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Bauernregel:
Verliert im Augustn der Bauer die Hose
War gewiss schon im Juli das Gummiband lose
(MAD wie es tönt und stöhnt, 1981)
Neulich, auf dem Rückweg, hatte ich schon ein ganzes Weilchen im Zug gesessen. Die Grenze nach Deutschland war noch nicht lange überschritten, da formte sich im Unbewussten ganz langsam eine Erinnerung. Ich war ja innerlich noch weit weg, ich hing dem allen ja noch ein wenig nach.
Zwar hatte ich bereits eine Nacht in der Zivilisation verbracht und mich mehr schlecht als recht an die Gegenwart anderer Menschen gewöhnt. Etwas aber irritierte mich zusehends, und das war nur zum Teil die Geräuschkulisse. Je länger ich in diesem Zug saß, je näher ich der großen Stadt kam, desto aufdringlicher wurden die Erinerungsfetzen. Woran lag das bloß?
"Alles voller Titten!", erkannte ich plötzlich, hatte es hoffentlich nur halblaut ausgesprochen und kam mit den Gedanken kaum hinterher.
Ich war zuvor noch nicht oft in München gewesen. Einmal 1989, im Oktober, da hatte ich zwar keine Tickets, war aber jung und hoffnungsvoll. Das andere Mal war ebenfalls kalt und grau. Ein paar Jahre waren vergangen, die Hoffnung auch. Wir waren innerdeutsch per Flugzeug angereist, ein Schwachsinn, dann fuhren wir mit U-Bahn oder Taxi nach Neuperlach und zogen unsere albernen Rollkoffer hinter uns her, deren Rädchen auf dem vereisten und mit Split gestreuten Bürgersteig ständig blockierten. All das war völlig hoffnungslos, und wir betraten ein riesiges Zweckgebäude, bekamen Zugangskärtchen und fuhren hoch, schlossen unsere Laptops an und warteten, bis die Zeit verging.
Meist fuhren wir gar nicht in diese, sondern in eine andere Stadt, aber die geklonten Businessmenschen aus Neuperlach waren trotzdem immer dabei, und zwischen allem Kick-Off und Code Walk-Through und Hot Spot Compiler begann ich mich an der Vorstellung zu wärmen, dass die smarten Softwareentwickler und Projektmanager mit ihren Anzügen und Mobiltelefonen plötzlich zur Brotzeit riefen. In diesen deprimierenden Momenten mit Telkos und Travel Arrangements zog ich immer öfter die Phantasie heran, dass der dynamische Dr. Sowieso mit dem stahlgrauen Maßanzug und den gelaserten Koteletten einen Tirolerhut aufsetzt, mit den Händen vor den Knien hin- und herwischt oder im Besprechungsraum um eine kurze Pause zum Platteln bittet.
Zur Chiffre für diese bis zum Exzess ausgereizten Szenarien wurde ein ganz bestimmtes Melodiefragment, und zwar dieses:
Ta - ta - ta - taaaaaa, ta - ta, ta-ta-ta-ta-ta, ta-ta-ta-ta-ta-ta, ta-ta-ta-ta-ta-ta, taaaaaa ta - ta, ta-ta-ta-ta-ta, ta-ta-ta-ta-ta-ta ta,
das kennen Sie bestimmt auch.
Wenn die Zeit nicht vergehen wollte, oder im Taxi, oder im Aufzug, oder auf dem Weg ins Meeting, linderte es zuverlässig den Schmerz, die ersten Töne dieses wunderbaren Liedchens so leise wie möglich zu summen, so dass bloß der Leidensgenosse es hören sollte: Ta - ta - ta - taaaaa ...
Das reichte ja schon, denn der tröstende Film im Kopf lief sofort an, wenn sie einen ins distinguierte Whisky-Lokal führten, damit man nicht mal abends seine Ruhe hatte: Guten Abend, Herr Sowieso, darf ich Ihren Mantel nehmen, der Clubbereich ist selbstverständlich reserviert, zum Einstieg empfehle ich den 98er Ardbeg, und für Ihre Gäste mach ma zerst amoi a zünftige Musi, nehmen'S Ihre Tuba bittschön, oans, zwoa: Ta - ta - ta - taaa ...
