Vorweg und nebenbei: Ich tauche gleich wieder ab. Es müssen Dinge getan werden. Vergessen Sie mich nicht. Ich vergesse Sie auch nicht.
"Alkohol am Arbeitsplatz! Seid ihr wahnsinnig!?", sagte der eine Kollege, erbleichte und schloss erschrocken die Tür von außen. Dabei hatte ich doch dem anderen Kollegen an diesem Winterabend in unserem damaligen Raucherbüro bloß endlich mal ein paar Flaschen des hervorragenden Göttinger Pilsener (aus der Stadt mit Brautradition seit 1330) und Göttinger Edel-Pils mitgebracht, die wir gegen Feierabend dann auch verkosteten. Schade war nur, dass ich nicht mehr zu sagen vermochte, ob diese Getränke tatsächlich noch etwas mit dem Göttinger Bier der 80er Jahre zu tun hatten - schließlich konnte es uns als Jugendlichen nicht exotisch genug sein: Wir tranken Flens, Jever oder Beck's (man merkt: es ging immer ins Norddeutsche), aber nur in Notfällen die Ortsmarke, wenn sie sich in einem elterlichen Keller irgendwo fand, so dass ich keine zuverlässige Geschmackserinnerung hatte.
Außerdem war schon Jahre vorher die Göttinger Brauhaus AG von der Einbecker übernommen worden, die dann auch prompt die Produktion in die etwas nördlicher gelegene Fachwerk- und Bierstadt verlegte - kurz nachdem in Göttingen ein wunderschöner, ganz neuer großer Kupferkessel angeschafft worden war, der deshalb während der folgenden Jahrzehnte ungenutzt nur noch mahnend in seinem riesigen, extra eingebauten Schaufenster (denn anlässlich dieser Investition hatte die Göttinger Brauhaus AG ihr Sudhaus völlig umgestaltet, so dass man von der Straße aus freien Blick auf das Schmuck- und Herzstück des Betriebes hatte) herumstehen konnte, statt seiner Bestimmung gemäß Hopfen, Malz und Wasser zu verheiraten und das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.
Noch als Grundschüler waren wir durch die Brauerei geführt worden, stolzen Mitarbeitern ehrfürchtig lauschend, welche in die Grundlagen der Braukunst uns einzuweisen sich die Ehre gaben und durchaus ruppig reagierten konnten, wenn ein vorwitziger Viertklässler etwas von "Göttinger Ekel-Pils" flüsterte. Nein, auf ihren Betrieb ließen sie nichts kommen und verkündeten stolz, dass bei ihnen ordentliche Zustände herrschten und nicht solche wie beim dänischen Multi, dessen Produktionsstätte eine Göttinger Abordnung einmal besucht habe und dort auf, Gottseibeiuns, betrunkene Mitarbeiter getroffen sei.
Das Edel-Pils gab's in den typischen, braunen Knubbelflaschen, die mancher auch "Maurergranate" nennt, während das erst Ende der 70er neu eingeführte Pilsener in der schlanken Flasche auch optisch einen auf Premium machen sollte und deshalb vom Kronkorken bis zum Flaschenhals mit der typischen goldenen Kragenfolie überzogen war, die man immer mit den Fingernägeln abknibbelt.
Hatte man zufällig jemanden in der Familie, der Mitglied im Rat der Stadt Göttingen war, dann erhielt man in jenen Jahren monatlich einen Kasten des hervorragenden Göttinger Pilsener, der zunächst sogar frei Haus geliefert wurde, später dann gegen entsprechenden Gutschein im Getränkemarkt abgeholt werden konnte. Historische Hintergründe zu dieser Regelung gab's auch, die mit dem Braurecht und den Göttinger Bürgern und Ratsherren zu tun hatten, vielleicht wollte man sich aber auch nur die Kommunalpolitik gewogen halten, wer weiß - in diesen seligen Zeiten mag dazu ein monatlicher Kasten Bier noch gereicht haben, allein: genützt hat es alles nichts, die Einbecker kamen, stellten die Produktion in Göttingen ein und es blieb fortan nur noch der Name. Eine Dosenabfüllanlage auf dem Gelände nutzten sie noch einige Zeit für dies und das, ansonsten verkamen die schönen Backsteingebäude auf dem großen Gelände nahe der Leine nach und nach.
