Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Zivilisationsschicht
nnier | 06. Januar 2010 | Topic In echt
Gemeinsam mit vielen anderen Menschen auf engem Raum zwangsweise zusammengepfercht - das sind die Situationen, in denen man auf gewisse Errungenschaften der Zivilisation gerne zurückgreift. Kann ich Ihnen behilflich sein? Würden Sie mir bitte meinen Koffer herunterreichen? Entschuldigen Sie bitte, aber ich fürchte, diesen Platz habe ich reserviert. Setzen Sie sich gerne hierhin, mir macht es nichts aus, am Gang zu sitzen. Solche Dinge.

Man will ja gerade unter etwas erschwerten Bedingungen, wenn also Witterungsbedingungen ihren Tribut fordern und der eine oder die andere schon beim Warten auf verspätete Züge Nerven lassen musste, wenn Toiletten nicht funktionieren und andere Ärgernisse nicht ausbleiben, doch wenigstens nicht unnötigerweise für noch mehr Verdruss sorgen.

Denkt man, während alle ihre nassen Mäntel ausziehen, es dunstet, man stößt sich versehentlich gegenseitig an, Menschen müssen wieder aufstehen, andere irren verzweifelt durch den Zug und suchen einen freien Platz - als es auch schon losgeht, zwei dickliche Klischeejungmänner unterhalten sich und den ganzen Wagen dröhnend darüber, ob man mit einer Adaptercassette den MP3-Player sinnvoll ans Autoradio anschließen kann, die Unterhaltung streift diverse Autoausstattungsmerkmale, man berichtet von einer Sendung namens "Pimp My Drive" und all den extremen "Tuning"-Teilen, die darin offenbar vorgestellt werden, man kann "Spinner" auf seine Felgen setzen, die sich beim Abbremsen noch weiterdrehen, die Felgen mit LEDs und das Auto insgesamt von unten beleuchten, das sei in Deutschland leider nicht erlaubt, aber er kenne da jemanden, etc., weiter geht es mit dem Studi-VZ, der hübschesten Tunesierin, dem eigenen Zweitprofil, dem gelöschten Gästebuch, und wenn Sie jetzt schon langsam genervt sind, dann können Sie nicht annähernd erahnen, wie entsetzlich es ist, einer solchen Situation hilflos ausgeliefert zu sein.

Es mag sein, dass man ohne Ohrenstöpsel einfach nicht mehr mit der Bahn fahren sollte, es mag auch eine Schwäche von mir sein, dass ich es nicht fertigbringe, mich dennoch auf mein Buch zu konzentrieren - trotzdem erwarte ich von den Menschen, dass sie eine grobe Vorstellung von Lautstärke und angemessenem Benehmen haben.

Kaum sind die beiden Autofans ausgestiegen, nimmt den Platz mir schräg gegenüber ein nervöser, junger Mann ein, der die folgenden drei Stunden lang ununterbrochen mit den Beinen zappelt. Sein rechter Fuß steht auf der Spitze, die Ferse klopft mit hoher Frequenz auf den Boden, der linke übernimmt, das Knie fährt auf und ab, der eine Fuß tippt auf den anderen, es gibt keine einzige Pause, und abgelenkt wird man nur davon, dass er plötzlich mit sich selber zu sprechen beginnt, in einem seltsamen Gemisch aus deutscher und indisch klingender Sprache. Man will verzweifelt nach links unten schauen, man hält sich das Buch dicht vors Gesicht, er aber wippt und spricht in sein Headset von Bochum bis Bremen. Die Verzweiflung steigt. Was will man sagen? Andere telefonieren viel lauter, er aber tut es relativ leise und doch so beständig, dass man sich dem nicht entziehen kann. "Entschuldigung, aber würden Sie evtl. das Wippen mit Ihrem Bein einstellen, es macht mich nämlich wahnsinnig? Und würden Sie bitte auch aufhören, zu telefonieren, ich kann mein Buch nicht lesen?"

