Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Freitag, 18. Januar 2013
All my ooooh
nnier | 18. Januar 2013 | Topic Musiq


Ich werde es ohnehin nie begreifen, ich meine: Dieser kreative Ausbruch in den paar Jahren, dieses unfassbare Geschenk an die Menschheit, diese rasende Entwicklung von der einfachen Beatmusik zu praktisch allem, was populäre Musik definiert, und wie selbst in den einfachen Songs so viele Details stecken, die sie nie langweilig werden lassen, diese Liebe zum kompositorischen Detail, danke auch an George Martin, und ich kann ja keine Noten, verdammt, aber ich habe das trotzdem schon als Kind gemerkt, wie viel Mühe sie sich gegeben haben, da gibt es kein kein runtergeleiertes Strophe-Refrain-Strophe-Refrain, sondern ungezählte kleine Variationen, nehmen Sie mal das Ende von She's Leaving Home, wie beim letzten "Bye-Bye" die eine Stimme plötzlich nach oben geht und eine schöne Harmonie entsteht.

Wo war ich: Ach ja! Die letzten Wochen habe ich voller Freude den kleinen Tutorials von Galeazzo Frudua gelauscht, der mir die metaphysischen Fragen auch nicht beantworten kann, aber eine Hilfestellung beim Einblick in die Mechanik dieser Songs gewährt, und das ist bei allem göttlichen Funken ja auch wichtig: Handwerk. Jahrelang lese ich die tollen theoretischen Abhandlungen von Alan W. Pollack und kann trotz fehlenden Fachwissens eine Menge damit anfangen, und jetzt singt mir jemand ganz untheoretisch die einzelnen Stimmen vor: Ich bin glücklich!

Haben Sie sich das da oben bis zum Ende angehört? Ist das nicht ganz wunderbar, die drei "Oooooooooh"s einzeln zu hören, zwei davon in unterschiedlicher Höhe durchgehend gehalten, das dritte und tiefste mehrmals nacheinander absteigend? Und das ist so ein simples Lied, Frühphase, zweite LP.

Anderes Beispiel: Paperback Writer. Das war ja früher zu Zeiten des Roten Albums und der Cassettenkopien in zweiter Generation gar nicht so rauszuhören, da wusste ich noch nichts von Frère Jacques, da klang das für mich wie ein rockiges Lied mit "Aaah-haa-haa-haaa"-Hintergrund, ganz nett, aber nichts Besonderes - und wenn man im Leben auch mal weiterkommt und sich Schicht um Schicht heranarbeitet, wenn man besser aufgelöste Aufnahmen bekommt und die Anlage differenzierte Klänge auspuckt, dann huldigt man dem famosen Bass und dem feinen Harmoniegesang und denkt, das hätte bei den Stones anderen Bands mal wieder viel flacher geklungen. Und das sollte auch Ihnen zehn Minuten wert sein:



Verdammt! Ich bin ja noch gar nicht zu den richtig genialen Stücken gekommen, z.B. Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band (Reprise) oder She's Leaving Home, da können Sie gleich mal das letzte "Bye-Bye" anhören. Und Lady Madonna: See how they run!

Ach, schauen Sie selber, ich konnte kaum wieder aufhören. Einmal schrieb jemand: Es wird eines Tages für 750.- DM eine umfassende Ausgabe jedes einzelnen Tons geben, den die Beatles überhaupt je aufgenommen haben. Das war konsumkritisch gemeint und krittelte an irgendeiner Neuausgabe herum. Ich aber weiß: Man könte sein Geld kaum besser investieren.

Und ich würde es trotzdem nicht begreifen.

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Dienstag, 15. Januar 2013
Damals so wichtig
nnier | 15. Januar 2013 | Topic Fernseh
Der Mann im Whirlpool hatte traurige Augen. Seufzend schabte er sich eine Handvoll Hackfleisch vom Oberarm. Das war schön warm, das Hackfleisch, es schmiegte sich widerstandslos um Beine, Gesäß, Bauch und Brustkorb, körperwarm bis unter die Achseln. So hatte er es am liebsten: Pures, lauwarmes Gehacktes, halb und halb, mit einem Dutzend eingeweichter Brötchen und fünfzig Eiern grob vermengt. Früher hatte er das oft selber erledigt, mit seiner Badehose war er in den Whirlpool gesprungen und hatte die Mischung gestampft, es war ein altes Rezept seiner Mutter. Damals hatte er auch noch mit Salz und Pfeffer gewürzt, ein Säckchen hiervon, ein Döschen davon, hatte einzwei Armvoll Petersilie gehackt und hineingestreut, bis er eines Tages merkte, dass all die Gewürze nur den Verwesungsgeruch übertönten. Dabei ging es genau um diesen.

