Jemand hat einen Karton kleiner Cola- und Limonadenflaschen stehen lassen, und mein erster Impuls ist: Lechz!
So sagten wir in den 80ern, und dorthin spülen mich in der Folge auch meine Gedanken. Wir hatten ja nüscht, und zu Hause gab es mit Glück namenlose Orangenlimonade, aber ganz sicher keine Original Coca Cola oder Fanta. In der Schule stand ein Automat, aus dem man für 80 Pfg gekühlte Dosengetränke ziehen konnte, und das war nicht so billig, wie es von heute aus klingt: Immerhin zweieinhalb Tage Kakaogeld musste man dafür aufsparen und noch das schlechte Gewissen in Kauf nehmen, weil man sich nicht – die Milch macht’s! – den gesunden Morgen Kick [TM] geholt, sondern Imperialistenbrause aus umweltschädlicher Aludose konsumiert hat. So eine kalte Dose Lift oder Sprite, fast auf den Gefrierpunkt gekühlt, Kondenswassertropfen auf der Oberfläche, aus dem Automaten zu ziehen – alleine die erinnerten Geräusche verursachen wohligsten Schauder, zunächst das mehrfach schluckende Geräusch des Münzeinwurfs, dann das kurze Surren nach dem Drücken des Auswahlknopfs, schließlich das laute RUMMS, mit dem die Dose in das Ausgabefach stürzte – rotköpfig verschwitzt nach einer Hochsommerpause Fußball auf dem Schulhof konnte es nichts Schöneres geben. Die Dose in der Hand neiderfüllte Blicke ertragen, sie wie (viel später) Michael Douglas in Falling Down an die erhitzte Stirn halten, schließlich die Lasche mit unnachahmlichem Zisch! abreißen (wir hatten ja nüscht, aber immerhin lose Laschen an den Dosen, die man ABREISSEN konnte, ja, abreißen!, nicht so passiv-aggressiv hineindrücken! Ich beneide die heutige Jugend keineswegs!), das kalte Zeug gegen den fast unmittelbar einsetzenden Schmerz und quasi ohne Schlucken im Strahl die Speiseröhre hinunterjagen, da gab es wenig Besseres, und natürlich hieß das Morgen Kick! Wer das nicht kennt, hat die 80er verpasst, so viel ist sicher: You learn English very quick / With a glass of Morgen Kick, das hatte ich sogar als Aufkleber. Der Barsch sitzt mit dem Aal im Schlick / Und schlürft an seinem Morgen Kick. Wohl gab es das! Oder erinnern Sie sich nicht mehr an den Internationalen-Milch-Tag [sic] am 31.5.1983? Milchland Niedersachsen? Komm rüber zur Milch? Ah, plötzlich klingelt’s - na sehen Sie!
Und schon denkt man an den Sommerabend auf dem krebsroten Kunststoffplatz an der Schule, zu zweit spielten wir auf dem Kleinfeld Fußball gegeneinander, und dauernd landete der Ball ganz hinten im Gebüsch. Sich durch das Gestrüpp zwängen, Beine und Arme völlig verschrammt, um die Pille wiederzuholen, steht außen am Gitterzaun plötzlich eine Palette mit 16 Dosen ORIGINAL COCA COLA FANTA SPRITE, notdürftig mit ein paar Zweigen getarnt. Unglaube. Schockstarre. Atem normalisieren, sich zurück durch das Gestrüpp kämpfen, betont unauffällig pfeifend auf den Freund zugehen und ihn dann mit hektischen Gesten hinter die Ecke der Sporthalle beordern. Das Unfassbare in Worte kleiden. Hitzige Debatten, emsiges Abwägen von Chancen und Risiken, dann betont unauffällig pfeifend zurück zum Platz schlendern und weiter Fußball spielen, nur nicht mehr ganz so konzentriert und von regelmäßigem, hektischem Umhergucken durchsetzt, bis endlich die Dämmerung hereinbricht. Und aber auch die Flutlichtlampen anspringen, welche alles heller ausleuchten denn je. Aber das Blut ist geleckt, die Entscheidung getroffen, die Kugel am Rollen, also mit Absicht den Ball noch mal zur Tarnung ins Gebüsch jagen und vor Aufregung zitternd zwei Sporttaschen mit je 8 Dosen ORIGINAL COCA COLA FANTA SPRITE beladen, diese an den Rand des Gebüschs schleppen, Fahrräder holen, die schweren Taschen auf die Gepäckträger packen und voll in die Pedale, ohne sich noch einmal umzusehen.
Zu Hause die Tasche unbemerkt ins Jugendzimmer schleusen, den Schrank öffnen, das unterste Fach ausleeren, die kostbaren Dosen ganz nach hinten schieben und alles wieder unauffällig davorstellen. Beim Abendessen an nichts anderes denken können, nachts von jugendlichen Gangs träumen, zwei Schulwochen lang auf dem Hin- und Rückweg unruhig hinter sich schauen. An einem Abend alleine zu Hause die Dosen hervorholen und auf dem neuen Esstisch einen Turm daraus bauen. Der bald zusammenstürzt und sichelförmige Vertiefungen in die Platte haut. Die Dosen wieder verstecken. Eines nachts aufwachen und hektisch mit dem Austrinken beginnen, weil man es nicht mehr aushält. Mit stumpfen Zähnen und Sodbrennen aufwachen. Den Müll heimlich an der Bushaltestelle entsorgen.
Those were the days, my friend. Hoffentlich wird es bald dunkel. Heute abend schnappe ich mir den Karton mit den Flaschen.
