Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Tu es nicht
nnier | 19. September 2009 | Topic In echt
Es gibt in meiner Nähe einen Wochenmarkt, der über die Stadtgrenzen hinaus bekannt und wirklich nicht schlecht ist. Eines aber habe ich all die Jahre vermisst: Die Grüne Soße.



Wer in Norddeutschland aufgewachsen ist, kann sich darunter vielleicht nichts vorstellen. Die Rede ist von der bekannten Frankfurter Grie Soß, einem sehr reichhaltigen Kaltgericht, das im wesentlichen aus saurer Sahne sowie mindestens sieben feingehackten, frischen Kräutersorten besteht, angedickt mit zerhacktem, hartgekochtem Ei und besonders gut mit Pellkartoffeln zu genießen.

Man kann weiter südlich, z.B. schon in Göttingen, auf dem Markt "Grüne Soße" verlangen, bekommt dann die sieben Kräuter fertig gebündelt in einer Papiertüte und kann sich zu Hause direkt ans Schnippeln machen. Versucht man dergleichen in Bremen, wird man blöd angeglotzt: "Soße verkaufen wir nicht, hier ist ein Gemüsestand."

So darbte ich ein gutes Jahrzehnt vor mich hin, bis letzte Woche an einem Stand gänzlich unverhofft ein handgeschriebenes Schildchen "Grüne Sauce" anpries, und tatsächlich stand in einer unscheinbaren Plastikschüssel ein dickes Bündel diverser Kräuter, die ich natürlich sofort kaufte, verarbeitete und nach Rezept würzte, zudem fragte ich telefonisch nach Tipps und Tricks (etwas Senf! Nicht nur Essig!), pellte die hartgekochten Eier, ließ sie erkalten, hackte sie klein, rührte sie unter die schon perfekt durchgezogene Soße, die Pellkartoffeln waren auf den Punkt gar, und zwei Tage lang aß nicht nur ich dümm- und glücklich grinsend von der frischen, duftenden, sämigen Masse.

Ich gehe nicht gerne auf dem Markt einkaufen, mir ist da zuviel Geschiebe, ich überlasse es gerne anderen Menschen, die guten Sachen dort zu erstehen, doch heute musste es sein. Obwohl ich schon zum Frühstück Aspirin verspeist und genug Todos auf dem Tagesplan hatte, radelte ich zum Markt, nur um an dem Stand zu erfahren, dass man "die Kräuter" nicht mehr habe.

So fixiert, wie ich auf die Wiederholung des Genusses war, weinte ich nur kurz und fragte dann, ob man denn wisse, welche Kräuter hineingehörten. "Sicher! Basilikum, Thymian, und, äh, Oregano, und, äh."

Auch wenn ich mir selbst nicht ganz sicher war: das klang falsch. Hätte ich nur meinerseits besser aufgepasst, als die sieben Kräuter letzte Woche vor mir lagen! Aber da war ich so glücklich, dass ich einfach alles kleingeschnitten habe. Und ein echter Pflanzenkenner bin ich nun mal nicht. So orderte ich zunächst die Bestandteile, bei denen ich mir sicher war (Petersilie, Schnittlauch, Dill) und nahm, weil's so schön grün aussah, auch noch Bohnenkraut und Rauke mit.



Zu Hause schnitt ich gleich alles klein, ich wollte kein Rezept lesen, es würde schon irgendwie gehen, ich mischte die saure Sahne mit dem Salz und dem Pfeffer, dem Essig und dem Senf, aber schon als ein gewaltiger Spritzer Senf aus der blauen Tube auf meinen Wildlederschuhen landete, hätte ich innehalten und noch einmal in Ruhe nachdenken sollen. Leider war ich etwas in Eile, und das sollte doch noch fertigwerden, also, eine Prise Zucker, einfach direkt aus dem Glas -

(wir haben ja diese praktischen Gläser, es sind eigentlich Honiggläser, 2 kg, und wenn die leer sind, es sind zwar Pfandgläser, aber die kann man gut für Müsli und Mehl und, ja, Zucker verwenden) -



und, zack!, löste sich eine verharschte Zuckerscholle und es knallte ein halbes Pfund in die Schüssel zu den Kräutern und der sauren Sahne.

