Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Montag, 4. Oktober 2010
Nerven, Nena und Bundespräsident Karges
nnier | 04. Oktober 2010 | Topic In echt
Mein Nachbar hatte sich mit Thilo Sarrazin verabredet, auf ein "vierer" Bier, wie er mehrfach betonte, und auch wenn ich nicht genau wusste, wie ich zu meiner Vermittlerrolle gekommen war, akzeptierte ich sie ohne weiteres, so dass ich den Herrn, es war der echte mit dem original zusammengekniffenen Auge, konspirativ durch unsere Kopftuchnachbarschaft und hin zu einer Eckkneipe führte. Mich interessierte der Anlass dieses Zusammentreffens, doch war ich zu höflich, nach demselben zu fragen und hoffte stattdessen, immerhin betätigte ich mich hier unentgeltlich als Scout, auf eine freiwillige Auskunft, bekam aber nur noch zweimal mitgeteilt, dass man sich "auf ein vierer Bier" treffe, das werde es in dieser Kneipe doch wohl geben, und obgleich ich die Kneipe nur von außen kannte, versicherte ich, dass es solches dort auf jeden Fall gebe - hundert Pro!



So begann mein Wochenende. Beim Aufwachen brauchte ich einige Minuten, bis ich mit einer gewissen Erleichterung begriff, dass ich nur geträumt hatte - womit der Ohrwurm des Tages definiert war. Überhaupt, wie alles mit allem zusammenhängt - ein Wahnsinn!

So hatte auch ich mein altersentsprechendes Schlüsselreizerlebnis, wer dabei war, weiß bescheid, Musikladen 1982, eh, roter Minirock, und auch wenn mir der vom Ehrgeiz zerfressene Uwe Fahrenkrog-Petersen schon an jenem ersten Abend unangenehm auffiel und die Sängerin sich über die Jahre zu einer, na ja, unsäglich dumm daherplappernden und dabei reichlich eingebildeten Bratze entwickelt hat, falls sie das nicht damals schon war - aber da wäre trotzdem der Minirock vor gewesen - also vor der entsprechenden Erkenntnis - doch!, so sagt man hier in Bremen: Da wäre der Minirock vor gewesen, man sagt auch: Da kann ich nichts für, es wird da vermutlich einen linguistischen Fachausdruck für geben, dass man solcherlei Konjunktionen auseinanderreißt, ohne da was bei zu finden - auch wenn es also gute Gründe gibt, die Dame peinlich zu finden, hat sich unter allen negativen Überformungen eine nicht gänzlich negativ getönte emotionale Grundierung gehalten.



Während die Stadt in freudiger Erwartung vibrierte, der Hubschrauber kreiste, Straßenbahnen sich zurückstauten und allüberall Martinshörner erschallten, riffte das simple Synthesizer-Opening dieses Liedes schon wieder durch mein inneres Gehör, da ich an der Stadthalle entlangradelte und darüber nachsann, ob jener Musikladen-Auftritt wohl in dieser stattgefunden habe.



Aus heiterem Himmel fiel mir dann ein, wie ich einmal gelesen hatte, dass ausgerechnet die hier diskutierte Chanteuse einen Höhepunkt-Auftritt bei den hiesigen Einheitsfeiern geben sollte, die Bremer haben ja vor 20 Jahren die Mauer eingerissen, es war eine friedliche Revolution, und wer hätte noch ein paar Monate vorher geglaubt, dass so etwas möglich wäre - Wahnsinn, oder!



Trotz intensiver Nachforschungen in Print- und elektronischen Medien war allerdings lediglich herauszufinden, dass die Sängerin irgendwie, irgendwo, irgendwann auftreten solle, so dass ich mir den weiten Weg (immerhin gut und gerne fünf Minuten mit dem Fahrrad) zur Feiermeile nach reiflicher Überlegung doch lieber sparte, womit eigentlich alles gesagt wäre. Jedoch und allerdings: Jede Kritik am Web ist nichts weiter als pure Selbstkritik. Jede Verbesserung des Web dadurch aber auch ein Stück gelungene Arbeit am Ich und Wir (01. Oktober 09:30 - um diese Tageseit führe ich ja Bundesbankvorstände zur Kneipe, statt esoterische Kalendersprüche von Nena in fremde Weblogs einzutragen).



