Gerne denke ich an das Jahr zwischen Zivildienst und Studium zurück. Also dem ersten, bald wieder abgebrochenen Studium; dann kam ja noch dieses andere und dann das dritte, aber darum soll es heute nicht gehen - lediglich eine gewisse Plan- und Ideenlosigkeit mag dadurch als Hintergrund angedeutet sein, vor dem diese Geschichte, oder ist es mein ganzes Leben, spielt.
Lange hatte ich geglaubt, wenn man diese ewige Schulzeit hinter sich gebracht hätte, käme man endlich wieder zurückin den davorliegenden, quasi natürlichen Zustand: Morgens aufstehen und mal schauen, was der Tag so bringt. "Geglaubt" im Sinne von darüber nachgedacht natürlich nicht - die Frage hatte sich mir einfach nie gestellt; es war aber eine zugleich unscharfe und völlig eindeutige Vorstellung, dass die dreizehn Jahre eine enervierend lange, am Ende aber doch vorübergehende Unterbrechung einer eigentlichen, natürlichen Daseinsform bedeuteten.
Also wunderte ich mich, als die anderen irgendwas von "Maler" oder "Rechtsanwältin" erzählten. Die Lehrerin hatte gefragt, was wir denn nach der Schule so machen wollten, und ich antwortete völlig entgeistert: Na, gar nichts!
Es folgte ein Vortrag mit seltsamen Begrifflichkeiten wie "jemandem auf der Tasche liegen" etc., und mir wurde klar, dass dem Thema auf Dauer nicht auszuweichen wäre; jedoch bildete sich auch in den kommenden Jahren keinerlei Vorstellung heraus, und ich konnte froh sein, dass ich nach dem Abitur erst mal 20 Monate Zivildienst ableisten durfte.
Während ehemalige Mitschülerinnen ihr Vordiplom ablegten, fasste ich eines Tages den Entschluss, eine Karriere als Fahrer überladener Kleintransporter zu beginnen. Der in Finanznöten steckende Subunternehmer eines sogenannten Pressegrossisten war dafür genau die richtige Adresse. Ich wurde gründlich eingearbeitet und saß zehn Minuten später als Fahranfänger am Steuer eines weißen Ford Transit L2H2.
Oder, nein, erst musste ja gebündelt und geladen werden, und das war nicht ganz trivial: Man bekam eine lange, gedruckte Gesamtliste der zu verteilenden Presseerzeugnisse (u.a. 9572 BILD, 683 kicker, 5 taz, 2 Hamburger Morgenpost) sowie gut 50 Lieferscheine, einen für jedes der Geschäfte, die beliefert wurden, also: EDEKA in Städtchen X - 212 BILD, 8 kicker, 1 Jagd&Hund; Bäckerei Müller in Dorf Y - 18 BILD, 4 kicker.
Nun musste man die Gesamtmengen der einzelnen Titel zu seinem Ladeplatz schaffen - dafür gab es Schiebewagen - und die Lieferungen für die einzelnen Empfänger an der Bündelmaschine kommissionieren. Verkompliziert wurde dieses durch die Tatsache, dass zu Beginn noch nicht alle Titel angeliefert waren. Also bündelte man, was da war, schrieb mit einem Kuli groß die noch fehlenden Titel ("3 FAZ") auf den Lieferschein, packte das Paket in den Laderaum und legte sich die erst später eintreffenden Ergänzungen auf den Beifahrersitz. Beim Ausliefern dachte man hoffentlich daran, beides zusammenzuführen: Denn die Inhaber der kleinen Geschäfte in Harz und Eichsfeld konnten äußerst unangenehm werden, wenn etwas fehlte, und es gab beim Grossisten extra jemanden, der solche Nachlieferungen tagsüber erledigte - jedoch wurden die Kosten dafür dem jeweiligen Subunternehmer berechnet, der einem dann recht lautstark erzählte, was er davon hielt.
