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Waschverfahren, bei dem 80 bis 100 fertige Jeans zusammen mit rauhen Steinen in großen Waschtrommeln behandelt werden.Es gab diese Zeit. Sie war nicht lang, aber es gab sie. Ich trug stonewashed.
Einige Jahre davor, die Streifenhosen - das habe ich mich nicht getraut. Lieber unauffällig bleiben mit den ewigblauen Röhrenjeans! Und noch früher, die Jeans mit den weißen Nähten (gesteigert: mit extra aufgesetzten, schmalen, weißen Stoffstreifen auf den Nähten), die sind an mir noch vorbeigegangen. Ein Mitschüler trug die Sachen seines älteren Bruders auf. Ich hätte nicht mit ihm tauschen mögen, denn weiße Nähte oder gar weiße Stoffstreifen, die extra aufgesetzt sind, die konnte man nur in einem schmalen Zeitkorridor tragen. Zwei Jahre später waren sie ein Stigma. (Gibt es das schon als Modelabel? Stigma? Ich kriege da gerade eine Idee!)
Ich bin mir nicht sicher, ob es damals schon so schlimm war mit der Ausgrenzung durch Kleidung. Aber das Thema existierte. Auch bei uns, an der oh-so-sozialen Gesamtschule, war es extrem wichtig, sich "richtig" zu kleiden, und damit meine ich nicht nur die korrekte Friedensbewegungsausstattung mit Jutetasche, besticktem Kittel und Ökoschuhen, und auch nicht die Abgrenzungskleidung, mit der man kundtut, Teil einer Jugendbewegung zu sein (damals i.W. Punk, Popper). Sondern ich spreche von den ganz normalen Kindern, die selbstverständlich sehr genau registrierten, wer wieviele Streifen auf dem Turnschuh, wer das rechte Fähnlein an der Gesäßtasche der Jeans hatte oder eben nicht hatte. Und neben den Marken spielten natürlich auch Modezyklen eine große Rolle, plötzlich gab's knallbunte Bundfaltenhosen (traute ich mich nicht), hohe Basketballschuhe mit einem Stern (durfte ich haben), und irgendwann dann plötzlich die unregelmäßig gebleichten stonewashed-Jeans, die ich damals wirklich cool fand und kaufte.
Ich ergänzte meine Garderobe durch eine Jeansjacke, die ebenfalls stonewashed war. Und somit übrigens auf eine Weise behandelt, die bei außerirdischen Beobachtern wieder einmal das Äquivalent eines Runzelns auf ihrem Äquivalent einer Stirn hervorgerufen haben dürfte: Die komischen Primaten da, erzählen sich dann Andorianer und Zylonen beim Drink, die färben Stoffe, stellen daraus Kleidung her - und legen die Kleidung dann in ätzenden Kloreiniger! Da können sie sie ja gleich sandstrahlen, ha ha!
Oper ist eine Gelegenheit, den Smoking auszuführen. Und Marius ist die Gelegenheit, die Stonewashed-Kombi auszuführen. Ich war nie ein Fan, aber schon damals wurde man schräg angesehen, wenn man bei den ersten Takten von Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz auf Feten nicht in Begeisterung ausbrach. Und wenn dann Westernhagen und Nina Hagen und Roger Chapman (glaube ich) und Rory Gallagher (kannte ich schon damals nicht) die kleine Universitätsstadt beehrten, im Jahnstadion auftraten, dann dachte man schon darüber nach, mal hinzugehen. Auch ohne Geld. Denn, überlegte man weiter, jetzt mal ernsthaft: Geld bezahlen? Tsss! Wir wissen doch, wie's geht!
Tatsächlich war es in all den Jahren kein Problem gewesen, die Heimspiele des 1. SC Göttingen 05 auch ohne gültige Eintrittskarte zu besuchen. Das Stadion war überdimensioniert, ein paar hundert Zuschauer verloren sich darin, es gab einen weitläufigen Zaun, dies- und jenseits an vielen Stellen von Bäumen gut blickgeschützt, so dass man mit Räuberleiter und einem beherzten Sprung unbehelligt das Stadioninnere erreichen und sich dann diskret unter die Zuschauer mischen konnte.
Außerdem wollten wir das Konzert erst gegen Ende besuchen, wenn es schon längst dunkel wäre - was also sollte das Problem sein!
Das Problem waren die vielen Security-Mitarbeiter, die alle hundert Meter postiert waren, das Problem waren die aggressiv bellenden Hunde, die sie mit sich führten, und das Problem waren die sehr hellen Scheinwerfer, die man am Zaun montiert hatte. Wir spazierten also äußerst unauffällig (Hände in den Taschen! Pfeifen! In die Luft gucken!) ums Stadion, schätzten die Lage als kritisch, doch nicht ausweglos ein und guckten uns schließlich eine Stelle aus, an der wir es trotzdem wagen wollten. Hier gab es besonders viele Bäume, dichtes Unterholz, und auf der anderen Seite, im Innern des Stadions, ging es ein gutes Stück zwischen dichten Büschen bergauf. Das sollte zu schaffen sein!
"Nimm mich mit / zeige mir den Weheg", sang Westernhagen gerade, als wir uns ein Herz fassten, den Zaun überwanden, wütende Schreie eines außen (puh!) entlangpatrouillierenden Sicherheitsdienstlers und Hundegebell hörten, wie von Sinnen durch den dichten Bewuchs rannten, uns den Hügel hinaufkämpften, durch die Büsche schlugen, die nassen Zweige ins Gesicht bekamen, fast oben waren, ständig wieder nasse Zweige zur Seite bogen und endlich Menschen sahen. Viele Menschen. Sie standen, obgleich das Konzertgeschehen hinter ihnen stattfand, uns zugewandt und sahen direkt in unsere zerschundenen, nassglänzenden Gesichter.
Hatte ich eigentlich erwähnt, dass es ein richtig trockener Sommer war? Ich frage nur. Also der nassen Zweige wegen. Richtig nass waren die! Und es hatte seit Tagen nicht geregnet!
Die Menschen sahen uns an. Sie grinsten blöd. Sehr blöd. Ausschließlich Männer, übrigens.
Wir starrten uns an, sahen auf unsere nassen Hände, suchten verzweifelt, aber erfolglos rauhe Steine und eine große Waschtrommel. Dann liefen wir ins Publikum und lauschten Marius.
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Ich hab's ja angekündigt: Ich will mal Lieder von Paul McCartney präsentieren, die mir nicht gefallen.
Andererseits habe ich da gerade eine CD laufen, und ich dachte mir, das wäre ja auch ein interessantes Thema: Lieder von Paul McCartney, die mir gefallen.
Das Grillengeräusch stört mich allerdings gerade und die Stille ist mir auch etwas peinlich. So wie auf Geburtstagen mit zu vielen Menschen, die sich untereinander nichts zu sagen haben, bis jemand sich räuspert und sagt: "Ich mach dann mal etwas Musik an"; also drücken Sie doch bitte nebenbei den Knopf hier, ja?
