nnier | 04. Dezember 2008 | Topic 'umor & more
Es ist meine erachtends nichts witziges daran Menschen mit Sprachfehlern darzustellen [...] Für Fans mag das alles erträglich sein aber die Figuren haben mich keines falls amüsiert oder sonstiges.*Gelegentlich habe ich schon auf das Hörwerk Trittschall im Kriechkeller hingewiesen, das mir inzwischen zu einem Begleiter geworden ist, den ich nicht mehr missen möchte. Heinz Strunk, der auch alle Rollen spricht, blättert das Leben des Jürgen Dose vor uns auf. Manches kommt einem bekannt vor, wenn man etwa Fleisch ist mein Gemüse gelesen hat: Jürgen Dose lebt mit seiner kranken Mutter zusammen, es geht um "Biester" und ums "Melken". Und doch ist alles anders, trauriger, ernster, verstörender. Ich versuche, durch ein paar Zitate einen kleinen Einblick zu geben:
Über den Alltag:
Im Bett ist es ganz warm, würd ich gern drinbleiben. Doch nützt es alles nix, muss ich schließlich raus. Das Leben ist schwer, doch man muss lernen, es zu meistern.
Ich arbeite bei einer Zeitarbeitsfirma, da werd ich überall und nirgends eingesetzt. Mal zwei Wochen im Großmarkt und dann drei Tage im Supermarkt zum Beispiel. So bleibt das Berufsleben interessant!
Über Jürgens besten Freund, Bernd Würmer:
Seitdem ist Bernd mutterseelenalleine, und er hat viel Zeit für seine Hobbys, nämlich: Insekten und Motorsport. Bernd selbst fährt viel mit seinem eigenen Auto spazieren. Er sagt dann immer: "Lieber Nürburgring als Ehering". (Jürgen lacht sich beim Erzählen kaputt).
Über seine Kindheit:
Nach dem Essen konnte ich nach Herzenslust toben und spielen. Anstatt aber, wie die anderen Kinder, draußen an der frischen Luft und im Wald mich aufzuhalten, machte ich es mir lieber im Kriechkeller gemütlich. Oft saß ich stundenlang bewegungslos dort unten herum und zählte die Schwitzwassertropfen, die von der Decke rannen. Der Kriechkeller wurde so etwas wie mein geheimes Refugium, in dem ich schalten und walten konnte, so wie es mir beliebte und ich mich nicht dem Willen anderer zu unterwerfen hatte wie zu Hause [...] Manchmal fing ich einige Schuster, Milben und sonstiges Ungezifer und führte es seinem gerechten Schicksal zu. Hier war ich Herr über Leben und Tod!
Nachdem man Jürgens Leben in seinen Facetten kennengelernt hat, wird das Werk gegen Ende immer psychotischer. Da geht es in Stupor, einem auch musikalisch unglaublich dichten Stück, um obsessive Selbstbefriedigung, da werden Motive und Gedankenfetzen aus den vorangegangenen Stücken wiederaufgenommen ("Ich bin Dose, Jürgen Dose, will ans Licht, doch das geht nicht. Steh im Schmand, ein Dunkelmensch, das Licht ist nicht für mich. Ich bin Dose, Jürgen Dose, gehör dahin, wo Moos gedeiht, leg ich mich dazu, das helle Licht ist nicht für mich!"), bevor Jürgen Dose im letzten Stück seine allabendliche Erlösungsphantasie beschreibt:
Jeden Abend vor dem Einschlafen träume ich davon, erschossen zu werden. In Polen. Diesem dunklen, schweren Land im Herzen Europas. Die Phantasien sind unendlich süß und schwer. Irgendwo in einem kleinen Dorf werde ich von drei Männern auf einen etwas abseits gelegenen Acker geführt.
Tja, und wer wissen will, wie's weitergeht, der sollte sich diese schöne und traurige CD besorgen und die Zeit nehmen, sie anzuhören. Und nicht nur einmal. Dann merkt man vielleicht, wie tröstlich ein Lied namens Teilebahn klingen kann, auch wenn es sich so albern liest:
Tuck, tuck, tuck von ferne kommt sie angefahr'n
Fährt durch Wald und Auen, die schöne Teilebahn
Teilebahn aus Teilen: Eisen, Holz und Stein
Fahr'n alle gerne mit, egal ob groß, ob klein
Teilebahn ist ein Gefährt ohne Räder dran
Hat Kufen wie von Schlitten, trotzdem kann schnell fahr'n
Teilebahn ist sicher und geht nie kaputt
Teile kannst du tauschen, das ist sehr, sehr gut
[...]
Dann merkt man vielleicht, wie verzweifelt der Humor z.B. in dem Stück Selbsthilfegruppe ist, und dass es hier um wesentlich mehr geht, als "Menschen mit Sprachfehlern darzustellen" (s.o.). Ich bin mir sicher, dass sich längst nicht jeder "amüsiert oder sonstiges". Aber wer die Bücher von Heinz Strunk mag, sollte sich diese CD unbedingt anhören. (Und es ist ja klar, dass bei Transkripten wie oben Wesentliches verlorengeht, etwa Stimme, Betonung, Verhaspeln, Unsicherheit, Erregung, Scham, Wahn).
Übrigens: Heinz Strunk will keine Hörspiele mehr machen ("Mit Hörspielen habe ich abgeschlossen. Das ist erfolglos geblieben. Es gibt in Deutschland keinen Markt für lustige Kurzhörspiele"). Was für ein Jammer.
Was für ein Jammer!
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*(Aus einer Kundenrezension bei einem großen Internetversandhaus)
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