Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Ich bin Phil
nnier | 07. September 2015 | Topic Musiq
Jetzt schaut bloß mal, was ihr angerichtet habt.

1980:


1996:


Was ist da geschehen? 1980: Der junge Mann im Vordergrund hat ein ganzes Konzert als Leadsänger bestritten und legt zum Abschluss ein Drumduett hin, wie man es sich nur wünschen kann. Locker und hochkonzentriert, vor allem aber mit Vollbart und gelbem Hawaiihemd.

1996: Ja, eben! Das schmerzverzerrte Gesicht, die freudlose Ausstrahlung, das lässt sich medizinisch doch gar nicht verantworten.

"Warum wird der eigentlich so gehasst", werde ich von jungen Menschen gefragt, und man erzählt dann von den Jahren, in denen er kurz vor der endgültigen Machtübernahme stand: Der Flug mit der Concorde, um bei Live Aid als einziger Künstler in London und Philadelphia aufzutreten. Die industriell gefertigten Midtempo-Hits, der omnipräsente Schlagzeugsound, Phil als Gaststar bei Miami Vice, ein bescheuerter Kinofilm, und wenn er mal nicht als Solokünstler zu hören war, dann aber garantiert als Sänger einer ebenso vielgeschmähten Band.

Ja, aber die Sachen sind doch gar nicht so schlecht, sagen die jungen Leute, und man schmunzelt wissend: Doch, doch, da gibt es schon ein paar schlimme Machwerke, und wisst ihr, was das Traurige ist: Gerade mit denen hatte er die größten Erfolge. Das geht schon los damit, dass er zum Start zwei eher dunkel grundierte Soloalben vorgelegt hat: Musikalisch anspruchsvoll, die Texte von Trennungs- und Weltschmerz getränkt, und dann wird ausgerechnet so ein harmloses Motown-Cover zum großen Erfolg in den Charts. Da wurden völlig falsche Anreize gesetzt.

1985 habe ich selber jeden Tag dreimal No Jacket Required gehört, obwohl die Scheibe einem auf die Nerven gehen konnte mit ihrem bei Prince geklauten Anfang und vor allem dieser einen Ballade, die einem ständig entgegenquoll. Und wie gräßlich vor allem diese andere Ballade ist, wurde mir erst Jahre später so richtig klar, als Mariah Carey ihr den Todesstoß verpasste.

Verteidigt habe ich ihn dennoch bis über die 80er hinaus, trotz Two Hearts und allerlei weiterer Belanglosigkeiten, da folgte Hit auf Hit, das schien für immer so weiterzugehen, das war Futter fürs Formatradio, das war ein Synonym für Mainstream, das war Reißbrettpop aus dem Reinraum, und doch mochte ich ihm eine gewisse innere Qualität, eine solide Handwerksbeherrschung einfach nicht absprechen.

Dabei hatte ich massiv unter ihm gelitten, weil er, wie mir schien, die von mir damals innig geliebten Querköpfe, verschrobenen Prog-Dinosaurier, Schöpfer abseitiger Siebenminutenstücke, Beherrscher komplexester Rhythmik, Verfasser verstiegener Verse, Meister der wunderlichen Instrumentalsuiten, weil er die verklemmten Brillenträger und linkischen Doppelhalsgitarrenspieler seiner urbritischen Herkunftsband zu bloßen Facharbeitern im Dienste der schnöden Hitparadenindustrie degradiert hatte, die nun kilometerweit unterhalb ihrer Talente und Möglichkeiten echten Schweinerock für die internationalen Märkte raushauten, wenn sie nicht gerade als anonym geduldete Begleitband zur nächsten normsterilen Ballade des allgegenwärtigen C. auf Schicht gehen mussten: Was bin ich zusammengezuckt, wenn der Name des Sängers mit dem der Band verwechselt oder synonym gebraucht wurde, gerade weil ich spürte, dass da kein großer Unterschied mehr bestand.

"Ist aber innerhalb der Popmusik dennoch" usw., ich höre mich noch reden, und man konnte damals wirklich meinen, es werde ewig so weitergehen. Es kam jedoch anders.

"We always need to hear both sides of the story", erscholl es 1993, und die Sekretärinnen drehten das Radio lauter. Es klang eigentlich wie immer, die Drums knallten ihr ewiges Gated Reverb, der Moog lieferte harmlos simple Harmonien, drübergesungen ein wenig Sozialkitsch, und doch war etwas anders: Das klang so richtig billig. Sollten das Gitarren sein?

Da hatte er also ein ganzes Album alleine eingespielt und sich völlig übernommen. Denn auch wenn seine frühen Solowerke ebenfalls im Heimstudio entstanden waren, hatte er es doch immer verstanden, Musiker der Extraklasse um sich zu scharen und seine sparsamen Arrangements mit ein paar genialen Gitarrensprengseln veredeln zu lassen. Hier dagegen: Nichts als unbeholfene Anfängergriffe, Malen nach Zahlen, und auch den möglichen Charme des Unfertigen und Skizzenhaften suchte man vergeblich, das klang einfach schlecht produziert. Meine Versuche, diese Platte dennoch irgendwie zu hören, blieben erfolglos.

Und das war es dann auch: Endgültig verloren hat er mich mit der unmotivierten Coverversion eines mediokren 80er-Jahre-Hits (True Colors von Cyndi Lauper), und plötzlich merkte man: Da war schon länger nichts, da kommt auch nichts mehr, da ist eine der beherrschenden Hitparadenfiguren der 80er vollkommmen in sich zusammengesunken und kann unter "erledigte Fälle" abgeheftet werden. (Danach noch Disney-Musical ff.)