Weitere Feinheiten der Logistik erspare ich Ihnen. Irgendwann jedenfalls war der Transporter beladen, Mitternacht vorbei und Zeit zum Losfahren, aber: Die Mopo fehlte. Irgendwo gab es auch im Harz zwei oder drei Personen, die täglich die Hamburger Morgenpost kauften, und deswegen konnte man nicht losfahren, ehe diese angeliefert wurde. Sie war immer der letzte Titel.
Man stand rum, rauchte, half gehetzten Kollegen beim Laden oder beim Reparieren der Bündelmaschine - bis endlich Hajo von hinten rief: "Die Mopo ist da!", und, jedes einzelne Mal, Günther zurückrief: "Schön für die Mopo!"
Unterwegs (all das spielt weit vor Smartphone und Navi) hieß es ein komplexes Geflecht aus Wegen, Abkürzungen und Stichfahrten zu beherrschen, was für mich als geographisch herausgeforderte Person nicht ganz einfach war; man verwaltete zudem einen Gefängniswärterring mit zahlreichen Schlüsseln, um an bestimmte Ablageorte zu gelangen, und nie vergesse ich den Tag, als ich irgendwo merkte, dass ich den Ring nicht mehr dabeihatte: Wo war der letzte Laden mit Schlüssel, und wie komme ich da hin? Ich kannte die Strecke nur vorwärts und erinnerte mich nicht, wo ich zuletzt etwas aufgeschlossen hatte, so dass ich schweißgebadet und zähneklappernd von Dorf zu Dorf raste, es wurde schon hell, und vor Erleichterung kaum das Wasser halten konnte, als ich endlich an einem Hintereingang den vollständigen Ring hängen sah. (Oft genug hatte ich was von "zwanzigtausend Mark alleine für die Schließanlage bei Edeka" gehört.)
Meist gegen 4:00h erreichte ich eine Bäckerei in einem abgelegenen Eichsfelder Dorf. Hier arbeitete sich das inhabende Ehepaar kaputt - er knetete und buk, sie packte die Tüten mit den frühmorgens auszuliefernden Brötchen, und es ergaben sich knappe, freundliche Dialoge ("Wie ist es draußen?" - "Muss ja. Bei euch so?" - "Nix weiter"), während man mir einen Kaffee aus der Thermoskanne einschenkte. Und dann kam es zur Transaktion: Schweigend legte ich eine Handvoll BILD oder auch mal einzwei kicker zusätzlich auf den Tresen, stellte meinen Kaffeebecher ab und nahm eine Tüte frischer Brötchen entgegen. "Muss dann mal weiter" - "Sieh zu!", und auf dem Beifahrersitz lag die Tüte und duftete himmlisch. Ganz frische Brötchen, noch heiß aus dem Ofen, sollen ja nicht gesund sein, aber sie machten mich glücklich und halfen mir durch die letzten Stunden. Irgendwann morgens kam man zurück, lud die eingesammelten Remittenden aus und fuhr völlig erledigt nach Hause, um noch stundenlang aufgekratzt herumzulaufen und irgendwann bewusstlos einzuschlafen, kurz bevor der Wecker klingelte, denn um 17:30 musste man langsam duschen und in der Mensa am Wilhelmsplatz ein warmes Abendessen, quasi als Frühstück - also wenn ich darüber nachdenke: Vielleicht kommt daher immer mein Nachthunger!
Sie aber wollen viel eher wissen: Woher kamen denn die zusätzlichen Exemplare BILD und kicker für den Bäcker? Alles war doch genau abgezählt!? Und hier kommen die Spitze und das Zupfen ins Spiel.
In dieser Branche spricht man in Vollpaketen und Spitzen. Bei der BILD z.B. bestand ein Vollpaket aus 250 Exemplaren, jeweils in 50er-Einheiten geschichtet, und wenn ein Geschäft 537 BILD bekam, waren das zwei Vollpakete und eine "Spitze" aus 37 Zeitungen. Geprüft wurde meist nur die Spitze: Ah, zwei Vollpakete und 37 als Spitze - passt! Jedoch war es möglich, und ich möchte fast sagen: gängige Praxis, Vollpakete beim Packen zu öffnen, einzelne Exemplare herauszuzupfen und neu zu bündeln.