Aus der herrschaftlichen Villa des Braumeisters, den es nun ja nicht mehr gab, gelegen in einem fantastisch großen Garten direkt neben der Brauerei, wurde ein Studentenwohnheim, in einigen Verwaltungsgebäuden sah man ab und zu noch Licht, sogenannte "Bierverlage" und Festzeltverleihe mieteten sich auf dem Gelände ein, während das große Werbeplakat neben dem ehemaligen Haupteingang stetig verblasste und die Koteletten des darauf abgebildeten Biergenießers immer unmoderner wurden.
Nun ist alles weggerissen worden, das Gelände wurde "einer Nachnutzung zugänglich" gemacht, den großen Garten gibt's nicht mehr, und der Kupferkessel ist vermutlich längst in China. Nie wird also der würzige Geruch mehr aufsteigen, den ich schon als Kind vehement gegen das unbedachte Wort Gestank, geäußert von kulturbanausigen Besuchern, verteidigte ("Was denn! Das riecht doch gut!"). Auch die Witzeleien derselben Besucher, dahingehend, ob man denn angesichts der Nähe einer Brauerei zum eigenen Haus sich schon eine Leitung habe legen lassen, sind Geschichte, vor allem aber: Es gibt keine Brauereifeste mehr!
Diese bildeten während einiger Jahre, sagen wir: Mitte bis Ende der 70er, für mich ein wichtiges strukturierendes Element im Jahreslauf, so wie für anders sozialisierte Menschen womöglich Palmsonntag oder ZDF-Weihnachtsvierteiler. Es konnte jedenfalls durchaus vorkommen, dass man mit seinem Freund an irgendeinem Frühlingstag Steine in die Leine warf und sehnsüchtig darauf wartete, dass doch bald endlich wieder Brauereifest wäre.
Dieses Fest wurde auf dem Gelände der Brauerei gefeiert und zog die Menschen scharenweise an. Es wurde Musik auf Bühnen gespielt, es wurden Plastikfußbälle mit dem Logo des Göttinger Edel-Pils vom Dach der Brauerei aus in die Menge geworfen, als Kind konnte man in einem Zelt Zeichentrickfilme sehen - das war aber alles nichts gegen die eigentliche Attraktion: Freibier! Genauer gesagt: Freigetränke. Nachdem nämlich der freizügige Ausschank der ersten Jahre zu recht hässlichen Ergebnissen in Form von Bierleichen und ganz üblen Kotzereien nächtlich heimtorkelnder Alkoholiker geführt hatte, musste man sich seitens der Brauerei etwas überlegen und kam zu dem Ergebnis, dass der Zugang zu den Getränken irgendwie geregelt werden müsse. Fortan wurden also beim Eingang Karten mit kleinen Abrissen verteilt.
Von diesen Karten gab es drei Sorten. Für Männer: Dreimal Bier, einmal Cola/Fanta/Sprite, einmal Bratwurst. Für Frauen: Einmal Bier, zweimal Cola/Fanta/Sprite, einmal Bratwurst. Für Kinder: Zweimal Cola/Fanta/Sprite, einmal Bratwurst.
Und wenn es dann endlich wieder so weit war, wenn endlich wieder Brauereifest war, wenn man stundenlang in der Schlange gestanden hatte und endlich die ersehnten Kärtchen in Empfang nehmen wollte, fing die Erziehungsberechtigte am Eingang plötzlich an zu diskutieren:
- Warum kriegen Frauen denn andere Karten als Männer?
- Weiß nicht!
- Warum gehen Sie denn davon aus, dass Männer mehr Bier trinken als Frauen?
- Ist doch so!
- Ich finde das nicht in Ordnung, dass da so ein Unterschied gemacht wird.
- Hören Sie, die Leute hinter Ihnen wollen auch rein. Ich verteile die hier nur.
- Warum kriege ich, nur weil ich eine Frau bin, eine andere Karte als ein Mann? Erklären Sie mir das!
- (Seufz) Wenn Sie unbedingt wollen, dann gebe ich Ihnen eben auch so eine Karte wie den Männern.
- Nein, ich will ja gar nicht so eine Karte!