Ist euch übrigens aufgefallen, dass der Mann seit 20 Jahren nicht mehr öffentlich lacht? Der ist völlig erledigt, auf einem Ohr taub, x-fach geschieden, kann keine Drumsticks mehr festhalten und hat vollkommen resigniert. Mitleid macht noch keine Musik besser, aber es ist schon knüppeldick für ihn gekommen (David Bowie subsequently dismissed his own critically reviled 1980s output as his "Phil Collins years/albums".) Ich frage mich also, ob es eine gute Idee ist, jetzt, da sich offenbar endgültig alle über die grobe Abscheulichkeit des Herrn Collins einig geworden sind, seine Soloalben in einer großen Kampagne ("Take a look at me now", ausgerechnet) wiederzuveröffentlichen: Schon die Idee, die originalen Coverfotos mit aktuellen des sichtlich gealterten Collins zu ersetzten, lädt doch geradezu ein, noch mal ordentlich draufzuhauen.

Und wirklich: Was eine wiederveröffentlichte No Jacket Required 30 Jahre später bringen soll, weiß ich nicht. Wenn ich die Scheibe einmal im Jahr raushole, ist das klangtechnisch noch immer tadellos. Und verdammt schlecht gealtert.

Aber das war nicht die ganze Geschichte, und wenn ich kurz auf das hier schon mal thematisierte I don't Care Anymore verweisen darf und diesen totgespielten Superhit, der trotzdem eine schöne Melodie hat - oder was soll's, hören wir doch einfach mal mitten in die erste Soloplatte rein: Das kann man doch mindestens respektieren, oder nicht?

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mark793, Montag, 7. September 2015, 16:27
Um Phil Collins zu hassen, dafür war und ist er mir einfach zu egal (das hat er übrigens mit Nickelback gemeinsam). Ansonsten ist es bei mir so, dass mich das unsägliche Gejaule von Mariah Carey mit dem Original von "Against the Odds" irgendwie, wie soll ich sagen, fast ausgesöhnt hat.

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nnier, Dienstag, 8. September 2015, 00:09
Haha, so ging es mir auch, nachdem ich mir das gestern tatsächlich mal in Gänze angehört habe: Eigentlich keine schlechte Melodie - und doch für mich auch im Original praktisch nicht mehr hörbar, zu oft, zu viel, das reicht schon lange. "Tut mir leid, dass das alles so erfolgreich war", hat er neulich selber gesagt und ein gewisses Verständnis dafür geäußert, dass es eine Negativreaktion auf den Overkill geben musste. (Manche sehen das durchaus anders!)

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kid37, Dienstag, 8. September 2015, 01:52
An Ringo kommt er nicht vorbei.

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nnier, Dienstag, 8. September 2015, 11:48
An dem kommt keiner vorbei (außer Libuda). Aber gerade als Drummer hat Phil eine Menge zu bieten gehabt (und wird von Fachkollegen und Experten massiv geschätzt). Durchaus tragisch, dass am Ende Drumcomputer und Klangeffekte in Erinnerung bleiben werden.

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vert, Freitag, 11. September 2015, 04:09
wie sie wohl schon ahnen, bin ich natürlich der meinung, dass er hier noch verdammt gut wegkommt...

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nnier, Sonntag, 13. September 2015, 23:31
Ja, er hat gefehlt. Aber nicht nur.

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schneck, Samstag, 12. September 2015, 04:28
Hey, bei dem Allen darf man nicht BRAND X vergessen! Das hab ich ihm immer ganz hochgehalten nach Soloschmalz. Und so ein handgeschlagenes Doppel-Solo (wie hier ganz oben) durfte ich seinerzeit (sagen wir 1982/83?) miterleben in der "Stadthalle Böblingen" und ich sage Ihnen: Das war das Beste meiner lebendigen Konzerterlebnisse. Da war aber schon "In the Air tonight" gewesen und man begann sich vorsichtig zu sorgen. Vorher rettete mich Genesismusik durch Melancholieabsorbtion vor dem pubertären Liebesfreitod (oder so ähnlich). Und im Walkman via Kopfhörer abends auf Lehrbaustelle fern der Heimat in London oder Zwiefalten. Das werd ich ihm niemals vergessen. Vielleicht hätte ER sich lieber von der Genesiscombo trennen sollen anstatt der Anderen. Ich glaube, die sind am Hirnigen zerbrochen. Die waren einfach zu weit auseinander.

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nnier, Montag, 14. September 2015, 00:02
Der G-Punkt wird von mir noch hinreichend bearbeitet werden, aber zuerst: BRAND X, jippieh, da kennt sich jemand aus! Ich habe damals ziemlich ausgiebig gesammelt und mir auch diese jazzigen Scheiben besorgt - dann wohl nicht sehr oft gehört, würde mich sonst besser erinnern, mochte aber immer dieses Stück.

Die waren total weit auseinander, und lange war er für mich der Störenfried. Inzwischen bin ich nicht mehr ganz sicher, ob die Erzählung vom tumben Kommerzler zwischen den verkopften Genies so stimmt. Dazu bei anderer Gelegenheit. Das mit der Melancholieabsorption ist jedenfalls ein interessantes Bild, ich habe mich ja damals oft gefragt: Höre ich das, weil ich so bin, oder bin ich so, weil ich das höre?

Halb zog sie ihn, halb sank er hin ...

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