Wie sich manchmal alles fügt! Kaum ist es Nacht, kaum sind die Martinshörner verklungen, kaum hat Herr Sandmann (das mit der Einheit hat auch Grenzen) reichlich verspätet seinen Job getan, da krakeelt und keift und kreischt es durch massives Mauerwerk und geschlossene Fenster hindurch mehrstimmig sowie dermaßen laut und dabei vollkommen unartikuliert, dass man schmunzelnd die Augen wieder öffnet und auf die andere Seite des Hauses schlendert, wo man, und jetzt halten Sie sich fest: vor der Eckkneipe, betrunkene Menschen schreien, weinen, weglaufen und wiederkommen, sich hin- und herstoßen, dann wieder umarmen und überhaupt so vollumfänglich und in allen Facetten Mensch sein sieht, dass man beim Anblick der aus drei Richtungen heransausenden Streifenwagen fast so etwas wie Enttäuschung empfindet.



Lucid in the Sky With Diamonds dann der Rest jener Nacht, eine tiefempfundene Reue ob der verpassten Nena, deren Schwester lt. Bravo sich damals tatsächlich Nane nannte, so dass sich zur Prävention weiterer Versäumnisse ein Entschluss formt: Am nächsten Tag wenigstens einmal durchs Brandenburger Tor, komme was da wolle, evtl. auch Bundespräsident Koch, sowie Bratwurst oder Flammkuchen.



Sonntag dann tatsächlich Wetter, so dass die Fahrradtour nachgeholt werden kann, und wie sich manchmal alles einschwingt und miteinander in Resonanz kommt! Kaum denkt man z.B. darüber nach, dass Nena ja vor einigen Jahren dieses eine Lied mit der übrigens immer noch entzückenden Kim Wilde neu aufgenommen hat, Fahrenkrog-Carstensen hin oder her, da schallt einem, druckvoll gegeben von einer dieser Coverbands, das Lied Kids in America entgegen. Wahnsinn! Hätten Sie noch vor ein paar Monaten gedacht, dass so etwas möglich wäre?



Kaum versucht man im Saarland mit einem Flammkuchen die vibrierenden Nerven zu beruhigen (Zeichen! Überall Zeichen!) und geht durchs Brandenburger Tor - einfach so, hätten Sie das noch vor ein paar Monaten für möglich gehalten? - weiter nach Rheinland-Pfalz, schon tritt Bundespräsident Mappus einem erst auf die Füße und dann auf die Bühne, wo er folgende Frage an sein Publikum richtet:



"Moin! Wissen Sie, was der Unterschied zwischen England und Rheinland-Pfalz ist?" - man denkt gerade angestrengt nach, es will einem aber partout nichts einfallen -



"Die Engländer haben bloß eine Königin, aber wir in Rheinland-Pfalz haben vier, und hübscher sind unsere auch noch, und sie wollen Königinnen auch der Muslime sein!"



Man stößt mit Moselwein an, zufällig sind auch ein paar Fotografen da, gerne hätte man sich zwanglos dazugestellt und mit den Monarchinnen sowie Herrn Köhler über die Zerlegbarkeit von Konjunktionen u. dergl. diskutiert, da hätte man einiges zu sagen können, doch ein Reiter aus einem benachbarten Königreich hat sich an der Stirn verletzt und offenbar ein sehr dringendes Anliegen. "Mesdames", hebt man bedauernd an, "bedaure, aber dies sieht entschieden nach einen Henrico-Frank-Moment aus, nicht mein Fall - schauen'S, wenn selbst die Loreley ihren Kamm sinken lässt und sich abwendet, ist's auch für mich an der Zeit zu gehen."



Henrico Frank, das klingt beinahe so wie Carlo Karges, wurde mir dann noch bewusst, und ein Schauer lief über meinen Rücken, so dass ich schnellstens zurück zu meinem Kokon radelte, wo ich mich einem liebgewonnenen Ritual widmen konnte. Noch steht alles prächtig im Saft, wer weiß, wie lange noch.





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