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There you go, Gesundheitssystem.
Beim Dienstantritt wurde mir sehr vehement vorgeschrieben, zu welchem Arzt ich zu gehen hätte, um die obligatorische Erstuntersuchung vornehmen zu lassen. Auch für eventuell folgende Krankheitsfälle sei dieser Arzt der vorgeschriebene erste Ansprechpartner, der einen nur bei Bedarf zu einem Spezialisten überweisen werde. Dies erschien mir nicht ganz rechtens, da ich schon damals ein Freund der freien Arztwahl war und auch seit Jahren zu einem anderen Hausarzt ging, doch wollte ich nicht schon zu Dienstbeginn den Querulanten geben und fügte mich, denn, so meinte ich, die Erstuntersuchung sei ja vermutlich eine reine Formalität. So fuhr ich also eines Tages relativ weit aus der Stadt heraus in jenes Dorf, welches die Praxis des Vertrauensarztes meines Dienstherrn beherbergte, und da sich die Fahrt dahinzog, machte ich mir ein paar Gedanken.
Den Vertrauensarzt stellte ich mir etwa von jenem Typus vor, der im Kreiswehrersatzamt einige Monate zuvor die Musterung vorgenommen hatte: "Stellen Sie sich nicht so an", "Was heißt hier: Ich hab's im Rücken", sein Misstrauen war recht unverhüllt zutagegetreten, bis er komplett unvermittelt, nachdem er mich hatte kräftig husten lassen*, fragte, ob ich gerne sänge, denn das Musikkorps suche immer Nachwuchs.
Nun ist ja das Misstrauen der Musterungsärzte nicht ganz unbegründet, und auch beim Zivildienst, so überlegte ich, könnte es natürlich sein, dass der Dienstherr da so seine Erfahrungen hat mit jungen Männern, die aussehen wie das blühende Leben und sich dauernd krank melden, weshalb also aus Dienststellensicht ein dahingehend zuverlässiger Arzt durchaus einen Unterschied machen könne, denn es war eine große Dienststelle mit gut 20 Zivis, die damals übrigens auch jeder 20 Monate ableisten mussten.
Ich hatte die Arztpraxis erreicht. Vorne im Haus eine große Apotheke, hinten der Eingang, der zu einer beeindruckende Praxis mit ebensolchen Angestellten führte. Als ich ins Behandlungszimmer gerufen wurde, gab mir der Doktor die Hand, sah in meinen Hals, fragte, ob "sonst alles OK" sei, wusch sich die Hände, geleitete mich zur Tür und verabschiedete mich mit den Worten: "Und wenn du mal Urlaub brauchst." Das ganze hatte etwa zwei Minuten gedauert.
Der Same war gepflanzt. Zwar war ich zwischen innerer Belustigung ("Wenn die wüssten, wen sie sich da ausgesucht haben!") und Empörung ("Und dafür bekommt der Geld!") hin- und hergerissen, aber eigentlich** fest entschlossen, diesem unmoralischen Angebot nicht nachzugehen. Wenn das jeder machen würde!
Allerdings gab es dann doch diesen Tag. Ich war mit dem neuen, übereifrigen Zivildienstkollegen unterwegs. Wir hatten ein unförmiges, altes Metallbett mit diversen Anbauten an einen bedürftigen Patienten auszuliefern, und schon am Mittag, als wir es aus dem Lager herausgetragen und auf den Anhänger des Autos gewuchtet hatten, hatte ich mir halb die Wirbelsäule verbogen. Nun fuhren wir in eine enge Innenstadtstraße, stiegen durch das ebenso enge Treppenhaus in den dritten Stock, sahen den armen Mann in seinem Bett liegen und ließen uns von seiner Tochter ankeifen, dass das ja nun höchste Zeit werde.
Ich sah mir das vorhandene Bett an, das dem im Anhänger verdächtig ähnelte. Ja, keifte die Frau, aber da könne man dieses und jenes nicht verstellen. Und während ich noch verstehen wollte, ob das denn bei dem angelieferten Bett tatsächlich anders sei, griff der übereifrige Kollege schon unter den Beinen des Patienten hindurch, nötigte mich dadurch, mit anzufassen, wir trugen den alten Herrn zum Sofa, und während Kollege die Patiententochter anstrahlte und versicherte, das sei alles kein Problem, begann er, das Bett zur Tür zu ziehen, so dass mir nichts anderes übrig blieb als zuzugreifen und das offensichtlich gusseiserne, jedenfalls unglaublich schwere, Ungetüm durchs Treppenhaus zu tragen, begleitet vom unfreundlichen "Vorsicht! Passt doch auf!" der skeptisch zusehenden Weibsperson. Selbstverständlich war ich der untere Träger, mithin lastete das Tonnengewicht des Gestells, das wir aufgrund der extremen Enge fast senkrecht tragen mussten, zum überwiegenden Teil auf mir.
