Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Nerven, Nena und Bundespräsident Karges
nnier | 04. Oktober 2010 | Topic In echt
Mein Nachbar hatte sich mit Thilo Sarrazin verabredet, auf ein "vierer" Bier, wie er mehrfach betonte, und auch wenn ich nicht genau wusste, wie ich zu meiner Vermittlerrolle gekommen war, akzeptierte ich sie ohne weiteres, so dass ich den Herrn, es war der echte mit dem original zusammengekniffenen Auge, konspirativ durch unsere Kopftuchnachbarschaft und hin zu einer Eckkneipe führte. Mich interessierte der Anlass dieses Zusammentreffens, doch war ich zu höflich, nach demselben zu fragen und hoffte stattdessen, immerhin betätigte ich mich hier unentgeltlich als Scout, auf eine freiwillige Auskunft, bekam aber nur noch zweimal mitgeteilt, dass man sich "auf ein vierer Bier" treffe, das werde es in dieser Kneipe doch wohl geben, und obgleich ich die Kneipe nur von außen kannte, versicherte ich, dass es solches dort auf jeden Fall gebe - hundert Pro!



So begann mein Wochenende. Beim Aufwachen brauchte ich einige Minuten, bis ich mit einer gewissen Erleichterung begriff, dass ich nur geträumt hatte - womit der Ohrwurm des Tages definiert war. Überhaupt, wie alles mit allem zusammenhängt - ein Wahnsinn!

So hatte auch ich mein altersentsprechendes Schlüsselreizerlebnis, wer dabei war, weiß bescheid, Musikladen 1982, eh, roter Minirock, und auch wenn mir der vom Ehrgeiz zerfressene Uwe Fahrenkrog-Petersen schon an jenem ersten Abend unangenehm auffiel und die Sängerin sich über die Jahre zu einer, na ja, unsäglich dumm daherplappernden und dabei reichlich eingebildeten Bratze entwickelt hat, falls sie das nicht damals schon war - aber da wäre trotzdem der Minirock vor gewesen - also vor der entsprechenden Erkenntnis - doch!, so sagt man hier in Bremen: Da wäre der Minirock vor gewesen, man sagt auch: Da kann ich nichts für, es wird da vermutlich einen linguistischen Fachausdruck für geben, dass man solcherlei Konjunktionen auseinanderreißt, ohne da was bei zu finden - auch wenn es also gute Gründe gibt, die Dame peinlich zu finden, hat sich unter allen negativen Überformungen eine nicht gänzlich negativ getönte emotionale Grundierung gehalten.



Während die Stadt in freudiger Erwartung vibrierte, der Hubschrauber kreiste, Straßenbahnen sich zurückstauten und allüberall Martinshörner erschallten, riffte das simple Synthesizer-Opening dieses Liedes schon wieder durch mein inneres Gehör, da ich an der Stadthalle entlangradelte und darüber nachsann, ob jener Musikladen-Auftritt wohl in dieser stattgefunden habe.



Aus heiterem Himmel fiel mir dann ein, wie ich einmal gelesen hatte, dass ausgerechnet die hier diskutierte Chanteuse einen Höhepunkt-Auftritt bei den hiesigen Einheitsfeiern geben sollte, die Bremer haben ja vor 20 Jahren die Mauer eingerissen, es war eine friedliche Revolution, und wer hätte noch ein paar Monate vorher geglaubt, dass so etwas möglich wäre - Wahnsinn, oder!



Trotz intensiver Nachforschungen in Print- und elektronischen Medien war allerdings lediglich herauszufinden, dass die Sängerin irgendwie, irgendwo, irgendwann auftreten solle, so dass ich mir den weiten Weg (immerhin gut und gerne fünf Minuten mit dem Fahrrad) zur Feiermeile nach reiflicher Überlegung doch lieber sparte, womit eigentlich alles gesagt wäre. Jedoch und allerdings: Jede Kritik am Web ist nichts weiter als pure Selbstkritik. Jede Verbesserung des Web dadurch aber auch ein Stück gelungene Arbeit am Ich und Wir (01. Oktober 09:30 - um diese Tageseit führe ich ja Bundesbankvorstände zur Kneipe, statt esoterische Kalendersprüche von Nena in fremde Weblogs einzutragen).