Paul McCartney erzählte übrigens anlässlich seiner unerwarteten Comebacktournee 1989 (Danke! Danke!) mal von einem Alptraum, den er angeblich hatte: Er steht auf der Bühne, spielt Yesterday, aber die Leute drehen sich um und gehen. Er ruft: "Wartet!" und spielt Long Tall Sally. Und sie gehen.
Mich erinnert das an einen traurigen Abend. Es muss in Verden oder einem ähnlichen Speckgürtelkaff gewesen sein, irgendwann Anfang der 90er, ich hatte mir ein Auto geliehen und das ganz tolle T-Shirt angezogen, auf dem die vier Pilzköpfe* in psychedelischer Siebdruck-Optik à la Warhol abgebildet waren. Denn: Tony Sheridan trat auf! Wahnsinn, oder?
Das ist aber auch wieder schön draußen, heute!
Manche Leute stehen ja auf alles, was irgendwie lateinamerikanisch-spanischsüdländisch klingt. Die wippen dann mit den Füßen, ayayayayyyy, arriba, Salsa, Cuba Libre, Buenavista, so Sachen. Ich bin da eher ein schwieriger Kandidat - hege zwar keine prinzipielle Abneigung, dennoch ist das normalerweise nicht meine bevorzugte Musik. Mir gibt das nichts. (Als Kind mochte ich das hier. Aber das zählt nicht.)
Und dann ist auf McCartneys Album Chaos and Creation in the Backyard von 2005 so ein Sommerliedchen - entzückend!
Schon auf dem 1989er Album Flowers in the Dirt gab's ein süßliches, nahezu kitschiges Stückchen, das ich, wenn ich alleine war (schließlich hatte man damals noch einen Ruf zu verlieren), begeistert mitgesungen habe. Distractions heißt es und besticht nicht zuletzt durch eine wunderschöne Spanische Gitarre. Die Streicher sind dick aufgetragen und passen perfekt.
Auf dem erwähnten Chaos and Creation in the Backyard spielt McCartney übrigens wieder einmal die meisten Instrumente selbst. Hier hat er sich ein wenig helfen lassen:, das ich, wenn ich alleine bin,; und reden wir von Soundklischees - na und? Es ist eine schöne Melodie, geschmackvoll instrumentiert, und dann traut er sich sogar mal wieder ins Falsett:
--
*Was für ein blödes Wort.
Andererseits habe ich da gerade eine CD laufen, und ich dachte mir, das wäre ja auch ein interessantes Thema: Lieder von Paul McCartney, die mir gefallen.
ZirpDieses zu Tode gerittene Soundklischee gefällt mir persönlich ja immer wieder. In jedem zweiten Film wird es eingesetzt: Jemand steht auf der Bühne und erwartet Applaus, erzählt einen tollen Witz, macht einen begeisterten Vorschlag, das Publikum jedoch starrt ihn stumm an und man hört die Grillen zirpen.
Zirp
Zirp
Das Grillengeräusch stört mich allerdings gerade und die Stille ist mir auch etwas peinlich. So wie auf Geburtstagen mit zu vielen Menschen, die sich untereinander nichts zu sagen haben, bis jemand sich räuspert und sagt: "Ich mach dann mal etwas Musik an"; also drücken Sie doch bitte nebenbei den Knopf hier, ja?
Paul McCartney erzählte übrigens anlässlich seiner unerwarteten Comebacktournee 1989 (Danke! Danke!) mal von einem Alptraum, den er angeblich hatte: Er steht auf der Bühne, spielt Yesterday, aber die Leute drehen sich um und gehen. Er ruft: "Wartet!" und spielt Long Tall Sally. Und sie gehen.
Mich erinnert das an einen traurigen Abend. Es muss in Verden oder einem ähnlichen Speckgürtelkaff gewesen sein, irgendwann Anfang der 90er, ich hatte mir ein Auto geliehen und das ganz tolle T-Shirt angezogen, auf dem die vier Pilzköpfe* in psychedelischer Siebdruck-Optik à la Warhol abgebildet waren. Denn: Tony Sheridan trat auf! Wahnsinn, oder?
ZirpIch meine, der Tony Sheridan! Beat Brothers! Star Club! My Bonnie! Wahnsinn, oder?
Zirp
Zirp
ZirpEs war ein schlechter Auftritt vor gelangweiltem Bierzeltpublikum, er war nicht gut beisammen, er beherrschte sein Instrument nicht, das zu Beginn noch enthusiastische Publikum wandte sich langsam ab, am Ende saß man in Gruppen mit dem Rücken zur Bühne und ignorierte das dortige Geschehen nach Kräften.
Zirp
Zirp
Das ist aber auch wieder schön draußen, heute!
Manche Leute stehen ja auf alles, was irgendwie lateinamerikanisch-spanischsüdländisch klingt. Die wippen dann mit den Füßen, ayayayayyyy, arriba, Salsa, Cuba Libre, Buenavista, so Sachen. Ich bin da eher ein schwieriger Kandidat - hege zwar keine prinzipielle Abneigung, dennoch ist das normalerweise nicht meine bevorzugte Musik. Mir gibt das nichts. (Als Kind mochte ich das hier. Aber das zählt nicht.)
Und dann ist auf McCartneys Album Chaos and Creation in the Backyard von 2005 so ein Sommerliedchen - entzückend!
Schon auf dem 1989er Album Flowers in the Dirt gab's ein süßliches, nahezu kitschiges Stückchen, das ich, wenn ich alleine war (schließlich hatte man damals noch einen Ruf zu verlieren), begeistert mitgesungen habe. Distractions heißt es und besticht nicht zuletzt durch eine wunderschöne Spanische Gitarre. Die Streicher sind dick aufgetragen und passen perfekt.
DistractionsWer weiß, vielleicht kann man das ja irgendwo finden und anhören? Kein Lied für jeden Tag, gewiss! - auch ich mag nicht alles immer gleich gerne. Pfirsichbowle, sozusagen: Passt nicht immer, aber wenn, dann passt sie richtig.
Like butterflies are buzzing 'round my head,
When I'm alone I think of you
And the life we'd lead if we could only be free
From these distractions.
Auf dem erwähnten Chaos and Creation in the Backyard spielt McCartney übrigens wieder einmal die meisten Instrumente selbst. Hier hat er sich ein wenig helfen lassen:
Paul McCartney - Classical guitar, bass guitar, piano, harmonium, gong, cymbal, triangle, vocalsUnd was kommt dabei heraus? Ein süßliches, nahezu kitschiges Stückchen
Jason Falkner - Classical guitar
Joey Waronker - Bass drum, bongos, shaker
If I could even find the words to tell herA Certain Softness.
I wouldn't want to anyway
Cause that would only break the spell
And you know very well, I couldn't betray her
--
*Was für ein blödes Wort.
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Es ist möglicherweise Zeit für ein offenes Wort.
Nachdem ich den Ausstieg aus der Galeere gerade noch geschafft und mich ans Ufer gerettet habe, verfüge ich zwar über deutlich mehr Tagesfreizeit.