Unten angekommen stellten wir das Bett neben den Anhänger, ich wagte es kaum hinzusehen, und tatsächlich: die Modelle waren identisch. "Guck dir das doch an!", herrschte ich den Kollegen an, der dümmlich grinste und meinte, bestimmt gebe es da trotzdem einen Unterschied, und wir sollten nun einfach das neue Bett hinaufbringen, das sei "doch nicht so schlimm."
Voller Wut schleppte ich das andere Bett mit ihm nach oben, natürlich ging ich dabei wieder unten, inzwischen wäre Dienstschluss gewesen, wir mussten umständlich rangieren und hatten das Stahldings eine halbe Stunde später endlich dort plaziert, wo zuvor das Zwillingsmodell gestanden hatte. Nun hieß es noch, die Matratze und den Patienten wieder unter töchterlichem Gezeter aufs Bett zu befördern. Als ich endlich durchatmen wollte und meine ruinierten Schultern zu massieren begann, wurde das Gezeter noch lauter: "Das geht ja noch schlechter als das alte Bett!"
Bis dahin hatte ich noch an mich gehalten. Als aber der Dumpfbackenkollege umgehend versprach, man werde nach dem Wochenende ein neues, besseres Bett besorgen und als Frau Tochter meinte, gut, bis dahin wolle sie aber das alte Bett wiederhaben, als Kollega mich daraufhin dümmlich lächelnd ansah und meinte, das sei "ja auch nicht so schlimm", wusste ich, dass das hier kein gutes Ende mehr nehmen würde. Dennoch verbiss ich mir die Wut noch, nicht zuletzt aus Rücksicht auf den armen alten Mann, der in dem frisch angelieferten Bett tatsächlich schlechter zu liegen schien als zuvor. Wir tauschten die Betten wieder aus, es war längst dunkel, ich hasste meinen Kollegen, sprach auf der Rückfahrt kein Wort, lud schweigend das Bett vom Anhänger ab und wollte in der Dienststelle noch schnell den Autoschlüssel abgeben, als der Vorgesetzte zu uns trat und sprach: Die Frau habe angerufen, sie sei nicht zufrieden mit uns gewesen, wir seien wohl "zu schwach" zum Tragen, und nach dem Wochenende werde ein ganz neues Bett angeliefert. Fassungslos rang ich nach Luft und Worten, der Kollege jedoch krähte drauflos, dass wir das am Montagvormittag ja gut erledigen könnten und das sei "ja nicht so schlimm."
Ich fuhr aufs Dorf. In der Praxis war noch Licht. "Was willst du denn haben", fragte der Arzt. Ich zuckte die Schultern. "Angina", schlug er vor. "Da muss ich dir aber was verschreiben. Hol dir das vorne in der Apotheke."
Dass die Apotheke seiner Frau gehörte, erfuhr ich erst später - war aber klar, oder?
--
*Frauen: Ihr habt ja keine Ahnung.
**Wenn schon einer "eigentlich" schreibt!
Beim Dienstantritt wurde mir sehr vehement vorgeschrieben, zu welchem Arzt ich zu gehen hätte, um die obligatorische Erstuntersuchung vornehmen zu lassen. Auch für eventuell folgende Krankheitsfälle sei dieser Arzt der vorgeschriebene erste Ansprechpartner, der einen nur bei Bedarf zu einem Spezialisten überweisen werde. Dies erschien mir nicht ganz rechtens, da ich schon damals ein Freund der freien Arztwahl war und auch seit Jahren zu einem anderen Hausarzt ging, doch wollte ich nicht schon zu Dienstbeginn den Querulanten geben und fügte mich, denn, so meinte ich, die Erstuntersuchung sei ja vermutlich eine reine Formalität. So fuhr ich also eines Tages relativ weit aus der Stadt heraus in jenes Dorf, welches die Praxis des Vertrauensarztes meines Dienstherrn beherbergte, und da sich die Fahrt dahinzog, machte ich mir ein paar Gedanken.
Den Vertrauensarzt stellte ich mir etwa von jenem Typus vor, der im Kreiswehrersatzamt einige Monate zuvor die Musterung vorgenommen hatte: "Stellen Sie sich nicht so an", "Was heißt hier: Ich hab's im Rücken", sein Misstrauen war recht unverhüllt zutagegetreten, bis er komplett unvermittelt, nachdem er mich hatte kräftig husten lassen*, fragte, ob ich gerne sänge, denn das Musikkorps suche immer Nachwuchs.
