Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Wir schalten im Studio
nnier | 28. September 2011 | Topic Sprak
Die Mutter schalt, weil das Kind schrie, und das Kind schrie, weil die Mutter schalt. Feixend standen die anderen daneben.
Mir ist immer noch nicht ganz klar, wie das geht, dieses Feixen. Ich habe als Kind irgendwann aus dem Kontext erschlossen, dass es sich dabei um ein Verhalten handeln muss, das in Momenten großer Schadenfreude auftritt, "er feixte sich eins", solche Sachen, aber wie genau sieht das aus? Schneidet man eine Grimasse? Ist es eine mimische, gestische, lautliche Äußerung? Oder ist es halt ebend wenn man schadenfroh ist?

"Die Mutter schalt", das hat mich fertiggemacht. Also nicht meine Mutter jetzt, sondern die Formulierung, denn ich kannte nicht mal das Verb "Schelten" bzw. das Nomen "Schelte". Meckern, Schimpfen, Motzen - kein Thema, damit kann ich umgehen, also mit den Wörtern jetzt, aber dann noch so ein altfränkisch anmutendes Präteritum: Schalt? "Scheltete", das sehe ich ein, das geht nicht, es muss schon ein starkes Verb sein, dieses Schelten - Schimpfen, schompf, geschumpfen, Sie wissen schon, und es hilft einem auch nicht viel, wenn die Kinder um einen herum singen: Hört nur, wie lieblich es schalt / Wenn Vaters Ohrfeige knallt. (Zur Melodie von "Leise rieselt der Schnee", das wissen Sie sicherlich, und dass es natürlich lieblich schallt.)

Vierschrötig, klar, so wurde in den Büchern auch nie der Klavierspieler beschrieben oder der Herzchirurg, man kann sich das schon rein vom Klang her irgendwie vorstellen, wahrscheinlich ungefähr so wie bei Micky Maus immer die Bösewichte gezeichnet waren. Da gab es ja immer einen dünnen mit Bartstoppeln und einen dicken, großen, die konnten sich so gut verkleiden, wie sie wollten - schon der verschlagene Gesichtsausdruck verriet sie im allerersten Bild, das machte diese Geschichten ja auch so langweilig. Immerhin habe ich dadruch eine Vorstellung von Vierschrötig - aber ob sie stimmt?

Dann kam im Radio ein Bericht aus Amerika über den Prozess gegen den Arzt von Michael Jackson, es war ein relativ sachlich gehaltener Report über die Ansichten der beteiligten Anwälte, der eine sagt: Der Jackson hat sich das Mittel aber selber gespritzt, als der Arzt kurz rausgegangen ist. Der andere sagt: Selbst wenn das stimmen sollte, einen unter Schlafmangel leidenden, süchtigen Menschen mit diesem Medikament in einem Raum zu lassen ist so wie einen Pyromanen mit einer Packung Streichhölzer, und wozu der Leibarzt denn bitteschön vier Liter von diesem Mittel gebunkert habe - es war wie gesagt relativ sachlich dafür, dass es auf einem Krawallsender lief, ich schaute nämlich just in dem Moment auf die Senderanzeige, als der Bericht mit den Worten endete, Michaels Schwester La Toya habe nach diesem Prozesstag getwittert, sie sei von einem Mordkomplott überzeugt.

Wenn ich in so ein Auto einsteige, läuft da ein Brüllsender, wenn ich aussteige, ein Kultursender oder das liebenswert unbeholfene Bürgerradio. Neulich etwa durfte ich mich wieder drauflosfreuen, als ein Stück klassischer Musik lief und man plötzlich ein Rumpeln und dann so etwas wie "Scheiße! Verdammte Dreckscheiße!" hörte. Ich war kurz davor, mir einen zu feixen, denn das ist ja bei allem Respekt vor den rührenden Bemühungen der Radio-Amateure einfach lustig, wenn jemand das Mikrofon ungewollt "offen" lässt. Wäre das hier eine Radiosendung, die ich allein produzieren und moderieren müsste und dann noch live über den Sender ginge - Dreckfickscheiße, was Sie da lesen müssten!

Dann wieder fiel mir ein, dass ich ja gar nicht feixen kann. Man stelle sich vor, ich träte bei Stefan "Schlag den" Raab gegen ihn an, das muss so eine Sendung sein, bei der man ganz viel Geld gewinnt, wenn man gut Wattebäusche in einen Karton pusten oder Stücke von einer Wurst abschneiden kann, und dann wäre vor dem letzten Spiel Gleichstand und die entscheidende Aufgabe würde lauten: Feixen Sie sich eins! Ich habe so ein Gefühl, dass Stefan Raab weiß, wie das geht, und während ich mich in einer hilflosen Pantomime versuche, feixt der drauflos und ich denke: OK, doch keine halbe Million, aber jetzt weiß ich endlich, wie das geht!

Als dieser Bericht im Radio zu Ende war und es zurück ins Studio ging, hoffte ich auf einen passenden, geschmackvoll ausgewählten Musiktitel. Statt dessen dröhnte die Studiomoderatorin: DA HAB ICH DIE BILDER GESEHEN WIE SE DA ALLE SITZEN DIE JACKSONS UND WAS SOLL ICH SAGEN: ALLE DIE GLEICHE NASE DIE GABS WOHL IM ZEHNERPACK IRGENDWO BILLIGER. Sie klang richtiggehend vierschrötig dabei, so dass ich vorm Aussteigen doch wieder auf Deutschlandradio Kultur umschaltete. Es ist meine Version von diesem Film, in dem sie die Einschaltquoten manipulieren und plötzlich alle Arte gucken wollen.