Wie sich manchmal alles fügt! Kaum ist es Nacht, kaum sind die Martinshörner verklungen, kaum hat Herr Sandmann (das mit der Einheit hat auch Grenzen) reichlich verspätet seinen Job getan, da krakeelt und keift und kreischt es durch massives Mauerwerk und geschlossene Fenster hindurch mehrstimmig sowie dermaßen laut und dabei vollkommen unartikuliert, dass man schmunzelnd die Augen wieder öffnet und auf die andere Seite des Hauses schlendert, wo man, und jetzt halten Sie sich fest: vor der Eckkneipe, betrunkene Menschen schreien, weinen, weglaufen und wiederkommen, sich hin- und herstoßen, dann wieder umarmen und überhaupt so vollumfänglich und in allen Facetten Mensch sein sieht, dass man beim Anblick der aus drei Richtungen heransausenden Streifenwagen fast so etwas wie Enttäuschung empfindet.



Lucid in the Sky With Diamonds dann der Rest jener Nacht, eine tiefempfundene Reue ob der verpassten Nena, deren Schwester lt. Bravo sich damals tatsächlich Nane nannte, so dass sich zur Prävention weiterer Versäumnisse ein Entschluss formt: Am nächsten Tag wenigstens einmal durchs Brandenburger Tor, komme was da wolle, evtl. auch Bundespräsident Koch, sowie Bratwurst oder Flammkuchen.



Sonntag dann tatsächlich Wetter, so dass die Fahrradtour nachgeholt werden kann, und wie sich manchmal alles einschwingt und miteinander in Resonanz kommt! Kaum denkt man z.B. darüber nach, dass Nena ja vor einigen Jahren dieses eine Lied mit der übrigens immer noch entzückenden Kim Wilde neu aufgenommen hat, Fahrenkrog-Carstensen hin oder her, da schallt einem, druckvoll gegeben von einer dieser Coverbands, das Lied Kids in America entgegen. Wahnsinn! Hätten Sie noch vor ein paar Monaten gedacht, dass so etwas möglich wäre?



Kaum versucht man im Saarland mit einem Flammkuchen die vibrierenden Nerven zu beruhigen (Zeichen! Überall Zeichen!) und geht durchs Brandenburger Tor - einfach so, hätten Sie das noch vor ein paar Monaten für möglich gehalten? - weiter nach Rheinland-Pfalz, schon tritt Bundespräsident Mappus einem erst auf die Füße und dann auf die Bühne, wo er folgende Frage an sein Publikum richtet:



"Moin! Wissen Sie, was der Unterschied zwischen England und Rheinland-Pfalz ist?" - man denkt gerade angestrengt nach, es will einem aber partout nichts einfallen -



"Die Engländer haben bloß eine Königin, aber wir in Rheinland-Pfalz haben vier, und hübscher sind unsere auch noch, und sie wollen Königinnen auch der Muslime sein!"



Man stößt mit Moselwein an, zufällig sind auch ein paar Fotografen da, gerne hätte man sich zwanglos dazugestellt und mit den Monarchinnen sowie Herrn Köhler über die Zerlegbarkeit von Konjunktionen u. dergl. diskutiert, da hätte man einiges zu sagen können, doch ein Reiter aus einem benachbarten Königreich hat sich an der Stirn verletzt und offenbar ein sehr dringendes Anliegen. "Mesdames", hebt man bedauernd an, "bedaure, aber dies sieht entschieden nach einen Henrico-Frank-Moment aus, nicht mein Fall - schauen'S, wenn selbst die Loreley ihren Kamm sinken lässt und sich abwendet, ist's auch für mich an der Zeit zu gehen."