Aber, auch wenn ich bisher noch keinen Nervenzusammenbruch oder wenigstens eine Gallenoperation vorzuweisen habe, ich muss mich doch ein wenig meiner Restauration widmen.

Es ist ja nicht nur das Knie.

Es ist vor allem diese abgrundtiefe Müdigkeit.
Und so werde ich noch eine Zeitlang mehr radeln - und weniger bloggen.

Heute habe ich mir schon mal meine Einlagen versiegeln lassen.

Nachdem ich den Ausstieg aus der Galeere gerade noch geschafft und mich ans Ufer gerettet habe, verfüge ich zwar über deutlich mehr Tagesfreizeit.

Aber, auch wenn ich bisher noch keinen Nervenzusammenbruch oder wenigstens eine Gallenoperation vorzuweisen habe, ich muss mich doch ein wenig meiner Restauration widmen.

Es ist ja nicht nur das Knie.

Es ist vor allem diese abgrundtiefe Müdigkeit.
Und so werde ich noch eine Zeitlang mehr radeln - und weniger bloggen.

Heute habe ich mir schon mal meine Einlagen versiegeln lassen.
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alors là !(Gruß an monnemer!)
qu'est ce qui lui a pris ?
peut etre la pire de ses chansons!
Où est le soleil?
Dans la tête.
Travaillez!
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(Fortsetzung)
"Hier ist Deutschland! Hier wird mit D-Mark bezahlt!"
Einerseits faktenorientiert und durchaus wahrheitsgetreu, war die Antwort des Kassierers an jener Autobahntankstelle, die ich mit den fünf Litern aus dem ADAC-Kanister knapp erreicht hatte, andererseits doch niederschmetternd. Mein Wedeln mit Guldenscheinen, meine wortreichen Erklärungen, dass der Wechselkurs doch festgeschrieben sei und ich selbstredend einen ordentlichen Aufschlag zu zahlen bereit etc., all dies wurde mit einem Achselzucken quittiert, so dass ich mich erst ein Weilchen in den Schatten setzte und dann noch einmal das Automobil aufs Gründlichste durchsuchte. Irgendwo musste doch mal ein Markstück hinter den Sitz gefallen, eine Münze ins Handschuhfach gerutscht sein? Oder gab es evtl. sogar einen geheimen Notgroschen?
Während ich schwitzend und mit rotem Kopf, auch ein Sonnenstich schien sich anzudeuten, Matratzen anhob und Schrankböden herausnahm, wurde ich von einem Menschen, für den die Bezeichnung Tippelbruder hätte erfunden werden müssen, freundlich angesprochen: Ob ich, wie mein Kennzeichen nahelege, nach Göttingen führe? Dann könne ich ihn ja sehr gut bis Kassel mitnehmen! Schon hatte er seine fleckige, große Tasche durch die offene Seitentür ins Auto geworfen.
Obschon dem Anhaltertum generell nicht abgeneigt, war meine Reaktion diesmal wenig enthusiastisch. Ja, eigentlich sei das kein Problem, erklärte ich, allerdings hätte ich Kopfschmerzen und übrigens kein Benzin und kaum Geld (einen geringen, einstelligen D-Mark-Betrag hatte ich inzwischen zusammengeklaubt). "Ich habe noch drei Mark sechzig, die will ich dir gern geben!", sprach der selbsternannte Fahrgast, wodurch ich mich summa summarum in die Lage versetzt sah, die Tanknadel um ein bis zwei Millimeter nach oben zu bewegen und mutig die nächste Etappe anzutreten.
Langsam und gleichmäßig fuhr ich, um jeden Tropfen Benzin bestmöglich zu nutzen, während der Passagier mir aus seinem Leben erzählte. Er sei Koch, meinte er, habe aber schon länger keine Arbeit und schlage sich "so durch". Als Kind einer armen Familie mit vielen hungrigen Mündern sei das Essen für ihn immer zu knapp gewesen, so dass sein Berufswunsch früh festgestanden habe. "In der Küche gibt es immer was zu essen" - das waren seine vorerst letzten Worte, bevor er schlagartig einschlief und laut zu schnarchen begann.
Mein dehydrierter Kopf fand das alles anstrengend. Ich fuhr ängstlich auf der rechten Spur, malte mir aus, wie es wohl wäre, noch einmal liegenzubleiben, diesmal mit dem Fahrgast, der mir trotz allem nicht ganz geheuer war, außerdem hatte man mich ja gewarnt: Spritmangel auf der Autobahn ist bei Strafe verboten!
Die Tanknadel lag wieder in Ruhestellung und die Stadt Kassel vor mir. Ich fasste einen Entschluss: Bis Göttingen käme ich auf keinen Fall, also runter von der Autobahn, den Fahrgast absetzen und dann zu Oma und Opa fahren. Ja - die wohnten in der Umgebung dieser nordhessischen Metropole! Und mit Glück würde ich den steilen Berg hinauf noch schaffen, andernfalls eben mit dem Fahrrad hinfahren und um Beistand in Form eines Kanisters Benzin bitten.
Es war nicht leicht, den Schnarcher aufzuwecken, der mich desorientiert ansah und mir dann erklärte, er habe Diabetes und falle manchmal abrupt in so einen Tiefschlaf. Dann dankte er mir fürs Mitnehmen, stieg aus, ich atmete auf und fuhr weiter. Zunächst versuchte ich einen weiteren Tankwart davon zu überzeugen, mir doch bitte wenigstens für zehn Mark, und ich könne auch meinen Ausweis als Pfand dalassen usw., hätte mir das aber selbstverständlich sparen können. Nun, es war inzwischen früher Abend, musste nur noch die Strecke zu den Großeltern gefunden und bewältigt werden, die sich zwar bestimmt wundern, vor allem aber freuen würden, wenn ich käme, ich würde dort in Ruhe etwas trinken, mich frisch machen, ein wenig ausruhen, vielleicht gar übernachten, denn so richtig frisch fühlte ich mich nicht mehr.
Das letzte, besonders steile Stück fuhr ich mit dem sicheren Gefühl, nun müsse der Sprit aber wirklich aufgebraucht sein. Verhaltensforscher mögen bitte einmal herausfinden, welchen evolutionären Vorteil in einer solchen Situation das In-den-Nacken-Ziehen des Kopfes bietet, speziell auf Bahngleisen etc., ich jedenfalls sah darin überhaupt keinen Sinn und tat es doch. Rätsel Darwin.
