Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Fanta sien
nnier | 05. November 2012 | Topic Brainphuq


Nehmen wir das mit der Fanta: Da entdeckte ich eines Tages, wie unglaublich gut mir diese süße Orangenlimonade aus der braungeringelten Glasflasche schmeckte, schon phantasierte ich davon, in meinem Kinderzimmer drei Wasserhähne zu haben: Einen für Fanta, einen für Cola, einen für Sprite. Ich quatschte begeistert drauflos und erzählte in allen Einzelheiten, wie ich mir das vorstellte. In der folgenden Nacht hatte ich einen intensiven Traum: Ich saß in einem (meinem?) Zimmer, das bis zur Decke mit Fanta gefüllt war, konnte hemmungslos trinken und pinkeln und dabei friedlich durch die orangefarbene Unterwasserwelt gleiten.



Die elektrische Eisenbahn fuhr in meiner Phantasie nicht auf dem Fußboden im Kreis herum. Sie schraubte sich in einer Ecke meines Zimmers in Wendelschleifen bis knapp unter die Decke, wo schmale Regalbretter an der Wand befestigt waren, auf denen die Bahn entlangratterte bis zur nächsten Ecke, dort spiralig wieder herunter bis auf den Schreibtisch, wo sie ein paar Kurven nahm, um dann über den Kleiderschrank und unter dem Bett hindurch mein Zimmer durch einen (noch zu schlagenden) Durchbruch in der Wand zu verlassen und im Flur über die Bücherregale hin zum Sockel der Treppe und von dort in die andere Etage weiterzufahren, wo das Ganze erst richtig losgehen sollte.



Vor langer Zeit betrat ich das Haus eines Herrn, der per Annonce irgendwelches Aquarien­zubehör angeboten hatte. In seinem Wohnzimmer stand ein riesiges Becken, bestückt mit aufwendigster Technik und voller Schmetterlings­buntbarsche, die sich in einem riesigen, durchlöcherten Stein verbargen und hervorgeschossen kamen, als es Futter gab. In anderen Teilen der Wohnung gab es weitere Becken, ich zählte insgeamt sechs Stück und fragte nach Kosten und Arbeitsaufwand. "Das ist nun mal mein Hobby, ich find's einfach total geil, und jetzt zeig ich dir mal was", meinte der Herr, führte mich zum Badezimmer und wies auf eine achteckige Spezialanfertigung direkt neben dem WC, ein hohes, schlankes Becken, in dem exotische Fische durch eine bemerkenswert algenfreie Pflanzenwelt glitten.



Einen Hang zur Übertreibung kann ich nicht ganz leugnen, es ging ja so weiter: Wenn mir etwas gefiel, z.B. die Musik einer Band, konnte ich mich ziemlich schwer beherrschen. Da überspielte ich mir natürlich keine Platten auf Cassette, sondern kaufte alle LPs und danach die Singles und dann die ausländischen Pressungen und dann die Kompilation, auf der kein einziges neues Lied war.



Und noch heute, wenn ich im Urlaub bin, ruft es in mir: Hier will ich auch eine Hütte haben! Und dann für immer hierbleiben! Alles andere will ich gar nicht mehr haben! Ich würde das sofort alles eintauschen!



Es gibt inzwischen eine zweite Bewusstseinsschicht in mir, die sich gelegentlich meldet und sagt: Man muss nicht alles gleich haben. Sei doch froh, dass du ab und zu hinfahren kannst. Schau, du musst dich um nichts kümmern, kein Dach abdichten, keinen Zaun herrichten, dir nicht einmal Gedanken darum machen - du bist hier ein Fremder und nur Gast, das hat auch große Vorteile, denn es erwartet niemand etwas von dir. Wer hier wem etwas gönnt oder übelnimmt oder mit wem warum verfeindet ist, bekommst du gar nicht mit und muss dich auch nicht interessieren, denn du bist ein Fremder und bald wieder weg.



Ich lese ab und zu die begeisterten Berichte der Hobbyisten: Ganze Häuser werden da statisch an ihre Grenzen gebracht, es fließen minütlich hunderte Liter Wasser durch irgendwelche Rohre, sie werden von der Zentralheizung mit erwärmt, all das ist völlig ausgeklügelt, und irgendwo ist ein ganzes Zimmer mit dicken Plexiglaswänden abgedichtet, darin schwimmen ein paar Fische.



So gesehen kann ich froh sein, dass ich nicht als junger Facharbeiter über Tarif bezahlt worden bin, sonst hätte ich vielleicht einen Golf GTI mit einer High-End-Anlage ausgestattet und den Motorraum von innen verchromt.



Oder ein eigenes Fantazimmer.



Aber so eine Hütte da oben

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hora sexta, Sonntag, 11. November 2012, 11:09
Fantazimmer. Sie haben da ein sehr tolles Wort. Wie ich überhaupt sehr hingerissen bin von Ihrem Text.

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nnier, Sonntag, 11. November 2012, 22:51
Danke, das freut mich!

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