Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Mittwoch, 25. August 2010
Meter Maid
nnier | 25. August 2010 | Topic In echt
Standing by a parking meter
When I caught a glimpse of Rita
Filling in a ticket in her little white book

(The Beatles: Lovely Rita)
Als Kind steckte ich manchmal einen Taschengeldgroschen in eine Parkuhr, einfach so, denn ich mochte das tickernde Geräusch, mit dem das kleine Halteverbotszeichen verschwand und der Zeiger vorrückte; außerdem konnte ich mit wenig Aufwand Gutes tun, denn schließlich verschenkte ich auf diese Weise bis zu zwei Stunden Parkzeit an Unbekannt. Ähnlich wie beim Betätigen des Nicknegers im Advent also verband sich ein altruistisches Motiv aufs Vergnüglichste mit kindlicher Freude an einfachen, mechanischen Abläufen - die ich übrigens heute noch empfinden kann, weshalb ich Spendensammlern dringend empfehle, noch wesentlich mehr dieser physikalisch ganz hervorragend ausgetüftelten Sammelstellen einzurichten, in die man eine Münze so werfen kann, dass sie, hui!, hui!, minutenlang herumrollt, auf und nieder, Schwer- und Fliehkraft kämpfen fast gleichberechtigt miteinander, bis die Münze zum Schluss im immer enger werdenden Trichter fast waagerecht kreist und, paff, schließlich doch auf den riesigen Münzhaufen fällt, der sich schon darunter angesammelt hat, während man schon längst die nächsten Münzen einwirft, diesmal gleich ein paar nacheinander, weil man doch ausprobieren will, ob und wie die sich begegnen, und die leichten, kleinen Münzen verhalten sich vermutlich ganz anders als die schweren, dann kommt halt doch das Eurostück dazu, gib her, es ist ja für einen guten Zweck.

Nicht nur die steigenden Preise verdarben mir später das Parkuhrvergnügen. Es war nämlich so, dass die mechanischen durch digitale Innenleben ersetzt wurden - kein Geticker erklang mehr, wenn man das Markstück versenkte, lediglich die dumme LCD-Anzeige änderte sich. Außerdem wurde nun beim Nachwerfen von Geld eine eventuell vorhandene Restzeit getilgt, was mich maßlos ärgerte, hatte man doch zuvor immer das Gefühl, dem Nachfolger etwas schenken zu können, wenn man eine Stunde gezahlt und nur eine halbe verbraucht hatte. Am liebsten wäre ich sitzen geblieben und hätte meine Parkzeit voll ausgeschöpft.

Dass die Zeiten härter geworden waren, merkte ich auch an folgender Begebenheit: Ich parkte am Bahnhof, warf Geld in die Parkuhr, diese nahm die Münze aber nicht an. Gewissenhaft versuchte ich es mehrfach, dann schrieb ich, um Unheil zu verhindern, einen Zettel, auf dem ich kundtat, dass die Parkuhr nicht funktioniere. Diesen legte ich gut lesbar hinter die Windschutzscheibe und ging in die Stadt. Bei meiner Rückkehr klemmte ein Strafzettel unterm Scheibenwischer, der meine Ordnungswidrigkeit wie folgt handschriftlich formulierte: "Halten an defekter PU."

Wie schön muss es da ein paar Jahre zuvor gewesen sein, als sich, wie mir berichtet wurde, folgendes zutrug:

Ein taxifahrender Student fuhr mit seinem elfenbeinfarbenen Mercedes durch ein Dorf, in dem einige seiner Kommilitonen, die es beim Studieren und auch insgesamt eher gemütlich angehen ließen, lebten. Diese "Haschbrüder", so der ehemalige Taxifahrer bei seiner Erzählung, saßen schon vormittags in der Mitte des Dorfes zu dritt auf einem breiten, samtenen Sperrmülllsofa, ließen sich die Sonne ins Gesicht scheinen und tranken Rotwein. Freundlich grüßten sie ihren Bekannten, der kurz anhielt und mit ihnen plauderte, als der Dorfpolizist ankam, welcher zwar sein Missfallen nur schwer verbergen konnte, aber ebenso freundlich gegrüßt wurde und mangels Delikt auch nichts auszurichten wusste.

Am späten Nachmittag verschlug es den studierenden Taxifahrer wiederum in jenes Dorf. Die Sonne war erheblich weitergewandert, das Sperrmüllsofa deshalb ein gutes Stück über den Platz getragen worden, die drei Rotweintrinker grüßten abermals freundlich, der Taxifahrer hielt auf einen Plausch, als der Polizist kam. Diesmal hatte er einen Grund zum Einschreiten gefunden: Das Sofa stehe auf einem Parkplatz, das dürfe nicht sein, das Sofa habe unverzüglich beseitigt zu werden.

"Wieso?", fragte einer der Haschbrüder ganz freundlich und zeigte auf die Parkuhr hinter dem Sofa, "Wir haben doch Geld eingeworfen!", und ich glaube, so etwas war wirklich nur damals unter Helmut Schmidt möglich.
Got the bill and Rita paid it
Took her home and nearly made it
Sitting on the sofa with a sister or two

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Blockquote
nnier | 25. August 2010 | Topic Gelesn
Am frühen Abend, längst allein im Büro, überkam mich eine rätselhafte, ins Träumerische abdriftende Mattigkeit, sekundenlang huschte ein Schwindelgefühl als grauer Schatten übers Gesicht - nach einem mich heftig durchschüttelnden Übermüdungsdruck wäre ich beinahe über den Papieren eingenickt. Irritiert war ich aufgestanden und zur Toilette im Obergeschoß gegangen, hin noch mit kaum merklichen Taumelschlenkern auf der Treppe, zurück schon mit den einknickenden Knien eines Betrunkenen. Das im Spiegel gesehene Gesicht war blaß und schweißfeucht.

So sah das also aus, wenn der Gilb kommt.

(Bernd Cailloux: Das Geschäftsjahr 1968/69)
Außerdem ist das ein richtig gutes Buch, das ich bald mal wieder lesen will.

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