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Morgen geh ich ins KaufhausIch war bestimmt zehn Jahre lang nicht mehr drin. Ohne Vorsatz; ich hatte es mir einfach abgewöhnt.
Und kauf mir einen Kamm
Einen schönen großen
So etwa hundert Gramm
(Die fröhlichen Insterburger)
Früher aber war es die zentrale Anlaufstelle. Als ich begann, mir die Umwelt jenseits der unmittelbaren Nachbarschaft zu erobern, insbesondere die Innenstadt kennenzulernen, war mir mein Freund A. ein kundiger Führer. Zwar hatte er mit der verbalen Vermittlung geographischer Zusammenhänge seine Schwierigkeiten; wenn er "immer geradeaus", "hinter" oder "auf der anderen Seite" sagte, war man auch nach mehrmaligen Nachfragen ("von wo aus gesehen?", "wie lange geradeaus?") nicht schlauer, da es ihm aus irgendwelchen Gründen nicht möglich war, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Zumindest, was solche Dinge betraf. Für ihn war seine Sicht die Welt, da gab es keinen Unterschied. Hörte man ihn beispielsweise das erste Mal von seinem Spanienurlaub erzählen und stellte eine harmlose Frage ("Kann man da am Strand auch Eis kaufen?"), dann konnte er vollkommen empört reagieren: "Nee! Da doch nicht! Wir wohnen doch in X, da gibt's doch kein Eis! Dazu muss man doch erst nach Y fahren!" und sah einen an wie jemanden, der seine Sinne nicht ganz beisammen hat.
War man jedoch mit ihm unterwegs, konnte man sicher sein, das gemeinsame Ziel schnell und oft unter Ausnutzung ungeahnter Abkürzungen (wie z.B. Durchquerung eines Ladens) zu erreichen. Und so kam es, dass ich eines Tages gemeinsam mit A. erstmalig auf eigene Faust "nach Karstadt" ging. Wir wollten Rolltreppe fahren und uns die Spielzeugabteilung ansehen.
Das Kaufhaus faszinierte mich. Die gut sichtbar angebrachten, stets offensiv und bedrohlich hin- und herschwenkenden Überwachungskameras, kreuzförmig im Viererverbund über Rolltreppen und Kleiderständern angebracht, oder das Lüftungsgitter vor dem Eingang, unter dem ein verdammt tiefer Abgrund gähnte und in den einmal der kleine Schlüssel meines Fahrradschlosses hineinfiel. Und die Rolltreppen selbst, denen ich stundenlang zusah, da ich nicht begreifen konnte, wie sie endlos weiterlaufen konnten. Irgendwann mussten diese Stufen doch einmal alle sein! Und wie gefährlich die scharfen Eisengitter blitzten, in denen sie am Ende verschwanden.
Man war ja gewarnt worden vor der Gefährlichkeit der bequemen Aufstieghilfe ("Am Ende einen großen Schritt machen! Auf die Schnürsenkel aufpassen! Und beim Handlauf aufpassen, dass die Finger nicht dazwischenkommen!"). Aber eines Tages erwischte es mich doch. Ich musste auf meine Mutter warten, die in irgendeiner Abteilung verschwunden war, und lehnte mit dem Hintern an dem Handlauf der aufsteigenden Rolltreppe. Das glatte Gummi wischte am Hosenboden entlang, ich dachte an nichts, bis ich plötzlich auf dem Handlauf saß und mich auf dem Weg nach oben befand. Das Gesäß über den Rolltreppenstufen, die Beine auf der anderen Seite, und die Decke, die mir die Oberschenkelknochen brechen würde, kam rapide näher. Zwar sprang ich schnell ab und tat, als sei nichts gewesen; doch kann ich seither keine Rolltreppe mehr benutzen, ohne an den klebrigen Kaugummifleck zu denken, der mich mitzog und in jene James-Bond-Situation brachte.
Mein Opa, der in einem sehr kleinen Ort aufgewachsen war und dort immer gelebt hatte, amüsierte sich damals sehr über mein ewiges "bei Karstadt", wenn er mich fragte, wo ich denn dieses gekauft hätte oder jenes besorgen wolle. Das war für ihn, der nichts anderes als spezialisierte Fachgeschäfte kannte, äußerst komisch. Eine Uhr, eine Hose, ein Malkasten - es war klar, wohin ich ging. Und auch in den ersten Jahren in meiner neuen Stadt war ich regelmäßiger Kaufhausgast.
Wodurch es sich geändert hat, ist mir heute noch nicht ganz klar. Manchmal fuhr ich in die großen Zentren außerhalb. Manchmal bestellte ich Dinge per Post. Aber es war, so meine ich, vor allem der Eindruck, dass man dort zuviel bezahle. Die tollen Angebote gab es dort nicht, sondern lediglich Grabbeltische mit minderwertiger Ware, daneben eine zufällige Auswahl von Markenartikeln, die man anderswo günstiger bekam.
Erst seit in den Medien über die Schwierigkeiten des Konzerns berichtet wurde, bin ich wieder hingegangen, zuerst aus reiner Neugier. Und seitdem wieder zum regelmäßigen Kunden geworden. Denn: Die Preise sind in Ordnung; die Auswahl ist gut; die Verkäufer insgesamt kompetent und freundlich (und: es gibt überhaupt welche). Und dann noch etwas: Man kann problemlos umtauschen! Was war das früher für ein inquisitorisches Verfahren ("Umtausch nur an der Sammelkasse! Was ist denn damit nicht in Ordnung! Das kann ich Ihnen so aber nicht umtauschen! Das war schon ausgepackt!"). Heute hingegen: Vorbildlich. Zum einen tauscht man in der jeweiligen Abteilung um. Zweitens gegen Bares oder Rückzahlung auf der EC-Karte. Drittens ohne Diskussionen. Und viertens: Im Notfall sogar ohne Bon, wie es mir gestern widerfuhr, ein Vorgang, der früher undenkbar war.
Bevor sie alle dichtmachen oder auch die letzten Flächen an einzelne Shops vermietet sind: Gehen Sie ruhig mal wieder hin. Suchen Sie das große Haus mit der imposanten Fassade. Laufen Sie durch die alten Abteilungen, nicht die Shop-in-Shops, nehmen Sie das Treppenhaus, in dem es noch nach 70ern riecht, sehen Sie sich die messingfarbenen Türgriffe an den schweren Metalltüren mit Glaseinsatz und die Linoleumböden noch einmal an. In ein paar Jahren gibt's das nicht mehr.
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