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Ich habe meinen Houellebecq gerne gelesen. Ausweitung der Kampfzone war schon sehr vielversprechend und die Elementarteilchen haben mich sehr beeindruckt, so sehr, dass ich das Buch mehrmals gelesen und noch öfter verschenkt habe. Bei beiden Büchern hatte ich nicht den Eindruck, hier versuche jemand, kalkuliert zu provozieren (ein Vorwurf, der ja oft gegen Houellebecq erhoben wurde); nein, hier hatte jemand etwas zu sagen, über das man natürlich diskutieren kann.
Thomas Assheuer schrieb in der Zeit über Ausweitung der Kampfzone:
Norbert Niemann, ebenfalls in der Zeit, über Elementarteilchen:
Dummerweise war schon Plattform ein Rückschritt; interessant dazu aus der Perlentaucher-Zusammenfassung der taz-Rezension von Dirk Knipphals:
Und vollends daneben ging dann Die Möglichkeit einer Insel. Iris Radisch kotzte sich in der Zeit aus:
Ich bin ja kein Literaturkritiker; deshalb habe ich bisher auch berufenere Geister zu Wort kommen lassen. Bei aller Kritik an den neueren Büchern ist Houellebecq für mich ein wichtiger Autor, so dass man mich einfach an den Haken kriegt, wenn ein Buch auf der Umschlagrückseite folgendermaßen beworben wird:
Ich mache es kurz. Das Buch ist langweilig und schlecht geschrieben. Wer's genauer wissen will, lese die Rezension von Hans-Peter Kunisch in der Süddeutschen, aus der ich noch schnell zitieren will, bevor der Platz hier aufgebraucht ist:
Thomas Assheuer schrieb in der Zeit über Ausweitung der Kampfzone:
Wenn Houellebecq seinen erwachsenen Helden in Augenschein nimmt, legt er ihm eine Anklage in den Mund, die dem Buch immerhin den Titel verliehen hat. Er spricht von der "Ausweitung der Kampfzone", von der Wucherung des Geldes, von der Expansion des Kapitalismus in die Wundzone der Körper. "Der Sex, sagte ich mir, stellt in unserer Gesellschaft eindeutig ein zweites Differenzierungssystem dar, das vom Geld völlig unabhängig ist; und es funktioniert auf mindestens ebenso erbarmungslose Weise. Wie der Wirtschaftsliberalismus erzeugt der sexuelle Liberalismus Phänomene absoluter Pauperisierung ... Der Wirtschaftsliberalismus ist die erweiterte Kampfzone."
Norbert Niemann, ebenfalls in der Zeit, über Elementarteilchen:
So ist Elementarteilchen über die weitaus längste Strecke vor allem auch ein Entwicklungs- und Generationenroman. Beginnend mit der Kindheit der Protagonisten und zurückblickend auf die Geschichte ihrer Eltern und Großeltern, berichtet er von der fortschreitenden Abstumpfung ihrer Liebesfähigkeit im Kontext von sexueller Befreiung, von der "Apologie der Jugend" und der Vernichtung aller "jüdisch-christlich geprägter moralischer Werte". Mit dem Individualismus, so Houellebecqs Befund, der in Wahrheit nur ein anderes Wort für blanken Egoismus ist und die letzten Reste sozialen Empfindens gelöscht hat, wurde nach und nach jedes "Zärtlichkeitsbedürfnis" durch einen eigensüchtigen "Verführungsdrang" ersetzt. Und nur die rudimentäre Erinnerung an jene Wurzel der "Liebe, Zärtlichkeit und Brüderlichkeit" macht "es so schwer zu verzweifeln".
Der erwachsene Bruno dagegen muss als sexueller Underdog Heil erst recht in der Welt der Bordelle, Sexclubs und südfranzösischen Kopulationsstrände suchen. Sein Bewusstsein ist ausgefüllt von dem einen, einzigen Verlangen nach Sex. Überraschenderweise findet er jedoch vorübergehend gerade an diesen Plätzen einen Ausweg aus seinem unstillbaren und verzweifelten Getriebensein. Gemeinsam mit Freundin Christiane dringt er vor zu einem Zustand, in dem die Determinationen der Verführung aufgehoben sind. Es ist ein Akt der Übertretung und Überbietung. Denn nur eine bis zum Äußersten gesteigerte Körperlichkeit kann Bruno noch helfen, den Käfig seines pornografischen Denkens zu verlassen. "Es hat keinerlei Verführung gegeben, es war eine sehr reine Sache." Plötzlich klingt ein Gespräch über die Physiologie der Lust wirklich wie Liebesgeflüster, und Swingerclubs werden zu Orten der Unschuld. Houellebecq nennt, was hier geschieht und an Batailles Geschichte des Auges erinnert, "sozialdemokratische Sexualität". - Die aber muss mit der Querschnittslähmung Christianes buchstäblich an ein natürliches Ende kommen, das mit ihrem Selbstmord und Brunos freiwilligem Eintritt in die Psychiatrie besiegelt wird.