Schmatzend schob er sich eine Handvoll in den Mund. Hunger hatte er keinen, er wollte bloß den Geschmack, kaute langsam auf dem Zeug herum und speichelte es ein, ließ es im geschlossenen Mund durch die Zähne quellen, von innen nach außen, so dass sich kleine Fetzen zwischen den Zähnen verfingen, die man später noch lange mit der Zunge ertasten und schmecken konnte. Automatisch hielt er die geschlossene Hand vor den Mund, atmete hechelnd aus und ein: Genau so musste es riechen. Schon erinnerte er sich an diese grauenhaften Tage, wenn er Dienst hatte, wenn er frisch sein musste, wenn er nach Pfefferminz riechen musste. Einmal, auf der Sommerinsel, hatte es kein Hackfleisch in seiner Suite gegeben. Er hatte geheult, geschrien und getobt, es half nichts, da war nichts, der Assistent hatte dann ranziges Öl aus einer Frittenbude besorgt, damit hatte er verzweifelt gegurgelt. So etwas wollte er nie wieder erleben.

Spotz!, machte es neben ihm. Ein Kopf schob sich aus der Hackfleischmasse, die Augen geschlossen, um den Mund ein genießerisches Lächeln, es folgte ein tiefes "Aaaah!", die Augen öffneten sich, der Mann klatschte in die Hände und strahlte: "Bruderherz! Ist das nicht geil! Ist das nicht immer wieder geil!", nahm eine Ladung von dem Zeug in den Mund und ließ es langsam wieder herauslaufen. Sein Strahlen erstarb, als er die traurigen Augen gegenüber bemerkte. "Nun sei doch nicht so. Die kriegen sich auch wieder ein.", sprach er launig, doch wieder erklang nur ein Seufzen.

Er riss sich zusammen. Jetzt hatte sein Bruder den Moralischen. Da musste man feinfühlig sein. Sein glänzendes Gesicht bemühte sich um einen ernsteren Ausdruck. "Die wollen das doch so. Du kannst doch nichts dafür. Die haben zuviel Geld. Die wissen gar nicht, wohin damit. Es ist doch nur recht und billig, wenn du, also: wenn wir da zugreifen." Prüfend sah er sein Gegenüber an. Wie der sich hängenlassen konnte. Er musste nachlegen!

"Du bist das Lagerfeuer der Nation. Um dich sammelt sich das Volk. Du bist das Licht, die Sonne, der Mond, du bist Ozean und Gebirge. Für solche wie dich gelten keine Regeln. Du bist ein Übermensch. Dich kann man mit Geld nicht bezahlen. Aber versuchen sollen Sie's, oder? Oder?" Ein schwaches Lächeln im Gesicht des anderen zeigte ihm, dass er auf dem richtigen Weg war: Dranbleiben! "Komm, wir singen zusammen: Heu machma, Heu machma, Heu machma heut! Heu machma, Heu machma, Heu machma morng! Heu machma, Heu machma, Heu machma alleweil. He he, sigst des, so gefällst du mir schon besser! Und jetzt einen Löffel für die Post. Und einen für McDonald's. Und einen für Audi. Und einen für Mercedes. Und einen für Tchibo. Und einen für Haribo. Und einen für Kulmbacher. Und einen für Solarworld. Gell, das schmeckt!"

Der andere blickte ihn noch eine Weile an. "Ich war weder Vertragspartner der erwähnten Verträge, noch war ich an den Verhandlungen oder Abschlüssen beteiligt. Mir persönlich ist daher in diesem Zusammenhang auch keinerlei Fehlverhalten vorzuwerfen."

Ein Moment verging. Irgendwo bellte ein Hund. Dann reckte er das Kinn nach vorne, spuckte ein paar Hackfleischreste aus, sprang auf, straffte den Oberkörper und zeigte sein strahlendstes Lächeln.

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Sonntag, 13. Januar 2013
Wiederkehrendes Motiv
nnier | 13. Januar 2013 | Topic In echt
Ich stand da, in jeder Hand eine Sektflasche, es war der Tag vor Silvester. Ich konnte einfach nichts tun, als der Weihnachtsbaum sich neigte.



Ich stand da, eine Hand im Schritt, es war der Morgen nach Silvester. Ich konnte einfach nichts tun, als der heiße Stein vom Raclette auf dem Boden zerschellte.