Henrico Frank, das klingt beinahe so wie Carlo Karges, wurde mir dann noch bewusst, und ein Schauer lief über meinen Rücken, so dass ich schnellstens zurück zu meinem Kokon radelte, wo ich mich einem liebgewonnenen Ritual widmen konnte. Noch steht alles prächtig im Saft, wer weiß, wie lange noch.





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jean stubenzweig, Montag, 4. Oktober 2010, 18:55
Haben sich in Bremen die MonarchiFöderalisten vereinigt? Einig Reich? Alle? Sie haben gar nichts von der Kaiserin erzählt. Ließ die sich von der mehrfachen Mutter vertreten? Allzu sehr scheinen Sie, von Ihren Träumereien abgesehen, nicht gelitten zu haben. Doch das mag an Ihrer Vision vom guten Ende gelegen haben.

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nnier, Dienstag, 5. Oktober 2010, 00:27
Herr Stubenzweig, ich habe ja gezögert, alles zu erzählen, und ich zögere auch jetzt noch. Doch spüre ich andererseits, dass Sie mir mit Ihren Andeutungen keine Wahl lassen. Lassen wir also die Bilder mehr als tausend Worte sagen. Eins nach dem anderen.

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nnier, Dienstag, 5. Oktober 2010, 00:28


Pepsi-Test mit Uschis Rasselbande - oder: Oh là là, wo hast du denn die ganzen Mädels her? Ja, geh halt mal zur Ursula, die kannst du dir von-der-leihen!

- Haben Sie mal bei BILD gearbeitet?
- Wie kommen Sie darauf?

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nnier, Dienstag, 5. Oktober 2010, 00:33


Victoria und David "Becks" Beckham (im Hintergrund: T. Sarrazin)

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nnier, Dienstag, 5. Oktober 2010, 00:36


Beck to the roots: Franz "Becks" Beckenbauer, Berti Vogts (im Hintergrund: T. Sarrazin)

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nnier, Dienstag, 5. Oktober 2010, 00:44


So versaut ist die Wiesn heuer oder: Föderalismus in allen Ehren, wir sind für Vereinigung! (Im Hintergrund: T. Sarrazin)

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kid37, Montag, 4. Oktober 2010, 22:53
Als Nena ihren Minirock im TV vorführte, fand ich die doof. Aus vielen verschiedenen Gründen, und das fing beim Outfit an. (Damals prägte ein Musikjournalist den guten Ratschlag, daß Creolen niemals größer sein dürfen als der Kopf! - eine simple Modewahrheit, die ich seither immer wieder bestätigt finden konnte.) ABER: Danke für den Link auf das Interview in der taz, der für mich verdeutlicht, woran es der taz in meinen Augen immer mangelte. Ich selbst, ich habe das ab und an in meinem Blog erwähnt, hatte ein paar Jahre zuvor einmal ein ähnlich beauftragtes Vergnügen. Ich saß also Nena, die doof zu finden ich ja gelernt hatte, gegenüber, wir tranken Kaffee und unterhielten uns. Im Vergleich zu Thomas Winkler, der ja deutlich vorführen will, mußte ich das nicht tun. Wenn man so will, führte sie sich selber vor - und es wäre sehr, sehr leicht gewesen, das hinterher auch so auszuschlachten. Gewisse Themen, die sie antickte und wie sie diese Themen antickte. Ich fand aber, es gibt keinen Grund, das überhaupt zu tun. Man muß weder Nena noch ihre Musik mögen (ich habe ein paar Tage später ein kleines Club-Konzert von ihr hier in Hamburg besucht, das war kurz vor ihrem Comeback und lange vor diesem blöden Cover-Album - es gilt mir immer noch als eines der besten (!) Konzerte, die ich jemals gesehen habe. Ohne Scheiß), aber - um es jetzt kurz zu halten - ihr Erfolg beruht auf der ganz simplen Art: Sie ist wie sie ist. Sie ist freimütig, naiv, engagiert, naiv, erfolgsorientiert, naiv - und unerschütterlich (naiv). Wenn man das begriffen hat, machen diese pseudokrtitischen taz-Fragen überhaupt keinen Sinn mehr. Man könnte versuchen, ein Kind so auseinanderzunehmen und in, hach, Widersprüche zu verwickeln. Nichts anderes ist Frau Kerner, die ja nur unter ihrem Kindernamen auftritt. Es ist so leicht! Zu leicht.