- ???
"Alkohol am Arbeitsplatz! Seid ihr wahnsinnig!?", sagte der eine Kollege, erbleichte und schloss erschrocken die Tür von außen. Dabei hatte ich doch dem anderen Kollegen an diesem Winterabend in unserem damaligen Raucherbüro bloß endlich mal ein paar Flaschen des hervorragenden Göttinger Pilsener (aus der Stadt mit Brautradition seit 1330) und Göttinger Edel-Pils mitgebracht, die wir gegen Feierabend dann auch verkosteten. Schade war nur, dass ich nicht mehr zu sagen vermochte, ob diese Getränke tatsächlich noch etwas mit dem Göttinger Bier der 80er Jahre zu tun hatten - schließlich konnte es uns als Jugendlichen nicht exotisch genug sein: Wir tranken Flens, Jever oder Beck's (man merkt: es ging immer ins Norddeutsche), aber nur in Notfällen die Ortsmarke, wenn sie sich in einem elterlichen Keller irgendwo fand, so dass ich keine zuverlässige Geschmackserinnerung hatte.
Außerdem war schon Jahre vorher die Göttinger Brauhaus AG von der Einbecker übernommen worden, die dann auch prompt die Produktion in die etwas nördlicher gelegene Fachwerk- und Bierstadt verlegte - kurz nachdem in Göttingen ein wunderschöner, ganz neuer großer Kupferkessel angeschafft worden war, der deshalb während der folgenden Jahrzehnte ungenutzt nur noch mahnend in seinem riesigen, extra eingebauten Schaufenster (denn anlässlich dieser Investition hatte die Göttinger Brauhaus AG ihr Sudhaus völlig umgestaltet, so dass man von der Straße aus freien Blick auf das Schmuck- und Herzstück des Betriebes hatte) herumstehen konnte, statt seiner Bestimmung gemäß Hopfen, Malz und Wasser zu verheiraten und das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.
Noch als Grundschüler waren wir durch die Brauerei geführt worden, stolzen Mitarbeitern ehrfürchtig lauschend, welche in die Grundlagen der Braukunst uns einzuweisen sich die Ehre gaben und durchaus ruppig reagierten konnten, wenn ein vorwitziger Viertklässler etwas von "Göttinger Ekel-Pils" flüsterte. Nein, auf ihren Betrieb ließen sie nichts kommen und verkündeten stolz, dass bei ihnen ordentliche Zustände herrschten und nicht solche wie beim dänischen Multi, dessen Produktionsstätte eine Göttinger Abordnung einmal besucht habe und dort auf, Gottseibeiuns, betrunkene Mitarbeiter getroffen sei.
Das Edel-Pils gab's in den typischen, braunen Knubbelflaschen, die mancher auch "Maurergranate" nennt, während das erst Ende der 70er neu eingeführte Pilsener in der schlanken Flasche auch optisch einen auf Premium machen sollte und deshalb vom Kronkorken bis zum Flaschenhals mit der typischen goldenen Kragenfolie überzogen war, die man immer mit den Fingernägeln abknibbelt.
Hatte man zufällig jemanden in der Familie, der Mitglied im Rat der Stadt Göttingen war, dann erhielt man in jenen Jahren monatlich einen Kasten des hervorragenden Göttinger Pilsener, der zunächst sogar frei Haus geliefert wurde, später dann gegen entsprechenden Gutschein im Getränkemarkt abgeholt werden konnte. Historische Hintergründe zu dieser Regelung gab's auch, die mit dem Braurecht und den Göttinger Bürgern und Ratsherren zu tun hatten, vielleicht wollte man sich aber auch nur die Kommunalpolitik gewogen halten, wer weiß - in diesen seligen Zeiten mag dazu ein monatlicher Kasten Bier noch gereicht haben, allein: genützt hat es alles nichts, die Einbecker kamen, stellten die Produktion in Göttingen ein und es blieb fortan nur noch der Name. Eine Dosenabfüllanlage auf dem Gelände nutzten sie noch einige Zeit für dies und das, ansonsten verkamen die schönen Backsteingebäude auf dem großen Gelände nahe der Leine nach und nach.