Unterdessen kann das Bewusstsein nicht anders als eines beständigen, zahnarztbohrerartigen Geräuschs gewahr werden, das sich ebenfalls seit etwa Bochum immer mehr in den Vordergrund drängt. Es ist ein grässliches Babygeschrei. Oh, denkt man, die arme Mutter, der ist das bestimmt furchtbar unangenehm, und man war ja auch mal in der Situation, und da ist es schon schwer genug, und man kann ein Kind nicht beruhigen, wenn einen andere Menschen böse anstarren. Aber nach etwa zwei Stunden starrt man böse hinter sich und sieht eine Frau, neben der ein Kleinkind in einer Sitzschale festgeschnallt auf dem Boden sitzt und brüllt. Die Frau tut nichts. Sie kommt nicht auf den Gedanken, das Kind einmal herauszunehmen, auf den Arm, mit ihm ein wenig herumzulaufen, sie bemerkt nur irgendwann doch die finsteren Blicke und beginnt nun, in wahnsinnigem Tempo die Schale hin- und herzuruckeln, das Kind brüllt immer schlimmer, und langsam schmilzt die Zivilisationsschicht ab.

Ich erinnere mich an eine weite Flugreise. Die Sitze dermaßen eng, dass man sich nicht bewegen konnte, schon die Anreise eine Strapaze, ich konnte kaum noch, und neben mir sahen sich betrunkene Menschen lustige Filmchen an, in denen Kinder von der Schaukel fielen oder Menschen beim Skifahren zerlegt wurden. Stundenlang wieherten diese Leute bei jedem Unglück lauter, ich war überreizt und entnervt, und die Vorstellung, diese Säue von ihren Sitzen zu prügeln, wurde immer unwiderstehlicher.

Ich erinnere mich an eine Fahrt mit Rainbow Tours nach London, es war ein alter Bus, unbequem und überfüllt mit lärmendem Publikum, ich war spätestens auf der Fähre mit den Nerven fertig, sie fraßen, soffen, rülpsten, meine Beine wurden dick, ich war eingezwängt, eine Toilette gab es nicht, die Luft war schlecht, die Musik unerträglich, und die Vorstellung, denen ihre verdammten Fressen mit diesem kleinen Alukoffer einzuschlagen, wurde immer unwiderstehlicher.

Die Hölle, das sind die anderen.

Als ich endlich den Zug verlassen konnte, lief ich zu Fuß durch eine wunderschöne Winterlandschaft. Meine Nerven vibrierten, ich sprach leise vor mich hin. Der Schnee fiel in zarten Flocken. Ein Mann trat auf mich zu: "Ich bin Baske, 'allo, können Sie mir 'elfen?"

"NEIN!", antwortete ich und zog mit dem Rollkoffer noch eine lange, lange Spur in die geschlossene, weiße Schneedecke.

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damenwahl, Mittwoch, 6. Januar 2010, 13:48
Hach ja, ich kann es Ihnen nachfühlen! Meine letzten Erfahrungen waren gar nicht schlimm, aber da war die Stimmung auch noch von Weihnachtfrieden überglitzert und alle so nett zueinander.
Am lächerlichsten finde ich die Typen, die die ganze Zeit wichtig auf ihren Laptop einhacken und dabei noch telefonieren. Denen würde ich gerne sagen: Jungs, wärt ihr wirklich wichtig, ihr säßet nicht hier in der Bahn und falls doch, würdet ihr sicher keine Geschäftsinterna in die Welt hinausschreien - aber das wäre verlorene Mühe, also lasse ich es und amüsiere mich still. Meistens.
Einmal habe ich es erlebt, wie in einem fast leeren IC zwei alte Damen sich über eine Sitzplatzreservierung stritten, immer lauter wurden, immer aufgeregter (obwohl das halbe Abteil leer war) - am Ende drohte der Schaffner, beide vor die Tür zu setzen, dann war endlich Ruhe.

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nnier, Mittwoch, 6. Januar 2010, 14:27
Die Idee, dass man entspannter ankäme als nach einer Autofahrt (womit ja gerne geworben wird), kann man jedenfalls getrost vergessen. Es war ein EC gestern, also keiner der inzwischen vor allem ihrer Insaßen wegen manchmal unerträglichen Nahverkehrszüge, aber anscheinend muss man 1. Klasse fahren, wenn man einigermaßen seine Ruhe haben will. Traurig - und nicht Schuld der Bahn; aber da stelle ich mich doch lieber in den Stau.