Mancher machte das für kleine Deals wie ich mit meinem Bäcker, andere taten es aus purem Spaß an der Freude: "Der Händler X geht mir so auf die Nerven mit seinen Reklamationen, der soll jeden Tag den ganzen Stapel zählen und sich eine einzelne BILD nachliefern lassen, harhar!"
Nebenbei lernte ich Autofahren und widersprach empört, als jemand nach einem Unfall behauptete: Das war sein vierter! Dabei war es erst der dritte, und bei dem Wetter ohne Schneeketten im Harz ja wohl auch kein Wunder! Und erst neulich hatte ich mich auf spiegelglatter Bahn um 360 Grad gedreht und war dennoch nicht in das Schaufenster gefahren, was völlig legitim gewesen wäre, sondern knapp davor zum Stehen gekommen! Also erzähl mal nichts von vierter Unfall, Freundchen!
Aber natürlich war mir das peinlich, zumal wir als eingeschworene Gemeinschaft zu unserem Subunternehmer hielten, der die Fahrzeuge leaste und inzwischen so hohe Schulden bei der Tankstelle hatte, dass er dort Umschläge mit Bargeld hinterlegen musste. "Das ist betriebswirtschaftlich unmöglich!", hörte ich eines Tages einen anderen Subunternehmer aus dem Grossistenbüro rufen, und ich fürchte, er hatte recht: Trotz der Hinzunahme von Apothekenbelieferungen (eine Geschichte für sich) und Fotoarbeiten war eines Tages Schluss, Insolvenz, und irgendein anderer armer Kerl übernahm die Touren.
Schlecht bezahlt war das, ungesund und gefährlich. Und so richtig Zukunft hatte es dann doch nicht. Aber komischerweise, wenn ich mich frage: Welche Arbeit hat dir eigentlich richtig Spaß gemacht, dann denke ich als erstes an diese Zeit. So - ich muss los. Die Mopo ist da!
Lange hatte ich geglaubt, wenn man diese ewige Schulzeit hinter sich gebracht hätte, käme man endlich wieder zurückin den davorliegenden, quasi natürlichen Zustand: Morgens aufstehen und mal schauen, was der Tag so bringt. "Geglaubt" im Sinne von darüber nachgedacht natürlich nicht - die Frage hatte sich mir einfach nie gestellt; es war aber eine zugleich unscharfe und völlig eindeutige Vorstellung, dass die dreizehn Jahre eine enervierend lange, am Ende aber doch vorübergehende Unterbrechung einer eigentlichen, natürlichen Daseinsform bedeuteten.
Also wunderte ich mich, als die anderen irgendwas von "Maler" oder "Rechtsanwältin" erzählten. Die Lehrerin hatte gefragt, was wir denn nach der Schule so machen wollten, und ich antwortete völlig entgeistert: Na, gar nichts!
Es folgte ein Vortrag mit seltsamen Begrifflichkeiten wie "jemandem auf der Tasche liegen" etc., und mir wurde klar, dass dem Thema auf Dauer nicht auszuweichen wäre; jedoch bildete sich auch in den kommenden Jahren keinerlei Vorstellung heraus, und ich konnte froh sein, dass ich nach dem Abitur erst mal 20 Monate Zivildienst ableisten durfte.
Während ehemalige Mitschülerinnen ihr Vordiplom ablegten, fasste ich eines Tages den Entschluss, eine Karriere als Fahrer überladener Kleintransporter zu beginnen. Der in Finanznöten steckende Subunternehmer eines sogenannten Pressegrossisten war dafür genau die richtige Adresse. Ich wurde gründlich eingearbeitet und saß zehn Minuten später als Fahranfänger am Steuer eines weißen Ford Transit L2H2.
Oder, nein, erst musste ja gebündelt und geladen werden, und das war nicht ganz trivial: Man bekam eine lange, gedruckte Gesamtliste der zu verteilenden Presseerzeugnisse (u.a. 9572 BILD, 683 kicker, 5 taz, 2 Hamburger Morgenpost) sowie gut 50 Lieferscheine, einen für jedes der Geschäfte, die beliefert wurden, also: EDEKA in Städtchen X - 212 BILD, 8 kicker, 1 Jagd&Hund; Bäckerei Müller in Dorf Y - 18 BILD, 4 kicker.