Nun ist ja das Misstrauen der Musterungsärzte nicht ganz unbegründet, und auch beim Zivildienst, so überlegte ich, könnte es natürlich sein, dass der Dienstherr da so seine Erfahrungen hat mit jungen Männern, die aussehen wie das blühende Leben und sich dauernd krank melden, weshalb also aus Dienststellensicht ein dahingehend zuverlässiger Arzt durchaus einen Unterschied machen könne, denn es war eine große Dienststelle mit gut 20 Zivis, die damals übrigens auch jeder 20 Monate ableisten mussten.
Ich hatte die Arztpraxis erreicht. Vorne im Haus eine große Apotheke, hinten der Eingang, der zu einer beeindruckende Praxis mit ebensolchen Angestellten führte. Als ich ins Behandlungszimmer gerufen wurde, gab mir der Doktor die Hand, sah in meinen Hals, fragte, ob "sonst alles OK" sei, wusch sich die Hände, geleitete mich zur Tür und verabschiedete mich mit den Worten: "Und wenn du mal Urlaub brauchst." Das ganze hatte etwa zwei Minuten gedauert.
Der Same war gepflanzt. Zwar war ich zwischen innerer Belustigung ("Wenn die wüssten, wen sie sich da ausgesucht haben!") und Empörung ("Und dafür bekommt der Geld!") hin- und hergerissen, aber eigentlich** fest entschlossen, diesem unmoralischen Angebot nicht nachzugehen. Wenn das jeder machen würde!
Allerdings gab es dann doch diesen Tag. Ich war mit dem neuen, übereifrigen Zivildienstkollegen unterwegs. Wir hatten ein unförmiges, altes Metallbett mit diversen Anbauten an einen bedürftigen Patienten auszuliefern, und schon am Mittag, als wir es aus dem Lager herausgetragen und auf den Anhänger des Autos gewuchtet hatten, hatte ich mir halb die Wirbelsäule verbogen. Nun fuhren wir in eine enge Innenstadtstraße, stiegen durch das ebenso enge Treppenhaus in den dritten Stock, sahen den armen Mann in seinem Bett liegen und ließen uns von seiner Tochter ankeifen, dass das ja nun höchste Zeit werde.
Ich sah mir das vorhandene Bett an, das dem im Anhänger verdächtig ähnelte. Ja, keifte die Frau, aber da könne man dieses und jenes nicht verstellen. Und während ich noch verstehen wollte, ob das denn bei dem angelieferten Bett tatsächlich anders sei, griff der übereifrige Kollege schon unter den Beinen des Patienten hindurch, nötigte mich dadurch, mit anzufassen, wir trugen den alten Herrn zum Sofa, und während Kollege die Patiententochter anstrahlte und versicherte, das sei alles kein Problem, begann er, das Bett zur Tür zu ziehen, so dass mir nichts anderes übrig blieb als zuzugreifen und das offensichtlich gusseiserne, jedenfalls unglaublich schwere, Ungetüm durchs Treppenhaus zu tragen, begleitet vom unfreundlichen "Vorsicht! Passt doch auf!" der skeptisch zusehenden Weibsperson. Selbstverständlich war ich der untere Träger, mithin lastete das Tonnengewicht des Gestells, das wir aufgrund der extremen Enge fast senkrecht tragen mussten, zum überwiegenden Teil auf mir.
Unten angekommen stellten wir das Bett neben den Anhänger, ich wagte es kaum hinzusehen, und tatsächlich: die Modelle waren identisch. "Guck dir das doch an!", herrschte ich den Kollegen an, der dümmlich grinste und meinte, bestimmt gebe es da trotzdem einen Unterschied, und wir sollten nun einfach das neue Bett hinaufbringen, das sei "doch nicht so schlimm."
Voller Wut schleppte ich das andere Bett mit ihm nach oben, natürlich ging ich dabei wieder unten, inzwischen wäre Dienstschluss gewesen, wir mussten umständlich rangieren und hatten das Stahldings eine halbe Stunde später endlich dort plaziert, wo zuvor das Zwillingsmodell gestanden hatte. Nun hieß es noch, die Matratze und den Patienten wieder unter töchterlichem Gezeter aufs Bett zu befördern. Als ich endlich durchatmen wollte und meine ruinierten Schultern zu massieren begann, wurde das Gezeter noch lauter: "Das geht ja noch schlechter als das alte Bett!"