Ich habe so viel wie möglich oben abgelöffelt. Dann habe ich aufgehört; in eine Plastikschüssel damit, Deckel drauf, ab in den Kühlschrank! Und komm erst wieder, wenn du klar im Kopf bist!

Inzwischen habe ich nachgelesen: Es gehört kein Bohnenkraut rein. Auch keine Rauke. Aber Kerbel. Sauerampfer. Kresse. Estragon. Liebstöckel. Zitronenmelisse.

Inzwischen habe ich probiert: Es ist zu süß, und die Kräuter schmecken einfach nicht richtig. Trotzdem werde ich morgen vormittag versuchen zu retten, was zu retten ist, mit Essig und Senf und Salz herumprobieren, und die fünf hartgekochten Eier, die werde ich auch noch reinschnippeln - und dann esse ich das!



Oder wenigstens diese Champagnertrüffeln.

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jean stubenzweig, Sonntag, 20. September 2009, 09:09
Gelbworschd gehört auch nicht rein.

In Frankfurt gibt (gab?) es eine Metzgerei, in der sie von Oma wie zu Omas Zeiten hergestellt wird.

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nnier, Sonntag, 20. September 2009, 16:47
Die Rede ist jetzt von der Gelbwurst, richtig? Für die habe ich zum Glück eine Bezugsquelle, nämlich die Metzgerei im Wohnort meiner eigenen Oma. Ich müsste halt nur öfter hinkommen. Oder nachfragen, ob man mir per Abonnement wöchentlich eine zuschickt.

Bei Wikipedia findet man übrigens eine Abbildung der in Papier abgepackten Grie Soß, so wie ich sie kenne.

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frau braggelmann, Sonntag, 20. September 2009, 23:14
grie soß läuft bei uns unter "getränke"...

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nnier, Sonntag, 20. September 2009, 23:22
Getränke!? Wie darf ich das verstehen?

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pancreases, Montag, 21. September 2009, 21:25
Gelbworschd ist das, was die kleinen Kinder hier beim Metzger geschenkt bekommen. Das ist das mit Gehirn drin.

Also die Gelbworschd.

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frau braggelmann, Dienstag, 22. September 2009, 00:23
lecker und im liter

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nnier, Dienstag, 22. September 2009, 10:06
Frau pancreases, was ich in Kindertagen da so verputzt habe, weiß ich nicht, aber Wikipedia behauptet:
Heutige Gelbwurst enthält kein Hirn mehr.
(Meinen Sie, es hilft, wenn ich Ringelsöckchen anziehe? Geben die mir dann auch so ein Scheibchen?)

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vert, Dienstag, 22. September 2009, 12:58
nix gegen die bregenwurst!

(fragen sie doch mal herrn kid...)

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nnier, Montag, 21. September 2009, 12:49
Ach, und aufgrund der vielen* Nachfragen: Das Zeug konnte ich retten, es schmeckt richtig gut, und ich esse nichts anderes mehr, sogar morgens aufs Brot. Mjam.

--
*Viele = Keine

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vert, Montag, 21. September 2009, 19:48
aber im job kommt das bestimmt gut, wenn man stulli, das pausenbrot „schön mit Margarine beschmiert und dick mit Fleischsalat belegt“ grüner soße bestrichen, rausholt und herzhaft seine zähne hinein schlägt!
da laufen doch die kollegen zusammen und staunen!

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nnier, Montag, 21. September 2009, 21:28
Die kann man ja sonst auch gut mit dem Duft des Leberwurstbrots oder des gut gereiften Käses beeindrucken, wenn man so einer ist wie ich, der es plötzlich nicht mehr aushält und nicht bis zur Pause warten kann. Aber die Idee ist nicht schlecht. Heute früh habe ich noch zu Hause vier Butterbrote esslöffelweise mit dem Zeug beträufelt und (aus Erfahrung schon klug) nach dem Verzehr noch mal kurz in den Spiegel gesehen. Ähem. Von dem dunkelgrünen Zeug zwischen meinen Zähnen hätte ich mich vermutlich bis zum Abendessen ernähren können.