Entgegen allen physikalischen Gesetzen wurde auch dann noch, als ich in die kleine Straße einbog, die mein vorläufiges Ziel war, ein Luft-Benzin-Gemisch ausreichender Menge und Güte produziert, um die Kolben des Boxermotors (als würde ich mich mit sowas auskennen!) in ihre Auf- und Abwärtsbewegung zu zwingen, die ja erst in eine Drehbewegung umgewandelt werden muss. All das spielte in meinen Gedanken zu dem Zeitpunkt jedoch kaum eine Rolle, ich gierte nach Wasser und Kühle und Ruhe - und bald, gar bald wäre ich endlich erlöst. Erwartungsfroh ging ich zur Tür, klingelte, freute mich auf die erstaunten Gesichter, klingelte noch einmal, legte mir die erklärenden Worte ("ich muss erst mal dringend ins Bad!") schon zurecht, klingelte wieder. Sie waren nicht da.
Bis dahin hatte ich mir nicht vorstellen können, dass meine Großeltern mal "nicht da" wären. Gut, auch sie hatten von Urlauben und Unternehmungen berichtet, aber immer, wenn ich mit meinen Eltern hingefahren war, waren sie dagewesen, mein ganzes Leben lang, und die bis dahin rein abstrakte Möglichkeit, dass sie einmal nicht zu Hause sein könnten, wurde erst an diesem Tag zu einem akzeptierten Bestandteil meines Weltbildes.
Das Grundstück, auf dem ihr Haus steht, hat einen großen, abschüssigen Garten, von dem aus man den Kasseler Herkules, jedenfalls bei klarer Sicht, mit bloßem Auge gut erkennen kann. Es ist ein schöner Garten, der immer auch zum Anbau von Obst und Gemüse gedient hat: Rhabarber, schwarze und rote Johannisbeeren, Sommeräpfel, Süß- und Sauerkirschen, Stachelbeeren, Erdbeeren, Mirabellen - ich habe mich immer daran gefreut, alleine an diesem Tag wollte mir das nicht uneingeschränkt gelingen. Die Sonne ging unter, ich wusste nicht, wo sie waren, hatte nicht einmal zwanzig Pfennig, um aus einer Telefonzelle heraus jemanden anrufen zu können - schließlich hatte ich sämtliches Geld in Benzin investiert. Warten wollte ich nicht, denn es wurde bei Sonnenuntergang plötzlich empfindlich kühl - und wenn die Großeltern länger weg wären, im Urlaub etwa?
Na ja, und dann bin ich die 52 km nach Hause über die Kasseler Berge eben mit dem Fahrrad gefahren.
"Hier ist Deutschland! Hier wird mit D-Mark bezahlt!"
Einerseits faktenorientiert und durchaus wahrheitsgetreu, war die Antwort des Kassierers an jener Autobahntankstelle, die ich mit den fünf Litern aus dem ADAC-Kanister knapp erreicht hatte, andererseits doch niederschmetternd. Mein Wedeln mit Guldenscheinen, meine wortreichen Erklärungen, dass der Wechselkurs doch festgeschrieben sei und ich selbstredend einen ordentlichen Aufschlag zu zahlen bereit etc., all dies wurde mit einem Achselzucken quittiert, so dass ich mich erst ein Weilchen in den Schatten setzte und dann noch einmal das Automobil aufs Gründlichste durchsuchte. Irgendwo musste doch mal ein Markstück hinter den Sitz gefallen, eine Münze ins Handschuhfach gerutscht sein? Oder gab es evtl. sogar einen geheimen Notgroschen?
Während ich schwitzend und mit rotem Kopf, auch ein Sonnenstich schien sich anzudeuten, Matratzen anhob und Schrankböden herausnahm, wurde ich von einem Menschen, für den die Bezeichnung Tippelbruder hätte erfunden werden müssen, freundlich angesprochen: Ob ich, wie mein Kennzeichen nahelege, nach Göttingen führe? Dann könne ich ihn ja sehr gut bis Kassel mitnehmen! Schon hatte er seine fleckige, große Tasche durch die offene Seitentür ins Auto geworfen.
Obschon dem Anhaltertum generell nicht abgeneigt, war meine Reaktion diesmal wenig enthusiastisch. Ja, eigentlich sei das kein Problem, erklärte ich, allerdings hätte ich Kopfschmerzen und übrigens kein Benzin und kaum Geld (einen geringen, einstelligen D-Mark-Betrag hatte ich inzwischen zusammengeklaubt). "Ich habe noch drei Mark sechzig, die will ich dir gern geben!", sprach der selbsternannte Fahrgast, wodurch ich mich summa summarum in die Lage versetzt sah, die Tanknadel um ein bis zwei Millimeter nach oben zu bewegen und mutig die nächste Etappe anzutreten.
Langsam und gleichmäßig fuhr ich, um jeden Tropfen Benzin bestmöglich zu nutzen, während der Passagier mir aus seinem Leben erzählte. Er sei Koch, meinte er, habe aber schon länger keine Arbeit und schlage sich "so durch". Als Kind einer armen Familie mit vielen hungrigen Mündern sei das Essen für ihn immer zu knapp gewesen, so dass sein Berufswunsch früh festgestanden habe. "In der Küche gibt es immer was zu essen" - das waren seine vorerst letzten Worte, bevor er schlagartig einschlief und laut zu schnarchen begann.
Mein dehydrierter Kopf fand das alles anstrengend. Ich fuhr ängstlich auf der rechten Spur, malte mir aus, wie es wohl wäre, noch einmal liegenzubleiben, diesmal mit dem Fahrgast, der mir trotz allem nicht ganz geheuer war, außerdem hatte man mich ja gewarnt: Spritmangel auf der Autobahn ist bei Strafe verboten!
Die Tanknadel lag wieder in Ruhestellung und die Stadt Kassel vor mir. Ich fasste einen Entschluss: Bis Göttingen käme ich auf keinen Fall, also runter von der Autobahn, den Fahrgast absetzen und dann zu Oma und Opa fahren. Ja - die wohnten in der Umgebung dieser nordhessischen Metropole! Und mit Glück würde ich den steilen Berg hinauf noch schaffen, andernfalls eben mit dem Fahrrad hinfahren und um Beistand in Form eines Kanisters Benzin bitten.
Es war nicht leicht, den Schnarcher aufzuwecken, der mich desorientiert ansah und mir dann erklärte, er habe Diabetes und falle manchmal abrupt in so einen Tiefschlaf. Dann dankte er mir fürs Mitnehmen, stieg aus, ich atmete auf und fuhr weiter. Zunächst versuchte ich einen weiteren Tankwart davon zu überzeugen, mir doch bitte wenigstens für zehn Mark, und ich könne auch meinen Ausweis als Pfand dalassen usw., hätte mir das aber selbstverständlich sparen können. Nun, es war inzwischen früher Abend, musste nur noch die Strecke zu den Großeltern gefunden und bewältigt werden, die sich zwar bestimmt wundern, vor allem aber freuen würden, wenn ich käme, ich würde dort in Ruhe etwas trinken, mich frisch machen, ein wenig ausruhen, vielleicht gar übernachten, denn so richtig frisch fühlte ich mich nicht mehr.
