Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Homogeiler Brückenfeiler
nnier | 24. November 2009 | Topic In echt
Es ist natürlich nicht nett, wenn jemand, den man aus beliebigen Gründen gerade nicht so mag, gleich als "Kindermörder" bezeichnet wird, und dass die Kollegen des gemeinten Lehrers deshalb sehr über die per Edding irgendwo hingeschmierte Schmähung "Kindermörder Zampel"* erzürnt waren und entsprechend massiv auf ihre Schülerschaft einpredigten, wie unverhältnismäßig und feige so etwas sei, hat mich nicht gewundert und sah ich im Prinzip** auch so. Trotzdem war es für mich eine Sternstunde des Humors, als ich am nächsten Morgen etwas zu spät das Treppenhaus hinaufhastete und an der Wand eine fast identische Inschrift erblickte, "Kindermörder Za" stand dort, und vom kleinen "a" aus verlief die Spur des Eddings schräg und zittrig abwärts.

Ich hatte die Handschrift erkannt, und nachdem ich wieder atmen könnte, betrat ich mit mühsam beherrschter Mine den Klassenraum, setzte mich an meinen Platz, nahm Blickkontakt zu meinem Mitschüler auf und spielte pantomimisch jemanden nach, der beim Andiewandschreiben hinterrücks erstochen wird. Er nickte grinsend, und wir flogen raus.

Man muss sich vielleicht in eine Zeit zurückversetzen, in der vorübergehend und mancherorts tatsächlich existierte, woran sich heute noch die ganz Mutigen abarbeiten, nennen wir's ruhig mal Gutmenschentum, Political Correctness, das allzu regressive und am Ende auch selbstgefällige Suhlen im "Ich finde Frieden besser als Krieg", und es gab Zeiten, in denen das nerven konnte. Atomkraftwerke waren böse, vor allem, wenn sie nicht im sozialistischen Arbeiterparadies standen, und brauner Zucker war besser als weißer, und man darf nicht "man" sagen, es war schon manchmal schwer erträglich. Und so begab es sich, dass vor der Schule ein kümmerliches Bäumchen gepflanzt wurde, und das musste dann "Hiroshima-Baum" heißen und eine Tafel sollte davor mit einem möglichst tiefsinnigen Spruch, und an der Wand hing ein großes Plakat, auf dem die Schüler Vorschläge unterbreiten sollten, und es stand dort wirklich alles von "Atomkraft - nein danke!" über "Sonne statt Reagan" bis hin zu "Erst wenn der letzte Baum ... (Weissagung der Cree)", alles eine Soße, Atomkraft und Krieg und Waldsterben, und da musste etwas getan werden, so dass wir "Morgenstund hat Gold im Mund!" beisteuerten sowie "Krieg weg! Hat kein Zweck", und die eilig hingeworfene Zeichnung eines mit dicken Backen kauenden Männleins, in der Hand ein Bündel Geldscheine, illustrierte die letzte Zeile der "Weissagung der Cree", nämlich "... dass man Geld nicht essen kann". In der Sprechblase des Männleins stand: "Wieso - schmeckt doch!"

Isse Witze imma mitte Kontexte. Musse wisse Kontexte.

Wenn z.B. ein Schüler mit rohem und rotem Gesicht eine Lehrerin wüst als "Spaghettifotze" beschimpft, nur weil sie ihn an einem Wintertag auffordert, es beim Schneeballwerfen mit Rücksicht auf kleinere Kinder nicht gar so wild zu treiben, dann ist das nicht so richtig lustig, vor allem heute, da, und das meine ich ernst, Lehrerinnen und Lehrer manchmal begründete Angst vor dem nächsten durchdrehenden und in seinem "Stolz" verletzten Halbwüchsigen haben müssen. Ganz anders sieht es aus, wenn kurz darauf ein Lehrer in die Klasse kommt, über die Ge- und Verbote bezüglich des Schneeballwerfens aufklärt und mit unbewegtem Gesicht die Frage einflicht: "Wer war das eigentlich mit der Spaghettifotze?" - also, damals, ehrlich, da war das sehr, sehr witzig.

--
*Name geändert
**Ja, ja.

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vert, Dienstag, 24. November 2009, 13:50
oh ja, vielen dank auch. knaller.

ach, das schweinchen schlau aus den faz-kommentaren, den liebe ich auch sehr. ein weiteres opfer des "linken mainstream"; ein schlimmes schicksal, wirklich.
erst gestern noch hatte ich so jemanden vor der nase, der jahrelang davon gut gelebt hat und mittlerweile auf das selbst erlegte schwein eindrischt. was es alles so gibt.

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monnemer, Dienstag, 24. November 2009, 14:59
Ich glaub ich träume, ich seh nur Bäume.... Zurück zum Beton [Edit nnier: Link repariert] zu hören hat in diesen Zeiten richtig gutgetan.