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venice_wolf, Montag, 21. September 2009, 18:15
Also, ich komme gerade vom Mittagessen zurück, aber kosten möchte ich es schon... und wenn das Rezept nicht 100% stimmt, dann lobt man halt die Mühe die man sich dafüer gemacht hat.
Nach dem zweiten Wochenende hintereinenander mit Vernissage in Klagenfurt (das Event mit 4 Personen, 40 Liter Farbe, bei einem Bierverbrauch von ca 35 Liter) braucht man schon eine kompetente Stärkung.

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nnier, Montag, 21. September 2009, 21:22
Im Gegensatz zu manchen, die sich mit Kräutern so gut auskennen, dass sie in Almhütten den wohlschmeckendsten Kräuterschnaps servieren können, mit dem man auch gerne Espressotassen säuberlich ausspült ("corretto"? Oder wie hieß das?), bin ich da ja eher nach der Farbe gegangen: Sieht grün aus, also rein damit! Aber ich muss mir selber auf die Schulter klopfen (AUA! AUA! Herrje! Das erkläre ich gleich!), das Zeug würde dich vermutlich auch satt machen, ohne den Gaumen zu beleidigen, und das ganze Streichquartett gleich dazu.

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venice_wolf, Donnerstag, 24. September 2009, 11:39
Diese gastronomischen Beiträge sind immer sehr sehr interessant...

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nnier, Donnerstag, 24. September 2009, 12:11
Danke! Ich bin übrigens immer noch am Essen. Das Zeug schmeckt auch nach Tagen noch sehr gut. Und im Kühlschrank hält es sich. ("Salsa verde" habe' ich im Kopf, ist das nur eine Namensgleichheit, oder ähnelt sich das vom Rezept her tatsächlich?)

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venice_wolf, Donnerstag, 24. September 2009, 13:02
Rezept des Tages:
Salsa verde gibt's da auch, aber anders.
Zum dazuessen bei Fleisch, Braten, Fisch, man kann auch gut Spaghetti damit abmachen

aber das heisst dann Pesto und ist noch besser, basiert auf Basilikum.
Aber mit der Ruhe, hier erstmals salsa verde ... http://www.cucinaitaliana.info/ricettepag/basi/salsa_verde/salsa%20verde.htm

und das ist Pesto, aus Genua stammend
http://ricette.giallozafferano.it/Pesto-alla-Genovese.html

Mahlzeit!

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nnier, Donnerstag, 24. September 2009, 17:25
So ein richtig gutes Pesto, jawoll, dafür unterbreche ich glatt mal die Grie-Soß-Exzesse. Hmm! Nudeln können ja sogar mit nur Olivenöl und etwas grob zerstoßenem Pfeffer unglaublich gut schmecken.

Salsa Verde - die gibt's wahrscheinlich je nach Region aus den unterschiedlichsten Kräutern. Und dann je nachdem mit Öl oder eben mit Sahne angedickt. Die Bilder jedenfalls maachen schon wieder Appetit!

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venice_wolf, Freitag, 25. September 2009, 11:36
Zu meinen Lieblingsrezepten seit der Kindheit zählen:
Spaghetti
- mit Thunfisch (banal und kindereinfach, aus der Dose, zerkleinern und durchmischen u Olivenöl und vielleich ein paar zerhackte Kräuterlein dazu ) das Rezept dass jedermann beherrscht und als Top 0-8-15 gilt. Ich freue mich immer wenn ein Restaurant diesen oft verhöhnten Teller anbietet. Soo gut..
- mit Olivenöl und Parmesan (Raspel Raspel)
- mit Butter und Trüffel (wenn man schono am raspeln ist, nicht sparen!!!)
- Mit Muscheln u Tomatensosse die man noch ausleeren und abschlecken darf (weisses Hemd dabei nicht empfohlen, da die Muscheln sich immer rächen).

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