Damit ist die Grenze dieser sexuellen Utopie markiert. Und sowenig in diesem Roman Rettung im rein Körperlichen liegen darf, sowenig liegt sie in dessen Verneinung. Michel, der in gegenläufiger Bewegung zum Bruder sein ohnehin schwach ausgeprägtes Triebleben immer weiter zurückdrängt, je heftiger es von seiner Umwelt eingefordert wird, verkümmert allmählich ganz auf dem Gebiet der Zuneigung und Anteilnahme. Schon früh weiß er, dass er "die menschlichen Regungen nur durchqueren" wird, doch "all das würde ihn niemals wirklich betreffen oder erreichen". Mit 40 weilt Michel, der immer schon dazu neigte, "Glück und Koma zu verwechseln", endgültig in der "kosmischen Leere". So trifft zuletzt auf ihn zu, was Bruno längst über ihn denkt: "Du bist kein Mensch."
Dummerweise war schon Plattform ein Rückschritt; interessant dazu aus der Perlentaucher-Zusammenfassung der taz-Rezension von Dirk Knipphals:
All denen, die in Houellebecq ihr avanciertes Sprachrohr für gesellschaftskritische Exkurse sahen, erteilt dieser Roman eine eindeutige Absage, ist Knipphals überzeugt. "Ernsthafte Leser", warnt der Rezensent, müssten jetzt ganz tapfer sein, denn hier gehe es allein um guten käuflichen Sex, mehr nicht. Houellebecq halte sich von jedem psychologischen Diskurs fern und stelle stattdessen die Körper in den Mittelpunkt all seiner Betrachtungen.
Und vollends daneben ging dann Die Möglichkeit einer Insel. Iris Radisch kotzte sich in der Zeit aus:
Der besessene Künstler hingegen variiert nicht, sondern wiederholt. Sich, sein Thema, seinen Schreibgestus, seine Typen, seine Ansichten, seine Pointen. Diese These ist verführerisch und hat viele große Namen auf ihrer Seite. Wenn sie stimmt, ist Michel Houellebecq ein großer Schriftsteller, denn sein gesamtes bisher vorliegendes Werk widmet sich einem einzigen Thema ohne Variationen. [...]
Doch reden wir zunächst von angenehmeren Dingen, von den guten Absichten des Autors, von seiner inzwischen legendären verzweifelten, aber radikalen und erhellenden Sicht auf unsere Zeit. Die Brille, durch die Michel Houellebecq die Welt sieht und die bisher nicht nur im berufsjugendlichen Seitenflügel der Literaturkritik, sondern von vielen nachdenklichen Stimmen mit seufzendem Kopfnicken begrüßt wurde, ist, genau genommen, ein Körperteil. Noch genauer ist es der Phallus, der nach der unerschütterlichen Ansicht aller Houellebecqschen Herrendarsteller überall den Takt schlägt und je nach bekömmlicher oder unbekömmlicher Platzierung über Glück und Unglück, Glanz und Elend der männlichen Existenz entscheidet. Denn der Mann, so viel weiß der Autor vom Leben, ist der Sklave seines Schwanzes. Das ist sein großer Fluch und seine kleine Seligkeit. Ein einprägsamer, freilich äußerst übersichtlicher Gedanke, auf den letztlich die gesamte weltanschauliche Thesenmanufaktur des Michel Houellebecq zurückgeht, die darüber hinaus vom ausweglosen Biologismus des Menschen, über seine tragische, durch das verluderte sexuelle Vorbild der 68er-Elterngeneration bedingte Unfähigkeit zur Familienbildung, seinen angeborenen Materialismus, seinen reflexhaften Jugendkult bis zum Mythos eines neuen gentechnisch verbesserten Menschen reicht. [...]