"Was man nicht alles mit ansehen muss!", empörte ich mich in meinem Bahnsitz, als das nächste erschütternde Dekolleté an mir vorbeigetragen wurde und mich aus meinen Erinnerungen riss. Und immer stieß ich mir den Kopf! Die Dirndl-Dichte nahm zu, das ließ sich nicht leugnen und wirkte durchaus seltsam im ICE zwischen all den Laptops und Anzügen - und dazu drängte sich immer stärker dieses Ta - ta - ta - taaa in mein Bewusstsein, fast unwiderstehlich.
Ich musste mich regelrecht zur Ordnung rufen: Nein, das versteht die junge Frau mit dem zu engen Oberteil vermutlich nicht auf Anhieb, wenn du jetzt aufstehst und dieses Lied anstimmst. Sie kennt womöglich nicht einmal die MAD-Cassette! Außerdem ist der Gang zwischen den Sitzen viel zu eng, um die Knie gegeneinanderzuschlagen und mit den Händen darauf hin- und herzufahren. Und ihr Gefährte mit dem kurzen Hals, dieser Stämmige, mit den Kniestrümpfen und der Lederhose, der so ein rotes Gesicht hat, ob der ein kompatibles Humorverständnis aufweist, wenn du in Pseudobayerisch deine "Bauernregeln" aufsagst? All das ist im übrigen ein dummes Klischee, schau dich um, das sind ein paar Prozent!, wahrscheinlich Zufall!, die meisten hier sehen doch völlig normal aus.
Ich verdrängte also die albernen, kindischen und klischeehaften Gedanken, räusperte mich innerlich mehrmals kräftig und nahm mir vor, die zwei Stunden Umsteigezeit zu nutzen, um ein wenig die Stadt zu erkunden. Ich hatte sie ja kaum noch in Erinnerung, und was sollte ich im Bahnhof, und jetzt benimmst du dich gefälligst erwachsen und gehst ein paar Eindrücke sammeln, gerade um den Bahnhof herum kann man eine Stadt ja sehr gut kennenlernen.
Dann stieg ich aus.
Verliert im Augustn der Bauer die Hose
War gewiss schon im Juli das Gummiband lose
(MAD wie es tönt und stöhnt, 1981)
Neulich, auf dem Rückweg, hatte ich schon ein ganzes Weilchen im Zug gesessen. Die Grenze nach Deutschland war noch nicht lange überschritten, da formte sich im Unbewussten ganz langsam eine Erinnerung. Ich war ja innerlich noch weit weg, ich hing dem allen ja noch ein wenig nach.
Zwar hatte ich bereits eine Nacht in der Zivilisation verbracht und mich mehr schlecht als recht an die Gegenwart anderer Menschen gewöhnt. Etwas aber irritierte mich zusehends, und das war nur zum Teil die Geräuschkulisse. Je länger ich in diesem Zug saß, je näher ich der großen Stadt kam, desto aufdringlicher wurden die Erinerungsfetzen. Woran lag das bloß?
"Alles voller Titten!", erkannte ich plötzlich, hatte es hoffentlich nur halblaut ausgesprochen und kam mit den Gedanken kaum hinterher.
Ich war zuvor noch nicht oft in München gewesen. Einmal 1989, im Oktober, da hatte ich zwar keine Tickets, war aber jung und hoffnungsvoll. Das andere Mal war ebenfalls kalt und grau. Ein paar Jahre waren vergangen, die Hoffnung auch. Wir waren innerdeutsch per Flugzeug angereist, ein Schwachsinn, dann fuhren wir mit U-Bahn oder Taxi nach Neuperlach und zogen unsere albernen Rollkoffer hinter uns her, deren Rädchen auf dem vereisten und mit Split gestreuten Bürgersteig ständig blockierten. All das war völlig hoffnungslos, und wir betraten ein riesiges Zweckgebäude, bekamen Zugangskärtchen und fuhren hoch, schlossen unsere Laptops an und warteten, bis die Zeit verging.
