Der Bahnhof Lime Street liegt auf einem Hügel oberhalb der Liverpooler Innenstadt. Man kann ihn nach drei Seiten verlassen, z.B. zur Innenstadt:
Möchte man Säulen und Löwen anschauen, geht man in diese Richtung:
Was ich nicht ganz verstehe, ist, warum es diesen dritten Ausgang gibt, hügelaufwärts, denn dort oben möchte doch bestimmt niemand hingehen:
Man kommt in eine ziemlich heruntergekommene Gegend, kratzt sich am Kopf, biegt noch einmal um die Ecke und befindet sich in einer wirklich nicht besonders hübsch anzusehenden Seitenstraße:
Paul McCartney ist 68 Jahre alt, Milliardär, und hat auch im vergangenen Jahr viele große Konzerte gegeben. Man sieht hauptsächlich glückliche Gesichter in diesen Konzerten, und wenn zwischendurch ein weniger bekanntes Solostück gegeben wird, gehen die Leute sich ein Bier holen oder schreiben etwas in ihr Smartphone, z.B. dass sie gerade in einem tollen Konzert seien, das Lied jetzt gerade sei zwar nicht so der Bringer, aber davor, The Long and Winding Road, das sei schon echt ergreifend gewesen, und Drive My Car, unglaublich, wie das immer noch rockt!
Wenn man 68 ist und Milliardär und schließlich und endlich seinen Status als Nr. 1 zurückerobert hat, nach den bitteren 80ern, als Phil Collins der Megastar war und John Lennon heiliges Genie, irdischen Maßstäben längst entrückt, nach den 90ern, in denen man langsam und gegen viele Vorurteile der Welt klarmachen konnte, dass man nicht nur der nette und harmlose Balladenschreiber und -sänger war, nein, Get Back und Sgt. Pepper's Loneley Hearts Club Band und Got to Get You Into My Life, mal ganz abgesehen von Helter Skelter, und die Balladen sind nun mal unsterblich, Let It Be und Hey Jude und Yesterday, und wie ungerecht es war, wenn die Leute immer John am tollsten fanden, und fragte man sie mal nach ihrem Lieblingslied von den Beatles, dann nannten sie garantiert eins von Paul, mich hätte das auch genervt, und was für eine Rückkehr das war, 1989/90 - Tochter Mary sagte später, sie habe ja irgendwie gewusst, dass ihr Papa berühmt sei, aber wie berühmt, und wie sehr die Leute ihn liebten, das sei ihr erst auf dieser Tour klargeworden, ich habe sie damals manchmal das Publikum filmen sehen aus diesem Graben vor der Bühne heraus, mit ihrer Videokamera, sie ist etwa so alt wie ich und hat eben im selben Alter die 80er Jahre erlebt, als man wusste, dass es ihn noch gab, und doch schien er so weit weg, und nun filmte sie allabendlich direkt in diese fassungslosen, ergriffenen, heulenden Gesichter.
Wenn man sich also seinen Status zurückerobert hat, und Sie haben sicher gemerkt, dass ich den obigen Satz nicht vollendet habe, spätestens bei der megagroßen und -erfolgreichen Tour 2003 sollte das vollbracht gewesen sein, immer mehr Kritiker leisteten Abbitte, immer öfter wurde sogar sein Solowerk positiv besprochen, die Fans nickten wissend, dann fängt es langsam an, dass diese Fans sagen: Es ist ja schön und gut mit diesen ganzen Beatlesliedern und den paar großen Solohits, nicht wahr, aber richtig toll wäre es doch mal, wenn er That Woud Be Something spielen würde oder Oh Woman, Oh Why, oder auch mal ein Lied aus dem vorletzten Soloalbum, denn sonst wirkt es ja immer so, als seien die Lieder aus dem aktuellen Album halt gezwungenermaßen dabei und würden wieder entsorgt, sobald das möglich ist.
Wenn man also auf dem Roten Platz gespielt hat und im Weißen Haus und eine Übertragung zur Raumstation gemacht hat, wenn man auch diesen Rekord und jene Auszeichnung noch eingefahren hat, wenn Konzerte immer wieder in Minuten ausverkauft sind und man von der Welt insgesamt geliebt wird wie sonst kaum jemand, so stelle ich es mir vor, dann ist man sicherlich frei, zu tun, wozu man Lust hat und vor allem die Lieder zu spielen, die man möchte. Erst recht, wenn man vor 1200 Menschen spielt, die sich einen Ast freuen, dass sie dabeisein dürfen, die z.T. sehr viel Geld ausgegeben haben, um aus Amerika oder Japan anzureisen, und die das alles sicher nicht getan hätten, wenn sie Zweifel daran hätten, dass Let it Be oder Hey Jude große Songs sind.
