Schlagzeug hört man kaum, der Gesang klingt fern und fremd, manches geht daneben, ein Instrumentaltitel heißt Frozen Jap, reiner Zufall, gegen Japaner hat er nichts, I'd like to say sorry about the mistake there and er ... hope we can come back some time and not disappoint you next time, und I don't really mean it bad und Over here, in Europe, it's not too bad, it's not like that bad a word.
Der Eröffnungstitel, Coming Up*, soll übrigens dazu beigetragen haben, dass John Lennon 1980 nach jahrelanger Pause wieder ins Studio ging, denn: Wenn Paul wieder gute Musik macht ...
Ich mag das Album McCartney II sehr. "Ach, bei nnier wird wieder geputzt", schmunzeln die Passanten und sehen zum geöffneten Fenster hoch, "duckt euch, gleich kommt Temporary Secretary!"
Und wenn der Boden blitzt und die Toilette strahlt, dann ist die Zeit für den vorletzten Titel gekommen: Darkroom. Nicht nachdenken; einfach mitfreuen. Und das mit der Kopfstimme, das schaffen Sie auch!
--
*Man beachte die ausgefuchste Tricktechnik des Videos
Es sollte mit den Wings auf Tour nach Japan gehen, aber dann kam etwas im Gewicht von 225g dazwischen.
<Kaugummi>
I'd like to see it de-criminalized. Cause I don' think, in the privacy of my own room, I was doing anyone any harm whatsoever.
</Kaugummi>
Nach neun Tagen im Knast musste er die blöde Tour mit den Wings nicht mehr machen und konnte sich darum kümmern, sein neues, im Alleingang aufgenommenes Soloalbum zu veröffentlichen.
Darauf dudelt er mit Synthesizern herum, die dünn klingen, das Schlagzeug hört man kaum, der Gesang klingt fern und fremd, manches geht daneben, ein Instrumentaltitel heißt Frozen Jap, reiner Zufall, gegen Japaner hat er nichts, I'd like to say sorry about the mistake there and er ... hope we can come back some time and not disappoint you next time, und I don't really mean it bad und Over here, in Europe, it's not too bad, it's not like that bad a word.
Der Eröffnungstitel, Coming Up*, soll übrigens dazu beigetragen haben, dass John Lennon 1980 nach jahrelanger Pause wieder ins Studio ging, denn: Wenn Paul wieder gute Musik macht ...
Ich mag das Album McCartney II sehr. "Ach, bei nnier wird wieder geputzt", schmunzeln die Passanten und sehen zum geöffneten Fenster hoch, "duckt euch, gleich kommt Temporary Secretary!"
Und wenn der Boden blitzt und die Toilette strahlt, dann ist die Zeit für den vorletzten Titel gekommen: Darkroom. Nicht nachdenken; einfach mitfreuen. Und das mit der Kopfstimme, das schaffen Sie auch!
--
*Man beachte die ausgefuchste Tricktechnik des Videos
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nnier | 18. Mai 2009 | Topic 'umor & more
... ohne diesen Spitzenwitz aus dem kleinen, hellgrünen Büchlein über einen fiktiven Wiener Adligen, das bei meinen Großeltern im Regal stand.
Graf Bobby: "Mucki, was ist das: Vorne ist es ein Vogel, hinten ein Militärfahrzeug, und beides zusammen ist ein berühmter Schriftsteller."
Baron Mucki: "Hm ... ich komme nicht drauf!"
Graf Bobby: "Na, ganz einfach: Grillpanzer!"
Baron Mucki: "Na, aber hör mal, Bobby - der heißt doch Grillparzer!"
Graf Bobby: "Ja und? 'Grill' ist ja auch kein Vogel!"
Graf Bobby: "Mucki, was ist das: Vorne ist es ein Vogel, hinten ein Militärfahrzeug, und beides zusammen ist ein berühmter Schriftsteller."
Baron Mucki: "Hm ... ich komme nicht drauf!"
Graf Bobby: "Na, ganz einfach: Grillpanzer!"
Baron Mucki: "Na, aber hör mal, Bobby - der heißt doch Grillparzer!"
Graf Bobby: "Ja und? 'Grill' ist ja auch kein Vogel!"