Das letzte, besonders steile Stück fuhr ich mit dem sicheren Gefühl, nun müsse der Sprit aber wirklich aufgebraucht sein. Verhaltensforscher mögen bitte einmal herausfinden, welchen evolutionären Vorteil in einer solchen Situation das In-den-Nacken-Ziehen des Kopfes bietet, speziell auf Bahngleisen etc., ich jedenfalls sah darin überhaupt keinen Sinn und tat es doch. Rätsel Darwin.
Entgegen allen physikalischen Gesetzen wurde auch dann noch, als ich in die kleine Straße einbog, die mein vorläufiges Ziel war, ein Luft-Benzin-Gemisch ausreichender Menge und Güte produziert, um die Kolben des Boxermotors (als würde ich mich mit sowas auskennen!) in ihre Auf- und Abwärtsbewegung zu zwingen, die ja erst in eine Drehbewegung umgewandelt werden muss. All das spielte in meinen Gedanken zu dem Zeitpunkt jedoch kaum eine Rolle, ich gierte nach Wasser und Kühle und Ruhe - und bald, gar bald wäre ich endlich erlöst. Erwartungsfroh ging ich zur Tür, klingelte, freute mich auf die erstaunten Gesichter, klingelte noch einmal, legte mir die erklärenden Worte ("ich muss erst mal dringend ins Bad!") schon zurecht, klingelte wieder. Sie waren nicht da.
Bis dahin hatte ich mir nicht vorstellen können, dass meine Großeltern mal "nicht da" wären. Gut, auch sie hatten von Urlauben und Unternehmungen berichtet, aber immer, wenn ich mit meinen Eltern hingefahren war, waren sie dagewesen, mein ganzes Leben lang, und die bis dahin rein abstrakte Möglichkeit, dass sie einmal nicht zu Hause sein könnten, wurde erst an diesem Tag zu einem akzeptierten Bestandteil meines Weltbildes.
Das Grundstück, auf dem ihr Haus steht, hat einen großen, abschüssigen Garten, von dem aus man den Kasseler Herkules, jedenfalls bei klarer Sicht, mit bloßem Auge gut erkennen kann. Es ist ein schöner Garten, der immer auch zum Anbau von Obst und Gemüse gedient hat: Rhabarber, schwarze und rote Johannisbeeren, Sommeräpfel, Süß- und Sauerkirschen, Stachelbeeren, Erdbeeren, Mirabellen - ich habe mich immer daran gefreut, alleine an diesem Tag wollte mir das nicht uneingeschränkt gelingen. Die Sonne ging unter, ich wusste nicht, wo sie waren, hatte nicht einmal zwanzig Pfennig, um aus einer Telefonzelle heraus jemanden anrufen zu können - schließlich hatte ich sämtliches Geld in Benzin investiert. Warten wollte ich nicht, denn es wurde bei Sonnenuntergang plötzlich empfindlich kühl - und wenn die Großeltern länger weg wären, im Urlaub etwa?
Na ja, und dann bin ich die 52 km nach Hause über die Kasseler Berge eben mit dem Fahrrad gefahren.
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Als Jüngling lieh ich mir gelegentlich den elterlichen VW-Bus, um damit Ausflüge zu unternehmen. Gar praktisch war das Wägelchen eingerichtet und ausgestattet: Man konnte darin kochen, hatte eine Spüle und fließendes Wasser sowie eine bequeme Schlafgelegenheit.
Als ich ankündigte, nach Amsterdam fahren zu wollen, wurde ich von den Freunden vielsagend angegrinst. Aber nicht in die Koffieshops zog es mich, nein, ich hatte das Städtchen zuvor schon einmal besucht und fand es gar zauberhaft. Nichts anderes als ein paar freie Tage dort verbringen wollte ich, herumspazieren oder -fahren, die Gegend erkunden, Flohmärkte besuchen und in den tollen "Half-Price"-Buchläden nach Beatlesbüchern stöbern. Da das Gefährt auch über einen Fahrradhalter verfügte, befestigte ich meinen grauen Raleigh-Rennflitzer darauf - ja, den mit den elliptischen Rohren aus kalt gezogenem Stahl, und fuhr frohgemut los. (Das Zweirad hatte ich für einen äußerst günstigen Preis gebraucht erstanden, und erst heute weiß ich, welchen Kultstatus diese Dinger haben.)
Es war Anfang Mai. Ich hatte auf Straßenkarten verzichtet, da Holland ja ein kleines Land ist und ich sicher war, auf den dortigen Autobahnen bald Schilder zu entdecken, die mir den Weg in die Grachtenstadt weisen würden. Gulden genug hatte ich eingetauscht, der Tank war voll, irgendwann ließ ich Krefeld hinter mir und überfuhr die Grenze.
Das mit den Schildern war allerdings nicht ganz so, wie ich mir vorgestellt hatte. Auch nach stundenlanger Fahrt kein "Amsterdam", und als geographische Vollniete konnte ich mich an den anderen Orten auch nicht orientieren. Den Haag? Den Helder? Utrecht? Rotterdam? Ja, was weiß ich denn! Nun, der Tank war ohnehin fast leer, ich fuhr eine Tankstelle an, ließ ein Vermögen dort und fragte nach dem Weg. Abends erreichte ich dann endlich die Stadt, steuerte das Rijksmuseum an, parkte gegenüber, fuhr mit dem Fahrrad herum, trank Kaffee, ging schlafen.
Auch den nächsten Vormittag verbrachte ich mit Radeln, kaufte eine Lederjacke und diese tollen Socken mit Comicmotiven auf dem Flohmarkt, während sich die Straßen mehr und mehr zu füllen begannen. Wahre Menschenmassen waren unterwegs, überall wurden Dinge verkauft, Essen, Trinken, Kleidung, und immer mehr orangefarbene T-Shirts waren zu sehen. Es war ein riesiges Volksfest - das Königinnenfest, wie ich später erfuhr, abgehalten zu Ehren der Beatrix, die zwar Ende Januar Geburtstag hat, aber da ist das Wetter nicht so schön. Nun, im Frühling, bei bestem Wetter, ließ sich ausgelassen feiern und ich mich treiben. Zugleich war die ganze Stadt ein Flohmarkt, irgendwann erstand ich ein weißes T-Shirt mit dem orangefarbenen Konterfei der Königin und der Aufschrift "Hiep Hiep".

