Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Donnerstag, 20. November 2014
Es war nicht alles schlecht
nnier | 20. November 2014 | Topic In echt
Ich war in den 80ern irgendwann auch fasziniert von diesen Heimcomputern, erzählte was von Vokabelnlernen und bekam mit 15 oder 16 dann endlich, endlich einen Atari 800 XL. Ein Jahr später hatte ich mir auch eine Diskettenstation zusammengespart und das wilde Tauschen ging los: Mit diesem Außenseitergerät nicht ganz einfach (weil wenig verbreitet im Vergleich mit dem Commodore 64), aber über eine Kleinanzeige kam ich in Kontakt mit einem Jugendlichen in Süddeutschland. Wir tauschten dann jahrelang postalisch hin und her, viel Mist war dabei und ungezählte Stunden gingen dahin, die anders besser genutzt gewesen wären: Dennoch kam ich dadurch an ein ganz bestimmtes Spiel, das ich lange nicht gegen meinen Freund A. gewinnen konnte, der es meisterhaft beherrschte. Und noch Jahre später, als die coolen Jungs längst Drogen nahmen oder Mädchen abschleppten, fragte ich meine seltenen Besucher oft: Wollen wir mal eine Runde Mr. Do spielen?



Ich war nicht wirklich so ein Computerkind, brachte mir aber das Programmieren bei und schrieb tatsächlich auch ein Vokabelprogramm, mit dem ich bis zum Abitur gut zurandekam: Dieses ominöse "Üben" hatte ich bis dahin nicht für nötig befunden und war zur Schadenfreude meiner Lehrer beim Vokabeltest schon mal richtig reingerasselt. Jetzt gab ich neue Vokabeln umgehend in das Programm ein, lernte sie schon dadurch halb auswendig und bimste sie mir bei Bedarf noch so weit rein, dass die Aussicht auf irgendwelche Tests mich nicht weiter beunruhigen musste.

Das war aber auch nervig manchmal. Statt einfach zu sagen, lernt über die Sommerferien die und die Vokabeln, kam die Lehrerin mit x verschiedenen Lernmethoden an: Entweder 10 min jeden Tag auf diese Art oder in der ersten Ferienwoche soundsoviele Stunden auf jene, oder in den letzten zwei Wochen soundsoviel auf die noch andere Weise, und das notiert ihr genau.

Kam der Test nach den Ferien: Wenn ihr nach Methode A gelernt habt, dann macht ihr dieses Zeichen unten in das Kästchen, etc. etc.

"Und wenn man gar nicht geübt hat, was soll man dann da eintragen", fragte ich, und die Luft gefror zu Eis, ein unkontrollierbares Zittern nahm sie in Besitz, sie schnappte nach Luft, klappte den Mund auf und wieder zu, in der Ferne bellte ein Hund, dann stand sie vor mir und sprach mühsam beherrscht: Dann schreibst du Ich habe nicht geübt. Punkt, aus!



Das war die gleiche Lehrerin, die einmal parallel zum Boden quer durch die Luft an den Hals eines Mitschülers geflogen war, weil der ein Stück Papier hingeworfen und zu mir gesagt hatte: Heb auf, Neger. Ihm quollen dann halb die Augen raus, während sein Kopf hin-und hergeschleudert wurde und es minutenlang von oben brüllte, DU RASSIST! DU RASSIST!, das war immer ein wenig gefährlich mit der, und ganz besonders dann, wenn es sich um einen schwierigen Schüler handelte, mit dem man ganz viel Verständnis haben musste, wie sie uns regelmäßig predigte.

Und wie wir so im Stuhlkreis saßen und irgendwelche englischen Sprachspielchen spielten, begann der schwierige Schüler, mit einer Rolle Tesafilm Geräusche zu machen, er hatte ein paar cm abgerollt und zupfte mit den Fingern wie an einer Gitarrensaite, zimm-zimm, machte das, und sie erklärte ihm ganz geduldig, dass das Geräusch die anderen Kinder beim Lernen stört, zimm-zimm, und versuch dich mal in die anderen Schüler hineinzuversetzen, du, zimm-zimm, du, das stört die anderen, sonst kannst du gerne rausgehen, zimm-zimm, und ich sage es dir noch mal ganz deutlich, zimm-zimm, dieses Geräusch stört die anderen Kinder, bitte leg das zur Seite, zimm-zimm, zimm-zimm, zimm-zimm, sie stand plötzlich vor ihm, schrie seinen Namen, schüttelte ihn wild, und während sie wie von Sinnen auf ihn einschrie, JETZT SIEHST DU WAS ICH MIT DEINEM TESAFILM MACHE, er hatte sie gar nicht kommen sehen und sah vollkommen überrascht aus, hatte sie ihm längst die Klebefilmrolle entrissen und zog wie wild Meter für Meter herunter, einer grinste verstohlen, die anderen starrten mit großen Augen, sie riss an diesem Tesafilm und brüllte auf ihn ein und knüllte das Klebezeug in den Händen, bis sie ihm den Klumpen in die Haare drückte und seinen Kopf dabei ordentlich hin- und herwirbelte. Dann ging sie zurück an ihren Platz und wir machten weiter.



Ich habe nicht geübt Punkt aus, schrieb ich auf das Blatt und wartete mit Angstlust ab, aber das wollte ich ja alles gar nicht erzählen, Sie müssen entschuldigen, diese 8-Bit-Musik versetzt mich emotional sofort in die alten Zeiten zurück, und das Tolle ist, dass ich dieses Spiel neulich wiederentdeckt habe: Es macht immer noch unglaublichen Spaß, und am meisten freut mich, dass meine Kinder begeistert den Highscore jagen.

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