Als solche verstanden wir uns und waren immer auf der Suche nach weiterer Steigerung des Klangerlebnisses. So begab es sich, dass wir auf einem unserer Streifzüge hier den Eingang zur Unterwelt entdeckten. Rechts unten im Bild ein kuchenstückförmiges Kleingartengebiet, an dessen nordwestlicher Ecke man einen kleinen, krummen Graben erahnen kann, welcher in die Leine (das lange Blaue) mündet. Am anderen Ende des Gräbleins öffnet sich eine Kanalröhre, recht einladend eigentlich und nahezu mannshoch. Was also lag näher, als einen Feuerwerkskörper vor diesem Eingang zur Explosion zu bringen?
Ob des erstaunlichen Schalldrucks und der raffinierten Echo-Effekte vor Freude tanzend, sannen wir auf weitere Verfeinerung: Wenn man nun in die Röhre ginge und dort ... ? Etwa hundert Meter tief konnte man leicht gebückt gut vordringen; ein kurzer Blick, ein hochgereckter Daumen, ein enormer Knall - wir waren hingerissen!
In freudiger Erregung ging's noch einmal kurz nach Hause - Drecksklamotten anziehen, Kreide und ordentlich Feuerwerksnachschub besorgen - und eine größere Expedition nahm ihren Beginn. Schon bald wurde die Röhre etwas niedriger, so dass man nur noch stark gebückt vorankam. Die ersten Abzweigungen nahmen wir noch frohgemut, markierten den Rückweg mit Kreidepfeilen und standen bald vor einem Problem: Die Röhren wurden noch wesentlich enger. Nun also auf Knien gaben wir noch lange nicht auf, ignorierten das Rinnsal am Boden der Röhre und kämpften uns weiter voran. Als beim nächsten Abzweig eine weitere Röhrenverengung auf uns wartete, musste beratschlagt werden: Bäuchlings weiterrobben? Doch, wenn wir kurz hintereinander blieben, sollte es doch möglich sein, noch ein wenig weiter voranzukommen, um dann endlich den Knallkörper zu zünden. Hintereinander schoben wir uns vorwärts und konnten uns alle paar hundert Meter auch einmal aufrichten, wenn ein senkrechter, runder Schacht nach oben führte. Allerdings konnte sich immer nur einer hinstellen, der andere musste liegen bleiben, denn diese Schächte waren eng. Oben waren sie durch die runden Kanaldeckel verschlossen, deren Herstellung im übrigen um einiges aufwendiger ist, als man sich das so vorstellt - so sah ich's vor Jahren einmal bei N24 Wissen. Durch die typischen kleinen Löcher, die einen solchen Kanaldeckel rings umgeben, konnte man einmal den Himmel sehen, ein anderes Mal klonkerte ein Auto dermaßen laut darüber, dass ich, den Kopf nur einen halben Meter vom Deckel entfernt, tüchtig erschrak.
Was wir allerdings immer mehr vermissten, waren Orientierungspunkte - denn den Windungen der unterirdischen Röhren geistig noch zu folgen, hatte ich, ohnehin mit keinem guten Orientierungssinn gesegnet, längst aufgegeben; so blieb uns nichts als immer noch weiter zu kriechen, stets in der Hoffnung, durch nächsten Deckel ein bekanntes Gebäude oder ähnliche Orientierungshilfen erspähen zu können.
Als dies auch beim x-ten Kanaldeckel nicht gelingen wollte, entschied ich, zur Selbsthilfe zu greifen, mit aller Kraft den Deckel auf einer Seite hochzudrücken, und endlich in Erfahrung zu bringen, wo wir nun eigentlich waren. Nun geschah mehreres gleichzeitig: Der Deckel verkantete sich; ich erkannte das Schild der Süd Apotheke; mein Freund entschied, dass hier der geeignete Ort zur Zündung sei; es tat einen fürchterlichen Knall; jemand oben rief: "Da ist einer drin!"