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mark793, Mittwoch, 6. Januar 2010, 15:34
Ich bin seit der Anschaffung des Darkmobils im Jahre 2000 noch genau einmal Zug gefahren, und zwar zu einem Interviewtermin nach München. Stellen Sie sich zu dem von Ihnen so plastisch geschilderten normalen Nerv noch eine Horde schlecht angezogener und rüder BGS-Zivilfahnder vor, die ganz normale Reisende (wie etwa meinen mitreisenden Kollegen, der immer korrekt wie ein Buchhalter unterwegs ist und derjenige war, der mich überredet hatte, dass wir den Zug nehmen) mit ihrer ans schikanöse grenzenden Personen- und Gepäckkontrolle zusätzlich auf 180 brachten. Auf dem Rückweg gerieten wir auf dem Fußweg von der Medienallee zur S-Bahnstation Unterföhring in einen Platzregen, der uns bis auf die Knochen durchnässte. Die Heimfahrt inmitten besoffener Bundspechte und Freitagabendpendler war kaum weniger nervig als die Hinfahrt. Da war ich mal wieder bedient für die nächsten Jahre.

Und für irgendwelche Ausflüge oder Ferienfahrten mit Frau, Kind und Hund hat sich die Bahn schon allein aufgrund der happigen Ticketpreise auch nicht wirklich empfohlen.

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nnier, Mittwoch, 6. Januar 2010, 17:44
Mit Familie kann man das tatsächlich kaum bezahlen, es sei denn, man ist ein Spezialist und sucht die Superdupersparpreise Wochen vorher raus und nimmt seine jüngeren Kinder gratis mit.

Als ich selbst noch eines war, brachte ich mal in einer schulinduzierten Umweltdiskussion die These auf, dass es bei Auto vs. Bus & Bahn nicht alleine um mehr oder weniger Abgase geht, sondern auch um ganz andere Dinge, wie z.B. dass man in ersterem eben seine Ruhe hat, die eigene Musik hören kann usw. Ich war dann pro Waldsterben. Aber ich sehe das wirklich als einen ganz wichtigen Grund dafür, warum viele sich mit dem Auto täglich durch den Stau quälen.

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vert, Mittwoch, 6. Januar 2010, 18:27
mmh. ich bin ja lange zeit sehr viel zug gefahren. ich fand das nie so schlimm - die absoluten terrormomente (s.o.) rechne ich genauso raus wie die vierhundert autobahnkilometer bei eisregen, die sind einfach nicht repräsentativ.
das verstörende an mobilfongesprächen ist wohl eher, dass man immer nur die hälfte eines gespräches mitbekommt - "normale" gespräche hingegen (also jetzt ohne "alta! phääättt!") gehen doch eigentlich unproblematisch. auf verhaltensdevianzen weise ich gerne auch mal hin und bitte um abhilfe. funktioniert eigentlich immer. (vorher blickkontakt zu nachbarn aufnehmen und abchecken, die kann man dann zur not noch ansprechen - und plötzlich ist man nicht mehr alleine gegen doof, sondern zu zehnt.)

aber stöpsel sind schon hilfreich - man lässt ja auch das autoradio laufen.

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nnier, Mittwoch, 6. Januar 2010, 19:46
Es ist noch nicht allzulange her, dass ich ohne Sorgen und Molesten Zug gefahren bin. Zehn Jahre vielleicht. Ich rede auch nicht von Heimfahrerhorden oder Fußballfans, das sind Naturereignisse. Aber die Atmosphäre insgesamt, so scheint es mir doch, ist ruppiger und unangenehmer geworden. Und ich bin manchmal einfach fassungslos, wie manche Menschen auftreten. Die Stimme senken, wenn's voll und eng ist? Nein, es wird in Telefon gepetert, unverschämt laut Musik gehört, und in manchen Nahverkehrszügen fehlt mir inzwischen jede Zuversicht, dass verbal noch etwas zu regeln wäre. Zu viel "Was guckst du", zu viel herausforderndes, provozierendes Gehabe.

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jean stubenzweig, Donnerstag, 7. Januar 2010, 02:53
Vor etwa zwölf Jahren habe ich das immerwährende Fahren langer Strecken mit dem Auto aufgegeben, da mir das Gedrängle und unflätige Verhalten auf den deutschen Autobahnen zunehmend auf die Nerven ging. Also stieg ich deutschweit um auf die Bahn. Und ich hatte es genießen gelernt. Allerdings hatte ich den Vorteil, mir die Reisezeiten in der Regel so legen zu können, daß ich nicht zu Zeiten des Berufsverkehrs starten mußte (in «Heimfahrerhorden oder Fußballfans» bin auch ich schon mal reingeraten, nun ja ...) Ein Vorteil war sicherlich auch, überwiegend München oder Hamburg als Startbahnhöfe zu haben und immer frühzeitig einsteigen zu können. Es war also durchaus angenehm. Und wenn's wirklich mal arg drängelig wurde, bin ich in die erste Klasse umgestiegen (die ich der Insassen wegen eigentlich nie mochte); das war damals problemlos möglich, heute muß man sich dafür offensichtlich ja eine Vorabgenehmigung beim Vorstandsvorsitzenden abholen, um der Gefahr zu entgehen, wegen Schwarzfahrens verhaftet zu werden.