Bis dahin hatte ich noch an mich gehalten. Als aber der Dumpfbackenkollege umgehend versprach, man werde nach dem Wochenende ein neues, besseres Bett besorgen und als Frau Tochter meinte, gut, bis dahin wolle sie aber das alte Bett wiederhaben, als Kollega mich daraufhin dümmlich lächelnd ansah und meinte, das sei "ja auch nicht so schlimm", wusste ich, dass das hier kein gutes Ende mehr nehmen würde. Dennoch verbiss ich mir die Wut noch, nicht zuletzt aus Rücksicht auf den armen alten Mann, der in dem frisch angelieferten Bett tatsächlich schlechter zu liegen schien als zuvor. Wir tauschten die Betten wieder aus, es war längst dunkel, ich hasste meinen Kollegen, sprach auf der Rückfahrt kein Wort, lud schweigend das Bett vom Anhänger ab und wollte in der Dienststelle noch schnell den Autoschlüssel abgeben, als der Vorgesetzte zu uns trat und sprach: Die Frau habe angerufen, sie sei nicht zufrieden mit uns gewesen, wir seien wohl "zu schwach" zum Tragen, und nach dem Wochenende werde ein ganz neues Bett angeliefert. Fassungslos rang ich nach Luft und Worten, der Kollege jedoch krähte drauflos, dass wir das am Montagvormittag ja gut erledigen könnten und das sei "ja nicht so schlimm."
Ich fuhr aufs Dorf. In der Praxis war noch Licht. "Was willst du denn haben", fragte der Arzt. Ich zuckte die Schultern. "Angina", schlug er vor. "Da muss ich dir aber was verschreiben. Hol dir das vorne in der Apotheke."
Dass die Apotheke seiner Frau gehörte, erfuhr ich erst später - war aber klar, oder?
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*Frauen: Ihr habt ja keine Ahnung.
**Wenn schon einer "eigentlich" schreibt!
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Ich kenne mich ja mit diesen technischen Sachen nicht so aus. Aber statt Sie alle zum Super-8-Abend bei mir zu Hause einzuladen, habe ich mir erlaubt, meine Urlaubsfilmchen bei einem Anbieter, der solches ermöglicht, zu speichern. Den ganz großen wollte ich nicht nehmen. Also wurde es ein anderer. Und der scheint nun immer langsamer zu werden. Oder ist das nur bei mir so?
Ich mag es nicht, wenn dauernd angehalten und zwischengepuffert wird. (Sie können natürlich versuchen, sich vorzustellen, dass statt dessen der Film reißt, die Spule beschleunigt, das Zelluloid zappelt, der Vorführer das Licht einschaltet, und, Moment!, das haben wir gleich!, mal eben eine Viertelstunde lang schneidet und klebt, während Sie sich an die Käsehäppchen mit Silberzwiebeln halten.)
Dieser Beitrag hat übrigens eine gar nicht so subtile Verbindung zum vorangegangenen. Gute Nacht.
Ich mag es nicht, wenn dauernd angehalten und zwischengepuffert wird. (Sie können natürlich versuchen, sich vorzustellen, dass statt dessen der Film reißt, die Spule beschleunigt, das Zelluloid zappelt, der Vorführer das Licht einschaltet, und, Moment!, das haben wir gleich!, mal eben eine Viertelstunde lang schneidet und klebt, während Sie sich an die Käsehäppchen mit Silberzwiebeln halten.)
Dieser Beitrag hat übrigens eine gar nicht so subtile Verbindung zum vorangegangenen. Gute Nacht.
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Erst vor kurzem musste ich an die Sendung Aktenzeichen XY denken, und nun ist also Eduard Zimmermann gestorben.
Jahrelang sah ich am Freitagabend gerne den Freitagskrimi, also Derrick, Der Alte und peinlicherweise besonders gerne Ein Fall für Zwei. Es war für mich dann eine große Enttäuschung, wenn ich beim Blick auf die Fersehseite der Tageszeitung (denn eine Programmzeitschrift hatten wir nicht) feststellen musste, dass "nur XY" kommen würde.
In diesen Zeiten, als das ZDF so unglaublich braun-beige-olivgrün daherkam, dass man sich fragt, wozu eigentlich alle Farbfernseher haben wollten, gab es aber auch keine brauchbaren Alternativen, und außerdem bot die Sendung auf eine verrückte Weise einen ganz speziellen, gruselig-lustvollen Kitzel. Denn es waren ja reale Fälle, über die dort berichtet wurde und die von dermaßen hölzernen Darstellern nachgespielt wurden, wie man sie bis zum Dammbruch durch täglichen Privatsenderschund wie Gute Zeiten, schlechte Zeiten nur selten zu sehen bekam.