Nun musste man die Gesamtmengen der einzelnen Titel zu seinem Ladeplatz schaffen - dafür gab es Schiebewagen - und die Lieferungen für die einzelnen Empfänger an der Bündelmaschine kommissionieren. Verkompliziert wurde dieses durch die Tatsache, dass zu Beginn noch nicht alle Titel angeliefert waren. Also bündelte man, was da war, schrieb mit einem Kuli groß die noch fehlenden Titel ("3 FAZ") auf den Lieferschein, packte das Paket in den Laderaum und legte sich die erst später eintreffenden Ergänzungen auf den Beifahrersitz. Beim Ausliefern dachte man hoffentlich daran, beides zusammenzuführen: Denn die Inhaber der kleinen Geschäfte in Harz und Eichsfeld konnten äußerst unangenehm werden, wenn etwas fehlte, und es gab beim Grossisten extra jemanden, der solche Nachlieferungen tagsüber erledigte - jedoch wurden die Kosten dafür dem jeweiligen Subunternehmer berechnet, der einem dann recht lautstark erzählte, was er davon hielt.
Weitere Feinheiten der Logistik erspare ich Ihnen. Irgendwann jedenfalls war der Transporter beladen, Mitternacht vorbei und Zeit zum Losfahren, aber: Die Mopo fehlte. Irgendwo gab es auch im Harz zwei oder drei Personen, die täglich die Hamburger Morgenpost kauften, und deswegen konnte man nicht losfahren, ehe diese angeliefert wurde. Sie war immer der letzte Titel.
Man stand rum, rauchte, half gehetzten Kollegen beim Laden oder beim Reparieren der Bündelmaschine - bis endlich Hajo von hinten rief: "Die Mopo ist da!", und, jedes einzelne Mal, Günther zurückrief: "Schön für die Mopo!"
Unterwegs (all das spielt weit vor Smartphone und Navi) hieß es ein komplexes Geflecht aus Wegen, Abkürzungen und Stichfahrten zu beherrschen, was für mich als geographisch herausgeforderte Person nicht ganz einfach war; man verwaltete zudem einen Gefängniswärterring mit zahlreichen Schlüsseln, um an bestimmte Ablageorte zu gelangen, und nie vergesse ich den Tag, als ich irgendwo merkte, dass ich den Ring nicht mehr dabeihatte: Wo war der letzte Laden mit Schlüssel, und wie komme ich da hin? Ich kannte die Strecke nur vorwärts und erinnerte mich nicht, wo ich zuletzt etwas aufgeschlossen hatte, so dass ich schweißgebadet und zähneklappernd von Dorf zu Dorf raste, es wurde schon hell, und vor Erleichterung kaum das Wasser halten konnte, als ich endlich an einem Hintereingang den vollständigen Ring hängen sah. (Oft genug hatte ich was von "zwanzigtausend Mark alleine für die Schließanlage bei Edeka" gehört.)
Meist gegen 4:00h erreichte ich eine Bäckerei in einem abgelegenen Eichsfelder Dorf. Hier arbeitete sich das inhabende Ehepaar kaputt - er knetete und buk, sie packte die Tüten mit den frühmorgens auszuliefernden Brötchen, und es ergaben sich knappe, freundliche Dialoge ("Wie ist es draußen?" - "Muss ja. Bei euch so?" - "Nix weiter"), während man mir einen Kaffee aus der Thermoskanne einschenkte. Und dann kam es zur Transaktion: Schweigend legte ich eine Handvoll BILD oder auch mal einzwei kicker zusätzlich auf den Tresen, stellte meinen Kaffeebecher ab und nahm eine Tüte frischer Brötchen entgegen. "Muss dann mal weiter" - "Sieh zu!", und auf dem Beifahrersitz lag die Tüte und duftete himmlisch. Ganz frische Brötchen, noch heiß aus dem Ofen, sollen ja nicht gesund sein, aber sie machten mich glücklich und halfen mir durch die letzten Stunden. Irgendwann morgens kam man zurück, lud die eingesammelten Remittenden aus und fuhr völlig erledigt nach Hause, um noch stundenlang aufgekratzt herumzulaufen und irgendwann bewusstlos einzuschlafen, kurz bevor der Wecker klingelte, denn um 17:30 musste man langsam duschen und in der Mensa am Wilhelmsplatz ein warmes Abendessen, quasi als Frühstück - also wenn ich darüber nachdenke: Vielleicht kommt daher immer mein Nachthunger!