Nun reise ich seit einiger Zeit nicht mehr so häufig. Zum Flughafen lasse ich mich mit dem Auto bringen. Und wenn ich beispielsweise nach Berlin muß, meist von den schleswig-holsteinischen Sümpfen aus, dann nehme ich die Strecke durchs Mecklen- bzw. Brandenburgische, selbstredend außerhalb der Hauptverkehrszeiten. Es dauert auch nur eine Viertelstunde länger als mit dem ICE via Hamburg, trotz dreimaligen Umsteigens; ohnehin ist müßig fahren ein wohlfeiles Unternehmen.

Aber nach dem, was ich hier bei Ihnen und anderen immer wieder lesen muß in letzter Zeit, würde es mich auch wieder aufs Auto zurückbringen, müßte ich des öfteren los. Das täte ich mir nicht an. Zum einen lese ich nahezu ausnahmslos von überfüllten Zügen – also trägt die Bahn dazu durchaus bei, und zwar erheblich –, und zum anderen scheint das rüde Verhalten sich vollends durchgesetzt zu haben. Seit einiger Zeit frage ich mich, woher diese in den letzten Jahren ständig wachsende Rücksichtslosigkeit kommt. Denn das scheint das Hauptproblem zu sein – nicht nur in der Bahn.

Immerwährende Wiederholung: Schön ist's, alt zu sein (womit das Nichtmehrmüssen gemeint ist).

Entschuldigung, kurz kann ich einfach nicht.

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nnier, Donnerstag, 7. Januar 2010, 11:05
Ja, sie ist das Hauptproblem, diese Rücksichtslosigkeit. Und die Gründe dafür sind nicht leicht auszumachen. Allerdings kommt man wohl kaum drumherum, Zusammenhänge mit dem, was man Entsolidarisierung nennt, zu nennen. Aber das Feld ist weit.

Erschrocken bin ich in England, von dem ich noch das romantische Bild der stoischen Londoner in ihrer traditionell überfüllten U-Bahn im Kopf hatte, oder auch des fatalistisch-demütigen Umgangs mit der von der Eisernen Lady bewusst kaputtgemachten Bahn. Hier sind inzwischen "Schockfotos" an den Stationen aufgehängt, zerschundene Bahnbedienstete sind darauf zu sehen, und damit wird an die Reisenden appelliert, doch bitte keine Schaffner zu hauen, denn die brauche man schließlich. Und jede Menge "Vandalism"-Warnungen, von den allgegenwärtigen CCTV-Anlagen mal zu schweigen. Da scheint es erheblich zu brodeln.

Zu "Entschuldigung": Bitte ändern Sie daran auch nichts.

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monnemer, Mittwoch, 6. Januar 2010, 19:34
Oh, Rainbow Tours.
Ich dachte nur "Ach du Scheisse!", als ich die mit Kabelbinder auf jeder Trittstufe befestigten Fußmattenzuschnitte mit der Aufschrift Hoxn abkratzn! und die beiden dazu passenden Busfahrer sah.
Der Bus füllte sich, auch ich stieg ein und bekam geboten, was ich verdiente.

Zum ersten Mal nach ca. 20 Jahren bin ich vor Kurzem mal wieder Bahn gefahren. Also mein Ding ist das nicht, das Bahnfahren.

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nnier, Mittwoch, 6. Januar 2010, 19:54
@Haxn: Jahrelang habe ich danach gesucht und es nicht wiedergefunden - zur hohen Zeit der Kornkreisbilder hat die Titanic mal eine tolle Fotostrecke gebracht. Man sah plumpe, kleine Plastikfigürchen in irgendwelchen "außerirdischen" Strukturen herumstehen, dazu sensationsheischende Texte, und einmal standen die Faller-Männchen auf einer groben Bast-Fußmatte. Der Begleittext schrieb sensationelle neue Entdeckungen herbei und stellte die Frage, was die Außerirdischen mit ihrer Botschaft ("Haxn abkratzn") wohl gemeint haben könnten.