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Aus - gottlob! - harmlosem Anlass, wie sich am Ende herausstellte, suchte ich kürzlich in jugendlicher Begleitung die Notaufnahme eines städtischen Krankenhauses auf und staunte: Alles ist so supermodern und neu! "Einmal ganz außenrum ums Gelände und dann hier lang und dann da lang", hatte die Informationsdame beim Einlass des zunächst aufgesuchten, aber das ist eigentlich zu langweilig, jedenfalls wies sie darauf hin: "Da ist ja alles neu, da sind noch keine Schilder, aber 'Haupteingang' steht drüber!"
Nun, neu war das alles tatsächlich, und in der behäbig rotierenden Haupteingangsdrehtür wies ein Plakat darauf hin, dass das Klinikum "im Jahr 2004 Wasser gespart" habe, nämlich "20 Millionen Liter" - was mich etwas überraschte, denn sogleich erblickte man neben jeder erdenklichen Sitzgelegenheit stapelweise durchsichtige Plastikbecher, gebrauchte und ungebrauchte fröhlich durchmischt, sowie Flaschen einer nicht ganz billigen Mineralwassersorte, die dort offensichtlich zum freien Gebrauch herumstanden.
Man kam aber nicht dazu, sich lange zu wundern, denn in so einem modernen und jugendlichen Krankenhaus, da gibt's nicht so etwas wie eine Notaufnahme, nein, die haben sich mit den Leuten von der PR-Agentur in Workshops zusammengesetzt, deshalb heißt das jetzt "Kompetenz-Zentrum Notfallbehandlung". Zum Glück beherrsche ich diese Sprache! Stellen Sie sich mal vor, Sie wären ein älterer Mensch, der zur Notaufnahme will - tsss!
Wer nun denkt, dass man nach der Anmeldung in einem Wartezimmer sitzt, in dem man langsam zermürbt wird, bis man irgendwann aus schierer Verzweiflung eine zerlesene Apotheken Umschau oder eine Freundin von 2004 von vorne bis hinten durchliest, der war noch nie in so einem modernen Krankenhaus. Dort gibt es nämlich keine Zeitschriften.
Zermürbt, und zwar weitaus effektiver als mit konventionellen Mitteln, wird man dort von einem Fernseher, in dem Pro7 läuft, und vom parallel aus Deckenlautsprechern tönenden Radiosender NDR 2, welcher einem ungewollte Begegnungen mit Tina Turner, U2, Nena, dem Taxi nach Paris und mit dieser einen ekligen, unerträglich knödeligen Stimme, aber Xavier Naidoo ist es nicht, beschert.
Die Musik und das dümmlich-heitere Moderatorengeschwätz sind überdies von dem enervierenden hohen Pfeifton aus dem Fernsehgerät unterlegt, den viele Erwachsene nicht hören, da die 15625 Hz Zeilenfrequenz ihr Hörvermögen übersteigen, der aber Kinder wie mich erheblich belästigt.
Fast wie bei McDonald's also fühlt man sich und ist froh, kein Notfallpatient zu sein - stellen Sie sich mal vor, Sie hätten Kopfschmerzen oder so etwas - bis man dann nach einigen Stunden aus der Wartezone ins eigentliche "Kompetenz-Zentrum Notfallbehandlung" gerufen wird. Diese himmlische Ruhe plötzlich! Man möchte sich direkt in eines der Betten legen, die dort bereitstehen, lediglich die Plastikfolie mit der Aufschrift "REIN" hält einen davon ab.
Und dann wieder dieser Wahnsinn, die existenzielle Not zerschundener Menschen, man hört jemanden von "Fingerkuppenamputation" sprechen, der Hubschrauber landet zweimal, das Schäkern der Rettungsdienstler mit den Schwestern, die Ärztinnen gehen zwischendrin eine rauchen, man schnappt Gesprächsfetzen auf, die man lieber nicht gehört hätte, es ist wie bei anderen Jobs auch, man witzelt herum, statt des Paketboten kommt hier eben der Rettungsdienst vorbei, und als Begleiter eines eigentlich gar nicht so schlimmen Notfalls steht man stundenlang dazwischen und muss ewig warten und ist doch vor allem froh, dass man nur warten muss und dann einfach so nach Hause gehen kann.