Von der "braungelben Soße" konnt ich mich auch nur schwer erholen. So nicht!

Wolffsohn noch, vielleicht im double feature mit de Winter?

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vert, Dienstag, 24. November 2009, 15:27
und wenn ich ihnen jetzt erzähle, dass ich meine zwischenprüfung bei paul nolte abgelegt habe?

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monnemer, Dienstag, 24. November 2009, 15:33
Da gab´s bestimmt noch kein Unterschichtenfernsehen. Hätte noch schlimmer kommen können.

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vert, Dienstag, 24. November 2009, 15:41
aber im ernst...
erster schein bei karl-heinz bohrer - der war auch damals schon reaktionär.
sie sehen, mir graust vor nix, zur geistigen erbauung gehe ich auch die braungelben schlammpfade.

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nnier, Dienstag, 24. November 2009, 15:56
monnemer: Das kannte ich gar nicht, aber, ja, ein taugliches Gegenmittel zu Karl der Käfer wird es schon gewesen sein! Ich hab' damals auch manchmal erzählt, wie toll ich Asphalt finde.

vert: Den "Knaller" klicke ich nicht wieder an, davon hatte ich erst vor ein paar Monaten tagelang einen Ohrwurm, denn, man mag es nicht glauben, die Melodie brennt sich ein, Arrangement Wolf Maahn, Rumpf-BAP und Ina Deter habe ich mir gemerkt, aber ehrlich, keine Chance, ich klick nicht drauf!

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vert, Dienstag, 24. November 2009, 16:00
und beuys singt so zum gottserbarmen schlecht, dass man sich geradezu ermutigt fühlt, es besser zu tun als der alte anti-imp.
und jetzt alle:
Wir wollen: Sonne statt Reagan
ohne Rüstung leben !
Ob West, ob Ost
auf Raketen muß Rost !
;-)

nein, wolffsohn ist ...nicht elegant. schlammpfade, ja. aber sumpf?

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nnier, Dienstag, 24. November 2009, 16:48
Aber, Herr vert, das ist doch aber Kunst [TM]!

Ich klicke nicht, ich klicke nicht. But ze people from ze states don't wanna. Nie!

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monnemer, Dienstag, 24. November 2009, 17:08
Nee, lassen Sie´s bleiben. Ich hab nach Karl, der Käfer gekuckt. Kenn ich nicht. Oder äußerst erfolgreich verdrängt. Und zur Orientierung alle 215 Kommentare gelesen. Das Echo ist recht positiv, auch bei denen, die in der Schule damit konfrontiert wurden.
Im selben Jahr war auch Last Night A DJ Saved My Life ein Hit. Vielleicht hat der Karl ja doch Glück gehabt.

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nnier, Dienstag, 24. November 2009, 19:27
Hurk- da klingt der Gesang ja auch noch immer um einen Halbton daneben, das wusste ich gar nicht mehr. Ja, an den DJ kann ich mich gut erinnern, und wie fast alles aus den frühen 80ern weckt es angenehme Erinnerungen.

Ich schreibe übrigens bald mal einen Artikel über Immanuel Kant, oder, warten Sie: Tiefseeaquaristik, nur um zu sehen, bei welchen Musiktiteln wir innerhalb von 3 Kommentaren landen.

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mark793, Dienstag, 24. November 2009, 20:07
nennen wir's ruhig mal Gutmenschentum, Political Correctness, das allzu regressive und am Ende auch selbstgefällige Suhlen im "Ich finde Frieden besser als Krieg"

Oh ja, vor allem in Verbindung mit der in diesen Kreisen üblichen Auffassung, "wir" wären der Aggressor, nervte das ganze Getue ab einem bestimmten Punkt kolossal. Ich würde nicht so weit gehen, zu behaupten, dass ich aus reinem Trotz zu diesen "Friedenswinslern und Russenknechten", wie es es Klassenkamerad mal halbironisch formulierte, zur Bundeswehr gegangen bin (um ausgerechnet dann nach der Grundausbildung ein Atomraketenlager zu bewachen). Aber das Unverständnis meines politisch-korrekten und friedensbewegten Umfelds hat mich auch nicht davon abgehalten. Und ich bin nach wie vor überzeugt davon, damit nicht weniger zum Erhalt des Friedens beigetragen zu haben wie irgendwelche (zum geringen Teil sicher auch von Moskau ferngesteuerten) Ostermarschierer, die sich auf der anderen Seite des Doppelzauns die Beine in den Bauch standen.