Ich fand sie, das war mein persönliches Fazit, in Ordnung so. Vielleicht nicht herzerwärmend sympathisch, aber in Ordnung. Die Frau tut mir nichts, sie hat meinen musikalischen Horizont befüllt (nicht, daß ich das gewollt hätte, aber man kam ja nicht drumrum, man kennt ja JEDES DIESER DOOFEN LIEDER!), aber ansonsten: macht sie ihr Ding. Und wie das taz-Interview am Ende ja deutlich zeigt: Sie sagt dir notfalls ins Gesicht, was sie denkt. Wer - zumal in dieser Branche - macht das schon?

Was das taz-Interview angeht, heißt es für mich 1:0 für Frau Kerner. Was mein Gespräch damals anging: Wir haben uns nett verabschiedet. Ohne daß einer von uns beiden sich verbogen hätte. (Ich glaube, ich habe ihr damals sogar gesagt, komm, das war doch irgendwie auch dreist, du und Ramones-Stücke covern. Und sie hat gelacht und meinte, nee, nee, das war schon so und sie fand die cool usw. Schade, ich habe leider die Aufnahme nicht mehr.)

(Sorry für den langen Kommentar.)

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nnier, Dienstag, 5. Oktober 2010, 00:50
Herr Kid, ich danke sehr für den langen Kommentar und komme darauf zurück, wenn ich - Sie sehen das da oben ja - wieder denken kann.

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nnier, Dienstag, 5. Oktober 2010, 16:30
Dooffinden gelernt, das kenne ich - es war bei mir, wenn man mal vom Minirockschlüsselreiz absieht (Ohrringe? Ach, da oben!), aber gleich eine ambivalente Geschichte. Nicht nur, wie der Uwe in dem Spiegel-Interview sagt, "die Klamotten" waren komisch, sondern speziell er mit seinem Umhängekeyboard und dem so betont coolen Auftreten mir schwer unsympathisch. (Damals trat man ja betont als die Band Nena auf.) Und während Nur geträumt ganz flott und New-Wave-artig daherkam, war das Luftballon- für mich immer ein reines Kinderlied, dessen riesigen Erfolg ich nie begriffen habe (was übrigens nichts mit der Frage zu tun hat, wie mir das Lied gefällt). Ich besaß die Platte nie und doch kenne auch ich jeden einzelnen Titel - Kino gefiel mir eigentlich ganz gut, und beim Leuchtturm ging's dann schon wieder los: Ja, jaa - auch ein "Aaahaaahaa"-Refrain kann eingängig sein, aber gleichzeitig war es mir peinlich, wenn ich das vor mich hinsummte.

Wenn ich mir das taz-Interview noch mal durchlese, kann ich schon nachvollziehen, was Sie da kritisieren - es ist wirklich ein wenig von oben herab geführt, auch dieser Infokasten daneben ("Weil sie es sich erlauben kann, David Bowie, Pink Floyd, [...] und die Stones gleich zweimal nachzusingen, ohne dass man wüsste, was das alles eigentlich soll?") macht schon deutlich, worauf das abzielt. Allerdings habe ich seit Mitte der 80er einige so pampige, selbstverliebte ("Für mich ist aber jede Sekunde meines Lebens kostbar") und dann doch auch provozierend naive Aussagen von ihr gese­hen/ge­hört/ge­lesen, besonders im Zusammenhang mit ihrer "Freien Schule" und ihren irgendwie-esoterischen Welterklärungen, dass ich sie tatsächlich als hoffnungslosen Fall für mich verbucht habe.

(Was für mich auch wieder die Frage aufwirft, wieso man sich eigentlich so für die Ansichten dieser Unterhaltungsprominenten interessiert.)

