Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Montag, 11. Juli 2011
Oliver Twist
nnier | 11. Juli 2011 | Topic In echt
Zuletzt haben sie nun doch angefangen mit "Bürgerservicecenter" und so Zeug, Personalausweise und Führerscheine werden nun an einem Ort abgehandelt, sogar Angelscheine gibt's da. Wenn man heutzutage Sehnsucht nach behaglich-urigem Behördenflair hat, gibt's nur eines: Man bestelle in Übersee zwei CDs und warte, bis einige Wochen darauf ein ominöses Schriftstück eintrudelt. Diesem entnehme man, dass auf der empfangenen Sendung keine Rechnungspapiere zu finden seien, weshalb man bitte mit diesem Schreiben und der Rechnung und dem Zahlungsnachweis zum Zollamt komme, und dass darüber hinaus ein Betrag von 0,50 EUR pro Tag für die Verwahrung berechnet werde, auf deren Erhebung bis zu einer Höhe von 5.- EUR jedoch verzichtet werde, und noch ein paar Absätze.

Man fahre dann "mal eben" vor der Arbeit zum Zollamt und lasse sich zeigen, was eine Harke ist: Nach Durchquerung der Tür befindet man sich nämlich in einer Fernsehserie, die das, hm, "Leben" kann man es ja nicht nennen, sagen wir: das Dasein in einer Amtsstube der 70er Jahre persifliert, nein, genauer: Eine Parodie auf die üblichen Beamtenwitze liefert - so wie eine Zeichnung von Rattelschneck mit einer Frau, die das Nudelholz schwingt, ja auch etwas anderes ist als ein Witzbildchen aus den 60ern mit einer Frau, die das Nudelholz schwingt. Schon die Einrichtung ist perfekt getroffen, mancher würde sicherlich sagen: Reichlich überspitzt dargestellt, an die gilbende Wand geklebte alte Ausgaben von MediZini, tanngrün filzgepolsterte Metallstühle, auch diese merkwürdige braun-beige-olive Farblosigkeit aus alten Derrick-Folgen wird erstaunlich effektiv eingesetzt, und beim Betreten des Zimmers 5a bekommt man feuchte Hände, da man zwar ein paar Mal geklopft, aber keine Antwort erhalten und schließlich einfach so die Tür geöffnet hat.

Drinnen ein richtig alter Nussbaumtresen mit Klappdurchgang, man steht und räuspert sich, schließlich kommt ein farblos olivbraunbeiger Herr zur anderen Tür herein und nimmt das Schriftstück entgegen. Er verschwindet sogleich, so dass man genügend Muße hat, die uralten Bürowitzpostkarten vom Format "Wunder dauern etwas länger" zu studieren, kommt nach geraumer Zeit wieder und trägt einen versiegelten Sack mit sich, den er bedeutungsvoll auf den Tresen legt.

"Die Rechnung muss da eigentlich drin sein", murmelt man, während Oliver Braun das Siegel bricht, nur um gleich darauf festzustellen, dass der Versandkarton längst offen ist und die Rechnung unübersehbar obenauf liegt.

"Audio-CDs, aha. Da müssen wir einen Zollantrag stellen", spricht Olivia Beigeton-Grün und geht ein Formular holen, das man dann gemeinsam ausfüllt. Gut, denkt man, das hat alles etwas gedauert, aber nun holt er seinen Taschenrechner hervor, er wird noch schnell den Zollwert berechnen und du zahlst und kommst noch halbwegs rechtzeitig zur Arbeit.

Hahahahaha.

"Bitte nehmen Sie draußen Platz, es wird dann jemand kommen und Ihnen Ihre Sachen geben", wird man aufgefordert, geht etwas verblüfft in eine Art Wartezimmer zurück und hat nun ausreichend Zeit, die alten MediZini-Poster zu studieren. Erstaunlich, welche Tierarten alle im Gebüsch leben! Und wie der Herz-Lungen-Kreislauf funktioniert! Die allgemeinen Zollbestimmungen sind auch gar nicht so uninteressant, die paar Seiten liest man ratztfatz weg, während gelegentliche Neuankömmlinge an der Tür von Zimmer 5a klopfen, zögern, klopfen, keine Antwort erhalten und dann vorsichtig trotzdem die Tür öffnen.

"So", kommt die Beigebraunsche Molekularbewegung ganz unerwartet aus seinem Zimmer heraus, und instinktiv wendet man sich ihm zu und freut sich auf sein Paket, aber er hatte doch gesagt: Es kommt jemand, da meint er doch sicher nicht sich selber - und tatsächlich, er bittet den nächsten Abholer herein, so dass man noch ein Weilchen herumsteht, bis jemand durch die andere Tür tritt und man - fast wie beim Arzt - namentlich aufgerufen wird. Kurz wundert man sich, dass der Aufrufer kein Paket in der Hand hält, er aber ist offensichtlich nur dazu da, den Besucher durch braunbeigeolive Flure vor ein anderes Zimmer zu führen, ihm einen zweiseitigen Formularausdruck auszuhändigen und zu bedeuten, man möge hier warten, bis man aufgerufen werde.



Spätestens jetzt muss man das Grinsen unterdrücken, zumal man durch die geöffnete Tür gleich drei Menschen bei der, nun ja, Arbeit beobachten kann, die sich so gestaltet, wie man sich es in einer Parodie auf eine lustige Beamtenserie der 70er Jahre vorstellt, und dabei hat mindestens einer der Mitarbeiter die 70er Jahre garantiert nicht mehr miterlebt. Aber das steht man auch noch durch, man beherrscht sich gefälligst und macht ein angemessen staatstragendes Gesicht, wenn schließlich ein farblosbeiger junger Mann aus der Tür tritt und hineinbittet. Auch hier wieder der Klapptresen, darauf ein hoheitlich aussehendes Dokument mit einem zu zahlenden Endbetrag, den man freudig entrichtet, draußen dann dieser Time-Tunnel-Effekt - kein Wunder, dass man falsch abbiegt, es sollen schon Leute ihr Zieljahrzehnt verpasst haben!

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