Nach zwei Tagen inmitten dieser ausgelassenen Feierei trat ich an einem heißen Vormittag den Rückweg an, tauschte meine letzten D-Mark-Scheine bei einer Wechselstube in Gulden um, um noch einmal volltanken zu können, fuhr stundenlang durch Holland, kam irgendwann zufällig an die Grenze und war ernsthaft froh, das deutsche Vaterland doch noch wiedergefunden zu haben. Nicht lange darauf machte ein Blick auf die Tankanzeige meine Freude zunichte. Ich fuhr auf Reserve. Und hatte das Tanken in Holland vergesssen. Spritsparend tuckerte ich mit 90 weiter, immer hoffend, noch eine Tankstelle zu erreichen, doch irgendwann war Schluss und ich ließ den Wagen auf dem Standstreifen ausrollen.
Nachdem ich das Warndreieck aufgestellt hatte, lief ich zu einer der orangefarbenen Sprechsäulen, erklärte meine Lage und man versprach mir, jemanden zu schicken. Auf dem Rückweg zum Auto geriet ich ins Schwitzen, denn es war ungewöhnlich heiß. Dann wartete ich. Und wartete.
Ohne Schatten und mit einem kläglichen Rest Wasser im Kanister vergingen die Stunden eher quälend. Mir schien es mit der Zeit, als schmelze der Asphalt, und weder der vollkommen aufgeheizte VW-Bus noch die pralle Sonne draußen taten auf die Dauer besonders gut.