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kid37, Dienstag, 5. Oktober 2010, 17:12
Da ist es ja: Man darf sie nervig, doof, quietschig, anstrengend und sonst was finden. Aber: Sie ist sehr bei sich, sie sagt, was sie denkt, ohne darüber nachzudenken, ob das opportun, doof, peinlich sein könnte. Das ist vielleicht keine besondere "Leistung", sondern einfach ein Charakterzug (einige würden vielleicht sagen "Defizit"). Ich fand das aber gut, weil das in der Branche selten ist. So wie sie das taz-Interview beendet hat - kein langes Drumrumgerede.

Einige der Leserkommentare dort sind auch schlimm. Chauvinistisch, dumm und selbstgefällig. Und ahnungslos, denn wie gesagt: dieses kleine Club-Konzert war der Hammer! Begleitet von einer Punkband rockte sie ihre alten Hits richtig rotzig runter, dazu eine Reihe Cover von Blondie, Ramones und Co, und die ganze Zeit schwitzte und tobte und sang der Fanclub vorne im Moshpit, das man sich weder dem Schweiß noch den Emotionen entziehen konnte. Warum auch?

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venice_wolf, Dienstag, 5. Oktober 2010, 19:24
Ja das war ein Sturz in die Erinnerungskiste.
Wie viele Leute kenne ich:
die sagen, was sie denken...
aber nicht denken was sie sagen.

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lorilo, Mittwoch, 6. Oktober 2010, 13:30
Authentizität und Offenheit in sich ist aber auch nur ein sympathischer Charakterzug - nicht der unwichtigste (wie ich finde).
Wenn jemand in seiner Authentizität aber mir unerträglich in seinen Ansichten und seiner Selbstverliebtheit ist (da bin ich ganz bei Herrn nnier), relativiert sich das allerdings ganz, ganz schnell. Und jeden Schrott unter dem Mantel der erfrischenden Naivität äußern zu dürfen, nunja.
(Disclaimer: Andererseits ist mir diese Frau zwar unangenehm, allerdings auch so unglaublich egal, dass ... naja.)

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ilnonno, Mittwoch, 6. Oktober 2010, 13:41
Ich erinnere mich da an ein Duett mit Kim Wilde. Die fand ich früher seltsam, aber jetzt...

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kid37, Mittwoch, 6. Oktober 2010, 14:17
Ich habe nicht von Sympathie gesprochen. (Und ich wüßte aus meinem Gespräch auch ein paar echt unangenehme Züge zu benennen.) Mir ist es aber zu einfach, aus einer vermeintlich höheren Warte auf diese Frau einzudreschen. Ich fühle mich von ihr nicht belästigt mit geäußerten "Ansichten" oder "Schrott" (zumal ich das so nie nennen würde angesichts dessen, was ich tagtäglich höre und lese von Menschen, die wirkliche Entscheidungsgewalt und Macht besitzen). Die macht ihr Ding, und auf eine verblüffende Weise - und ohne Gejammer. (Vergleichen Sie da mal ihre ehemaligen Bandkollegen). Und wenn die einen Interviewer scheiße findet, steht sie auf und geht. Angesichts der Verlogenheit und Heuchelei in dieser Branche finde ich das ziemlich beachtlich.

Ob ich die Musik oder sie doof finde oder nervig, halte ich in der Hinsicht für nebensächlich. Schreckliche Musik kann doch jeder benennen (nehmen Sie mal Rufus Wainwright). Ich habe aber auch zu Schulzeiten schon Udo Jürgens verteidigt. Ich mag Professionalität.

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nnier, Mittwoch, 6. Oktober 2010, 17:56
ilnonno: Aber jetzt ... was? "Seltsam" fand ich Kim Wilde nie; sicher keine große Sängerin und ihr Äußeres kalkuliert einsetzend war sie ja doch eine andere Klasse als die Discomäuse, die sich per Oberweite für die Hitparaden qualifizierten. An meiner Wand hing sie jedenfalls einige Jahre. Dann ging sie gärtnern. Nach dem Nena-Comeback war sie vor ein paar Jährchen in Deutschland auf Tour und ich konnte mich eines deutlichen Entzückens nicht erwehren, nachdem ich zu Konzertbeginn von ihrer Rückenansicht in die Irre geführt worden war, aber, puh, es war zum Glück nur Nick Beggs. Und abgesehen von einem überflüssigen Depeche-Mode-Song ist mir das Konzert in guter Erinnerung und Ms. Wilde sowieso, vor allem nachdem sie sich ihrer Sonnenbrille entledigt hatte.