Ich könnte, wenn ich schon mal dabei bin, auch noch viel darüber erzählen, wie die an unserer Schule manchmal ins quasi-religiöse überzogene Holocaust- und Nie-wieder-Faschismus-Gedenkkultur bei ein paar Leuten zu einem derartigen Overload führte, dass einige Kameraden grad aus Trotz und provokant anfingen, sich verbal Richtung rechts zu radikalisieren (Herr Monnemer wird wissen, welche Clique ich meine). Natürlich dämmerte es dem Lehrkörper spätestens als eine fremdenfeindliche Konkurrenz-Schülerzeitung zur SDAJ-gesteuerten auf dem Hof verteilt wurde, dass da Umtriebe im Gange waren. Und im Kollegium reifte dann wohl der Entschluss, dass man dem mit noch mehr Info und noch mehr Projekttagen und noch mehr Antifa-Symbolpolitik-Gedöns entgegentreten müsse. Ich weiß nicht, wie das dann nach meinem Abi 83 weiterging, und ich will es ehrlich gesagt auch gar nicht wissen. Ich bin aber der Meinung, das vermeintliche Rechtsproblem an der Schule war zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auch hausgemacht oder reflexhaft übertrieben vor lauter "wehret den Anfängen". Aber wenn ich ehrlich sein soll, eine zündende Idee, wie mans hätte beser machen können, habe ich auch nicht.

Und damit genug von Opa Marks Kriegserzählungen;-)

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monnemer, Mittwoch, 25. November 2009, 09:04
Sie brauchen nur "Friedenswinsler" zu sagen - und der ganze Film läuft ab.
Man sollte vielleicht noch erwähnen, dass das eine der beiden neugegründeten Gesamtschulen war und speziell die Aufarbeitung dieses Themas sollte da besser und gründlicher erfolgen als bisher üblich.
Hat jedenfalls mein Vater berichtet (nach meiner Schulzeit!), der dort ziemlich engagiert war.
Ein Overload war´s auf jeden Fall. Wir wissen jedenfalls, was es bedeutet ein Thema erschöpfend zu behandeln.

Von meinen Kindern, die beide auf die andere Gesamtschule gehen/gingen, weiss ich , dass das Fach Geschichte mittlerweile eher stiefmütterlich behandelt wird.
Von politischer Polarisation bis die Fetzen fliegen keine Spur. Als ob es keine Gründe dafür gäbe.

Der potentielle "Arbeitsplatz" hat der ganzen Veranstaltung seinen Stempel aufgedrückt. Das ist so ermüdend - da fällt mir nicht mal ein Musiktitel dazu ein.

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nnier, Mittwoch, 25. November 2009, 10:38
Stell dir vor, es gibt Arbeit
Und keiner geht hin

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mark793, Mittwoch, 25. November 2009, 11:15
@monnemer: Ja, die Benennung der Schule nach den Lichtgestalten der weißen Rose ging natürlich auch mit entsprechendem programmatischem Anspruch einher, den ich zunächst auch als sehr fortschrittlich empfand - zumal ich ja meine ersten vier Gymnasialjahre in einer eher traditionell orientierten höheren Lehranstalt zugebracht hatte, in der noch etliche Lehrer selbst WWII-Veteranen waren. Entsprechend beschränkte sich deren Blick zurück auf diese Zeit mehr aufs Anekdotische, und ich weiß nicht, ob der Themenkomplex im Geschichtsunterricht der Mittel- und Oberstufe dann noch systematischer vertieft wurde.

Überhaupt würde ich behaupten, dass der hohe Politisierungsgrad an unserer Schule mitsamt den teils extremen Flügelkämpfen damals auch im städtischen Vergleich eher ein Sonderfall war. Ich stand ja auch nach der 8. Klasse noch mit Leuten aus dem L*ss*ng in Kontakt und kannte zum Teil auch Altersgenossen vom Tulla, KFG und Lieselotte. Dort gab es zwar auch unteschiedliche Cliquen und Fraktionen, aber nach meinem unemprischen Eindruck ist an keiner anderen höheren Schule die Systemfrage so unüberhörbar laut gestellt worden sein wie bei uns. (Wobei ich gestehen muss, dass ich zur anderen Gesamtschule damals wie heute nicht viel sagen kann.)

Von meinen Neffen und Nichten habe ich aber auch mitgekriegt, dass Gemeinschaftskunde und Geschichte immer mehr zu Orchideenfächern geworden sind. Vielleicht ist Buchführung in der Mittelstufe und BWL-Leistungskurs ja schon Wahlpflichtfach, wenn meine Lütte die Grundschule hinter sich hat.

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monnemer, Mittwoch, 25. November 2009, 11:39
Stimmt, meine Frau war auf dem Lilo, da war gar nix los. Zu allem Überfluss hatte sie noch einen der Söhne Oggersheims in der Klasse, was der Action auch nicht gerade förderlich war.

@nnier, Zweitverwertung, gute Idee!
Petting statt working!

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