So sagten wir in den 80ern, und dorthin spülen mich in der Folge auch meine Gedanken. Wir hatten ja nüscht, und zu Hause gab es mit Glück namenlose Orangenlimonade, aber ganz sicher keine Original Coca Cola oder Fanta. In der Schule stand ein Automat, aus dem man für 80 Pfg gekühlte Dosengetränke ziehen konnte, und das war nicht so billig, wie es von heute aus klingt: Immerhin zweieinhalb Tage Kakaogeld musste man dafür aufsparen und noch das schlechte Gewissen in Kauf nehmen, weil man sich nicht – die Milch macht’s! – den gesunden Morgen Kick [TM] geholt, sondern Imperialistenbrause aus umweltschädlicher Aludose konsumiert hat. So eine kalte Dose Lift oder Sprite, fast auf den Gefrierpunkt gekühlt, Kondenswassertropfen auf der Oberfläche, aus dem Automaten zu ziehen – alleine die erinnerten Geräusche verursachen wohligsten Schauder, zunächst das mehrfach schluckende Geräusch des Münzeinwurfs, dann das kurze Surren nach dem Drücken des Auswahlknopfs, schließlich das laute RUMMS, mit dem die Dose in das Ausgabefach stürzte – rotköpfig verschwitzt nach einer Hochsommerpause Fußball auf dem Schulhof konnte es nichts Schöneres geben. Die Dose in der Hand neiderfüllte Blicke ertragen, sie wie (viel später) Michael Douglas in Falling Down an die erhitzte Stirn halten, schließlich die Lasche mit unnachahmlichem Zisch! abreißen (wir hatten ja nüscht, aber immerhin lose Laschen an den Dosen, die man ABREISSEN konnte, ja, abreißen!, nicht so passiv-aggressiv hineindrücken! Ich beneide die heutige Jugend keineswegs!), das kalte Zeug gegen den fast unmittelbar einsetzenden Schmerz und quasi ohne Schlucken im Strahl die Speiseröhre hinunterjagen, da gab es wenig Besseres, und natürlich hieß das Morgen Kick! Wer das nicht kennt, hat die 80er verpasst, so viel ist sicher: You learn English very quick / With a glass of Morgen Kick, das hatte ich sogar als Aufkleber. Der Barsch sitzt mit dem Aal im Schlick / Und schlürft an seinem Morgen Kick. Wohl gab es das! Oder erinnern Sie sich nicht mehr an den Internationalen-Milch-Tag [sic] am 31.5.1983? Milchland Niedersachsen? Komm rüber zur Milch? Ah, plötzlich klingelt’s - na sehen Sie!
Und schon denkt man an den Sommerabend auf dem krebsroten Kunststoffplatz an der Schule, zu zweit spielten wir auf dem Kleinfeld Fußball gegeneinander, und dauernd landete der Ball ganz hinten im Gebüsch. Sich durch das Gestrüpp zwängen, Beine und Arme völlig verschrammt, um die Pille wiederzuholen, steht außen am Gitterzaun plötzlich eine Palette mit 16 Dosen ORIGINAL COCA COLA FANTA SPRITE, notdürftig mit ein paar Zweigen getarnt. Unglaube. Schockstarre. Atem normalisieren, sich zurück durch das Gestrüpp kämpfen, betont unauffällig pfeifend auf den Freund zugehen und ihn dann mit hektischen Gesten hinter die Ecke der Sporthalle beordern. Das Unfassbare in Worte kleiden. Hitzige Debatten, emsiges Abwägen von Chancen und Risiken, dann betont unauffällig pfeifend zurück zum Platz schlendern und weiter Fußball spielen, nur nicht mehr ganz so konzentriert und von regelmäßigem, hektischem Umhergucken durchsetzt, bis endlich die Dämmerung hereinbricht. Und aber auch die Flutlichtlampen anspringen, welche alles heller ausleuchten denn je. Aber das Blut ist geleckt, die Entscheidung getroffen, die Kugel am Rollen, also mit Absicht den Ball noch mal zur Tarnung ins Gebüsch jagen und vor Aufregung zitternd zwei Sporttaschen mit je 8 Dosen ORIGINAL COCA COLA FANTA SPRITE beladen, diese an den Rand des Gebüschs schleppen, Fahrräder holen, die schweren Taschen auf die Gepäckträger packen und voll in die Pedale, ohne sich noch einmal umzusehen.
Zu Hause die Tasche unbemerkt ins Jugendzimmer schleusen, den Schrank öffnen, das unterste Fach ausleeren, die kostbaren Dosen ganz nach hinten schieben und alles wieder unauffällig davorstellen. Beim Abendessen an nichts anderes denken können, nachts von jugendlichen Gangs träumen, zwei Schulwochen lang auf dem Hin- und Rückweg unruhig hinter sich schauen. An einem Abend alleine zu Hause die Dosen hervorholen und auf dem neuen Esstisch einen Turm daraus bauen. Der bald zusammenstürzt und sichelförmige Vertiefungen in die Platte haut. Die Dosen wieder verstecken. Eines nachts aufwachen und hektisch mit dem Austrinken beginnen, weil man es nicht mehr aushält. Mit stumpfen Zähnen und Sodbrennen aufwachen. Den Müll heimlich an der Bushaltestelle entsorgen.
Those were the days, my friend. Hoffentlich wird es bald dunkel. Heute abend schnappe ich mir den Karton mit den Flaschen.
Link zu diesem Beitrag (0 Kommentare) | Kommentieren [?]
... hier geht's zu den --> älteren Einträgen *
* Ausgereift und gut abgehangen, blättern Sie zurück!
* Ausgereift und gut abgehangen, blättern Sie zurück!