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dings, Mittwoch, 6. Oktober 2010, 20:25
Da die Martinshörner übers Wochenende rund um die Uhr erschallten, habe ich beim Draußenrauchen darüber spekuliert, ob in dem einen oder anderen Fall einfach nur Wichtigtuer beim planmäßigen Ausrücken, angefacht von der Eminenz ihrer Aufgabe, aufs Knöpfchen gedrückt haben, um mich sodann in die Fantasie hineinzusteigern, ich müsste auf dem Beifahrersitz mitfahren und würde mich fatalistisch in mein Schicksal ergeben und belanglos das Wetter oder die zu erwartenden Fressbuden auf der Feiermeile kommentieren. Ich kann heute - Mittwoch - immer noch nicht wieder ganz klar denken.

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lorilo, Mittwoch, 6. Oktober 2010, 20:35
Mir ist es aber zu einfach, aus einer vermeintlich höheren Warte auf diese Frau einzudreschen.
D'accord Herr Kid. Das tue ich aber nicht - welche Warten?
Und wie Sie mich kennen - ich respektiere Ihre Meinung und sogar die Nenas, natürlich. Wenn ich aber Dinge wie in diesem Interview lese, muss ich leider sagen: "Schrott". Da hilft es auch nicht, wenn man das mit dem Mäntelchen "Jedem seine Meinung" bedeckt.
Das Problem ist ja nicht die Meinung, die sie auf jeden Fall haben soll, sondern dass auf diese prominenten Quasselköppe Menschen reagieren und hören, weil sie wie selbstverständlich annehmen, dass diese irgendeine Art Autorität hätten.
Und damit hat man - leider - durchaus eine Art Verantwortung. Wenn man der - erfrischend ehrlich und naiv - damit begegnet, dass man außschließlich Rohkost für Kinder empfiehlt, tja. Das hat dann bei mir auch nichts mit Sympathie zu tun.

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nnier, Mittwoch, 6. Oktober 2010, 21:03
Oh, ähm, Frau lorilo! Das Interview da würde ich jetzt glatt zur Untermauerung der kidschen Thesen* heranziehen. Von der Gebärmutteresoterik mal abgesehen - sie kommt da schon ziemlich souverän herüber, was die ganze Gesprächsführung angeht.
Ich bin ein wenig hin- und hergerissen, da ich Ihrer Ansicht bin, dass man auch über "naiv" geäußerte Meinungen streiten können soll, mit "er/sie ist nun mal so" ist da nicht alles gesagt (Toleranz vs. Beliebigkeit - eine immer interessante Diskussion). Allerdings beeindruckt mich ihre direkte Art gerade in diesem Gespräch teilweise doch, wenn sie entgegen aller Bussi-Bussi-Gepflogenheiten mal eben unserem Otti ans Bein pinkelt.

--
*Was denn - hört sich doch super an!

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mark793, Mittwoch, 6. Oktober 2010, 21:13
@lorilo: Hat man denn mit dem Erreichen einer gewissen Prominenz das Grundrecht auf ein bisschen Doofheit verwirkt? Ich unterstelle mal, die meisten, auch die simpler strukturierten unter den Lesern solcher Interviews gehen nach der Lektüre nicht her und geben ihren Elektro- oder Gasherd zum Schrott, weil eine früher berühmte Lala-Trulla nix Gekochtes mehr auftischt.

Wer betrachtet denn MusikerInnen als Autorität in allen Lebensfragen? Das ist doch mehr so mediales Kuriositätenkabinett, in das auch Nina Hagen mit ihrem Ufo-Fimmel gehört oder ein Jürgen Drews, von dem nun auch niemand Hinweise in allgemeiner Lebensklugheit erwartet.