Trotzdem konnte einen das Grauen befallen. Nachdem Eduard Zimmermann, den man meiner Erinnerung zufolge in all den Jahren nicht eine Zehntelsekunde lang lächeln sah, mit todernstem Gesichtsausdruck die Sendung eröffnet hatte,
Nachwort von Max Gelbwurstbrod: Dieses unvollendete Werk erlaubt einen interessanten Einblick in die Arbeitsweise des Autors, der den Beitrag am Vorabend begonnen und gegen Mitternacht zur Seite gelegt hat. Er mache das gelegentlich so, äußert der gegenüber den Medien stets zurückhaltende Schreiber, wenn er merke, dass er "müde" werde. Vermutlich hätte er die Arbeit am Folgetag wie üblich wieder aufgenommen und dabei das bereits Geschriebene noch einmal kritisch durchgelesen, womöglich stilistisch geglättet oder auch, wie er selbst wohl sagen würde, "komplett in die Tonne getreten." Eine schmerzhafte Schulterzerrung, die wirklich "asig weh" tue, unterbrach dann jedoch den gewohnten Prozess, wodurch hier wohl erstmalig die Rohfassung eines Textes - Herrgottsakra, das tut dermaßen weh, ich gehe jetzt ins Bett!
Jahrelang sah ich am Freitagabend gerne den Freitagskrimi, also Derrick, Der Alte und peinlicherweise besonders gerne Ein Fall für Zwei. Es war für mich dann eine große Enttäuschung, wenn ich beim Blick auf die Fersehseite der Tageszeitung (denn eine Programmzeitschrift hatten wir nicht) feststellen musste, dass "nur XY" kommen würde.
In diesen Zeiten, als das ZDF so unglaublich braun-beige-olivgrün daherkam, dass man sich fragt, wozu eigentlich alle Farbfernseher haben wollten, gab es aber auch keine brauchbaren Alternativen, und außerdem bot die Sendung auf eine verrückte Weise einen ganz speziellen, gruselig-lustvollen Kitzel. Denn es waren ja reale Fälle, über die dort berichtet wurde und die von dermaßen hölzernen Darstellern nachgespielt wurden, wie man sie bis zum Dammbruch durch täglichen Privatsenderschund wie Gute Zeiten, schlechte Zeiten nur selten zu sehen bekam.
Trotzdem konnte einen das Grauen befallen. Nachdem Eduard Zimmermann, den man meiner Erinnerung zufolge in all den Jahren nicht eine Zehntelsekunde lang lächeln sah, mit todernstem Gesichtsausdruck die Sendung eröffnet hatte,
Nachwort von Max Gelbwurstbrod: Dieses unvollendete Werk erlaubt einen interessanten Einblick in die Arbeitsweise des Autors, der den Beitrag am Vorabend begonnen und gegen Mitternacht zur Seite gelegt hat. Er mache das gelegentlich so, äußert der gegenüber den Medien stets zurückhaltende Schreiber, wenn er merke, dass er "müde" werde. Vermutlich hätte er die Arbeit am Folgetag wie üblich wieder aufgenommen und dabei das bereits Geschriebene noch einmal kritisch durchgelesen, womöglich stilistisch geglättet oder auch, wie er selbst wohl sagen würde, "komplett in die Tonne getreten." Eine schmerzhafte Schulterzerrung, die wirklich "asig weh" tue, unterbrach dann jedoch den gewohnten Prozess, wodurch hier wohl erstmalig die Rohfassung eines Textes - Herrgottsakra, das tut dermaßen weh, ich gehe jetzt ins Bett!
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Es gibt in meiner Nähe einen Wochenmarkt, der über die Stadtgrenzen hinaus bekannt und wirklich nicht schlecht ist. Eines aber habe ich all die Jahre vermisst: Die Grüne Soße.

Wer in Norddeutschland aufgewachsen ist, kann sich darunter vielleicht nichts vorstellen. Die Rede ist von der bekannten Frankfurter Grie Soß, einem sehr reichhaltigen Kaltgericht, das im wesentlichen aus saurer Sahne sowie mindestens sieben feingehackten, frischen Kräutersorten besteht, angedickt mit zerhacktem, hartgekochtem Ei und besonders gut mit Pellkartoffeln zu genießen.
Man kann weiter südlich, z.B. schon in Göttingen, auf dem Markt "Grüne Soße" verlangen, bekommt dann die sieben Kräuter fertig gebündelt in einer Papiertüte und kann sich zu Hause direkt ans Schnippeln machen. Versucht man dergleichen in Bremen, wird man blöd angeglotzt: "Soße verkaufen wir nicht, hier ist ein Gemüsestand."
So darbte ich ein gutes Jahrzehnt vor mich hin, bis letzte Woche an einem Stand gänzlich unverhofft ein handgeschriebenes Schildchen "Grüne Sauce" anpries, und tatsächlich stand in einer unscheinbaren Plastikschüssel ein dickes Bündel diverser Kräuter, die ich natürlich sofort kaufte, verarbeitete und nach Rezept würzte, zudem fragte ich telefonisch nach Tipps und Tricks (etwas Senf! Nicht nur Essig!), pellte die hartgekochten Eier, ließ sie erkalten, hackte sie klein, rührte sie unter die schon perfekt durchgezogene Soße, die Pellkartoffeln waren auf den Punkt gar, und zwei Tage lang aß nicht nur ich dümm- und glücklich grinsend von der frischen, duftenden, sämigen Masse.