Als der ADAC-Mann endlich kam, es waren gut vier Stunden vergangen, begrüßte er mich mit den Worten: "Warum haben Sie denn vorhin kein Zeichen mit der Lichthupe gegeben! Ich war doch direkt vor Ihnen, als Sie auf den Standstreifen gefahren sind!" und klärte mich dann darüber auf, dass ich "Glück gehabt" hätte, da man von der Polizei empfindlich bestraft werde, wenn man wegen Spritmangels auf der Autobahn liegen bleibe. Dann befüllte er den Tank aus einem Fünfliterkanister, ich musste bar bezahlen und suchte Handschuhfach, Klappen und Behälter erfolglos nach D-Mark ab, bis ich den Gelben Engel dazu überreden konnte, Gulden zu nehmen, die ich ja noch reichlich hatte. Halbwegs erleichtert fuhr ich weiter, um erst einmal eine Tankstelle aufzusuchen und dann weiterzusehen.
(To be contd.)

Als ich ankündigte, nach Amsterdam fahren zu wollen, wurde ich von den Freunden vielsagend angegrinst. Aber nicht in die Koffieshops zog es mich, nein, ich hatte das Städtchen zuvor schon einmal besucht und fand es gar zauberhaft. Nichts anderes als ein paar freie Tage dort verbringen wollte ich, herumspazieren oder -fahren, die Gegend erkunden, Flohmärkte besuchen und in den tollen "Half-Price"-Buchläden nach Beatlesbüchern stöbern. Da das Gefährt auch über einen Fahrradhalter verfügte, befestigte ich meinen grauen Raleigh-Rennflitzer darauf - ja, den mit den elliptischen Rohren aus kalt gezogenem Stahl, und fuhr frohgemut los. (Das Zweirad hatte ich für einen äußerst günstigen Preis gebraucht erstanden, und erst heute weiß ich, welchen Kultstatus diese Dinger haben.)