@Rainbow: Erst später erfuhr ich, dass dieses Unternehmen in Kennerkreisen nur als "Rainbow Bumstours" bekannt war. Angeblich war das Angebot insbesondere für die alleinreisende Dame interessant. Habe ich mir sagen lassen.

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kelef, Donnerstag, 7. Januar 2010, 04:13
au ja, ich liebe bahnfahren auch. vom prinzip her. von der praxis her würde ich mir glatt wieder ein auto kaufen, wenn ich noch in der gegend herumdüsen müsste.

in der zwischenzeit rede ich allerdings schon gerne einmal mit, wenn man neben mir laut telephoniert. das kann sehr erheiternd sein, also für mich. sollten sie einmal probieren. vorzugsweise wenn es sich gerade um sehr privates oder sehr geschäftliches handelt.

erfolgreich bin ich auch wenn man mir nicht platz macht - ich stolpere ja ungern, aber wenn, dann ordentlich und gezielt. immer schön in die weichteile oder auf die fast echte louis v. - tasche mit dem ellenbogen. und was kann mir das leid tun, und was kann ich mich entschuldigen.

bei zu lauter ohrhorchmusik frage ich gerne einmal nach dem sänger oder der sängerin. oder danach, was das denn für eine musikrichtung sei. und dann lass ich mir das erklären. schön laut. bis sich alle anderen aufregen.

auch kindererziehungskurse können abteilübergreifend bildend und unterhaltsam sein, glauben sie mir. man kann kind auch duziduziduzi-en zur beruhigung, in hartnäckigen fällen auch ein liedlein singen (und kein geistig gesunder mensch hält mein singen länger als ca. 15 sekungen aus, es sei denn, er ist stocktaub).

und das reisserte krieg ich auch, wenn ich jemanden wippen oder zucken sehe. dann wippe und zucke ich zurück, und frage angelegentlich nach der erkrankung des wippenden oder zuckenden. weil, vielleicht kann man sich ja gegenseitig, ach so, der herr sind gesund, das tut mir aber leid, aber ich weiss ja wie unangenehm meine krankheitsbedingte zuckerei auf meine mitmenschen wirkt, da konnte ich doch nicht davon ausgehen dass das absicht, nein, das ist mir aber jetzt peinlich.

auf kurzen zugstrecken kann das ganz unterhaltsam sein. und vor allem: es dient dem aggressionsabbau. manchmal fühl ich mich nach so einer halben stunde u- oder s-bahn richtig neugeboren. ich weiss nur nicht, wieso niemand gerne mit mir fährt, es sei denn, ich gelobe auf der gesamten strecke zu schweigen.

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venice_wolf, Donnerstag, 7. Januar 2010, 11:03
Mei, was bin ich als Kind mit dem Zug gefahren... Toll war das, sicher, schnell, gut geheizt, gar nicht so teuer. Es war immer eine Freude beim Fenster sitzen, aber sonst war auch noch Platz. Der Satz: "..der fährt wie ein Zug" war positiv zu verstehen.
Leise durch die Ebene sausen, dann tiefverschneite Berge und Wälder (ja wirklich, es gab auch damals Schnee, 10-15 auch 30-40 cm), Brücken, Tunnels, vereiste Wasserfälle, in Tarvisio Centrale eine kurze Pause (10 Minuten) Passkontrolle und Lokwechsel, ein Dicker Schaffner mit Schnurrbart und roter Nase fragte freundlich nach den Karten, ein paar Finanzieri schauten nach, dass man nicht zufällig zuviel Schokolade in der Reisetasche hatte (ich fand es immer toll wie wir von der Zollwache überprüft wurden, als ob wir einen LKW Zigaretten geschmuggelt hätten...).
Ich wusste nie genau ob ich italienisch oder deutsch sprechen sollte, und entschied mich meistens für die am jeweiligen Ausweis ausgeschriebene Staatsbürgerschaft.

Dann, auf österreichischen Boden bemühte sich der Lokführer die kleine Verspätung (die in Italien strukturell ist) nachzuholen und es gelang meistens...

Oft setzten mich meine Eltern auch alleine in den Zug der mich nach Klagenfurt brachte - Oma u Opa waren schon am Gleis.