Nun, neu war das alles tatsächlich, und in der behäbig rotierenden Haupteingangsdrehtür wies ein Plakat darauf hin, dass das Klinikum "im Jahr 2004 Wasser gespart" habe, nämlich "20 Millionen Liter" - was mich etwas überraschte, denn sogleich erblickte man neben jeder erdenklichen Sitzgelegenheit stapelweise durchsichtige Plastikbecher, gebrauchte und ungebrauchte fröhlich durchmischt, sowie Flaschen einer nicht ganz billigen Mineralwassersorte, die dort offensichtlich zum freien Gebrauch herumstanden.

Man kam aber nicht dazu, sich lange zu wundern, denn in so einem modernen und jugendlichen Krankenhaus, da gibt's nicht so etwas wie eine Notaufnahme, nein, die haben sich mit den Leuten von der PR-Agentur in Workshops zusammengesetzt, deshalb heißt das jetzt "Kompetenz-Zentrum Notfallbehandlung". Zum Glück beherrsche ich diese Sprache! Stellen Sie sich mal vor, Sie wären ein älterer Mensch, der zur Notaufnahme will - tsss!

Wer nun denkt, dass man nach der Anmeldung in einem Wartezimmer sitzt, in dem man langsam zermürbt wird, bis man irgendwann aus schierer Verzweiflung eine zerlesene Apotheken Umschau oder eine Freundin von 2004 von vorne bis hinten durchliest, der war noch nie in so einem modernen Krankenhaus. Dort gibt es nämlich keine Zeitschriften.

Zermürbt, und zwar weitaus effektiver als mit konventionellen Mitteln, wird man dort von einem Fernseher, in dem Pro7 läuft, und vom parallel aus Deckenlautsprechern tönenden Radiosender NDR 2, welcher einem ungewollte Begegnungen mit Tina Turner, U2, Nena, dem Taxi nach Paris und mit dieser einen ekligen, unerträglich knödeligen Stimme, aber Xavier Naidoo ist es nicht, beschert.

Die Musik und das dümmlich-heitere Moderatorengeschwätz sind überdies von dem enervierenden hohen Pfeifton aus dem Fernsehgerät unterlegt, den viele Erwachsene nicht hören, da die 15625 Hz Zeilenfrequenz ihr Hörvermögen übersteigen, der aber Kinder wie mich erheblich belästigt.

Fast wie bei McDonald's also fühlt man sich und ist froh, kein Notfallpatient zu sein - stellen Sie sich mal vor, Sie hätten Kopfschmerzen oder so etwas - bis man dann nach einigen Stunden aus der Wartezone ins eigentliche "Kompetenz-Zentrum Notfallbehandlung" gerufen wird. Diese himmlische Ruhe plötzlich! Man möchte sich direkt in eines der Betten legen, die dort bereitstehen, lediglich die Plastikfolie mit der Aufschrift "REIN" hält einen davon ab.

Und dann wieder dieser Wahnsinn, die existenzielle Not zerschundener Menschen, man hört jemanden von "Fingerkuppenamputation" sprechen, der Hubschrauber landet zweimal, das Schäkern der Rettungsdienstler mit den Schwestern, die Ärztinnen gehen zwischendrin eine rauchen, man schnappt Gesprächsfetzen auf, die man lieber nicht gehört hätte, es ist wie bei anderen Jobs auch, man witzelt herum, statt des Paketboten kommt hier eben der Rettungsdienst vorbei, und als Begleiter eines eigentlich gar nicht so schlimmen Notfalls steht man stundenlang dazwischen und muss ewig warten und ist doch vor allem froh, dass man nur warten muss und dann einfach so nach Hause gehen kann.

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