Mumien, Analphabeten, Diebe.
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Freitag, 5. Januar 2024
Spitzenwichser ohne Schädelkraft
nnier | 05. Januar 2024 | Topic Musiq
Es gibt eine Vorgeschichte mit Nina Hagen, mit der ich mich nie befasst habe, und ein letztes Album von 1984, das mich schon nicht mehr interessiert hat. Was aber genau in der Mitte zwischen der Spliff Radio Show (1980) und dem Song Radio (1984) in nur einem Jahr, dem sowieso großen Popjahr 1982, auf gleich zwei Alben veröffentlicht wurde, gehört zu meinen musikalischen Grundnahrungsmitteln. Und ich greife regelmäßig darauf zurück.

Man kennt sie noch von Bravo-Postern oder als Knibbelbild, besonders markant Reinhold Heil mit Wuschelmähne und übertriebener Brille, der übrigens Carbonara und Das Blech gesungen hat: Typisch, dass gerade diese beiden Gassenhauer und Schenkelklopfer die zwei großen Hits geworden sind, an die man sich heute erinnert.

Dabei waren sie fantastische Musiker, die irgendwie in die Mühlen der "Neuen Deutschen Welle" gerieten. Der Slap-Bass von Manne Praeker definiert geradezu den Sound der frühen 80er wie auch das elektronische Schlagzeug von Mitteregger (das lange Drumsolo in der Mitte der Albumversion von Das Blech reißt den Song definitiv raus). Und was Reinhold Heil an den Keyboards veranstaltet - später übrigens: Filmmusik für Tom Tykwer, das habe ich damals im Kino bei "Winterschläfer" gleich erkannt - ist genauso großartig wie die Gitarrenbretter von Potschka.

Wobei ich die Sachen zwar auswendig mitsinge und kaum darüber nachdenke - wenn aber doch, stellt sich mir gerne die Frage, ob das besonders tiefgründige Lyrics sind oder einfach großer Quatsch. Nicht anders als damals im Deutschunterricht mit diesen Gedichten.

Ein Highlight steht gleich am Anfang der Platte 85555, sphärische Keyboards, satte Drums, das erste Gitarrenbrett und ein paar Slaps auf dem Bass ziehen einen direkt in die Atmosphäre des ganzen Songs, noch bevor Mitteregger mit seinem distanzierten Gesang loslegt und schließlich endet:

Der Rote Hugo hängt tot im Seil
Die Leiche stinkt nach Shit
Wie'n weisser Engel, schön wie Schnee hängt er da
- ey, du tust dir noch weh!
War'n wilder Kerl mit feuchtem Blick
Doch der kommt nie zurück
So schreib dein Leben auf ein Stück Papier und warte
Bis die Zeit vergeht

(Spliff, "Déja Vu")

Starke Bilder, hier passt alles zusammen, und die Art, wie er das "R" artikuliert ("zurrrück"), ist das I-Tüpfelchen.

Weniger gerne höre ich den Gesang von Manne Praeker - aber was der da singt, hat sich mir erst mit großer Verzögerung erschlossen:

Sie nimmt mich mit in 'nem roten Kadett
Raus aus der Bar und weg
In ihrem roten Kadett
Sie zieht Speed im roten Kadett
Rauf auf den Spiegel und weg
Wir sind aufm Schnellweg

(Spliff, "Duett komplett")

Speed und Spiegel und weg, das lief einfach so im Jugendradio und hätte man noch merken können - aber dass der rote Kadett vielleicht gar kein Auto ist, darauf kam ich erst Jahrzehnte später. (Anderen ging es wohl ähnlich mit Little Red Corvette von Prince, übrigens auch von 1982, und ich wüsste tatsächlich gerne, wer sich hier von wem inspirieren ließ.)

Sie lieben die Kanonen
Und fliegen öfter zum Mond
Spitzenwichser ohne Schädelkraft
Die machen hier einfach
Was keiner mehr rafft

(Spliff, "Jerusalem")

Tiefsinn oder Quatsch? Herwig Mitteregger, für mich dann doch der "richtige" Sänger in der Band, gibt jedenfalls regelmäßig alles, z.B. hier schon durch die Art des Vortrags ganz knapp vor dem Wahnsinn:

Quer durch Algerien fahrn wir jetzt zurück
Die eine Kiste ist hinüber
Die andre macht noch mit
Und oben stehn diese Geier
Charly, wer hat die bezahlt?
Ich hab kein' Bock auf Keier, kein' Bock auf Geier
Noch nie Bock auf Geier gehabt!

Schenk mir ganz Australien
Mit nem wilden Tier
Oder gib mir ganz Amerika
Kein Bock, ich bleib jetzt hier
Dann hau doch endlich ab! Wohin? Wohin?
Au ja! Nach Mexiko!

(Spliff, "Wohin? Wohin?")

Manchen Texten merkt man ihre Entstehungszeit sehr genau an ("Kill!" über Videospiele, "Computer sind doof" über rote Knöpfe und Atomraketen), so wie die Streifenhosen und Muskelshirts und Schnauzbärte einen in die 80er versetzen; und die Bühnenshow könnte man so unironisch machohaft heute auch nicht mehr bringen.

Trotzdem, und auch trotz manch altbackener Soundschnipsel, ist das Zeug für mich sehr gut gealtert und hat definitiv mehr Klasse als fast alles andere, das es damals an populärer deutscher Musik gegeben hat. Hören Sie sich das ruhig mal wieder an!

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