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lorilo, Mittwoch, 6. Oktober 2010, 21:32
@Herr nnier: Souveränität, nunja. Ich hab auch so souveräne, kreuzblö... Menschen, die irgendwie genetisch - ach, was reg ich mich auf*. Aber Sie haben Recht - das klingt super.

Hat man denn mit dem Erreichen einer gewissen Prominenz das Grundrecht auf ein bisschen Doofheit verwirkt?
Herr Mark:
Nein, hat man nicht.
Wer betrachtet denn MusikerInnen als Autorität in allen Lebensfragen?
Ich schrieb: "dass diese irgendeine Art Autorität hätten."

Ich fürchte aber doch, dass es mehr Menschen gibt, die sich ihre Lebensweisheiten aus derlei Meinungsbrei fischen als aus - meinethalben - Deutschlandradio. Immerin erreicht das Schmierblättchen, das mutig Wahrheiten ausspricht, auch deutlich mehr Leser als Blätter mit einem Restanspruch.

Es gibt da ja auch keine vorgegebenen Instanzen, ach - was reg ich mich auf*. Man muss das ja alles auch gar nicht falsch finden. Kann man aber.

(*© Hagen Rether)

Ich geh jetzt Nährstoffe massakrieren, um anschließend hochtoxische Gifte zu löffeln. Damit tue ich auch sehr aktiv etwas für die Menschheit, weil ich mich beim Kochen entspanne.
Das sollte jetzt auch nicht final abwürgend rüberkommen, aber Dummheit (Entschuldigung, wirklich.) regt mich halt auch mal auf.

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kid37, Mittwoch, 6. Oktober 2010, 23:33
Frau Lorilo, da wünsche ich guten Appetit und möchte sogar sagen: "ich fühl mich so wie du/und du fühlst dich so wie ich" (Nena, "Leuchtturm").

Was doof ist, darf gerne doof genannt werden. Aber es ist doch ein wenig zu einfach, eine Person wie Nena aus der bildungsbürgerlichen oder sonstwie kulturell ziselierten Stube heraus abzukanzeln. Vieles kann man ihr vorwerfen, aber nicht nicht geradeaus zu sein. (Was sie mir im Gespräch serviert hat, würde keine andere Medienpersönlichkeit bringen. Da würde schön diplomatisch rumgeeiert oder nervös zur Pressefrau geguckt. Nena hat mehr Mut als ich.) Dafür hat sie meinen Respekt - denn sie ist Entertainerin und nicht in der Politik - weil ich die Doofheit in dieser Branche gern mit Arroganz und scheinheiligem Geute gepaart kenne.

Das angesprochene Konzert hat mir zudem bewiesen, daß ich mich sträuben kann wie ich will: Ich fand die Musik immer doof, aber die Hitparadenzwangsbeschallung in den 80ern hat dazu geführt, das sie Teil meiner "Zeit" ist, ich alle Lieder mitsingen kann. Verhext - aber ich habe meinen Frieden damit. Anders als z.B. der taz-Interviewer und einige seiner Kommentatoren wie mir scheint. Wäre er Blogger hieße es, der sei doch bloß neidisch.

Und Kim Wilde ist super.

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kid37, Mittwoch, 6. Oktober 2010, 23:48
Und das verlinkte Interview in der Weltwoche 37 ist ganz wunderbar. Das sollte sich jeder ausdrucken und immer bei sich tragen!

"Indem man’s einfach macht. Weil man’s fühlt."

Großartig. Sie sollte Bloggen.