Ich gehe nicht gerne auf dem Markt einkaufen, mir ist da zuviel Geschiebe, ich überlasse es gerne anderen Menschen, die guten Sachen dort zu erstehen, doch heute musste es sein. Obwohl ich schon zum Frühstück Aspirin verspeist und genug Todos auf dem Tagesplan hatte, radelte ich zum Markt, nur um an dem Stand zu erfahren, dass man "die Kräuter" nicht mehr habe.
So fixiert, wie ich auf die Wiederholung des Genusses war, weinte ich nur kurz und fragte dann, ob man denn wisse, welche Kräuter hineingehörten. "Sicher! Basilikum, Thymian, und, äh, Oregano, und, äh."
Auch wenn ich mir selbst nicht ganz sicher war: das klang falsch. Hätte ich nur meinerseits besser aufgepasst, als die sieben Kräuter letzte Woche vor mir lagen! Aber da war ich so glücklich, dass ich einfach alles kleingeschnitten habe. Und ein echter Pflanzenkenner bin ich nun mal nicht. So orderte ich zunächst die Bestandteile, bei denen ich mir sicher war (Petersilie, Schnittlauch, Dill) und nahm, weil's so schön grün aussah, auch noch Bohnenkraut und Rauke mit.

Zu Hause schnitt ich gleich alles klein, ich wollte kein Rezept lesen, es würde schon irgendwie gehen, ich mischte die saure Sahne mit dem Salz und dem Pfeffer, dem Essig und dem Senf, aber schon als ein gewaltiger Spritzer Senf aus der blauen Tube auf meinen Wildlederschuhen landete, hätte ich innehalten und noch einmal in Ruhe nachdenken sollen. Leider war ich etwas in Eile, und das sollte doch noch fertigwerden, also, eine Prise Zucker, einfach direkt aus dem Glas -
(wir haben ja diese praktischen Gläser, es sind eigentlich Honiggläser, 2 kg, und wenn die leer sind, es sind zwar Pfandgläser, aber die kann man gut für Müsli und Mehl und, ja, Zucker verwenden) -

und, zack!, löste sich eine verharschte Zuckerscholle und es knallte ein halbes Pfund in die Schüssel zu den Kräutern und der sauren Sahne.
Ich habe so viel wie möglich oben abgelöffelt. Dann habe ich aufgehört; in eine Plastikschüssel damit, Deckel drauf, ab in den Kühlschrank! Und komm erst wieder, wenn du klar im Kopf bist!
Inzwischen habe ich nachgelesen: Es gehört kein Bohnenkraut rein. Auch keine Rauke. Aber Kerbel. Sauerampfer. Kresse. Estragon. Liebstöckel. Zitronenmelisse.
Inzwischen habe ich probiert: Es ist zu süß, und die Kräuter schmecken einfach nicht richtig. Trotzdem werde ich morgen vormittag versuchen zu retten, was zu retten ist, mit Essig und Senf und Salz herumprobieren, und die fünf hartgekochten Eier, die werde ich auch noch reinschnippeln - und dann esse ich das!

Oder wenigstens diese Champagnertrüffeln.

Wer in Norddeutschland aufgewachsen ist, kann sich darunter vielleicht nichts vorstellen. Die Rede ist von der bekannten Frankfurter Grie Soß, einem sehr reichhaltigen Kaltgericht, das im wesentlichen aus saurer Sahne sowie mindestens sieben feingehackten, frischen Kräutersorten besteht, angedickt mit zerhacktem, hartgekochtem Ei und besonders gut mit Pellkartoffeln zu genießen.
Man kann weiter südlich, z.B. schon in Göttingen, auf dem Markt "Grüne Soße" verlangen, bekommt dann die sieben Kräuter fertig gebündelt in einer Papiertüte und kann sich zu Hause direkt ans Schnippeln machen. Versucht man dergleichen in Bremen, wird man blöd angeglotzt: "Soße verkaufen wir nicht, hier ist ein Gemüsestand."
So darbte ich ein gutes Jahrzehnt vor mich hin, bis letzte Woche an einem Stand gänzlich unverhofft ein handgeschriebenes Schildchen "Grüne Sauce" anpries, und tatsächlich stand in einer unscheinbaren Plastikschüssel ein dickes Bündel diverser Kräuter, die ich natürlich sofort kaufte, verarbeitete und nach Rezept würzte, zudem fragte ich telefonisch nach Tipps und Tricks (etwas Senf! Nicht nur Essig!), pellte die hartgekochten Eier, ließ sie erkalten, hackte sie klein, rührte sie unter die schon perfekt durchgezogene Soße, die Pellkartoffeln waren auf den Punkt gar, und zwei Tage lang aß nicht nur ich dümm- und glücklich grinsend von der frischen, duftenden, sämigen Masse.