Aus der herrschaftlichen Villa des Braumeisters, den es nun ja nicht mehr gab, gelegen in einem fantastisch großen Garten direkt neben der Brauerei, wurde ein Studentenwohnheim, in einigen Verwaltungsgebäuden sah man ab und zu noch Licht, sogenannte "Bierverlage" und Festzeltverleihe mieteten sich auf dem Gelände ein, während das große Werbeplakat neben dem ehemaligen Haupteingang stetig verblasste und die Koteletten des darauf abgebildeten Biergenießers immer unmoderner wurden.
Nun ist alles weggerissen worden, das Gelände wurde "einer Nachnutzung zugänglich" gemacht, den großen Garten gibt's nicht mehr, und der Kupferkessel ist vermutlich längst in China. Nie wird also der würzige Geruch mehr aufsteigen, den ich schon als Kind vehement gegen das unbedachte Wort Gestank, geäußert von kulturbanausigen Besuchern, verteidigte ("Was denn! Das riecht doch gut!"). Auch die Witzeleien derselben Besucher, dahingehend, ob man denn angesichts der Nähe einer Brauerei zum eigenen Haus sich schon eine Leitung habe legen lassen, sind Geschichte, vor allem aber: Es gibt keine Brauereifeste mehr!
Diese bildeten während einiger Jahre, sagen wir: Mitte bis Ende der 70er, für mich ein wichtiges strukturierendes Element im Jahreslauf, so wie für anders sozialisierte Menschen womöglich Palmsonntag oder ZDF-Weihnachtsvierteiler. Es konnte jedenfalls durchaus vorkommen, dass man mit seinem Freund an irgendeinem Frühlingstag Steine in die Leine warf und sehnsüchtig darauf wartete, dass doch bald endlich wieder Brauereifest wäre.
Dieses Fest wurde auf dem Gelände der Brauerei gefeiert und zog die Menschen scharenweise an. Es wurde Musik auf Bühnen gespielt, es wurden Plastikfußbälle mit dem Logo des Göttinger Edel-Pils vom Dach der Brauerei aus in die Menge geworfen, als Kind konnte man in einem Zelt Zeichentrickfilme sehen - das war aber alles nichts gegen die eigentliche Attraktion: Freibier! Genauer gesagt: Freigetränke. Nachdem nämlich der freizügige Ausschank der ersten Jahre zu recht hässlichen Ergebnissen in Form von Bierleichen und ganz üblen Kotzereien nächtlich heimtorkelnder Alkoholiker geführt hatte, musste man sich seitens der Brauerei etwas überlegen und kam zu dem Ergebnis, dass der Zugang zu den Getränken irgendwie geregelt werden müsse. Fortan wurden also beim Eingang Karten mit kleinen Abrissen verteilt.
Von diesen Karten gab es drei Sorten. Für Männer: Dreimal Bier, einmal Cola/Fanta/Sprite, einmal Bratwurst. Für Frauen: Einmal Bier, zweimal Cola/Fanta/Sprite, einmal Bratwurst. Für Kinder: Zweimal Cola/Fanta/Sprite, einmal Bratwurst.
Und wenn es dann endlich wieder so weit war, wenn endlich wieder Brauereifest war, wenn man stundenlang in der Schlange gestanden hatte und endlich die ersehnten Kärtchen in Empfang nehmen wollte, fing die Erziehungsberechtigte am Eingang plötzlich an zu diskutieren:
- Warum kriegen Frauen denn andere Karten als Männer?
- Weiß nicht!
- Warum gehen Sie denn davon aus, dass Männer mehr Bier trinken als Frauen?
- Ist doch so!
- Ich finde das nicht in Ordnung, dass da so ein Unterschied gemacht wird.
- Hören Sie, die Leute hinter Ihnen wollen auch rein. Ich verteile die hier nur.
- Warum kriege ich, nur weil ich eine Frau bin, eine andere Karte als ein Mann? Erklären Sie mir das!
- (Seufz) Wenn Sie unbedingt wollen, dann gebe ich Ihnen eben auch so eine Karte wie den Männern.
- Nein, ich will ja gar nicht so eine Karte!
- ???
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vert,
Sonntag, 28. Dezember 2008, 01:29
recht hat sie, die erziehungsberechtigte!
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