Hätte mich dieser Knall schon unter normalen Umständen bis knapp vor den Herzinfarkt gebracht, so wurde das Entsetzen gesteigert durch die Tatsache, entdeckt worden und gekrönt durch die Erkenntnis, so weit* von der Einstiegsstelle entfernt gelandet zu sein. Wir entschieden, umgehend den Rückweg anzutreten, welcher sich um einiges unangenehmer als der Hinweg gestaltete. War jener noch von Entdeckerlust und Vorfreude beflügelt in enormem Tempo genommen worden, so schien dieser nämlich geradewegs ins Gefängnis zu führen, denn, dessen waren wir sicher, am Ausgang würde natürlich die Polizei auf uns warten. Müde und plötzlich von gewissen klaustrophobischen Gefühlen gepeinigt, robbten wir den langen Weg zurück und freuten uns angesichts der drohenden Strafe nur wenig über den langsam wieder steigenden Durchmesser der Kanalröhren. Düstere Vorahnungen, die von Gardinenpredigten, Polizeiautos und Taschengeldentzug handelten, vernebelten uns noch immer den Blick für die reale Gefahr, in der wir uns befanden und die ganze Zeit befunden hatten. Wir versicherten uns noch einmal unserer gegenseitigen Freundschaft, und dass das doch immerhin ein ganz toller Knall gewesen sei; dann rannten wir letzten hundert Meter - in die Freiheit!
(Ergänzung 1: Eine Woche darauf stand in der Zeitung, dass die Stadtwerke gerade das Rattengift in der Kanalisation systematisch erneuerten.
Ergänzung 2: Ein stärkerer Regenguss an diesem Tag wäre nicht so gut gewesen.
Ergänzung 3: Später las ich auch mal was über Methanverpuffungen.)
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* Das Kleingartenkuchenstück und der Fluss sind nun links unterhalb der Bildmitte zu finden
Ob des erstaunlichen Schalldrucks und der raffinierten Echo-Effekte vor Freude tanzend, sannen wir auf weitere Verfeinerung: Wenn man nun in die Röhre ginge und dort ... ? Etwa hundert Meter tief konnte man leicht gebückt gut vordringen; ein kurzer Blick, ein hochgereckter Daumen, ein enormer Knall - wir waren hingerissen!
In freudiger Erregung ging's noch einmal kurz nach Hause - Drecksklamotten anziehen, Kreide und ordentlich Feuerwerksnachschub besorgen - und eine größere Expedition nahm ihren Beginn. Schon bald wurde die Röhre etwas niedriger, so dass man nur noch stark gebückt vorankam. Die ersten Abzweigungen nahmen wir noch frohgemut, markierten den Rückweg mit Kreidepfeilen und standen bald vor einem Problem: Die Röhren wurden noch wesentlich enger. Nun also auf Knien gaben wir noch lange nicht auf, ignorierten das Rinnsal am Boden der Röhre und kämpften uns weiter voran. Als beim nächsten Abzweig eine weitere Röhrenverengung auf uns wartete, musste beratschlagt werden: Bäuchlings weiterrobben? Doch, wenn wir kurz hintereinander blieben, sollte es doch möglich sein, noch ein wenig weiter voranzukommen, um dann endlich den Knallkörper zu zünden. Hintereinander schoben wir uns vorwärts und konnten uns alle paar hundert Meter auch einmal aufrichten, wenn ein senkrechter, runder Schacht nach oben führte. Allerdings konnte sich immer nur einer hinstellen, der andere musste liegen bleiben, denn diese Schächte waren eng. Oben waren sie durch die runden Kanaldeckel verschlossen, deren Herstellung im übrigen um einiges aufwendiger ist, als man sich das so vorstellt - so sah ich's vor Jahren einmal bei N24 Wissen. Durch die typischen kleinen Löcher, die einen solchen Kanaldeckel rings umgeben, konnte man einmal den Himmel sehen, ein anderes Mal klonkerte ein Auto dermaßen laut darüber, dass ich, den Kopf nur einen halben Meter vom Deckel entfernt, tüchtig erschrak.
Was wir allerdings immer mehr vermissten, waren Orientierungspunkte - denn den Windungen der unterirdischen Röhren geistig noch zu folgen, hatte ich, ohnehin mit keinem guten Orientierungssinn gesegnet, längst aufgegeben; so blieb uns nichts als immer noch weiter zu kriechen, stets in der Hoffnung, durch nächsten Deckel ein bekanntes Gebäude oder ähnliche Orientierungshilfen erspähen zu können.