Heute reichen 5 cm Schnee um einen Schlechtwetterchaos zu verursachen, ganze Züge werden gestrichen, stundenlange Verspätungen an der Tagesordnung, Prügeleien zwischen Bahnbenutzer, piratenähnliche Angriffe auf drauffolgende Züge um irgendwie näher nach Hause zu kommen... Die Wagons sind dreckig und oft nicht geheizt, Toeletten unbeschreiblich. Ob ich denen jemals meinen Sohn anvertraue?

Der Schaffner traut sich nur selten in die zweite Klasse, was wegen dem wilden Overbooking auch nicht möglich wäre. Wozu auch die Schimpfe der Kunden auf sich nehmen, wo doch der von seinem Chef gesparte Wagon vielleicht notwendig gewesen wäre?
Bei einer Rückreise aus Mailand tat ich es.
Die überfüllung, das Gepäck überall im Gang, die schlechte Luft, erinnerten mich an Bahnfahrten in Hinterland von Mumbai. Nur die Hühner fehlten.
Also begab ich mich kurzerhand in die erste Klasse (alles gleich wie die zweite, nur ein hellblauer Kopfschutz, dreckig und fett da einmal im Monat gewechselt - sparen muss ma). Hier waren nur wenige Sitze belegt. Eine halbe Stunde später kam der Schaffner, aber ich sah Entsetzen in seinen Augen und Verlegenheit als ich nach dem Zugverantwortlichen fragte und drohte die Carabinieri anzurufen und den Zug aus Sicherheitsgründen zum stehen zu bringen.
Mit finsterer Miene, roten Ohren und ohne ein Wort zu sagen ging es weiter bis nach Mestre, die Anwesenden riskierten die ganze Strecke keinen Blick zu mir.

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jean stubenzweig, Donnerstag, 7. Januar 2010, 11:53
Nun haben Sie, lieber Venezianer, mir so richtig aus der Seele geschrieben, oben wie unten, und in der Mitte auch!

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nnier, Donnerstag, 7. Januar 2010, 18:48
Sie haben, Frau kelef, offenbar bald das Nirwana erreicht. So weit bin ich doch noch nicht; wenngleich mir die Vorstellung durchaus gefällt, aber ich muss da wohl erst mal in einer starken, mich tragenden Gemeinschaft anfangen. Idee fürs neue Jahr: Spaß im Nahverkehrszug. Mit zehn Freunden und zwei Wochenendtickets, lieber etwas zu seriös auftretend, einen Großraumwagen aufsuchen, Bücher aufschlagen - und bei auftretenden Störungen auf ein geheimes Zeichen hin laut zuschlagen. Die Bücher. Gemeinsames, lautes Dutzidutzi und Schlaflieder bilden den Anfang. Danach offene Gruppendiskussion über die Inhalte des geschäftlichen Handytelefonats ("Bei solchen Quartalszahlen würde ich mir ja in den Kopf schießen! In welcher Branche sind Sie tätig?"). Gemeinsames, durchchoreographiertes Beinzucken - einer gibt heimlich den Takt vor. Und das Lied aus dem Kopfhörer immer lauter im Chor mitsummen. Bevor ich noch länger über Bernhard Goetz nachdenke.

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nnier, Donnerstag, 7. Januar 2010, 19:13
venice_wolf, die Strecke stelle ich mir sehr schön vor. Überhaupt ist es ein alter und wohl nicht gerade origineller Traum von mir, mit viel Zeit die alten und kleinen Bahnstrecken zu befahren - und hoffentlich keine reine Illusion, dass es diese Strecken noch gibt und sie von annehmbaren Zügen befahren werden.

Als Kind bin ich auch mal alleine in den Zug gesetzt worden, alles war dreifach gesichert und umsteigen musste ich nicht, trotzdem weiß ich noch sehr genau, wie aufregend und geradezu unglaublich das Gefühl war, als der Zug langsam aus dem Bahnhof fuhr. Sorgen machte ich mir höchstens darum, auch ja am richtigen Bahnhof auszusteigen, und ob mir wohl jemand den Koffer da oben aus dem Gepäckfach heruntergeben würde. Auch ich habe große Zweifel, ob ich dasselbe mit meinen Kindern tun würde.