Ich gehe nicht gerne auf dem Markt einkaufen, mir ist da zuviel Geschiebe, ich überlasse es gerne anderen Menschen, die guten Sachen dort zu erstehen, doch heute musste es sein. Obwohl ich schon zum Frühstück Aspirin verspeist und genug Todos auf dem Tagesplan hatte, radelte ich zum Markt, nur um an dem Stand zu erfahren, dass man "die Kräuter" nicht mehr habe.
So fixiert, wie ich auf die Wiederholung des Genusses war, weinte ich nur kurz und fragte dann, ob man denn wisse, welche Kräuter hineingehörten. "Sicher! Basilikum, Thymian, und, äh, Oregano, und, äh."
Auch wenn ich mir selbst nicht ganz sicher war: das klang falsch. Hätte ich nur meinerseits besser aufgepasst, als die sieben Kräuter letzte Woche vor mir lagen! Aber da war ich so glücklich, dass ich einfach alles kleingeschnitten habe. Und ein echter Pflanzenkenner bin ich nun mal nicht. So orderte ich zunächst die Bestandteile, bei denen ich mir sicher war (Petersilie, Schnittlauch, Dill) und nahm, weil's so schön grün aussah, auch noch Bohnenkraut und Rauke mit.

Zu Hause schnitt ich gleich alles klein, ich wollte kein Rezept lesen, es würde schon irgendwie gehen, ich mischte die saure Sahne mit dem Salz und dem Pfeffer, dem Essig und dem Senf, aber schon als ein gewaltiger Spritzer Senf aus der blauen Tube auf meinen Wildlederschuhen landete, hätte ich innehalten und noch einmal in Ruhe nachdenken sollen. Leider war ich etwas in Eile, und das sollte doch noch fertigwerden, also, eine Prise Zucker, einfach direkt aus dem Glas -
(wir haben ja diese praktischen Gläser, es sind eigentlich Honiggläser, 2 kg, und wenn die leer sind, es sind zwar Pfandgläser, aber die kann man gut für Müsli und Mehl und, ja, Zucker verwenden) -

und, zack!, löste sich eine verharschte Zuckerscholle und es knallte ein halbes Pfund in die Schüssel zu den Kräutern und der sauren Sahne.
Ich habe so viel wie möglich oben abgelöffelt. Dann habe ich aufgehört; in eine Plastikschüssel damit, Deckel drauf, ab in den Kühlschrank! Und komm erst wieder, wenn du klar im Kopf bist!
Inzwischen habe ich nachgelesen: Es gehört kein Bohnenkraut rein. Auch keine Rauke. Aber Kerbel. Sauerampfer. Kresse. Estragon. Liebstöckel. Zitronenmelisse.
Inzwischen habe ich probiert: Es ist zu süß, und die Kräuter schmecken einfach nicht richtig. Trotzdem werde ich morgen vormittag versuchen zu retten, was zu retten ist, mit Essig und Senf und Salz herumprobieren, und die fünf hartgekochten Eier, die werde ich auch noch reinschnippeln - und dann esse ich das!

Oder wenigstens diese Champagnertrüffeln.
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Bei den Konzerten in Deutschland war ich immer im Inneraum gewesen, hatte mich möglichst weit in Richtung Bühne geschummelt und dann dicht gedrängt zwischen lauter enthusiastischen Menschen gestanden, die ihr Glück ebensowenig fassen konnten wie ich. Man hatte ja stundenlang gewartet, sich den roten Vorhang auf der Bühne angesehen, war dehydriert und halb gelähmt, es war voller und voller geworden, instrumentale Musik hatte aus den Lautsprecherboxen geklungen, jeder Bühnentechniker war bejubelt worden, es wurde endlich dunkel, der Vorhang öffnete sich, ein Film wurde gezeigt, an dessen Ende die Buchstaben N-O-W standen, und dann war es wirklich so weit, und auch nach dem fünften Mal konnte ich es einfach nicht fassen, wer dann auf die Bühne kam, und dass ich auch da war. Aber das habe ich wahrscheinlich schon mal erwähnt.
Ernüchtert hatte ich festgestellt, dass die vier Tickets, die ich zum Glück doch noch in den Händen halten konnte, numerierte Platzkarten waren. Schmerzlich malte ich mir die Vorstellung aus, irgendwo am Rand der Arena zu sitzen, während im Innenraum begeistert getobt würde - nun, ich wollte nicht undankbar sein und betrat die Halle, nicht ohne mich über die gesitteten Engländer zu wundern, die auch nach dem Betreten des Innenraums nicht losrannten, sondern in aller Ruhe weiterschlenderten.