Als dies auch beim x-ten Kanaldeckel nicht gelingen wollte, entschied ich, zur Selbsthilfe zu greifen, mit aller Kraft den Deckel auf einer Seite hochzudrücken, und endlich in Erfahrung zu bringen, wo wir nun eigentlich waren. Nun geschah mehreres gleichzeitig: Der Deckel verkantete sich; ich erkannte das Schild der Süd Apotheke; mein Freund entschied, dass hier der geeignete Ort zur Zündung sei; es tat einen fürchterlichen Knall; jemand oben rief: "Da ist einer drin!"
Hätte mich dieser Knall schon unter normalen Umständen bis knapp vor den Herzinfarkt gebracht, so wurde das Entsetzen gesteigert durch die Tatsache, entdeckt worden und gekrönt durch die Erkenntnis, so weit* von der Einstiegsstelle entfernt gelandet zu sein. Wir entschieden, umgehend den Rückweg anzutreten, welcher sich um einiges unangenehmer als der Hinweg gestaltete. War jener noch von Entdeckerlust und Vorfreude beflügelt in enormem Tempo genommen worden, so schien dieser nämlich geradewegs ins Gefängnis zu führen, denn, dessen waren wir sicher, am Ausgang würde natürlich die Polizei auf uns warten. Müde und plötzlich von gewissen klaustrophobischen Gefühlen gepeinigt, robbten wir den langen Weg zurück und freuten uns angesichts der drohenden Strafe nur wenig über den langsam wieder steigenden Durchmesser der Kanalröhren. Düstere Vorahnungen, die von Gardinenpredigten, Polizeiautos und Taschengeldentzug handelten, vernebelten uns noch immer den Blick für die reale Gefahr, in der wir uns befanden und die ganze Zeit befunden hatten. Wir versicherten uns noch einmal unserer gegenseitigen Freundschaft, und dass das doch immerhin ein ganz toller Knall gewesen sei; dann rannten wir letzten hundert Meter - in die Freiheit!
(Ergänzung 1: Eine Woche darauf stand in der Zeitung, dass die Stadtwerke gerade das Rattengift in der Kanalisation systematisch erneuerten.
Ergänzung 2: Ein stärkerer Regenguss an diesem Tag wäre nicht so gut gewesen.
Ergänzung 3: Später las ich auch mal was über Methanverpuffungen.)
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* Das Kleingartenkuchenstück und der Fluss sind nun links unterhalb der Bildmitte zu finden
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tomm tiefer,
Mittwoch, 24. September 2008, 11:49
alles ist gut, solange du wild bist ;)
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goetzeclan,
Donnerstag, 25. September 2008, 15:21
Am Rheinufer in Köln-Stammheim gibt es einen Kanalauslass, bei dem können während Niedrigwasser gut und gerne zwei PKWs nebeinander reinfahren. Etwa 30 Meter weiter im inneren haben wir ein Feuer entzündet und ein paar der in den 70er dort überall angeschwemmten Sprayflaschen reingeworfen und sind schnell verduftet. Die Explosionen, vier oder fünf kurz hintereinander, wurden im ganzen Stadteil zur Kenntnis genommen, wie später überall zu hören war ...
:-)
:-)
vert,
Donnerstag, 25. September 2008, 22:28
ich war ja DAS BRAVE KIND™ und das adrenalin pumpt schon beim lesen...
(ja, ich weiß, dass ich wahrscheinlich etwas verpasst habe - es ist nicht nur meine schuld. und ich habe es alles nachgeholt. anders, aber nachgeholt!)
(ja, ich weiß, dass ich wahrscheinlich etwas verpasst habe - es ist nicht nur meine schuld. und ich habe es alles nachgeholt. anders, aber nachgeholt!)
nnier,
Freitag, 26. September 2008, 10:18
Das würde ich (und würden andere) über mich auch sagen. Ich war keiner von denen, die "Mutproben" auf hohen Brücken usw. gemacht haben; andererseits gab es aber doch viele Situationen bis ins frühe Erwachsenenalter hinein, in denen ich fest überzeugt war, alles locker im Griff zu haben - und wenn ich heute darüber nachdenke, wird mir manchmal ganz anders. ("Was hätte da alles passieren können ... hoffentlich kommen meine Kinder nie auf solche Ideen!").
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