Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Donnerstag, 5. März 2009
Sehr komisch
nnier | 05. März 2009 | Topic 'umor & more
Wir waren auf der Autobahn unterwegs, zurück von einem Besuch bei der Oma, als die Radiosendung für eine Sondermeldung unterbrochen wurde: Der Schleswig-Holsteinische Ministerpräsident Uwe Barschel sei in einem Hotel in Genf tot aufgefunden worden.



Die Tage davor hatte ich vor Spannung kaum ausgehalten, hatte Barschel doch gegen alle vermeintlichen Fakten und Beweise öffentlich sein Ehrenwort gegeben,
dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind.
(Eine Szene übrigens, an die ich mich Jahre später auf unheimliche Weise erinnert fühlte.) Wie der da wohl rauskäme? Die Nachricht erschreckte mich dermaßen, dass ich meine Mutter bat, einen Parkplatz anzusteuern. Wir mussten das erst mal verstehen, verdauen, "realisieren", wie man heute sagt. Das war eine Zeit, in der ich noch zu wissen glaubte, wer die Guten und wer die Bösen waren. Und hier lag der Fall ja eindeutig: Der integre und geradlinige SPD-Politiker sollte auf niederträchtigste Weise persönlich diffamiert werden. Und dahinter steckte ganz direkt der immer etwas getrieben wirkende, linkische Fiesling Barschel, über den man lesen konnte, sein Schreibtisch stehe tennisplatz- im fußballfeldgroßen Büro und er sehe den Besucher grundsätzlich nicht an, wenn dieser hereinkomme, sondern blicke vertieft in seine Akten, auf dass Referenten oder Minister während ihres weiten Weges über den schweren Teppich von der Eingangstür zum herrschaftlichen Schreibtisch die Hälfte ihrer Größe einbüßten. Auch habe Barschel, so erfuhr man in jenen Tagen, seinen Flugzeugabsturz, den er kurz vor Wahlkampfbeginn überlebt hatte, sehr kalkuliert in selbigem eingesetzt, man habe mit den Medienberatern zusammengesessen und überlegt, wie man daraus möglichst viel Kapital schlagen könne. Schockierend! Hatte ich ihn doch noch betont nachdenklich und demütig im Fernsehen über seine Nahtoderfahrung parlieren hören. "Man lebt bewusster, man erkennt, was wirklich wichtig ist im Leben", so in der Art. Dabei wollte er das Thema maximal ausschlachten. Kein Wunder. Typisch. Er war Nixon. Der andere: Kennedy.



Wie man weiß, hielt das Bild vom kerzengeraden Engholm auch nicht lange. Zwar gewann er die Wahl, triumphierte im Folgejahr bei der Neuwahl, wurde schließlich sogar Bundesvorsitzender seiner Partei, doch dann musste erst einer erzählen, dass er immer so ein paar zehntausend Mark in der Küchenschublade liegen habe, er nehme es da nicht so genau, manchmal gebe er davon halt was ab, kann sein, dass auch der Pfeiffer mal so roundabout fünfzigtausend bekommen hat, mein Gott, wer achtet schon so genau auf das Geld in seiner Küchenschublade, oder wissen Sie - ohne Nachsehen! - ob da zehn-, fünfzig- oder hunderttausend drin sind? Bitte. Aber auch der Strahlemann selber musste irgendwann eingestehen, dass seine telegene Fassungslosigkeit über die ihm eben doch nicht gerade erst bekanntgewordenen Machenschaften der Fieslinge aus der Staatskanzlei nicht ganz so spontan war, wie sie wirken sollte.

Ich will das nicht alles in einen Topf werfen und halte es immer noch für bequem, falsch und billig, zu behaupten, dass "die alle" und "sowieso" nichts als Verbrecher seien. Man sollte sich schon die Mühe machen, jede Person und jeden Fall für sich zu betrachten. Auch wenn's anstrengt. Aber für mich war diese Geschichte eine sehr wichtige und prägende. Das mit den Guten und den Bösen war wohl doch nicht so einfach.



Eines morgens fuhr ich mit dem Fahrrad am Kiosk vorbei und sah das Titelbild der neuen Titanic. Zuvor hatte (natürlich) der Stern ein Foto des toten Barschel in der Badewanne veröffentlicht. Und nun knallte ich fast gegen eine Laterne, da ich nicht fassen konnte, was die Titanic gebracht hatte: Ein Titelbild, auf dem in fast der gleichen Pose ein grinsender Engholm in der Badewanne liegt, darüber in großen Lettern: "Sehr komisch, Herr Engholm!"

Ich konnte nicht mehr. Bei allen Hemmungen und Pietätsgefühlen einem Toten gegenüber (dessen Zurschaustellung im Stern mich geärgert hatte) fand ich diesen Witz unglaublich gut. Ich verstehe übrigens bis heute nicht, was Engholm dazu getrieben hat, die Titanic zu verklagen (sie mussten in der Folge 40 000.- DM Strafe zahlen). Was genau hat ihn beleidigt? Die Klage scheint übrigens so effektiv gewesen zu sein, dass ich das Bild im Internet nicht finde.



Ich war immer nur Gelegenheitsleser; vor einiger Zeit aber hat die Titanic ihre Lagerbestände verramscht und ich investierte 25.- Euro in 50 Hefte. Passenderweise wurde ich kurz darauf krank und verbrachte die Erkältungswoche schwitzend im Bett neben einem dicken Titanic-Stapel. Den ich, ein Heft nach dem anderen, komplett durchlas. Während Töchterlein mich manchmal besuchte, in den Heften blätterte und anschließend einen herzerwärmenden Comic zeichnete, in dem Stulli, das Pausenbrot endlich aufgegessen wird. Und ich bin sehr geneigt, meine Unterschrift unter die folgenden Zeilen aus einem faz-Artikel zu setzen:
Die "Titanic" war immer auch ein Kulturmagazin, ein Medienkontrolleur, Sprachpfleger, eine verzweifelte Streitschrift für eine unblöde Welt. Es ist eben ein Heft für Text und Kritik, aus dem man, weil zum richtigen Lustigsein ein genauer Kopf dazugehört, die elementarsten Dinge aus Kunst und Leben immer gleich mitgeliefert bekam. Einen Kanon.
Leider mache ich mir in letzter Zeit Sorgen.
"Titanic" hat mich schon immer fasziniert. Da stehen Pimmel-Witze neben niveauvoller Satire.
Sagte der neue Chefredakteur, als er noch Praktikant war. Aber z.B. das, das, das, das, das und vor allem das finde ich nicht besonders komisch. Dutzendware. (Wenn auch besser als das lahme SPAM.)



Zum Schluss ganz kurz einige meiner Titanic-Highlights - neben den Dauerbrennern Humorkritik und Max Goldt, natürlich. In der Hoffnung auf noch viele gute Titanic-Witze.

3) Isse abgesagt? Ein langer, aber unglaublich lustiger Erfahrungsbericht aus dem realen Schlagerzirkus
2) In einem Rechtsstaat kämen Leute wie Sie ins KZ! BILD-Leser beschimpfen die Titanic. (Hintergrund)
1) Hätten Sie eventuell 5 Minuten Zeit, mit mir über ein Projekt zu reden, das homosexuellen, kommunistischen Ex-Strafgefangenen eine Perspektive bietet? Der "Führer" privat. Besonders der hier. Und der.

[Wie's mit Stulli weitergeht, sehen Sie in den Kommentaren]

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