Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Samstag, 3. April 2010
Greisenapfel
nnier | 03. April 2010 | Topic In echt
Die beiden Alten waren mir gleich aufgefallen. Sie prüften die Äpfel und Birnen so eingehend, dass ich zuerst vermutete, sie könnten zum Stand gehören, zu diesem Marktstand, den ich sonst nicht ansteuere, aber heute, da mich ein plötzlicher Regenguss unter eine andere Plane als gewöhnlich trieb, begutachtete ich das dortige Angebot, das hauptsächlich aus vielen Kartoffelsorten sowie einigem Obst bestand, und es gibt auf dem Markt hinter den Verkaufstresen durchaus Menschen, die man jenseits des Renteneintrittsalters vermutet und die man dennoch dienstags, donnerstags und samstags Obst und Gemüse abwiegen, Eier in mitgebrachte Kartons sortieren und "das Grüne" von den Möhren abschneiden sieht, bevor sie einen schönen Tag oder ein schönes Wochenende und auf jeden Fall gutes Wetter wünschen. Ich entschied mich, hier einmal einzukaufen, jetzt, da ich schon einmal da war und der Regen stärker wurde, zumal ich unter der Plane halbwegs trocken stand.

Es dauerte, bis ich drankam, denn sie waren nur zu dritt hinter dem langen Tresen, ständig rief jemand: "Hier!" und streckte den gehetzten Verkäuferinnen ein paar Lauchstangen oder Radieschen entgegen. Meinerseits verspürte ich keinerlei Bedürfnis zu drängeln, sondern sah mir in Ruhe die ausgelegte Ware an, lauschte dem Regen und schaute regelmäßig zu den beiden Alten da ganz rechts, bei den Apfel- und Birnensteigen, wie sie Frucht um Frucht in die Hände nahmen und eingehend untersuchten, bevor sie sie behutsam in eine der kostenlosen, dünnen grünen Plastiktüten legten. Sie mochten Brüder sein, überlegte ich, ähnelten sich jedenfalls nicht nur aufgrund ihrer starken, von dunklem Horn gerahmten Brillen, der außenliegenden Hörgeräte - jeweils am rechten Ohr - und der nahezu identischen Gehhilfen, sondern wirkten vor allem so vertraut, wie man nur sein kann, wenn man sich schon sehr lange kennt. Mit wortloser Routine hielten sie einander einzelne Früchte vors Gesicht, signalisierten Einverständnis und füllten langsam, sehr langsam ihre Beutel.

Ich kam schließlich dran, gab meine Bestellung auf und durfte zahlen. In Gedanken war ich schon beim nächsten Stand, als ich an den beiden Obstkäufern vorbeischlenderte. Der eine hatte sich vom Stand weggedreht. Ich sah seine graubeige Jacke, der Stock lehnte am Tresen, die rechte Hand holte die Geldbörse hervor, während auf seiner linken, dem Stand abgewandten Seite ein wunderschöner, rotglänzender Apfel, tatsächlich ein wahres Schmuckstück, sehr langsam in seiner Jackentasche verschwand.

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