Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Samstag, 2. April 2016
71@71:#22
nnier | 02. April 2016 | Topic Musiq
Keine Ahnung, was ihn Anfang der 80er dazu gebracht hat: Knast in Japan, John erschossen, Wings auf Grund gelaufen, das Heimstudioalbum mit schlechten Kritiken - zum ersten Mal seit Beatles-Zeiten, sieht man mal von der 73er Auftragsarbeit Live and Let Die ab, suchte Paul die Zusammenarbeit mit George Martin. Das klingt schon so bedeutungsschwanger und erfüllt natürlich längst nicht alle Erwartungen: Fragen Sie mal Armin Veh, wie schwierig so etwas ist.

Bedeutungsschwanger in Zeiten des Kalten Krieges war natürlich auch alles mit War im Titel, und dass "Tug of War" eigentlich "Tauziehen" heißt, wusste ich damals nicht, erklärt aber die dräuenden Ächz- und Schnaufgeräusche zu Beginn: Ganz schön ernste Sache, das alles, mit der Liedermachergitarre und der edel-sparsamen Harfenbegleitung und den irgendwie total tiefsinnigen Lyrics ("We expected more / But with one thing and another / We were trying to outdo each other ..."), oder ist das vielleicht ziemlich prätentiöser Quark?

Lass uns mal ernsthaft klingen, mach es mal wertig, und wenn man schon so supertiefsinnig und irgendwie echt schwermütig "Iiiits a tuuug of waaaar" zu dem Geklimper gesungen hat, darf der Hintergrundchor noch ein paar Bedeutungsgirlanden drehen und antworten ("A tug of war, a tug of war!"): Das wissen wir ja, was für ein fähiger Arrangeur der George ist, und "Pushing and pulling", und "In another world", ja, klar, man merkt die Absicht.

Und ist verstimmt: Es gibt genügend Gründe, warum einem so etwas auf die Nerven gehen kann, und dann kommt die Stelle, für die sich alles gelohnt hat. Das sind bloß ein paar Sekunden, die E-Gitarre setzt ein, Pauls hohe Stimme wird ein wenig kräftiger, und meinetwegen soll der Chor auf "But it won't be soon enough" auch mit "Soon enough" antworten: Diese halbe Minute habe ich mir schon tagelang auf Repeat angehört.

Dann geht's zurück zu Streichern und Tiefsinn, und man will gerade genervt das Handtuch werfen und sagen: Schön und gut, Paul, aber lass doch mal diesen orchestralen Kram weg und den bedeutungsschwangeren Gesang, Pushing, Pulling, Pushing, Pulling - schon kniet man ergriffen nieder und leistet Abbitte. Denn was für einen wunderschönen und zutiefst geschmackvollen Abschluss setzt das Orchester da bitteschön unter das Lied!? Das beruhigt die Nerven, streichelt die Seele und berührt das Herz. Und so etwas kann nur McCartney. Mit George Martin.

Platz 22: Tug of War (1982)*

--
*Verlinkt ist ein sogenannter Remix von 2015, tatsächlich aber eher ein Remaster: Klanglich verbessert und etwas differenzierter, ansonsten gegenüber dem ursprünglichen Mix aber nahezu unverändert.

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