Ein ganz anderes Zug-Erlebnis der unangenehmen Art fällt mir bei deiner Beschreibung des überfüllten Zuges allerdings auch noch ein: Noch zu Ostblockzeiten war ich mit einer Gruppe junger Menschen in Polen unterwegs. Man brauchte damals eine offizielle Begleitperson aus dem Land. Diese junge Frau war sehr um uns bemüht, sie sorgte dafür, dass wir zurechtkamen - und setzte dabei offenbar auch manchmal ein wenig von dem, das sie von uns bekam, als Schmiergeld ein. Einmal fuhren wir in einer solchen, furchtbar überfüllten Bahn mit, es war geradezu körperlich einengend und trotzdem eiskalt, wir waren unglücklich und müde. An einem Bahnhof hielt der Zug, wir sollten aussteigen, obwohl das Ziel noch nicht erreicht war - zum Umsteigen, wie wir glaubten. Wir vertraten uns die Beine, kamen zurück und sollten wieder in den gleichen Zug einsteigen. Unsere Abteile waren jetzt leer - und warm. Wir freuten uns, stiegen ein, setzten uns - und sahen dann die noch schlimmere Enge im Rest des Zuges sowie die bitterbösen Blicke der anderen Reisenden. Sie musste wohl, so reimte ich es mir zusammen, die Schaffner irgendwie überzeugt haben, die Abteile für uns räumen zu lassen und die Heizung anzustellen. Eine beschämende Erinnerung.

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vert, Donnerstag, 7. Januar 2010, 23:28
frau kelef, sie und ich, wir könnten viel spaß im zug haben.

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kelef, Freitag, 8. Januar 2010, 02:50
@nnier & vert: das wäre vielleicht ein plan für 2010: ausgewählte blogger fahren mit dem zug ... könnte man auch ans fernseh verkaufen, die aufnahmen, dann. als verstärkung könnte ich frau hunt und herrn katz mitnehmen. die katz spricht ja nicht mit fremden.

und ja, das würde spass machen.

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venice_wolf, Freitag, 8. Januar 2010, 10:23
>>nnier: Schmiergeld! ja da hamma's! das bräuchte man vielleicht in den (heute) polenähnlichen italienischen Züge! Vielleicht würde schon ein Flasche Wodka reichen um vom gestressten und gedemütigten Schaffner einen trockenen, warmen Sitzplatz zu bekommen, im Heu abseits der Meute. Selber Zugfahren sollte er dann besser nicht.

Und noch einen Blick in die Zukunft: handeln Sie schnell wenn Sie noch in Italien romantische Strecken mit dem Zug bewältigen möchten. Obwohl Miliarden Euro in die Schnellzüge investiert werden (das sind die, die bei scharfen Kurven umfallen und mit 5 cm Schnee bis zu 10 Km/h zusammenbringen) werden immer mehr Linien gestrichen von Rom über Venedig nach Wien (Weltstädte??) sind von 4 Zügen einer übriggeblieben, der Rest wird ab Venedig mit Busse der Oesterreichischen (!!) Bahn u Post bewältigt. Wie in Polen in der Vorkriegszeit.
Da stellt man sich vor wie sich der Lenker im Winter mit den Schneeketten am Rastplatz abplagt, die Frauen trinken einen süssen Likör im Gasthaus und gehen hinten auf die Toelette, die Männer stehen mit Schnapsflasche um ein Feuer, einer spielt Ziehharmonika die anderen helfen dem fluchenden Lenker dann aber ... Damen u. Herren eingestiegen... tatüüü tatüü ... es geht weiter, schnell, bevor die Nacht einbricht, wir müssen noch über die Alpen...

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nnier, Freitag, 8. Januar 2010, 11:22
Es ist wie bei vielen dieser hochgezüchteten High-Tech-Produkte. Man sieht's beim Eurotunnel, da müssen die Passagiere halt mal einen Tag lang unter dem Meer verweilen, sicherlich ein angenehmes Gefühl, weil es im Winter plötzlich kalt ist. Autos müssen an einen Diagnosecomputer angeschlossen werden - keine Chance mehr auf Schrauberhilfe. Und dass der schicke ICE im neuen Berliner Protzbahnhof an einem Sommertag in den Augen einiger Entscheider gute Figur macht, hilft dann auch nicht denen, die im Winter dumm herumstehen. Vielleicht kann man ja trotzdem irgendwelchen Scheichs so ein Ding verkaufen; wenn dann nach zwei Jahren Wüstensand im Getriebe ist, hat der Staat ja sicher gebürgt.