Den Grund sollte ich bald erkennen: Auch im Inneraum gab es nur Sitzplätze. Und als ob das nicht irritierend genug wäre - so in etwa hatte ich mir einen Opernsaal vorgestellt - standen einige Menschen bei Konzertbeginn natürlich auf und gaben ihrer Freude Ausdruck, wurden aber sofort, "Sit down!", von ihren Sitznachbarn zurechtgewiesen und saßen deshalb bald mit eingezogenen Schultern ebenso still wie diese.
Ich beobachtete das Schauspiel fassungslos: Die Menschen saßen da wie im Kino, ein Lied wurde gespielt, man applaudierte höflich, das nächste Lied wurde gespielt, man applaudierte. Was für ein Stimmungskiller! Und was für ein Unterschied zu den Konzerten in Deutschland.
Die beiden Schwarzen draußen vor der Halle, die keine Tickets hatten (ich hatte für den Tag auch keins), diese begeisterten Beatles-Fans, mit denen ich über dieses und jenes und vor allem über die Lieder sprach, die leise aus der Halle drangen, erklärten mir, dass die Londoner nun mal so seien. "I mean, the Beatles were it", sagte der eine schulterzuckend, und da hatte er vermutlich recht.
Ging man nach dem Konzert mit den Menschenmassen zur U-Bahn, war es auf dem Weg dorthin ebenso still wie beim Warten in der Station oder im vollen Zug. "How did you like it", fragte in die Stille hinein ein Mann seine Frau. "I think it was excellent. It was brilliant", sprach sie kühl mit unbewegtem Gesicht, und ich hätte sie schütteln wollen.
Und sie haben doch ein Herz. Ich weiß es seit dem letzen Konzert. Auf dem Platz neben mir saß ein junges, braunhaariges Mädchen. Bis zum Schluss saß sie ganz still da, und als der Zugabenteil fast beendet war, stand sie auf, und in den Schlussapplaus hinein rief sie: "Paul! I love you! I love you!", immer wieder, und ich sah sie an und musste lächeln.
Ernüchtert hatte ich festgestellt, dass die vier Tickets, die ich zum Glück doch noch in den Händen halten konnte, numerierte Platzkarten waren. Schmerzlich malte ich mir die Vorstellung aus, irgendwo am Rand der Arena zu sitzen, während im Innenraum begeistert getobt würde - nun, ich wollte nicht undankbar sein und betrat die Halle, nicht ohne mich über die gesitteten Engländer zu wundern, die auch nach dem Betreten des Innenraums nicht losrannten, sondern in aller Ruhe weiterschlenderten.
Den Grund sollte ich bald erkennen: Auch im Inneraum gab es nur Sitzplätze. Und als ob das nicht irritierend genug wäre - so in etwa hatte ich mir einen Opernsaal vorgestellt - standen einige Menschen bei Konzertbeginn natürlich auf und gaben ihrer Freude Ausdruck, wurden aber sofort, "Sit down!", von ihren Sitznachbarn zurechtgewiesen und saßen deshalb bald mit eingezogenen Schultern ebenso still wie diese.
Ich beobachtete das Schauspiel fassungslos: Die Menschen saßen da wie im Kino, ein Lied wurde gespielt, man applaudierte höflich, das nächste Lied wurde gespielt, man applaudierte. Was für ein Stimmungskiller! Und was für ein Unterschied zu den Konzerten in Deutschland.
Die beiden Schwarzen draußen vor der Halle, die keine Tickets hatten (ich hatte für den Tag auch keins), diese begeisterten Beatles-Fans, mit denen ich über dieses und jenes und vor allem über die Lieder sprach, die leise aus der Halle drangen, erklärten mir, dass die Londoner nun mal so seien. "I mean, the Beatles were it", sagte der eine schulterzuckend, und da hatte er vermutlich recht.
Ging man nach dem Konzert mit den Menschenmassen zur U-Bahn, war es auf dem Weg dorthin ebenso still wie beim Warten in der Station oder im vollen Zug. "How did you like it", fragte in die Stille hinein ein Mann seine Frau. "I think it was excellent. It was brilliant", sprach sie kühl mit unbewegtem Gesicht, und ich hätte sie schütteln wollen.
Und sie haben doch ein Herz. Ich weiß es seit dem letzen Konzert. Auf dem Platz neben mir saß ein junges, braunhaariges Mädchen. Bis zum Schluss saß sie ganz still da, und als der Zugabenteil fast beendet war, stand sie auf, und in den Schlussapplaus hinein rief sie: "Paul! I love you! I love you!", immer wieder, und ich sah sie an und musste lächeln.
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