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nnier, Donnerstag, 7. Oktober 2010, 00:40
@dings: Klar denken - ha! So ein kreisender Hubschrauber und der ewige Lalü-Dopplereffekt können an den Nerven zehren, in der Tat - wie sehr, das fragt man sich vor allem dann, wenn man nichtsahnend mit seinen in Zeitungspapier eingewickelten Zwetschgenkernen gen Biotonne unterwegs ist, die Haustür öffnet und so unerwartet wie ansatzlos einen auf die Nase kriegt. Entsetzt schlug ich die Haustür wieder zu, um mich von diesem Geruchsschock zu erholen - dann ging ich vorsichtig und mit angehaltenem Atem wieder hinaus, um herauszufinden, wo genau der ca. zwei Meter hohe Haufen zu entdecken wäre, der da von irgendeiner Hunderasse des Grauens abgesetzt worden sein musste. Immer verzweifelter lief ich durchs Haus, wollte gleichzeitig die Luft anhalten und nach Luft schnappen, es war kein Kanalgeruch, es war viel schlimmer, verstörte Menschen rannten sich gegenseitig um beim Versuch, alle Fenster zu schließen - bis das Telefon klingelte und der eine Jugendliche dem anderen mitteilte, wie entsetzlich es in seiner (zwei km entfernten) Straße gerade rieche ... über sowas berichten sie natürlich nicht, die gleichgeschalteten Medien, wollte ich gerade schreiben, aber dann ja doch - so irgendwie.

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lorilo, Donnerstag, 7. Oktober 2010, 00:54
@Herr Kid
Mit der weltbesten Kürbissuppe (besinne dich, wir haben Herbst) im Bauch, die sogar sämtliche slowfood-Anforderungen erfüllt ("Iss nichts, was deine Großmutter nicht als Nahrungsmittel erkannt hätte." + maximal 5 Zutaten), bin ich derart friedfertig, dass sich quasi von selbst tippt: Sie haben ja Recht. Manchmal muss man mehr den Adressaten, als den Gegenstand betrachten.

Im Übrigen kann ich auch ziemlich viel mitsingen, wonder why. Manches sogar ähem, gern.

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nnier, Donnerstag, 7. Oktober 2010, 01:14
Auch @Herr kid: Gell! "She's not fat, she's perfectly fine". Ungefähr um diese Zeit, evtl. etwas davor, muss es auch gewesen sein, dass ich sie in sehr kleinem Rahmen gesehen habe. Das ist ja eigentlich ein Familienunternehmen, nicht nur ehemalige Kajagoogoo-Mitglieder dürfen da mitmachen, sondern auch ihr Bruder Ricky, der - teils mit dem Vater - so viele ihrer Hits geschrieben hat, und eine ähnlich eng verwandte junge Frau (Tochter? Nichte?) standen da mit auf der Bühne. Wirklich schön und frisch war das in dem alten Hardrockschuppen - und ich konnte es mit meinen dreizehnjährigen Augen kaum fassen. Nichts Weltbewegendes eigentlich, aber ein schöner Moment.

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kid37, Donnerstag, 7. Oktober 2010, 01:24
(Hihi: "Ach so, das ist übrigens mein Mann.")

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dings, Donnerstag, 7. Oktober 2010, 02:08
@"entsetzlich riechen": Schön, dass mal so über "Gerüche" (Adorno) berichtet wird. Dieser Schwenk vom revolutionären Weltverbesserungsstinken zum Brötchenduft, diese lokaljournalistisch besungene Sinnlichkeit wäre schon fast atemberaubend, würde der Text nicht zum Schluss auf der Seife ausrutschen und einen mit der Nase in die Krampfhaftigkeit menschlichen Drängens stoßen. Und das ist ja irgendwie auch die Streitfrage bei Nena.

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nnier, Donnerstag, 7. Oktober 2010, 10:47
Grundsätzlich habe ich Zeitungsartikeln gegenüber, in denen die Wendung "Wie auch immer" vorkommt, schon mal gewisse Vorbehalte. Und wenn dann der aktuelle Aufhänger bloß zum Anlass genommen wird, irgendwelche Sommerlochthemen aus der Schublade zu holen, dreht es wirklich ins Komische. Da hat das ganz dolle gestunken und die von der Polizei wissen nichts, aber übrigens, dann bloß nicht weiter recherchieren - fehlt eigentlich nur noch die Klickstrecke mit den 50 schönsten Nasen des Showbusiness.

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