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Zunächst hieß es, der Junge muss Talent haben. Aber ich meinte: Der Junge muss überhaupt kein Talent haben, sondern muss über 120 Drehtage am Set sein, ohne dass ihm die Lust vergeht.Ich muss meine Ergriffenheit kompensieren. Zugegebenermaßen ist es nämlich so, dass ich beim Ansehen der Serie Timm Thaler überhaupt nicht über das klaffende Loch in der Handlung nachdenke und mich auch nicht über die aus heutiger Sicht hölzern, umständlich und übertrieben ernsthaft artikulierten Worte des Erzählers zu Beginn jeder Folge amüsiere ("Timm Thaler, die Hauptperson unserer Geschichte, ..."). Mir geht auch nicht durch den Kopf, ob Tommi Ohrner eigentlich jemals ein guter Schauspieler war oder ob er, wie es jemand doch sehr böse ausdrückte, hauptsächlich dafür ausgesucht wurde, dass er "stur 120 Tage drehen konnte".
Irgendwie war ich, möglicherweise durch die Lektüre der Kinderfernsehzeitschrift Siehste, die ich zwar blöd fand, aber manchmal kaufte, weil sie deutlich billiger als ein Mickymausheft war, auf die Serie aufmerksam geworden und konnte den Start kaum erwarten. Man lernt in der ersten Folge einen hübschen, lustigen Jungen kennen, der mit dem Skateboard Omas über den Haufen fährt und sehr viel, dabei manchmal ganz schön künstlich, lacht. Es ist mir schon beim ersten Ansehen damals ein wenig auf die Nerven gegangen, wie dick hier aufgetragen wird: Geradezu aufdringlich wird immer wieder gezeigt, dass man dem Timmi einfach nicht böse sein kann, weil er ja so herzlich lacht, und dass er bei allen aber sowas von beliebt ist. Und was für ein dufter Kumpel sein Vater ist, auch so ein Luftikus, hat man auch bald verstanden, so dass man innerlich langsam mit den Fingern zu trommeln beginnt, wenn er - genau wie der Sohn! - die Schuhe achtlos in die Ecke feuert.
Der finstere Baron! Ist es nicht lächerlich, wie Horst Frank im schwarzen Bademantel herumläuft? Albern und übertrieben, dass er mit einer schwarzen Gangsterlimousine vorfährt? Eine schwarze Nelke im Knopfloch hat? Mit Anatol über den typischen bösen und manchmal tollpatschigen Sidekick verfügt? Auf einer Vulkaninsel wohnt? Wo sich die Türen automatisch öffnen wie bei Star Trek? Von wo aus er "die ganze Welt" auf einem riesigen Bildschirm überwacht? Und irgendwie beeinflusst? Und ist es nicht geradezu holzhammerhaft, wie immer wieder gezeigt wird, dass die ehrbaren Kaufleute sich trotzdem nicht auf ihn einlassen? Weil er nie lacht? So dass ihm also nur ein sympathisches Lachen fehlt? Wodurch er endlich auch mit den "guten" Menschen ins Geschäft käme?
Und sieht man nicht nach so vielen Jahren vollkommen distanziert auf die späten 70er zurück, in denen die Kinder noch wie richtige Kinder aussahen? Und zwar auch die, die in Fernsehserien mitspielten? Timm Thalers Mitschüler! Die Kinder auf dem Rummelplatz! Mit ihren dicken Brillen und Zahnlücken! Mit stumpfem Haar im Topfschnitt! Mit engen T-shirts über dicken Bäuchen! Achtet man da mit seinem Museumsblick nicht vor allem auf die Jugendzimmereinrichtung, auf Autos und Klamotten? Da! Ein Poster von Wum! Schau mal! Ein Cassettenrecorder, so riesig waren die! Und so einen Schulranzen hatte ich auch! Und solche Turnschuhe hätte ich gerne gehabt! Diese Blumen klebten auch bei uns in der Küche! Die übrigens auch orange war! Schau! Die wetten um Schlümpfe! Schlümpfe waren damals das Größte! Und jetzt bestellt er sich eine "Limo", das sagte man damals so! Guck mal - die Mutter geht um den Tisch herum und bedient alle, zuerst gibt sie natürlich dem Vater! Ja, sicher, das ist das Mittagessen - ach, weil da eine Flasche Bier steht, hm? Damals war das ganz normal!
So könnte man endlos weitermachen. Man könnte aber auch bekennen, dass man doch wieder diesen Kloß im Hals hat, wenn der Vater mit seinem Flugzeug abstürzt und zum ersten Mal die traurige Titelmelodie ertönt, damals haben sie die zweite Folge direkt im Anschluss gezeigt, damit man besser darüber hinwegkommt, und man könnte feststellen, dass kaum jemals bessere Musik für eine TV-Serie komponiert wurde, nein, eben nicht nur die Titelmelodie, sondern einfach alles, und dass man die schon wieder dauernd summt, Ehre sei Christian Bruhn, dass Horst Frank ein grandioser Schauspieler war und Richard Lauffen gleich noch einer, und dass man sich vor dem Bildschirm doch ziemlich zusammenreißen muss, nicht alle Dialoge mitzusprechen, die Cassetten waren irgendwann ja total abgenudelt, denn schließlich will man auch die nächsten Folgen noch mit seinem Kind ansehen dürfen.
Das folgende dient also, das sei hiermit offen eingestanden, nur der Kompensation meiner Ergriffenheit.
"Ich habe generell den Eindruck, er versäumt einen anderen Beruf", lästert der Drehbuchautor, und bevor ich über diese bedenkenswerten Worte zu lange nachdenke, rufe ich lieber: "Sänger jedenfalls nicht!"
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