Meist fuhren wir gar nicht in diese, sondern in eine andere Stadt, aber die geklonten Businessmenschen aus Neuperlach waren trotzdem immer dabei, und zwischen allem Kick-Off und Code Walk-Through und Hot Spot Compiler begann ich mich an der Vorstellung zu wärmen, dass die smarten Softwareentwickler und Projektmanager mit ihren Anzügen und Mobiltelefonen plötzlich zur Brotzeit riefen. In diesen deprimierenden Momenten mit Telkos und Travel Arrangements zog ich immer öfter die Phantasie heran, dass der dynamische Dr. Sowieso mit dem stahlgrauen Maßanzug und den gelaserten Koteletten einen Tirolerhut aufsetzt, mit den Händen vor den Knien hin- und herwischt oder im Besprechungsraum um eine kurze Pause zum Platteln bittet.
Zur Chiffre für diese bis zum Exzess ausgereizten Szenarien wurde ein ganz bestimmtes Melodiefragment, und zwar dieses:
Ta - ta - ta - taaaaaa, ta - ta, ta-ta-ta-ta-ta, ta-ta-ta-ta-ta-ta, ta-ta-ta-ta-ta-ta, taaaaaa ta - ta, ta-ta-ta-ta-ta, ta-ta-ta-ta-ta-ta ta,
das kennen Sie bestimmt auch.
Wenn die Zeit nicht vergehen wollte, oder im Taxi, oder im Aufzug, oder auf dem Weg ins Meeting, linderte es zuverlässig den Schmerz, die ersten Töne dieses wunderbaren Liedchens so leise wie möglich zu summen, so dass bloß der Leidensgenosse es hören sollte: Ta - ta - ta - taaaaa ...
Das reichte ja schon, denn der tröstende Film im Kopf lief sofort an, wenn sie einen ins distinguierte Whisky-Lokal führten, damit man nicht mal abends seine Ruhe hatte: Guten Abend, Herr Sowieso, darf ich Ihren Mantel nehmen, der Clubbereich ist selbstverständlich reserviert, zum Einstieg empfehle ich den 98er Ardbeg, und für Ihre Gäste mach ma zerst amoi a zünftige Musi, nehmen'S Ihre Tuba bittschön, oans, zwoa: Ta - ta - ta - taaa ...
"Was man nicht alles mit ansehen muss!", empörte ich mich in meinem Bahnsitz, als das nächste erschütternde Dekolleté an mir vorbeigetragen wurde und mich aus meinen Erinnerungen riss. Und immer stieß ich mir den Kopf! Die Dirndl-Dichte nahm zu, das ließ sich nicht leugnen und wirkte durchaus seltsam im ICE zwischen all den Laptops und Anzügen - und dazu drängte sich immer stärker dieses Ta - ta - ta - taaa in mein Bewusstsein, fast unwiderstehlich.
Ich musste mich regelrecht zur Ordnung rufen: Nein, das versteht die junge Frau mit dem zu engen Oberteil vermutlich nicht auf Anhieb, wenn du jetzt aufstehst und dieses Lied anstimmst. Sie kennt womöglich nicht einmal die MAD-Cassette! Außerdem ist der Gang zwischen den Sitzen viel zu eng, um die Knie gegeneinanderzuschlagen und mit den Händen darauf hin- und herzufahren. Und ihr Gefährte mit dem kurzen Hals, dieser Stämmige, mit den Kniestrümpfen und der Lederhose, der so ein rotes Gesicht hat, ob der ein kompatibles Humorverständnis aufweist, wenn du in Pseudobayerisch deine "Bauernregeln" aufsagst? All das ist im übrigen ein dummes Klischee, schau dich um, das sind ein paar Prozent!, wahrscheinlich Zufall!, die meisten hier sehen doch völlig normal aus.
Ich verdrängte also die albernen, kindischen und klischeehaften Gedanken, räusperte mich innerlich mehrmals kräftig und nahm mir vor, die zwei Stunden Umsteigezeit zu nutzen, um ein wenig die Stadt zu erkunden. Ich hatte sie ja kaum noch in Erinnerung, und was sollte ich im Bahnhof, und jetzt benimmst du dich gefälligst erwachsen und gehst ein paar Eindrücke sammeln, gerade um den Bahnhof herum kann man eine Stadt ja sehr gut kennenlernen.
Dann stieg ich aus.
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