Ich stand da, eine flache Kelle in der Hand, es war der letzte Urlaubstag. Ich konnte einfach nichts tun, als die Lasagneform aus dem Ofen rutschte und klirrend zerbrach.

Ich stand da, in der Hand den brodelnden Wasserkocher, es war heute nachmittag. Ich konnte einfach nichts tun, als das Glas auseinandersprang und sich der Inhalt über meine Oberschenkel ergoss.



Das alles könnte einem zu denken geben, ist ja gerade mal Mitte Januar.



Dann aber wieder können einem auch ganz andere Sachen zu denken geben.



Scheiße noch mal. Den Weg kenne ich. Und den Wirt.

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Freitag, 11. Januar 2013
"Kleiner Onkel", ha ha.
nnier | 11. Januar 2013 | Topic Klar jewesn
ein bösz weib ist ... ein gewixter wettermantel, in dem das wasser der ermahnung nicht eingehet [Q]

Ich sag ja nicht. Ich mein ja nur.

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Dienstag, 8. Januar 2013
Plüschpaar, Potsdamer Platz
nnier | 08. Januar 2013 | Topic Musiq
Mir war das manchmal zuviel, dieses ehrfürchtige: Bowie, dieses: Er hat sich immer wieder neu erfunden, und als wäre es ein Bestandteil des Weltwissens der Siebenjährigen: Der Thin White Duke! Und: Ziggy!

Natürlich hatten die wichtigen Ereignisse vor meiner Zeit stattgefunden. Ich lernte ihn dann als kreuzbeliebigen Popstar der 80er kennen, mit Poppertolle und Schulterpolstern im Video zu "Let's dance", einem Lied, das ich damals nicht besonders mochte (was sich inzwischen geändert hat), und bevorzugte das schön geradeausgerockte "Modern Love" von derselben LP. Gekotzt habe ich über "Dancing in the Street" mit Mick Jagger, die Schultern gezuckt über "This is not America" mit Pat Metheny, dann kam die Zeit der teuren CDs, als ich mir die Hitsammlung Changesbowie besorgte, woraufhin ich natürlich Major Tom ins Herz schloss ("Can you heeere - am I sitting in my tin can ...") und auch "Heroes" zu schätzen lernte.

Er war mir durchaus sympathisch und als einer von den Guten verbucht, trotzdem wurde ich kein Bowie-Jünger. Ich sah das ja alles irgendwie ein, war aber vielleicht ein paar Jahre zu spät dran, um das Einzigartig-Neue wirklich zu spüren, es war mehr Lexikonwissen: Ein wichtiger Künstler aus dem und dem Grund, und vielleicht sollte man mal die ganzen alten Platten hören.

Gefreut habe ich mich im Kino: "I'm deranged", eröffnete (und schloss) Bowies Bariton den phantastischen Lost Highway von David Lynch, den ich jahrelang als Lieblingsfilm in alle Freundschaftsbücher eintrug. Ein tolles Lied, das mich in der Folge dazu brachte, irgendwann in den 90ern muss das gewesen sein, die CD Earthling zu erwerben, die ich noch heute gerne hervorkrame. Mit diesem Drum-and-Bass-Album mag er für manchen Fan gqr zu peinlich auf den Zeitgeist-Markt abgezielt zu haben (an diese Kritik meine ich mich zu erinnern: Jetzt rennt er der Mode hinterher!), ich aber mag viele dieser dicht strukturierten Stücke* und bin historisch völlig unbelastet.

Und das war's schon! Ich weiß nichts über Tin Machine und warum Glass Spiders so eine schreckliche Tour gewesen sein soll. Aber ich war doch ein wenig neugierig, als es heute von überall her scholl: Es gibt ein neues Lied von Bowie! [Alternativer Link]

Wer muss da nicht an David Lynch denken, an die Hasen bei Inland Empire z.B., einem Film, bei dem ich am Ende eingeschlafen bin, oder an das alte Ehepaar am Beginn von Mulholland Drive, einem Film, für den ich Lost Highway aus den Freundschaftsbüchern wieder herausradierte: Bowie als seltsames Plüschdoppelwesen auf dem Sessel singt mit einer Stimme, die sich entweder bewusst zurücknimmt oder nicht anders kann, einer Stimme, die man eindeutig erkennt und die so altersschwach klingt, dass es mich mal wieder richtig anrührt. Schon schön.

--
*Leider nur als Liveversion mit minderer Tonqualität gefunden

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