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jean stubenzweig, Mittwoch, 28. September 2011, 19:04
Ich würde ja jetzt gerne einen witzigen Kommentar schreiben wollen, quasi einen draufsetzen. Aber kuhler als Sie kann ich einfach nicht.

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nnier, Mittwoch, 28. September 2011, 23:31
Ach, das schmeichelt gerade recht und freut mich wie immer, wenn Sie etwas damit anfangen können. Danke.

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dings, Donnerstag, 29. September 2011, 14:52
Dem Lob muss ich mich anschließen, wie immer eigentlich.

Und wie sie den Worten nachspüren und "so Sachen" - da feixt sich der Philosoph in mir, der findet, dass man eytmologische Spekulationen, hermeneutische Exegese und Wittgensteinsche Sprachspiele viel zu oft übertreibt, l'art pour l'art quasi, und das immer alles viel zu gewollt und künstlich und letztlich nur gequirlte Scheiße ist, darob wie fein und nachvollziehbar sie das machen, eins.

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monnemer, Mittwoch, 28. September 2011, 19:23
Ich habe das Problem eher nicht mit feixen, sondern mit grienen. Unerläßlich dafür, ist ja, denke ich mir, eigentlich eine Gesichtsform, wie z.B. die Bergiselschanze, also eine eher schaufelförmige. Wie meine. Aber wie das geht, das weiß nur Stefan Raab ich nicht.

Zum Thema vierschrötige Studiomoderatorin, die einen morgens um 6 mit einem fröhlichen Gelächer ('HACKHACKHACKHACK') begrüßt, mußte ich jetzt gleich an Lisa Fitz denken. Weiß auch nicht warum. Man weiß ja so wenig.

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nnier, Mittwoch, 28. September 2011, 23:43
Sie sind nicht zufällig im Besitz eines ganz bestimmten "Buxen-Buches"? Diese kleinen Hosentaschenbüchlein, wie Pixibücher, aber für ältere Kinder, mit ernsteren Geschichten? Späte 70er? In einem davon las ich als Kind dieses Wort, jemand griente und griente, ich konnte nichts damit anfangen, stellte mir die unmöglichsten Dinge vor, so z.B. eine ganz spezielle Art des Greinens.

Im Geiste moderiere ich schon länger eine morgendliche Radiosendung. Mit schwerer Zunge, man muss noch richtig die trockenen Wangen von innen mit tiefschwarzem Kaffee desinfizieren, das muss der Hörer spüren, dann erst mal dieses "Mann, Mann ... eine Schoiße wieder alles", erstes Musikstück irgendwas von Ummagumma, dann dieses leise Schniefen und Halsfreiräuspern, Die Grube und das Pendel von E. A. Poe vorlesen etc.; leider rauche ich nicht mehr, das macht's schwierig.

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hora sexta, Mittwoch, 28. September 2011, 23:56
Bürgerradio! Sie würden Fans haben, gerade ganz morgens.

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monnemer, Donnerstag, 29. September 2011, 12:53
Ein Jugendbuch war das sicher, aber welches...? Anfangen konnte ich mit dem Wort auch nichts und gefallen tut's mir bis heute nicht.

In Mono. Abwechselnd Grabesstimme und weißes Rauschen. Mensch, wäre das toll!
Später am Tag dann Dokumentationen...
Ach Quatsch, ist ja Radio!

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nnier, Donnerstag, 29. September 2011, 16:21
Was zum ...!? Diesen Film sehe ich mir im Frühstücksfernsehen auf jeden Fall noch in Gänze an. Und den Soundtrack von Lost Highway könnte man in so einer Sendung natürlich durchlaufen lassen.

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monnemer, Donnerstag, 29. September 2011, 16:56
Unbedingt! Bedrückend und berührend, ein sehr trauriger Film.

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prieditis, Donnerstag, 29. September 2011, 18:28
Ja, Mono. Kurzwelle.

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vert, Mittwoch, 28. September 2011, 21:44
was ich ganz sicher weiß: vierschröter sind auf jeden fall stiernackig im quadrat. doch, ganz sicher.

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nnier, Donnerstag, 29. September 2011, 10:51
It's hip to be square. ("He's been compared to Elvis Costello, but I think Huey has a far more bitter, cynical sense of humor.")

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prieditis, Donnerstag, 29. September 2011, 18:28
Ich kenne derzeit nur einen wirklichen Vierschröter.
Rummelsnuff tut der heißen.

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nnier, Donnerstag, 29. September 2011, 18:45
Um Himmels Willen. Schauen Sie richtig hin! Ich sage doch: Schon im ersten Bild erkennt man ihn!

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interpunktuell, Montag, 3. Oktober 2011, 12:39
Es gibt schon herrliche Wörter! Und ganz unbestritten hat der Autor hier auch schöne Beispiele gefunden. Wenn man bedenkt, dass feixen von Feix kommt, was Student heißt, Feix aber von Feits, was soviel wie Neuling bedeutet, und Feits von Feist, kann man sich den, zum Adjektiv "feixen" auch ganz wunderbar passenen, Gesichtsausdruck vorstellen. Denn ein Feist ist zugleich ein heimlich gelassener Furz und dessen Verursacher.
Da weiß der Raab mit Sicherheit wie zu schauen ist.

"Vierschrötig" kombiniere ich sehr gern mit "tumb", weil sich Phonetik und Inhalt so schön decken.

Und dann noch "schalt" oder "schallt".

"Die Mutter schallt bei Aufschlag."

Ein schöner Satz.

Dem Autor Danke für den schönen Artikel

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nnier, Montag, 3. Oktober 2011, 19:44
Feiste Studenten feixen sich eins.

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