Alles in allem ein naiver phallokratischer und biologistischer Fundamentalismus, der nur so lange reizvoll und schillernd (die Kritik sagte an dieser Stelle gerne »ambivalent«) war und deswegen als besonders verwegener, tief melancholischer Fall von Zivilisationskritik durchging, wie er sich tränenumflort gab ob der verlorenen romantischen Ideale, deren letzte Strahlen den Horizont der verrotteten spätkapitalistischen Welt noch zart illuminierten. Man zeigte sich gerührt von den armseligen Sexmaniacs, die zwar ununterbrochen von den geilen Flittchen und ihren kleinen, geschmeidigen Muschis quatschten, aber doch die eine Frau fürs Leben meinten, die sie allerdings, traurig, aber so hart ist das Männerleben, jenseits der 40 gegen eine jüngere Frau fürs Leben eintauschen mussten.
Ich bin ja kein Literaturkritiker; deshalb habe ich bisher auch berufenere Geister zu Wort kommen lassen. Bei aller Kritik an den neueren Büchern ist Houellebecq für mich ein wichtiger Autor, so dass man mich einfach an den Haken kriegt, wenn ein Buch auf der Umschlagrückseite folgendermaßen beworben wird:
... eine Zukunftsvision von düsterer Klarheit und seherischer Wucht.Es handelt sich um den Roman Widerstand von Joe Stretch. Das geschmacklose Cover hätte vielleicht schon eine Warnung sein können; andererseits warb der Verlag:
"Houellebecq goes Manchester: Rau, wild und voll explosiver Ideen" [...]
The Independent
Das wütende Debüt eines jungen Moralisten mit erstaunlicher Einbildungskraft – ein Roman, der weit über zeitgeistige Provokation hinausweist.Ha ha! Wenn schon an Houellebecq der Vorwurf gerichtet wurde, es gehe ihm nur noch um die Provokation (wenn z.B. Sextourismus in Plattform als etwas Positives dargestellt werde), dann muss man sagen, dass er es wenigstens kann. Bei diesem Buch aber hat jemand dagesessen und sich überlegt: Was kann ich denn jetzt noch "bringen"? Es gab doch schon alles! Ah! Ja! Abtreibungen! Ich schreibe ein Buch über junge Menschen, die "Spaßabtreibungen" durchführen. Das walze ich dann aus. Eine Massenbewegung! So ganz doll entfremdete Menschen. Und eine Frau, die sich mit einer Maschine selbst befriedigt, bis ihr die Haut verbrennt, und sie macht trotzdem immer weiter und liebt diese Maschine.
Ich mache es kurz. Das Buch ist langweilig und schlecht geschrieben. Wer's genauer wissen will, lese die Rezension von Hans-Peter Kunisch in der Süddeutschen, aus der ich noch schnell zitieren will, bevor der Platz hier aufgebraucht ist:
Romantik, modern, aber keine eigenständige Variation. Man hat nicht das Gefühl, Erkenntnis-Neuland betreten zu haben. Der schwungvoll begonnene große Wurf wirkt am Ende eher unentschlossen und mühevoll zusammengebaut.
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nnier | 12. September 2008 | Topic 'umor & more
Kurz vor fünf, die Zeit bleibt stehen,
alle woll'n nach Hause gehen,
jeder hat das Eine nur im Sinn,
und im Lande die Millionen,
ganz egal, wo sie auch wohnen,
schmeißen ihre Arbeit einfach hin.
Das ist die Zeit, wo auch der Pedro Deutsch versteht,
wenn man ihm sagt, daß es in fünf Minuten
ab nach Hause geht
Man kann bei der Arbeit "heimlich" im Internet surfen (Gruß an den Diensthabenden!). Man kann, wenn nur noch der gute Kollege da ist, mit leeren Plastikflaschen im Flur Fußball spielen, bis einer heult. Oder man bleibt nachts mal länger:
"The heavy breathing is me starting to laugh and trying my hardest to stifle it...I was one second away from busting out the whole time."
Feierabend, das Wort macht jeden munter.
Feierabend, das geht wie Honig runter,
Feierabend, und alle haben jetzt frei, frei, frei
endlich
Feierabend, man sagt, na dann, bis morgen,
Feierabend, und all die kleinen Sorgen, die vergißt man,
denn bald schon ist man daheim.
(Peter Alexander, "Feierabend")
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