Anthem Fatigue nennt es der Kritiker in der New York Times, das Thema hat also den Mainstream erreicht, die Fans nicken wissend und wünschen sich manchmal, dass Herr McCartney ihnen etwas mehr zutraute. Und auch wenn ich hier in diesem Blog gerne den Fanboy gebe, der noch einer Telefonbuchlesung begeistert lauschen würde, wäre das etwas, das mich wirklich freuen würde.
There are some listeners curious about, and genuinely interested in, Mr. McCartney’s loose moments and toss-offs, who feel that “Hey Jude” has penetrated deeply enough into the world’s culture, who admire the intuitive outtake-i-ness of records like “Ram” and “McCartney II,” and who wouldn’t mind a little more texture in his shows.
[Q]
Die Füße waren kalt, die Hoffnung am Boden, es gab diesen unangenehm schweinchenhaft aussehenden Schwarzhändler, der mir immer wieder sein Ticket für einen absurden Preis anbot, es gab den Zivilpolizisten, der plötzlich neben mir stand und mir zuraunte, ich solle bloß aufpassen, da seien gefälschte Tickets im Umlauf, er ließ mich dann seine Polizeimarke sehen, es gab die glücklichen Ticketbesitzer und die verzweifelten Sucher, und langsam begann ich einzusehen, dass es diesmal wohl nichts werden würde.
Es kam wie aus dem Kopenhagener Drehbuch abgeschrieben eine Frau daher, die mein Suchschild gesehen hatte. Sie sah mich an, murmelte etwas, ging zum Ticketschalter, holte einen Umschlag ab und kam wieder auf mich zu. Es kann sein, dass ich eines übrig habe, ich muss mal nachsehen, sprach sie, und andere Sucher drängten sich hinzu, mein Sohn konnte nicht mitkommen, sagte sie, zeigte mir das Ticket, und die anderen schrien, dass sie ihr sofort eine Fantastilliarde zahlen, während ich sprach: Was möchten Sie denn dafür haben, ein Vermögen kann ich nicht bezahlen - aber bitte sagen Sie mir, was Sie haben wollen, dann sage ich Ihnen, ob ich es zahlen kann, und sie sagte: Ach, ich habe ja nur soundsoviel bezahlt, und die anderen schrien: Ich zahle zwei Fantastiliarden!, während ich sprach: Kaufen Sie Ihrem Sohn etwas Schönes zu Weihnachten, bot einen moderaten Aufpreis, sie nickte, ich zahlte und nahm das Ticket entgegen, die anderen Sucher sahen mich entsetzt an, ich sagte der Frau: Wissen Sie, dass Sie mich gerade sehr glücklich gemacht haben!, winkte den anderen zu und reihte mich in die Schlange der Wartenden vor dem Eingang in dieser heruntergekommenen Seitenstraße.
Es wurde Let it Be gespielt und Hey Jude und überhaupt alles, da ist er wohl selbst ein Gefangener, und ich war ganz nah an der Bühne und konnte mein Glück wieder nicht fassen, da steht er, ein paar Meter vor dir, ich werde das nie begreifen, und dann geht es auch noch so los!*
"Isn't he amazing?", sagt die Mittfünfzigerin neben mir, auch sie hat dieses glückliche Gesicht, man lächelt sich zu und weiß, dass das alles eigentlich gar nicht wahr sein kann, wir stehen da wie die Teenies und schwitzen und er ist 68 und bräuchte das schon längst nicht mehr zu machen, und wir lassen uns erzählen, dass George ein sehr guter Ukulelenspieler war, als hätten wir das noch nicht gewusst.
Sehr gefreut habe ich mich dann auch über dieses Stück**:
"So you finally got in, mate?", fragte der Mann aus der Pommes- und Kaffeebude, der mich den ganzen Tag beobachtet hatte, ich nickte, er reckte den Daumen nach oben und ich lief zurück ins Hotel.
Ihre Ohrringe habe sie verloren, erzählte mir diese Amerikanerin am nächsten Tag, während sie mühsam etwas von der Wand schabte, ob ich gestern auch dagewesen sei, es sei brillant gewesen, und dieses zerknüllte und steifgefrorene Plakat werde sie mit dem Flugzeug schon nach Hause bringen, irgendwie.
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*Honey Hush aus dem mal wieder vollkommen ignorierten Album Run Devil Run von 1999, Original von Big Joe Turner 1953
**Don't Let the Sun Catch You Crying, Original von Gerry & the Pacemakers 1964 komponiert von Joe Greene, bekannte Version von Ray Charles 1959/60. Die beiden Lieder werden offenbar nicht nur von mir verwechselt und haben tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit.
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