Sie aber wollen viel eher wissen: Woher kamen denn die zusätzlichen Exemplare BILD und kicker für den Bäcker? Alles war doch genau abgezählt!? Und hier kommen die Spitze und das Zupfen ins Spiel.
In dieser Branche spricht man in Vollpaketen und Spitzen. Bei der BILD z.B. bestand ein Vollpaket aus 250 Exemplaren, jeweils in 50er-Einheiten geschichtet, und wenn ein Geschäft 537 BILD bekam, waren das zwei Vollpakete und eine "Spitze" aus 37 Zeitungen. Geprüft wurde meist nur die Spitze: Ah, zwei Vollpakete und 37 als Spitze - passt! Jedoch war es möglich, und ich möchte fast sagen: gängige Praxis, Vollpakete beim Packen zu öffnen, einzelne Exemplare herauszuzupfen und neu zu bündeln.
Mancher machte das für kleine Deals wie ich mit meinem Bäcker, andere taten es aus purem Spaß an der Freude: "Der Händler X geht mir so auf die Nerven mit seinen Reklamationen, der soll jeden Tag den ganzen Stapel zählen und sich eine einzelne BILD nachliefern lassen, harhar!"
Nebenbei lernte ich Autofahren und widersprach empört, als jemand nach einem Unfall behauptete: Das war sein vierter! Dabei war es erst der dritte, und bei dem Wetter ohne Schneeketten im Harz ja wohl auch kein Wunder! Und erst neulich hatte ich mich auf spiegelglatter Bahn um 360 Grad gedreht und war dennoch nicht in das Schaufenster gefahren, was völlig legitim gewesen wäre, sondern knapp davor zum Stehen gekommen! Also erzähl mal nichts von vierter Unfall, Freundchen!
Aber natürlich war mir das peinlich, zumal wir als eingeschworene Gemeinschaft zu unserem Subunternehmer hielten, der die Fahrzeuge leaste und inzwischen so hohe Schulden bei der Tankstelle hatte, dass er dort Umschläge mit Bargeld hinterlegen musste. "Das ist betriebswirtschaftlich unmöglich!", hörte ich eines Tages einen anderen Subunternehmer aus dem Grossistenbüro rufen, und ich fürchte, er hatte recht: Trotz der Hinzunahme von Apothekenbelieferungen (eine Geschichte für sich) und Fotoarbeiten war eines Tages Schluss, Insolvenz, und irgendein anderer armer Kerl übernahm die Touren.
Schlecht bezahlt war das, ungesund und gefährlich. Und so richtig Zukunft hatte es dann doch nicht. Aber komischerweise, wenn ich mich frage: Welche Arbeit hat dir eigentlich richtig Spaß gemacht, dann denke ich als erstes an diese Zeit. So - ich muss los. Die Mopo ist da!
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kid37,
Dienstag, 10. Juni 2025, 22:35
Mann! Das war ja mal eine spannende Geschichte, habe bereits angefangen, mit den Zähnen zu mahlen und die Kiefer zu überspannen. "Hinterher", so sagte meni Vater immer, und das hat mich oft genervt, aber er hatte schon Recht, also "Hinterher lachst du drüber!" oder eben: Wenn es auch stressig und grundsätzlich unmöglich war, so erinnert man sich gern zurück. (Hab mal die Tageszeitung ausgetragen, nur ein, zwei kleine Bezirke. Aber ab 5:30 Uhr morgens, das macht sich doch heutzutage keiner mehr klar!)