Es war Anfang Mai. Ich hatte auf Straßenkarten verzichtet, da Holland ja ein kleines Land ist und ich sicher war, auf den dortigen Autobahnen bald Schilder zu entdecken, die mir den Weg in die Grachtenstadt weisen würden. Gulden genug hatte ich eingetauscht, der Tank war voll, irgendwann ließ ich Krefeld hinter mir und überfuhr die Grenze.

Das mit den Schildern war allerdings nicht ganz so, wie ich mir vorgestellt hatte. Auch nach stundenlanger Fahrt kein "Amsterdam", und als geographische Vollniete konnte ich mich an den anderen Orten auch nicht orientieren. Den Haag? Den Helder? Utrecht? Rotterdam? Ja, was weiß ich denn! Nun, der Tank war ohnehin fast leer, ich fuhr eine Tankstelle an, ließ ein Vermögen dort und fragte nach dem Weg. Abends erreichte ich dann endlich die Stadt, steuerte das Rijksmuseum an, parkte gegenüber, fuhr mit dem Fahrrad herum, trank Kaffee, ging schlafen.

Auch den nächsten Vormittag verbrachte ich mit Radeln, kaufte eine Lederjacke und diese tollen Socken mit Comicmotiven auf dem Flohmarkt, während sich die Straßen mehr und mehr zu füllen begannen. Wahre Menschenmassen waren unterwegs, überall wurden Dinge verkauft, Essen, Trinken, Kleidung, und immer mehr orangefarbene T-Shirts waren zu sehen. Es war ein riesiges Volksfest - das Königinnenfest, wie ich später erfuhr, abgehalten zu Ehren der Beatrix, die zwar Ende Januar Geburtstag hat, aber da ist das Wetter nicht so schön. Nun, im Frühling, bei bestem Wetter, ließ sich ausgelassen feiern und ich mich treiben. Zugleich war die ganze Stadt ein Flohmarkt, irgendwann erstand ich ein weißes T-Shirt mit dem orangefarbenen Konterfei der Königin und der Aufschrift "Hiep Hiep".

Nach zwei Tagen inmitten dieser ausgelassenen Feierei trat ich an einem heißen Vormittag den Rückweg an, tauschte meine letzten D-Mark-Scheine bei einer Wechselstube in Gulden um, um noch einmal volltanken zu können, fuhr stundenlang durch Holland, kam irgendwann zufällig an die Grenze und war ernsthaft froh, das deutsche Vaterland doch noch wiedergefunden zu haben. Nicht lange darauf machte ein Blick auf die Tankanzeige meine Freude zunichte. Ich fuhr auf Reserve. Und hatte das Tanken in Holland vergesssen. Spritsparend tuckerte ich mit 90 weiter, immer hoffend, noch eine Tankstelle zu erreichen, doch irgendwann war Schluss und ich ließ den Wagen auf dem Standstreifen ausrollen.

Nachdem ich das Warndreieck aufgestellt hatte, lief ich zu einer der orangefarbenen Sprechsäulen, erklärte meine Lage und man versprach mir, jemanden zu schicken. Auf dem Rückweg zum Auto geriet ich ins Schwitzen, denn es war ungewöhnlich heiß. Dann wartete ich. Und wartete.

Ohne Schatten und mit einem kläglichen Rest Wasser im Kanister vergingen die Stunden eher quälend. Mir schien es mit der Zeit, als schmelze der Asphalt, und weder der vollkommen aufgeheizte VW-Bus noch die pralle Sonne draußen taten auf die Dauer besonders gut.

Als der ADAC-Mann endlich kam, es waren gut vier Stunden vergangen, begrüßte er mich mit den Worten: "Warum haben Sie denn vorhin kein Zeichen mit der Lichthupe gegeben! Ich war doch direkt vor Ihnen, als Sie auf den Standstreifen gefahren sind!" und klärte mich dann darüber auf, dass ich "Glück gehabt" hätte, da man von der Polizei empfindlich bestraft werde, wenn man wegen Spritmangels auf der Autobahn liegen bleibe. Dann befüllte er den Tank aus einem Fünfliterkanister, ich musste bar bezahlen und suchte Handschuhfach, Klappen und Behälter erfolglos nach D-Mark ab, bis ich den Gelben Engel dazu überreden konnte, Gulden zu nehmen, die ich ja noch reichlich hatte. Halbwegs erleichtert fuhr ich weiter, um erst einmal eine Tankstelle aufzusuchen und dann weiterzusehen.
(To be contd.)
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