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monnemer, Freitag, 8. Januar 2010, 11:54
Auch die Spanier sind nicht faul und unterkellern Barcelona. Madrid - Paris mit 300 Sachen!
Im TV ein Bohrer mit 11m Durchmesser und ein Bauleiter, der auf die Frage nach der Dauer des Gewühles antwortet:"Wir wissen ja nicht, was da unten ist."
Egal. Wenn sich die Sagrada neigt, ab auf den Tibidabo! Von da hat man den besten Blick.
Und die Ingenieure begrüßen sich mit einem mürrischen "Warp!", während sie den Zugpferden die Hafersäcke umhängen.

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nnier, Freitag, 8. Januar 2010, 12:00
Die können sonst auch in Köln nachfragen, wie man so etwas am besten macht.

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monnemer, Freitag, 8. Januar 2010, 12:14
Die Sonne war gerade über dem Trümmerfeld in Köln Severinstraße aufgegangen...
Genau dieses Bild liess mich an den Tibidabo denken. Blick von der Achterbahn aus.

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venice_wolf, Montag, 25. Januar 2010, 15:44
Mestre, Venedig 25/1/10

Heut morgen um 9.40 Frau u. Kind zum Zug, also BUS nach Klagenfurt gebracht. Gegenüber dem Bahnhof in Mestre ist die Haltestelle, da gibt es so eine Kneipe, wo es immer übel riecht und die auch selten von der high Society besucht wird.
Davor gibt es - zum Glück - eine Ueberdachung. So muss man nicht unter freiem Himmel bei klirrender Kälte auf den Intercity Bus warten. Das ist schon Luxus wenn man denkt. Tafeln, Hinweise, Durchsagen usw. gibt es nicht. Man muss halt wissen dass DA der Bus nach Klagenfurt stehenbleibt. Dieselbe Haltestelle dient auch dem Stadtverkehr und Nahverkehr, also aufgepasst! jeder Bus könnte der richtige sein (oder nicht).
Dann war er da: ein Postbus der Oesterreichieschen Bahn bleibt zwischen zwei Busse nach Venedig stehen, man muss hinlaufen, es steigt ein Chauffeur mit Schnurrbart aus und fragt mürrisch: "jo, wohindenn?" - "Klagenfurt - antwortete ich -Klagenfurt", während er die Taschen schon im Gepäckraum verstaute.
Der Bus ist leer, insgesamt ca 8 Personen auf ca 70 Plätze . Also auch ein super Service wenn man denkt, man hat einen ganzen Bus zur Verfügung.
Hinter den getönten Scheiben winkt Johannes kräftig und herzhaft, es ist seine erste grosse Busfahrt und er freut sich - der Bus verschwindet zögernd im Verkehrschaos und ich kann bei meinem Auto die Blinkanlage ausmachen (ganz falsch geparkt, da kein Parkplatz) und weiterfahren.
Von wegen ICE: es wird schon um ein neues Service geworben: Sparpaket - eine Pferdekutsche, die im Winter zum Schlitten wird. Toll was?

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nnier, Montag, 25. Januar 2010, 16:18
In manchem alten Film ist doch zu sehen, wie die Reifen entfernt werden und das Auto plötzlich zum Schienenfahrzeug wird. Aber auch neben den Gleisen wünsche ich den beiden eine gute Reise, die Bedingungen könnten ja wirklich schlechter sein.

In Afrika, dem fahrplanlosen Kontinent, so erzählen mir die weiter Gereisten, setzt man sich einfach an die Haltestelle und wartet ein paar Tage - irgendwann kommt der Bus schon. Über diese Einstellung sollte man mal meditieren.

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venice_wolf, Montag, 25. Januar 2010, 16:49
Danke, die zwei sind inzwischen schon angekommen - in Villach sind alle anderen ausgestiegen und man konnte also bis Klagenfurt im Bus Ballspielen.
Das mit dem ewigen warten kenne ich aus Kuba, da ärgert sich keiner, zumindest und nur auf die spontanen öffentlichen Verkehrsmittel für die Aermsten.
Sonst war das Busservice auf der Isla hervorragend, Klimabus, pünktlich, sauber, nett ... Ein Tip: kontrollieren dass das (Touristen) Gepäck mitkommt und nicht "vergessen" wird!!!
Den Zug dort habe ich nicht ausprobiert, soll langsam und romatisch sein, ist aber die älteste Bahnlinie in Mittelamerika! http://www.privatpensionen.de/bahn.htm

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