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nnier,
Mittwoch, 11. Juni 2025, 08:49
Der Rückspiegel verklärt vieles. Ich habe eine Erinnerung an ein insgesamt solidarisches Miteinander, gegenseitige Anerkennung für die harte Arbeit ("Komm gut durch!" war der gegenseitige Gruß beim Abfahren) und ein Gefühl, gegen "die da oben" zu bestehen, die einen ausbeuteten, so etwas kann ja auch zusammenschweißen.
kid37,
Mittwoch, 11. Juni 2025, 08:54
War bestimmt so, vor allem in dieser Branche als verlängerter Arm der Presse. Man denke an Drucker und deren Selbstbewusstsein. Das Einprägen der Versorgungslinien und individuellen Wünsche, versteckten Ablageorte usw. war mir auch eine ziemliche Herausforderung. Applaus, wenn Sie das in so einem großen Gebiet geschafft haben.
nnier,
Mittwoch, 11. Juni 2025, 21:24
Einmal übernahm ich vertretungsweise eine andere Tour, und beim Einlernen gab es einen unvermuteten Haltepunkt: Das Bahnwärterhäuschen an einer Schranke! Aus dem oberen Fenster hing eine lange Paketschnur mit Schlaufe, an der eine zusammengerollte BILD befestigt wurde, die man vorher irgendwo gezupft hatte. Eine Gegenleistung gab es hier nicht, lediglich das Abenteuergefühl und einen Hauch von Robin Hood.
damals,
Mittwoch, 11. Juni 2025, 13:28
Danke für die tolle Geschichte! Ganz große Literatur! (und schön, dass Sie die MoPo noch lesen.)
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nnier,
Mittwoch, 11. Juni 2025, 16:53
Danke meinerseits! Der Grossist betrieb übrigens in meiner Heimatstadt über Jahrzehnte zwei winzige, gläserne Verkaufsstellen (tatsächlich war mir kaum vorstellbar, wie darin jemand den ganzen Tag sitzen und verkaufen sollte) sowie ein sog. Pressehaus, das war ein gut bestückter Zeitschriften- und Comicladen in der Innenstadt, Anlaufstelle für Spezialtitel. Alles ist inzwischen geschlossen. Ich vermute, an solchen Geschäften ist die Zeit inzwischen vorbeigegangen - merke es an mir selbst, einen Bahnhofsbuchhandel z.B. habe ich auch ewig nicht betreten. Keine Ahnung, ob man in der Stadt noch irgendwo die Mopo bekäme.
nnier,
Mittwoch, 11. Juni 2025, 21:46
Stimmt - die WochenMOPO, das hatte ich gesehen! Bei der taz wundert mich, wie lange sie das Drucken und die gesamte Distribution aufrechterhalten haben. Man muss sich klar machen: Die paar Exemplare für einen tiefschwarzen Landstrich wie das Eichsfeld wurden quer durch Deutschland angeliefert und teilweise einzeln an ein paar wenige Geschäfte ausgeliefert!
Man leistete sich in Bremen sehr lange eigene Verteiler für die Abonnenten, ich habe das auch mal vertretungsweise gemacht - und es war kein Vergleich mit dem, was ich kannte: Normale Lokalzeitungen wird man ja in jeder Straße bündelweise los, hier packte man sich seine 30 oder 50 Exemplare in den Rucksack und fuhr mit dem Fahrrad richtige Strecken zwischen den einzelnen Abo-Haushalten. Und es gab Leute, die abends durch die Kneipen liefen und die taz per Handverkauf unters Volk brachten. Aus Mitleid kaufte ich manchmal eine.
Man leistete sich in Bremen sehr lange eigene Verteiler für die Abonnenten, ich habe das auch mal vertretungsweise gemacht - und es war kein Vergleich mit dem, was ich kannte: Normale Lokalzeitungen wird man ja in jeder Straße bündelweise los, hier packte man sich seine 30 oder 50 Exemplare in den Rucksack und fuhr mit dem Fahrrad richtige Strecken zwischen den einzelnen Abo-Haushalten. Und es gab Leute, die abends durch die Kneipen liefen und die taz per Handverkauf unters Volk brachten. Aus Mitleid kaufte ich manchmal eine.
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